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Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 23.09.2002
Aktenzeichen: 24 B 02.153
Rechtsgebiete: AuslG, GG, StGB
Vorschriften:
AuslG § 47 Abs. 1 Nr. 2 | |
AuslG § 42 Abs. 2 Nr. 2 | |
AuslG § 48 | |
GG Art. 3 | |
StGB § 53 |
2. Im Gegensatz zu § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG stellt § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG als Tatbestandsmerkmal nicht nur auf den Deliktscharakter ab, sondern auch auf die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung (Fälle besonders schwerer Kriminalität).
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes
In der Verwaltungsstreitsache
wegen Ausländerrechts;
hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16. Oktober 2001,
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 24. Senat,
durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Motyl, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Simmon, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Hauser
aufgrund mündlicher Verhandlung vom 23. September 2002
am 23. September 2002
folgendes Urteil:
Tenor:
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1961 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Er kam am 15. August 1986 in die Bundesrepublik Deutschland und wurde auf seinen Antrag hin mit Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 8. August 1988 als Asylberechtigter anerkannt. Am 23. September 1988 erteilte ihm die Stadt Bochum eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und einen internationalen Reiseausweis.
Während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland ist der Kläger strafrechtlich wie folgt aufgefallen:
Mit Urteil des Amtsgerichts Bochum (rechtskräftig seit 17.12.1987) wurde der Kläger wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu 10 DM verurteilt. Wegen einer Ordnungswidrigkeit nach dem Asylverfahrensgesetz wurde eine Geldbuße von 75 DM festgesetzt.
1988 wurden gegen den Kläger durch Strafbefehle des Amtsgerichts Bochum Geldstrafen wegen Beleidigung und wegen Verstoßes gegen das Asylverfahrensgesetz verhängt.
1990 erfolgte durch das Amtsgericht Nürnberg die Verhängung einer Geldstrafe wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort und im Jahr 1991 wegen vorsätzlichen Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
Das Amtsgericht Fürth verhängte gegen den Kläger im Jahr 1996 eine Geldstrafe wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs.
Mit Urteil des Amtsgerichts Nürnberg - Schöffengericht - vom 12. Juli 1999 wurde der Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat verurteilt wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Das Landgericht Nürnberg-Fürth verurteilte im Berufungsverfahren am 15. Dezember 1999 den Kläger zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten wegen der gleichen Tatbestände. Als Einzelstrafen für das unerlaubte Handeltreiben wurde eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren festgesetzt und als Einzelstrafe für den unerlaubten Besitz eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Das Urteil wurde am 30. Juni 2000 rechtskräftig.
Nach Anhörung verfügte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Mai 2001 die Ausweisung des Klägers aus dem Geltungsbereich des Ausländergesetzes (Ziffer I). Die Ausstellung des internationalen Reiseausweises im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge wurde widerrufen und der Kläger wurde aufgefordert, diesen Reiseausweis bis spätestens einen Monat nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung dem Ausländeramt der Stadt Nürnberg zu übergeben. Für den Fall, dass diese Frist nicht eingehalten werde, wurde die Einziehung des Reiseausweises angedroht (Ziffer II).
Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16. Oktober 2001 wurde der Bescheid der Stadt Nürnberg vom 17. Mai 2001 in Ziffer II aufgehoben. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Die Ausweisungsverfügung sei rechtmäßig, wobei der Ausländerbehörde ein Ermessen nicht zustehe, weil es sich im Fall des Klägers um eine Regel-Ausweisung handle. Wegen des dem Kläger zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes nach § 48 Abs. 1 Nr. 5 AuslG habe er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden können. Beim Kläger sei der Ist-Ausweisungstatbestand des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erfüllt und zwar auch im Hinblick darauf, dass die Verurteilung wegen Tatmehrheit erfolgt sei. Der Verwaltungsgerichtshof habe die insoweit angesprochenen Fragen der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe wegen tatmehrheitlicher Begehung im Rahmen des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG in seiner früheren Rechtsprechung nicht einmal problematisiert und darüber hinaus die Rechtsprechung der Kammer ausdrücklich mit Beschluss vom 6. März 2001 bestätigt. Als entscheidungserheblich sei hierbei allein angesehen worden, dass ausschließlich Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz vorlägen und darüber hinaus die tatsächlich ausgesprochene Freiheitsstrafe ohne Bewährung verhängt worden sei. Beim Kläger lägen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor. Besondere Umstände der Straftat seien beim Kläger nicht ersichtlich sowie eine besondere familiäre Situation seien nicht zu berücksichtigen. Erfolg habe die Klage, soweit die Beklagte die Ausstellung des internationalen Reiseausweises des Klägers selbst widerrufen habe.
