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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.03.2006
Aktenzeichen: 24 ZB 06.233
Rechtsgebiete: ARB 1/80, AuslG


Vorschriften:

ARB 1/80 Art. 7 Satz 1
AuslG § 44
Das nach Art. 7 ARB 1/80 bestehende Recht auf Beschäftigung und Aufenthalt kann erlöschen, wenn der Ausländer auf Dauer und ohne berechtigte Gründe die Bundesrepublik verlässt. Ob dies der Fall ist, kann letztlich nur anhand der konkreten Umstände im Einzelfall geprüft werden. Es ist dabei die Frage zu beantworten, ob das Verhalten des Ausländers bei objektiver Betrachtungsweise den Schluss zulässt, dass er die Bundesrepublik freiwillig und auf Dauer verlassen wollte. Die im Aufenthaltsgesetz enthaltenen Kriterien können dabei nur als Auslegungshilfe dienen.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

24 ZB 06.233

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Feststellung des Bestehens einer Aufenthaltserlaubnis;

hier: Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. Dezember 2005,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 24. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Kersten, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Simmon, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Müller

ohne mündliche Verhandlung am 21. März 2006

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Kosten des Zulassungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über das Bestehen bzw. Erlöschen eines Aufenthaltstitels.

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er kam 1974 im Alter von 13 Jahren im Wege des Familiennachzugs zu seinen Eltern nach Deutschland. Im Jahr 1979 erhielt er erstmals eine befristete, 1984 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Der Kläger trat mehrfach strafrechtlich in Erscheinung. Von 1989 bis Dezember 2000 war er in der Firma seines Bruders (Großhandelsbetrieb für Textil- und Lederwaren in D*********) tätig. Danach begab er sich in die Türkei. Mit Datum 28. Februar 2001 wurde der Kläger von seinem Bruder an seinem bisherigen Wohnort abgemeldet.

Am 1. März 2005 meldete sich der Kläger wieder in A*****-B********* an. Das Landratsamt D****-R*** teilte ihm daraufhin mit, dass seine Aufenthaltserlaubnis erloschen sei. Er wurde aufgefordert, die Bundesrepublik zu verlassen. Der Kläger entgegnete, er habe nicht vorgehabt, für einen längeren Zeitraum in der Türkei zu bleiben. Er sei aber krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen, nach Deutschland zurückzukommen. Das Landratsamt hielt gleichwohl an seiner Rechtsauffassung fest.

Am 20. Mai 2005 erhob der Kläger deshalb beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage mit dem Antrag festzustellen, dass seine Aufenthaltserlaubnis nicht erloschen ist. Er trug hierzu vor, er sei im Februar 2001 zu Geschäftsterminen in die Türkei geflogen. Bei einer Besprechung im März 2001 sei er ohnmächtig geworden. In der Folgezeit habe sich sein gesundheitlicher Zustand verschlechtert. Im Dezember 2001 sei er dann operiert worden. Auch nach der Operation sei es ihm unmöglich gewesen, die Türkei zu verlassen. Im April 2003 habe er einen Herzinfarkt erlitten und sei erneut operiert worden. Seine gesundheitliche Lage habe sich auch in der Folgezeit nicht gebessert. Im Januar 2005 habe erneut ein Eingriff vorgenommen werden müssen. Der Kläger machte geltend, er habe ein Aufenthaltsrecht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80). Dieses Recht sei nicht erloschen.

Das Landratsamt D****-R*** trat dem entgegen und beantragte, die Klage abzuweisen. Es sei von einer dauerhaften Rückkehr in die Türkei auszugehen. Selbst wenn der Kläger eine Rechtsposition nach dem ARB 1/80 erworben haben sollte, wäre diese erloschen. Der Kläger habe nämlich nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass er nicht habe in das Bundesgebiet zurückkehren können. Völlig unverständlich bleibe dabei die Tatsache, dass er sich nicht an die Ausländerbehörde mit der Bitte um Verlängerung der Einreisefrist gewandt habe. Dies hätte er auch vom Ausland aus bewerkstelligen können.

