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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 08.09.2008
Aktenzeichen: 22 ZB 08.388
Rechtsgebiete: BImSchG, BauGB


Vorschriften:

BImSchG § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BauGB § 35 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

22 ZB 08.388

In der Verwaltungsstreitsache

wegen

immissionsschutzrechtlicher Genehmigung;

hier: Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 20. Dezember 2007,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 22. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schenk,

den Richter am Verwaltungsgerichtshof Hösch,

die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Koch

ohne mündliche Verhandlung am 8. September 2008

folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Antragsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte.

III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die insofern maßgeblichen Darlegungen der Kläger (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht. Die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 Nrn. 1, 3 und 5 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht hinreichend dargelegt worden.

1. Die Kläger machen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zunächst deshalb geltend, weil das Verwaltungsgericht ihrer Meinung nach zu Unrecht eine "bedrängende Wirkung" der Windkraftanlagen und demzufolge einen Verstoß gegen das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme verneint hat. Sie meinen, das Verwaltungsgericht habe die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2006 (NVwZ 2007, 336) und des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 9. August 2006 (DVBl 2006, 1532) erforderliche Einzelfallbetrachtung nicht bzw. fehlerhaft durchgeführt. Dem kann nicht gefolgt werden.

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Frage, ob von Windkraftanlagen angesichts deren Höhe und der Drehbewegungen ihrer Rotoren eine optisch bedrängende Wirkung auf bewohnte Nachbargrundstücke ausgehen kann, anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen ist. Es hat unter Zugrundelegung der o.g. Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass der Abstand der Windkraftanlagen von den Grundstücken der Kläger mehr als das Dreifache ihrer Gesamthöhe beträgt, so dass tendenziell nach der oben genannten Rechtsprechung von keiner optisch bedrängenden Wirkung der Anlagen auszugehen ist. Aufgrund der zutreffenden Einordnung dieses Kriteriums als bloßen "groben Anhaltswert" hat das Verwaltungsgericht die gebotene Einzelfallprüfung anhand der konkreten Situation vor Ort durchgeführt und dabei als Besonderheit berücksichtigt, dass die Standorte der Windkraftanlagen deutlich höher liegen als die Grundstücke der Kläger. Die Frage, wie groß dieser Höhenunterschied ist, nämlich 50 m, wie von den Klägern behauptet, oder ca. 30 m, wie von der Beigeladenen unwidersprochen in der mündlichen Verhandlung erklärt, ist letztlich nicht entscheidungserheblich. Auch kann nicht beanstandet werden, dass das Verwaltungsgericht bei seiner "Grobprüfung" der optisch bedrängenden Wirkung anhand des Abstands den Höhenunterschied nicht eingerechnet hat; denn durch den Höhenunterschied per se rücken die genehmigten Anlagen nicht näher an die klägerischen Grundstücke heran. Es ist ausreichend, dass diese Besonderheit im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung - wie geschehen - Berücksichtigung findet. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die durch den Höhenunterschied bedingte größere optische Einwirkung der Anlagen auf die klägerischen Grundstücke dadurch abgemildert wird, dass diese von eingeschossiger Wohnbebauung umgeben sind und die Windkraftanlagen hinter einer am Ortsrand befindlichen Baumreihe stehen, wird durch die Einwände der Kläger nicht in Frage gestellt. Zwar ist es richtig, dass gerade die Rotoren, von denen wegen deren Drehbewegungen die bedrängende Wirkung ausgehen kann, durch die deutlich niedrigeren Wohnhäuser und Büsche nicht verdeckt werden. Trotzdem bestätigen die von den Klägern vorgelegten Bilder diesen Eindruck des Gerichts. Auch die weiteren, letztlich wesentlich bedeutsameren Kriterien, die das Verwaltungsgericht dafür herangezogen hat, dass die optische Einwirkung der Windkraftanlagen auf die Grundstücke der Kläger trotz des Höhenunterschieds wesentlich abgemildert erscheint, sind nicht zu beanstanden. Es ist nachvollziehbar dargelegt, dass durch die Ausrichtung der Bebauung im Wohngebiet mit Firstrichtung nach Nordosten hin die Windkraftanlagen - bezogen auf die Firstachse der Hauptgebäude auf den Grundstücken - um etwa 35o bis 45o versetzt liegen, und die (wesentlichen) Nutzungen auf den Grundstücken dem Sonnenlauf entsprechend nach Südosten, und damit genau entgegengesetzt zum Standort der Windkraftanlagen, orientiert sind. Auch die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die Windkraftanlagen, soweit die nordwestlichen und die nordöstlichen Außenwände der Gebäude Fensteröffnungen aufweisen, allenfalls im Randfeld des Betrachters liegen, wird durch die von den Klägern vorgelegten Bilder bestätigt. Das Verwaltungsgericht hat auch nicht verkannt, dass sich auf der den Windkraftanlagen zugewandten Seite des klägerischen Gebäudes und auf einer Garage Terrassen befinden, von denen aus die Windkraftanlagen stärker einsehbar sind. Seine Einschätzung, auch hier sei die optische Wirkung der Anlagen nicht unzumutbar, erscheint aber nachvollziehbar, wenn man die nur begrenzte Nutzungsmöglichkeit dieser Terrassen, die Vorbelastung des Blicks in diese Richtung durch Hochspannungsleitungen und Masten sowie die teilweise Abschirmung der Windkraftanlagen durch die Wohnhäuser miteinbezieht. Soweit das Verwaltungsgericht darauf hinweist, der Blick in die andere Richtung nach Südosten sei wesentlich reizvoller, zeigt das Gericht objektiv vorhandene Ausweichmöglichkeiten auf, die die Kläger nicht nutzen müssen, die aber bei der Frage einer Unzumutbarkeit sehr wohl eine Rolle spielen. Das Verwaltungsgericht weist zudem zu Recht darauf hin, dass angesichts wechselnder Windrichtungen die Rotordrehflächen auch nicht ständig mit ihrer vollen Fläche dem Baugebiet zugewandt sind. Soweit die Kläger meinen, es bestehe eine gesteigerte Pflicht zur Rücksichtnahme, weil sie in einem Wohngebiet und nicht im Außenbereich wohnen, ist darauf hinzuweisen, dass dieses Wohngebiet sich am Rande eines Außenbereichs befindet und dort jederzeit mit der Errichtung von privilegierten Außenbereichsvorhaben gerechnet werden muss. Unter Berücksichtigung all dieser Gesichtspunkte erscheint die Bewertung des Verwaltungsgerichts nicht fehlerhaft bzw. einseitig zulasten der Kläger; durch die von den Klägern vorgelegten Lichtbilder wird diese Bewertung sogar eher bestätigt als in Frage gestellt.