Im zugelassenen Berufungsverfahren beantragen die Bevollmächtigten des Klägers,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach in Ziffer I insoweit aufzuheben, als hierin die Klage abgewiesen wurde und den Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2001 in Ziffer I aufzuheben.
Der Kläger sei zwischenzeitlich aus der Strafhaft am 11. November 2001 entlassen worden und lebe bei seiner deutschen Lebensgefährtin. Seit der Haftentlassung habe sich der Kläger straffrei verhalten. Der Kläger absolviere gegenwärtig eine vom Arbeitsamt Nürnberg geförderte Ausbildung als Kraftfahrer im nationalen Fernverkehr. Nach dem erfolgreichen Abschluss seiner gegenwärtigen Ausbildung werde ihm die Aufnahme einer entsprechenden Erwerbstätigkeit nur dann möglich sein, wenn sein weiterer Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht aufgrund der angegriffenen Ausweisung und nachfolgender Duldungserteilung auf das Bundesland Bayern beschränkt sei. Der angegriffene Bescheid verletze den Kläger in seinen Rechten. Beim Kläger sei lediglich eine Regelausweisung gemäß § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG gegeben, die gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG zur Ermessensausweisung herabgestuft sei. Die Verurteilung des Klägers durch das Landgericht Nürnberg-Fürth sei aufgrund mehrerer, in Tatmehrheit begangener Straftaten erfolgt. § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG spreche jedoch von einer Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz. Allein aufgrund der Gesamtstrafenbildung sei das Gericht zu einer Höhe der Freiheitsstrafe gekommen, bei der eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht mehr möglich gewesen sei. Unter diesen Umständen würde die Bejahung der Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG allein auf dem rein strafprozessrechtlichen Umstand beruhen, dass die Straftaten des Klägers gemeinsam verhandelt worden und gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe verhängt worden sei. Die verbleibende Unsicherheit, ob die strafrechtlichen Verurteilungen tatsächlich zur Bewährung ausgesetzt worden wären, könne unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht zu Lasten des Klägers gehen. Unter den genannten Umständen sei auch eine Privilegierung des Klägers als Mehrfachtäter bei Nichtanwendung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG nicht gegeben. Der Kläger würde durch eine dem Wortlaut widersprechende Anwendung der Vorschrift allein aus strafprozessrechtlichen Gründen unter Verstoß gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG willkürlich gegenüber anderen Ausländern benachteiligt, deren materiell-rechtlich selbstständige Straftaten in jeweils voneinander getrennten Verfahren verhandelt und abgeurteilt würden. Es sei mit dem eindeutigen Wortlaut des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG nicht vereinbar, die Verhängung einer Gesamtstrafe ohne Bewährung wegen tatmehrheitlich begangener Delikte für eine Anwendbarkeit der Vorschrift ausreichen zu lassen. Ein solches Vorgehen scheitere am verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. Die Beklagte hätte richtigerweise lediglich das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes nach § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG annehmen dürfen. Der Bescheid mangle auch an einer Ermessensausübung und insbesondere am Fehlen spezialpräventiver Ausweisungsgründe und der Unerreichbarkeit spezialpräventiver und generalpräventiver Ausweisungszwecke beim Kläger. