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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.06.2006
Aktenzeichen: 24 CS 06.1521
Rechtsgebiete: LStVG


Vorschriften:

LStVG Art. 7 Abs. 2
LStVG Art. 7 Abs. 4
LStVG Art. 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

24 CS 06.1521

In der Verwaltungsstreitsache

wegen LStVG (Meldeauflagen, Betretens- und Aufenthaltsverbote) (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);

hier: Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 07. Juni 2006,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 24. Senat,

durch Richter am Verwaltungsgerichtshof Simmon als Vorsitzender, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Eich, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Hösch

ohne mündliche Verhandlung am 9. Juni 2006

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Wegen des Sachverhalts wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Der Antragsteller beantragt im Beschwerdeverfahren,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 7. Juni 2006 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 31. Mai 2006 wiederherzustellen.

Für die Maßnahmen gegen den Antragsteller fehle es an einer konkreten Gefahrenprognose. Der Antragsteller sei wegen eines einschlägigen Delikts nicht vorbestraft. Dem Antragsteller werde nicht vorgeworfen, Gewalt ausgeübt oder sich an Gewalttätigkeiten beteiligt zu haben. Dass der Antragsteller der "Hooligan-Szene" zugerechnet werde, rechtfertige die Annahme nicht, dass von ihm künftig eine konkrete Gefahr ausgehe. Der Schluss liege nahe, dass er, da er bislang nicht gefährlich gewesen sei, auch künftig nicht gefährlich sein werde. Es gebe keinen Beleg dafür, dass der Antragsteller an verabredeten gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Prager Hooligans habe teilnehmen wollen. Er habe lediglich die günstige Fahrgelegenheit ausgenutzt. Er sei Fan von 1860 München und habe keinen Anlass gehabt, sich an Aktivitäten von Anhängern des 1. FC Nürnberg zu beteiligen. Auch an den Auseinandersetzungen beim Länderspiel Slowenien- Deutschland sei er nicht beteiligt gewesen. Weder die Gewalttäter-Sport-Einträge noch das erteilte Stadionverbot und frühere Meldeauflagen rechtfertigten die getroffenen Maßnahmen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei verletzt. Fraglich sei, ob nicht Art. 7 Abs. 4 LStVG der Maßnahme entgegenstehe.

Die Antragsgegnerin und die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreter des öffentlichen Interesses widersetzen sich der Beschwerde.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogene Behördenakte und auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde bleibt erfolglos, weil das Verwaltungsgericht den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht abgelehnt hat.

Im Beschwerdeverfahren werden nur die dargelegten Gründe geprüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

Die angefochtenen Auflagen konnten auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 LStVG gestützt werden, da sie keine Maßnahmen der Freiheitsbeschränkung darstellen (Art. 7 Abs. 4 LStVG).

In der vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung des Senats vom 23. April 1999 (24 CS 98.3551) ist folgendes ausgeführt:

"Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schützt das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung die gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit von staatlichen Eingriffen. Sein Gewährleistungsinhalt umfaßt von vornherein nicht eine Befugnis, sich unbegrenzt überall aufzuhalten und überallhin bewegen zu dürfen. Demgemäß liegt eine Freiheitsbeschränkung nur vor, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen gehindert wird, einen Ort oder Raum aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich oder rechtlich) zugänglich ist (BVerfGE 94, 166/198). In seiner Entscheidung vom 7. Juli 1983 (NVwZ 1983, 603) hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG als Prüfungsmaßstab wegen der räumlichen Aufenthaltsbeschränkung für Asylbewerber ausscheidet. Es handele sich nicht um einen Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 3 Satz 2 GG gestützte Freiheit der Person. Angesichts des räumlichen Umfangs, innerhalb dessen sich ein Asylbewerber frei bewegen dürfe (eine größere Stadt oder ein größerer Landkreis) stehe ein Eingriff in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 GG nicht in Frage (vgl. im übrigen zum Meinungs- und Diskussionsstand sowie zu einer Übersicht der einschlägigen Rechtsprechung, Tiemann, NVwZ 1987, 10 ff.). Mit Freiheit der Person im Sinne dieser Bestimmung ist auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur die körperliche Freiheit, die Freiheit vor Verhaftung, Festnahmen und ähnlichen Eingriffen gemeint. Die Auffassung, daß dieses Recht darüber hinausgehe und darunter die Freiheit von jeglichem staatlichen Druck zu verstehen sei, wird ausdrücklich abgelehnt (BVerwGE6,354).

Auch die ganz überwiegende Auffassung in der Literatur sieht in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG nur die Garantie der körperlichen Bewegungsfreiheit. Art.2 Abs. 2 GG ist eine Spezialnorm gegenüber Art. 2 Satz 1 GG. Freiheit der Person im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bedeute nicht Freiheit von jeglichem staatlichen Zwang, weil sonst Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG von Art. 2 Abs. 1 GG sachlich überdeckt würde. Zudem würde die allgemeine Handlungsfreiheit, die nach Art. 2 Abs. 1 GG unter dem Vorbehalt steht, daß nicht Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder der Sitten verstoßen werden darf, auf dem Umweg über Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG einem generellen Gesetzesvorbehalt unterworfen (Maunz/Dürig/Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. I Stand 1998, Art. 2 Anm. 49/50). Dies folge aus der Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG als Eingriffsfreiheit, aus dem Zusammenhang mit Art. 104 GG, der die formellen Voraussetzungen der Entziehung der Freiheit der Person regele sowie aus der Entstehungsgeschichte, aus der sich ergebe, daß "die persönliche Bewegungsfreiheit im engeren Sinne" gemeint gewesen sei (v. Münch, Kommentar zum Grundgesetz, Bd. I, 1985, Art. 2 Anm. 62).