Auch soweit die Kläger gegen die Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils einwenden, das Verwaltungsgericht sei bezüglich der zumutbaren Lärmimmissionen zu Unrecht von dem Schutzniveau eines allgemeinen Wohngebiets statt dem eines reinen Wohngebiets ausgegangen, kann ihnen nicht gefolgt werden. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass der für dieses Gebiet geltende Bebauungsplan als Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO festsetzt und dies maßgeblich ist. Der Umstand, dass der Bebauungsplan bereits 30 Jahre alt ist, kann für die Frage von dessen Gültigkeit keinerlei Rolle spielen. Der Umstand, dass sich in dem Gebiet nur Wohnhäuser und keine sonstigen Nutzungen finden, kann allenfalls im Rahmen der Prüfung relevant sein, ob der Bebauungsplan hinsichtlich der Festsetzung der Gebietsart funktionslos geworden ist. Hier hat das Verwaltungsgericht aber zum einen zu Recht darauf hingewiesen, dass es zumindest noch zwei unbebaute Grundstücke im Baugebiet gibt (vgl. Niederschrift über den Augenschein vom 20.12.2007 Seite 2). Zum anderen hat es ergänzend ausgeführt, dass selbst die vollständige Bebauung eines allgemeinen Wohngebiets mit Wohngebäuden für sich allein noch kein Umstand ist, der ein Baugebiet von einem allgemeinen zu einem faktischen reinen Wohngebiet werden lassen könnte. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach der Unterschied zwischen allgemeinem und reinem Wohngebiet nur gradueller, nicht prinzipieller Art und so gering ist, dass es nur weniger (baulicher oder Nutzungs-)Änderungen an einzelnen Gebäuden bedarf, um aus dem faktischen reinen auch faktisch ein allgemeines und damit plangemäßes Wohngebiet entstehen zu lassen. Deshalb sei der Fall des Funktionsloswerdens eines allgemeinen Wohngebiets, weil es sich faktisch als reines Wohngebiet entwickelt hätte, kaum vorstellbar (vgl. BVerwG vom 12.8.1999 BVerwGE 109, 246). Denn ein Funktionsloswerden eines Bebauungsplans würde erfordern, dass die Verhältnisse, auf die die Festsetzung sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht hätten, der ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließt, und die Erkennbarkeit dieser Tatsache einen Grad erreicht hätte, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (BVerwG vom 29.5.2001 NVwZ 2001, 1055). Angesichts des oben beschriebenen geringen Unterschieds der beiden Gebietsarten ist die Prognose, dass die Realisierung des Plans trotz ausschließlicher Wohnbebauung in Richtung auf ein allgemeines Wohngebiet "auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen" wäre, in der Regel - so auch hier - nicht möglich.