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Ausweisungsbescheides habe der Kläger bereits eine positive Sozialprognose gehabt. Die Bedeutung dieser positiven Sozialprognose werde auch nicht durch den von der Beklagten im Berufungszulassungsverfahren zitierten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. März 1994 geschmälert. Der Kläger sei auch nicht betäubungsmittelabhängig. Er habe Betäubungsmittel lediglich zur Schmerzlinderung wegen der Folgen seines schweren Motorradunfalls genommen. Der Kläger habe zum ersten Mal eine Freiheitsstrafe verbüßt, für die ihm von der Justizvollzugsanstalt gute Führung bescheinigt worden sei. Schließlich sei der Kläger bei der Straftat, wegen der er verurteilt worden sei, nicht selbst aktiv gewesen. Der Kläger könne als politisch Verfolgter nicht abgeschoben werden, deshalb sei eine spezialpräventive Ausweisungswirkung in seinem Falle nicht möglich. Der Kläger werde sich aufgrund der Ausweisung notwendigerweise weiter mit einer Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG in Deutschland aufhalten. Die mit der Duldungserteilung verbundenen Beschränkungen gefährdeten die soziale Integration des Klägers nach der Haftentlassung. Auch generalpräventive Ausweisungsgründe seien im Fall des Klägers nicht einschlägig. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 18. Mai 1995 festgestellt, dass eine generalpräventive Ausweisung in Kenntnis bestehender Abschiebungshindernisse allenfalls dann möglich sei, wenn besonders schwerwiegende Straftaten vorlägen und ein dringendes Bedürfnis für die Ausweisung bestehe. An diesen Vorgaben scheitere eine Ausweisung des Klägers aus generalpräventiven Gründen. Es sei vorliegend schon keine besonders schwerwiegende Straftat gegeben.
Die Stadt Nürnberg beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Die strafrechtliche Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht Nürnberg erfülle die Voraussetzungen des Ausweisungstatbestandes nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG. Es liege somit eine Ist-Ausweisung vor. Der Kläger habe besonderen Ausweisungsschutz des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AuslG. Dieser Ausweisungsschutz hindere aber nicht die Ausweisung des Klägers, weil schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowohl in spezial- wie auch generalpräventiver Hinsicht vorlägen. Vorliegend sei zu prüfen, ob beim Kläger ein Ausnahmefall im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG vorliege. Die Straftaten des Klägers wögen schwer. Gerade der Handel mit Betäubungsmitteln gehöre zu den besonders gefährlichen und schwer zu bekämpfenden Delikten. Schon aus diesem Grund habe der Gesetzgeber Straftaten, die mit dem Betäubungsmittelgesetz im Zusammenhang stünden, in diejenigen Straftaten eingereiht, die eine Ist-Ausweisung nach sich zögen. Aus den Feststellungen im Strafurteil sei nicht ersichtlich, dass beim Kläger vorliegend ein atypischer Geschehensablauf vorliege. Entscheidend seien die Verhältnisse im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Beim Kläger handle es sich um einen Fall der mittleren und schweren Kriminalität. Der besondere Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 Nr. 5 AuslG führe gemäß § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG zu einer Herabstufung der Ist-Ausweisung zur Regelausweisung. Der konkrete Einzelfall müsse atypische, vom Regelfall abweichende Besonderheiten aufweisen, die so bedeutsam seien, dass er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitige. Ein Ausnahmefall sei durch einen vom Gesetzgeber nicht berücksichtigten atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet. Die Tatsache, dass der Kläger Asylberechtigter sei, könne nicht zur Annahme eines Ausnahmefalles führen. Diese Tatsache werde bereits im Rahmen des § 48 AuslG berücksichtigt und habe zur Herabstufung zur Regelausweisung geführt.
In der mündlichen Verhandlung vom 23. September 2002 hatten die Beteiligten Gelegenheit, ihre rechtlichen Standpunkte darzulegen. Die Landesanwaltschaft Bayern hält § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG für anwendbar; die Berufung sei nicht begründet. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23. September 2002 verwiesen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16. Oktober 2001 ist zu Recht ergangen. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2001 in Ziffer I rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen dieses Urteils verwiesen (§ 130 b Satz 2 VwGO).