Mit Urteil vom 6. Dezember 2005 wies das Verwaltungsgericht Augsburg die Klage ab. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die dem Kläger 1984 erteilte Aufenthaltserlaubnis sei zwischenzeitlich erloschen. Der Kläger habe unstreitig ein Recht auf Beschäftigung nach dem ARB 1/80 erworben. Diese Rechtsposition und das damit verbundene Aufenthaltsrecht habe er aber verloren, da er das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum verlassen habe. Er müsse sich vorhalten lassen, dass er es schuldhaft unterlassen habe, vor Ablauf des Sechsmonatszeitraums mit der Ausländerbehörde in Kontakt zu treten und eine Verlängerung der Wiedereinreisefrist zu beantragen. Weder die von ihm vorgelegten ärztlichen Äußerungen noch der von ihm geschilderte Geschehensablauf hinsichtlich seiner Erkrankungen würden den Schluss zulassen, dass er zu einer solchen Kontaktaufnahme zwischen März 2001 und August 2001 nicht in der Lage gewesen sein sollte. Was die streitgegenständliche Erlöschensfrage selbst anbelange, so spreche viel dafür, dass im Ergebnis die Rechtsnormen des Ausländergesetzes herangezogen werden könnten, allerdings eher im Sinne einer Auslegungshilfe als eines abstrakt generellen Rechtssatzes.

Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung vom 20. Januar 2006, welcher mit Schriftsatz des Bevollmächtigten des Klägers vom 13. Februar 2006 begründet wurde. Der Kläger macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geltend. Das Gericht habe übersehen, dass einem türkischen Staatsangehörigen, der assoziationsrechtliche Ansprüche erworben habe, diese Ansprüche nicht durch das nationale Ausländerrecht wieder entzogen werden können. Es hätte darauf abgestellt werden müssen, ob der Kläger nicht aus besonderen Gründen Deutschland länger verlassen habe. Einen solchen Grund stelle seine Krankheit dar. Weiter machte der Kläger geltend, die Sache weise besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf. Sie habe zudem grundsätzliche Bedeutung. Es sei klärungsbedürftig, dass assoziationsrechtliche Ansprüche auch bei längerem Aufenthalt im Ausland zumindest dann nicht verloren gehen, wenn es nicht vom eigenen Willen des Rechtsinhabers abhängt, ob er innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Deutschland zurückkehrt oder nicht. Zuletzt wurde vom Kläger geltend gemacht, das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg weiche von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom Juni 2000 ab.

Die Landesanwaltschaft Bayern beantragte für den Beklagten, den Antrag abzulehnen. Sie meint, es bestünden keine Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Auch Ansprüche aus dem ARB 1/80 würden verloren gehen, wenn das Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen wird. Dies sei vorliegend der Fall. Die Zulassungsgründe der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten, der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz würden nicht vorliegen und seien auch nicht ausreichend dargelegt.

Ergänzend wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen.

II.

Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Gegenstand des Antrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. Dezember 2005, mit welchem die Feststellungsklage des Klägers abgewiesen wurde. Diese hatte die (vom Kläger begehrte) Feststellung zum Gegenstand, dass die Aufenthaltserlaubnis des Klägers nicht erloschen ist.

2. Der Antrag ist nicht begründet, da Zulassungsgründe im Sinne von § 124 Abs. 2 VwGO - soweit dargelegt - nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO).

a) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Solche würden nur dann vorliegen, wenn gegen die Richtigkeit des Urteils nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, wovon immer dann auszugehen ist, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (BVerfG vom 23.6.2000 NVwZ 2000, 1163/1164) und sich ohne nähere Prüfung die Frage nicht beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (Kopp/Schenke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Aufl. 2005, RdNr. 7 zu § 124 VwGO). Hiervon kann vorliegend nicht ausgegangen werden; die erstinstanzliche Entscheidung ist im Ergebnis zutreffend.

(1) Einzig zu entscheidende Frage war - ausgehend vom Vorbringen im Zulassungsverfahren - dabei, ob das dem Kläger zustehende Recht nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 erloschen ist oder nicht.

Das Verwaltungsgericht Augsburg hat dies unter Heranziehung von § 44 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AuslG bejaht, weil der Kläger die Bundesrepublik für einen bestimmten Zeitraum verlassen hat.

Diese Beurteilung begegnet im Ergebnis keinen Bedenken. Auch das Vorbringen im Zulassungsverfahren führt zu keinem anderen Resultat. In Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht geht auch der Senat davon aus, dass der Kläger seine Rechtsstellung nach dem ARB 1/80 (und damit auch sein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik) verloren hat.

(2) Der Kläger hatte, wovon auch das Gericht erster Instanz ausgeht, zunächst nach Art. 7 ARB 1/80 durch den Zuzug zu seinen in Deutschland lebenden Eltern ein Recht auf Beschäftigung erworben. Als Folge dieses unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleiteten Anspruchs (siehe hier EuGH vom 16.3.2000 C-329/97 - Ergat - NVwZ 2000, 1277, RdNr. 34) hat der Kläger auch ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik erworben. Aus der unmittelbaren Wirkung des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 folgt nicht nur, dass die Betroffenen hinsichtlich der Beschäftigung ein individuelles Recht aus dem Beschluss herleiten können, sondern die praktische Wirksamkeit dieses Rechts setzt außerdem zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraus, das ebenfalls auf dem Gemeinschaftsrecht beruht und vom Fortbestehen der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Rechten unabhängig ist (EuGH vom 11.11.2004 C-467/02 - Cetinkaya - NVwZ 2005, 198, RdNr. 31).