Der Senat folgt im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, der systematischen Stellung zwischen Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 GG und der formellen Gewährleistung des Grundrechts in Art. 104, der Ansicht, daß der Begriff der Freiheit der Person im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG eng auszulegen und nicht als Unterfall der Freizügigkeit, sondern der Freiheitsentziehung zu verstehen ist. Hieraus folgt, daß Art. 7 Abs. 4 LStVG der streitgegenständlichen Anordnung nicht entgegensteht, weil hierdurch die Freiheit der Person im engeren Sinn nicht tangiert wird, denn die Antragstellerin wird nicht generell in ihrer körperlichen Bewegungsfreiheit gehindert, sondern nur daran, bestimmte Orte für nicht legitimierte Zwecke aufzusuchen."

An dieser Ansicht wird auch im vorliegenden Verfahren festgehalten.

Für die angefochtenen Maßnahmen liegen konkrete Verdachtsmomente gegen den Antragsteller vor. Es spielt - wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend dargelegt hat - keine Rolle, dass der Antragsteller bisher wegen begangener Gewalttätigkeiten noch nicht vorbestraft ist. Von maßgeblicher Bedeutung ist, dass der Antragsteller zur Hooligan-Szene gehört. Dieser Personenkreis fällt regelmäßig durch Gewaltbereitschaft anlässlich von Fußballspielen auf. Dies ist allgemein bekannt. Schon die vom Antragsteller ausdrücklich eingeräumte Zugehörigkeit zu diesem Personenkreis belegt die von ihm ausgehende Gefahr künftiger Straftaten. Dabei kommt es nicht allein ausschlaggebend darauf an, ob die Gefahr besteht, dass der Antragsteller selbst als Täter später identifiziert werden (und ggf. auch bestraft) werden könnte. Die von ihm ausgehende Gefahr besteht schon darin, dass er durch seine offen zum Ausdruck gebrachte Zugehörigkeit zu der Hooligan-Szene die Gewaltbereitschaft dieser Personen fördert und für diejenigen, die persönlich Gewalt anwenden, eine zumindest psychologische Stütze darstellt. Die von Hooligans begangenen Straftaten haben ein typisches Erscheinungsbild und stellen sich als Deliktstyp dar, das aus der homogenen Gruppe heraus initiiert und gesteigert wird. Schon die Gegenwart von Gleichgesinnten trägt zur Gewaltbereitschaft bei. So leistet auch der Antragsteller in wesentlicher Hinsicht einen Beitrag zu von Hooligans begangenen Straftaten, wobei auch die Annahme gerechtfertigt erscheint, dass er selbst gewaltbereit ist. Dass der Antragsteller noch nicht durch Begehung von Straftaten aufgefallen und deswegen bestraft worden ist, ist auch darauf zurückzuführen, dass die Art der Begehung von Straftaten durch Hooligans anlässlich von Fußballspielen inzwischen polizeitaktisch wirksam bekämpft werden kann. In diesem Zusammenhang ist auf die vorbeugenden Maßnahmen der Polizei bei der Fahrt von Hooligans zu einem Fußballspiel des 1. FC Nürnberg nach Prag hinzuweisen, die erfolgreich bei der Bekämpfung typischer Hooligan-Straftaten eingesetzt wurden. Der Antragsteller kann diesen polizeitaktischen Erfolg der Bekämpfung spezifischer Kriminalität von Hooligans nicht zu seinen Gunsten anführen. Seine diesbezüglichen Einlassungen sind in Anbetracht der Tatsache, dass er der Hooligan-Szene angehört und nicht einmal Fan des 1. FC Nürnberg ist, unglaubwürdig.

Die angefochtenen Maßnahmen sind geeignet und verhältnismäßig (Art. 8 Abs. 1 LStVG). Sie sind den Umständen entsprechend hinreichend deutlich. Das gilt auch und gerade für die Regelung Nr. 1 Satz 2 im angefochtenen Bescheid, die für den Antragsteller eine Vergünstigung darstellt, da damit die Meldeauflagen für bestimmte Fälle zu seinen Gunsten abgeändert werden. Schon aus praktischen Gründen war es der Behörde nicht möglich, diese Ausnahmen genauer zu formulieren. Welche "zwingenden" Gründe der Antragsteller haben könnte, dass er sich nicht persönlich bei der Polizei melden kann, hängt von Umständen ab, die in der Person des Antragstellers liegen. Naturgemäß kann die Antragsgegnerin ihr weiteres Vorgehen, dem Zweck des Bescheids entsprechend, in einem solchen Fall nicht schon vorher festlegen. Diese Ausnahmeregelung zeigt jedenfalls, dass die Behörde ein Übermaß vermeiden wollte. Das ist ihr auch - soweit das im Eilverfahren bei summarischer Prüfung beurteilt werden kann - in nicht zu beanstandender Weise gelungen. Andere und weniger eingreifende Maßnahmen erscheinen nicht sinnvoll, wenn der mit dem Bescheid bezweckte Erfolg gewährleistet sein soll.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Der Streitwert ergibt sich aus § 52 Abs.2, § 53 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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