Ergänzend ist zum Berufungsverfahren anzumerken:
Die Ausweisung eines Asylberechtigten wegen einer Straftat ist sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch nach der des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 7.3.2001 - 2 BvR 1459/99, NVwZ Beilage Nr. I 6/2001 zu Heft 7/2001, 57/58; Beschluss vom 27.12.2000 - 2 BvR 2205/99, NVwZ Beilage Nr. I 3/2001 zu Heft 4/2001, 27/28; BVerwG - Urteil vom 5.5.1998 - 1 C 17.97, InfAuslR 9/98, 383 f.) grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Eine Ausweisung ist allerdings nur zulässig, wenn die Straftat besonders schwer wiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis dafür besteht, über eine etwaige strafrechtliche Sanktion hinaus, durch Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (Generalprävention). Bei spezialpräventiver Ausweisung muss dem Ausweisungsanlass besonderes Gewicht zukommen, welches sich bei Straftaten vor allem aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt. Hinzu kommen müssen Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Verfehlungen des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht. Entfernte Möglichkeiten neuer Störungen genügen nicht. In Fällen mittlerer und schwerer Kriminalität sind die Voraussetzungen für eine spezialpräventive Ausweisung grundsätzlich zu bejahen (BVerwG 1 B 221.94 - Beschluss vom 10.2.1995 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 5). Für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Ausweisungsverfügung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend.
Die Ausweisung des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland wurde im angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2001 richtigerweise auf § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG gestützt. Der Auffassung der Klägerseite, dass vorliegend § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG einschlägig ist mit der Folge, dass die Ausweisung des Klägers nur im Ermessenswege möglich gewesen wäre, kann nicht gefolgt werden.
Nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG wird ein Ausländer u.a. ausgewiesen, wenn er wegen einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig einer Jugendstrafe von mindestens 2 Jahren oder zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Der Kläger wurde mit rechtskräftigem Urteil (Rechtskraft seit 30.6.2000) des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 15. Dezember 1999 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Als Einzelstrafen für das unerlaubte Handeltreiben wurde eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren festgesetzt und als Einzelstrafe für den unerlaubten Besitz eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten. Damit ist der Tatbestand von § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erfüllt. Erforderlich ist, dass die Strafe gerade wegen des Betäubungsmitteldelikts in dieser Höhe verhängt worden ist. Auch wenn der Kläger wegen verschiedener in Tatmehrheit begangener Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt worden ist, ist der Ausweisungstatbestand des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erfüllt. Wie Fälle zu beurteilen sind, wenn neben Betäubungsmitteldelikten noch andere Straftaten zur Last gelegt worden sind, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, weil sich wegen des Deliktscharakters der vom Kläger begangenen Straftaten keine Konsequenzen auf die Anwendbarkeit der Vorschrift ergeben. Das Gesetz geht von einer besonderen Gefährlichkeit des Ausländers aus, wenn er wegen einer der in § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG bezeichneten Straftaten rechtskräftig verurteilt worden ist, so dass seine Ausweisung grundsätzlich zwingend geboten ist. Nur soweit bei einer Zuwiderhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG nicht erfüllt sind, ist zu prüfen, ob § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG zur Anwendung kommt.
Bei einer - wie vom Bevollmächtigten des Klägers vorgenommenen - Einzelwertung der Straftatbestände käme man im Übrigen vorliegend auch zu keinem anderen Ergebnis, weil der Kläger wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bereits zu einer Einzelstrafe von 2 Jahren verurteilt worden ist. Nach § 56 Abs. 2 StGB kann das Gericht auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die 2 Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wieder gutzumachen, zu berücksichtigen. Anhaltspunkte, dass diese Einzelstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden wäre, sind dem Strafurteil nicht zu entnehmen. Dem Senat sind jedoch aus einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle keine strafgerichtlichen Urteile bekannt, bei denen bei einer Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ein verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden wäre. Im Übrigen ist auch bei einer Gesamtstrafenbildung für die Bewährung die Höhe der Gesamtstrafe maßgebend und nicht die Höhe der Einzelstrafe (vgl. § 58 StGB).