Auch der weitere Einwand der Kläger, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die "Abstandsregelung" im bestehenden Regionalplan nicht berücksichtigt, lässt Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht aufkommen. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass diese nicht drittschützend ist. Diese Auffassung ist schon deshalb nicht zu beanstanden, weil es sich hierbei um keine verbindliche Regelung handelt, sondern um ein bloßes in der Begründung des Regionalplans genanntes "Abwägungskriterium" (vgl. BayVGH vom 5.10.2007 -Az. 22 CS 07.2073).

2. Auch der Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) ist nicht gegeben. Die von den Klägern aufgeworfene Frage, ob sich Gerichte bei der Einstufung der Schutzwürdigkeit einer Wohnbebauung in Bezug auf Lärmimmissionen noch auf über 30 Jahre alte Bebauungspläne stützen dürfen oder ob in diesen Fällen eine konkrete aktuelle Bewertung anhand der tatsächlichen Verhältnisse zu Grunde zu legen ist, ist nicht klärungsbedürftig; sie lässt sich ohne Weiteres aus dem Gesetz bzw. den Bestimmungen der TA Lärm beantworten. Gemäß Nrn. 6.1 und 6.6 Satz 1 der TA Lärm richtet sich die Zuordnung zu einer Gebietsart (mit entsprechend unterschiedlichen Immissionsrichtwerten) nach den Festlegungen in Bebauungsplänen. Nach den gesetzlichen Bestimmungen des Baugesetzbuchs treten Bebauungspläne nicht durch Zeitablauf außer Kraft. Die Frage, inwieweit Bebauungspläne durch eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse funktionslos werden und insoweit nicht mehr beachtlich sind, ist durch die oben unter 1. angeführte Rechtsprechung geklärt. Insoweit ist ein grundsätzlicher Klärungsbedarf nicht aufgezeigt.

3. Auch die Rüge der Kläger, es liege insoweit ein Verfahrensmangel vor, als das Verwaltungsgericht ihren mehrfachen förmlichen Beweisantritten zur Immissionsbetroffenheit nicht nachgekommen sei (§ 86 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), kann nicht zur Zulassung der Berufung führen. Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keine Beweisanträge gestellt, sondern laut Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 20. Dezember 2007 (Seite 4) nur angeregt, die Frage der Lärmbeeinträchtigung durch ein Sachverständigengutachten im Beweiswege klären zu lassen. Solche Anregungen stellen ebenso wie Beweisangebote in den vorbereitenden Schriftsätzen die Beweiserhebung in das Ermessen des Gerichts. In einem solchen Fall kommt es nur darauf an, ob sich dem Gericht die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung aufdrängen musste (vgl. z.B. BVerwG vom 3.7.1998 - Az. 6 B 67/98; vom 24.9.1996 NVwZ 1997, 501). Eine weitere Sachaufklärung musste sich dem Gericht weder aus dem Umstand aufdrängen, dass nur Prognoseberechnungen der Beigeladenen vorlagen, und keine Messungen, noch aus dem Umstand, dass diese nur vom zuständigen Umweltschutzingenieur des Landratsamts und nicht auch von einem unabhängigen Sachverständigen überprüft worden sind. Die Ermittlung der Geräuschimmissionen erfolgt bei Genehmigungsvorhaben immer über eine Prognose (vgl. Nr. 6.8 i.V.m. A. 2 der TA Lärm). Die Kläger legen nicht dar, welche substantiierten Einwände sie gegen die fachliche Einschätzung des Umweltingenieurs haben, die Prognoseberechnungen der Beigeladenen seien in sich schlüssig und korrekt durchgeführt; allein aus einer (größeren) Abstandsregelung in einem Regionalplan, die bloßes Abwägungskriterium für die Planungsbehörde ist, kann sich entgegen der Ansicht der Kläger eine zwingende Notwendigkeit für die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht ergeben. Soweit sich die Kläger auf eigene Messungen berufen, wird selbst von ihnen eingeräumt, dass diese nicht den gleichen Stellenwert haben wie von Fachleuten durchgeführte Messungen. Der Umstand, dass das Verwaltungsgericht die im Genehmigungsbescheid vorgesehene Abnahmemessung vor einer Entscheidung nicht abgewartet hat, stellt gleichfalls keinen Verfahrensmangel dar, da die immissionsschutzfachliche Beurteilung der Windkraftanlagen auf einer Prognoseberechnung beruht und die im Bescheid vorgesehene Abnahmemessung keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für den Bescheid darstellt.

Kosten: § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 2 VwGO.

Streitwert: § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG; wie Vorinstanz.



Ende der Entscheidung

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