Auf die Frage, ob die Einzelstrafen von 2 Jahren und 1 Jahr und 3 Monaten, aus denen die Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten gebildet worden ist, im Falle des Klägers zur Bewährung hätte ausgesetzt werden können, kommt es vorliegend nicht entscheidungserheblich an, weil der Kläger insgesamt zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten ohne Bewährung verurteilt worden ist und nicht zu zwei Freiheitsstrafen. Auf eine Gesamtstrafe wird gemäß § 53 Abs. 1 StGB erkannt, wenn jemand mehrere Straftaten begangen hat, die gleichzeitig abgeurteilt werden und dadurch mehrere Freiheitsstrafen oder mehrere Geldstrafen verwirkt sind. In diesem Fall ist die Gesamtstrafenbildung zwingend. Das Wesen der Gesamtstrafenbildung besteht darin, dass die Gesamtstrafe die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen darf (§ 54 Abs. 2 Satz 1 StGB) und sie durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe und Würdigung der Person des Täters und der einzelnen Straftaten gebildet wird (§ 54 Abs. 1 Satz 2, 3 StGB). Die Einzelstrafen gehen somit in der Bildung der Gesamtstrafe auf, so dass gegen den Verurteilten nur eine Strafe verhängt wird. Der Einwand des Bevollmächtigten des Klägers, sein Mandant werde bei dieser Betrachtungsweise gegenüber einem Straftäter benachteiligt, dessen Straftaten getrennt verhandelt und abgeurteilt worden sind, überzeugt nicht, weil die nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe im Gesetz auch für die Fälle vorgesehen ist, wenn ein bereits rechtskräftig Verurteilter wegen einer anderen Straftat verurteilt wird (vgl. § 55 Abs. 1 StGB).
Der Hinweis des Bevollmächtigten des Klägers, ein Vergleich zwischen § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG und § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG mache deutlich, dass der Gesetzgeber bei der Anwendbarkeit von § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG die Verurteilung wegen einer einzigen vorsätzlichen Straftat voraussetzt, während er hingegen die Anwendbarkeit von § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG von einer Verurteilung wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten abhängig macht, überzeugt nicht. In § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG knüpft der Gesetzgeber allein an die Höhe des Strafmaßes an, das auch wegen mehrerer vorsätzlicher Straftaten verwirkt worden sein kann. Dem gegenüber stellt er in § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG gerade auf den Deliktscharakter aber und nicht auf die Anzahl der vorsätzlich begangenen Straftaten. § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG kommt nur zur Anwendung bei mindestens einer vorsätzlichen Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz oder einer Straftat wegen Landfriedensbruchs. Die Worte "wegen einer vorsätzlichen Straftat nach" zielen nicht auf eine zahlenmäßige Beschränkung, sondern nur auf die Charakterisierung des Delikts ab. Die Konsequenz, dass § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG aufgrund eines Vergleichs der beiden Tatbestände nur so zu verstehen ist, dass § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG als Befugnisnorm ausscheidet, wenn mehrere Delikte nach dem Betäubungsmittelgesetz begangen wurden, lässt sich daraus nicht folgern.
Der in diesem Zusammenhang von Klägerseite vorgetragene Gedanke, mit dem eindeutigen Wortlaut des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG sei es nicht vereinbar, die Verhängung der Gesamtstrafe ohne Bewährung wegen tatmehrheitlich begangener Delikte für eine Anwendbarkeit der Vorschrift ausreichen zu lassen, ein solches Vorgehen verstoße gegen Art. 3 GG und es scheitere am verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, greift nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 4.10.1995 - BVerwG 1 B 139.95 Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 7) finden die abgestuften Ausweisungsmöglichkeiten nach § 47 Abs. 1 und Abs. 2 AuslG sowie im Falle des besonderen Ausweisungsschutzes gemäß § 48 Abs. 1 AuslG nach § 47 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AuslG ihre sachliche Rechtfertigung in dem unterschiedlichen Gewicht der Ausweisungstatbestände und verletzten mithin nicht den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Gleiches muss auch im Hinblick auf § 47 Abs. 1 Nr. 1 und § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG gelten. Die Anwendbarkeit von § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG hängt einzig und allein vom verwirklichten Straftatbestand und der nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe ab. Ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG ist nicht erkennbar. Sowohl die Tatbestandsmerkmale als auch die Konsequenzen auf der Rechtsfolgenseite sind im Gesetz klar und eindeutig definiert.
Damit steht fest, dass die Beklagte die Ausweisung des Klägers nicht an § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG messen musste, mit der Folge, dass wegen des besonderen Ausweisungsschutzes, den der Kläger nach § 48 Abs. 1 Nr. 5 AuslG genießt, die Regelausweisung zur Ermessensausweisung herabgestuft wird (§ 47 Abs. 3 Satz 2 AuslG).
Die Ausweisung des Klägers läuft entgegen der Auffassung seines Bevollmächtigten vorliegend auch nicht ins Leere. Der Gesetzgeber geht selbst davon aus, dass ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann (§ 48 Abs. 1 Nr. 5 AuslG). Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegen in der Regel in den Fällen des § 47 Abs. 1 AuslG vor (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG). In Ergänzung dazu ergibt sich aus § 68 Abs. 2 AsylVfG, dass dem unanfechtbar als Asylberechtigten anerkannten Ausländer keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen worden ist. Die Tatsache, dass der Kläger derzeit nicht in sein Heimatland Iran abgeschoben werden kann, führt nicht zwangsläufig zu der Annahme, seine Ausweisung laufe ins Leere und sei damit rechtswidrig, weil weder spezial- noch generalpräventive Gesichtspunkte bei seiner Ausweisung zum Tragen kämen.
Die Argumentation der Beklagten, dass gerade im vorliegenden Fall der Gleichheitssatz eine generalpräventive Ausweisung wegen der sich daraus ergebenden abschreckenden Wirkung für andere Ausländer gebiete, ist nicht von der Hand zu weisen. Ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung soll § 47 Abs. 1 AuslG die Ausweisung für Fälle besonders schwerer Kriminalität zwingend vorsehen (BT-Drs. 11/6321 S. 73). Neben den von § 47 Abs. 1 AuslG verfolgten spezial-präventiven Zwecken hat diese Vorschrift auch eine generalpräventive Funktion (BVerwG Urteil vom 11.6.1996 - 1 C 2.24 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 9, 20/27). Die Behauptung, im Fall des Klägers sei keine besonders schwierige Straftat gegeben, geht an der Problemstellung und der Absicht des Gesetzgebers vorbei. Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, die mit einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung geahndet werden, sind damit vom Gesetzgeber als Fälle besonders schwerer Kriminalität eingestuft worden.
Der Kläger wäre im Übrigen im Vergleich zu anderen Ausländern, die nicht als Asylberechtigte anerkannt sind und ebenfalls wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt worden sind, wegen seiner Asylanerkennung besser gestellt. Der Tatsache der Asylanerkennung wird dadurch gerecht, dass er trotz der Ausweisung nicht in den Iran abgeschoben werden kann. Sein Aufenthaltsstatus im Gastland kann unabhängig von der Anerkennung als Asylberechtigter nach dem Ausländergesetz geregelt werden. Auch wenn der Kläger derzeit noch einen internationalen Reiseausweis hat, der ihm Reisen ins Ausland ermöglicht, ist die Wirkung einer generalpräventiv motivierten Ausweisung nicht von der Hand zu weisen.
Soweit von Klägerseite vorgetragen wird, durch die Ausweisung werde eine Eingliederung in die Gesellschaft erschwert, weil der Kläger nicht als Fernfahrer im internationalen Transportverkehr tätig sein kann und damit möglicherweise der Sozialhilfe anheimfällt, ist dem entgegenzuhalten, dass Sinn und Zweck des Ausländergesetzes nicht darin besteht, strafrechtlich auffällig gewordenen Ausländern mit Hilfe des begehrten Aufenthaltstitels eine gewünschte wirtschaftliche Grundlage zu verschaffen. Dies würde dem Sinn der Ausweisungstatbestände gerade zuwiderlaufen. Dem Kläger ist es unbenommen, als Kraftfahrer im räumlich beschränkten Bereich eine Arbeit aufzunehmen. Für ihn kommt nicht nur zwangsläufig die von ihm gewünschte Tätigkeit in Betracht. Da als entscheidungserheblicher Zeitpunkt auf den Zeitpunkt des Bescheidserlasses abzustellen ist, ist die Vorlage der Bestätigung des Arbeitgebers des Klägers vom 2. September 2002 ohne Belang.
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
Der Ausspruch über die Kosten folgt aus § 167 VwGO in Verb. mit §§ 708, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil kein Zulassungsgrund gemäß § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
Beschluss:
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 4.000 Euro festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 3 GKG).
Ende der Entscheidung
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