(3) Dieses unmittelbar aus gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben abgeleitete Recht kann nicht nach Maßgabe nationaler Vorschriften erlöschen.

Ein aus unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht abgeleiteter Anspruch kann nicht durch mitgliedstaatliche Regelungen zum Erlöschen gebracht werden, soweit das Gemeinschaftsrecht eine solche Befugnis der Mitgliedsstaaten nicht vorsieht. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Beschluss vom 21. September 2005 (10 CE 05.2527) entschieden, dass "die nationale Vorschrift des § 44 Abs. 1 AuslG das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht (...) nicht zum Erlöschen bringen" kann.

(4) Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine einmal erworbene Rechtsposition nach dem ARB 1/80 niemals erlöschen kann.

Der Europäische Gerichtshof hat zu dieser Frage bereits in mehreren Entscheidungen Stellung genommen und ausgeführt (Urteil vom 7. Juli 2005 C-373/03 - Aydinli - DVBl. 2005, 1256, RdNr. 27): "Zweitens ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass das Aufenthaltsrecht als Folge des Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt und auf die tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung, das den Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers zusteht, die die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 erfüllen, in zwei Fällen Beschränkungen unterliegt. Entweder (...) oder der Betroffene hat das Hoheitsgebiet dieses Staates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen." Hieran hat der Gerichtshof bislang auch festgehalten (siehe Urteil vom 16.2.2006 C-502/04; vgl. a. BVerwG v. 6.10.2005 DVBl. 2006, 376/377).

Die Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 auf Beschäftigung und Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat können also grundsätzlich erlöschen, wenn das Hoheitsgebiet des Mitgliedsstaates verlassen wird. Dies hängt von zwei Voraussetzungen ab, die kumulativ erfüllt sein müssen:

(a) Erstens muss der Betroffene das Hoheitsgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitpunkt verlassen haben. Von welcher Zeitspanne hier exakt auszugehen ist, lässt sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht entnehmen, eine konkrete Festlegung findet sich auch in der bundesdeutschen Rechtsprechung bislang nicht. Ein Heranziehen der in § 51 Abs. 1 AufenthG enthaltenen Frist von sechs Monaten verbietet sich schon aus grundsätzlichen Erwägungen, da nationale Vorschriften gerade nicht geeignet sind, zum Erlöschen des gemeinschaftsrechtlich garantierten Anspruchs zu führen. Die Sechsmonatsfrist des deutschen Ausländerrechts kann damit allenfalls, worauf auch das Verwaltungsgericht Augsburg hingewiesen hat, als Auslegungshilfe dienen. Maßgebend für die Auslegung des Rechtsbegriffs "längerer Zeitraum" müssen dagegen in erster Linie die Ziele des ARB 1/80 sein. Dem Assoziationsratsbeschluss liegt der Gedanke zugrunde, dass türkischen Staatsangehörigen, welche in der Union einer Beschäftigung nachgehen, die Fortführung dieser Beschäftigung und der damit verbundene gesicherte Aufenthalt gewährleistet werden soll. Die fortschreitende persönliche Integration der türkischen Staatsangehörigen soll erleichtert und gefördert werden. Im Zusammenhang damit soll auch abgesichert werden, dass Kindern von türkischen Arbeitnehmern, welche im Rahmen des Familiennachzugs zu ihren Eltern in das Unionsgebiet kommen, ein Aufenthaltsrecht verliehen werden soll. Zentrales Anliegen ist damit die Gewährleistung eines möglichst problemlosen Zugangs zum Arbeitsmarkt sowie die Erleichterung einer Integration im Gebiet eines Mitgliedsstaats der Union. Es sollen diejenigen türkischen Staatsangehörigen abgesichert werden, die sich zur Arbeitsaufnahme, infolge ihrer Arbeitsaufnahme oder im Rahmen des Familiennachzugs in der Bundesrepublik aufhalten. Daraus folgt, dass die aus dem ARB abgeleiteten Rechte letztlich immer im Zusammenhang mit einem auf Dauer beabsichtigten Aufenthalt in der Bundesrepublik zu sehen sind. Ist ein solcher nicht mehr gewollt, erlöschen die Zielsetzung des ARB sowie die hieraus abgeleiteten Rechtspositionen. Ansprüche aus dem ARB können dann nicht mehr geltend gemacht werden, wenn nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer das Gebiet der Bundesrepublik verlassen wird. Wer also zu erkennen gibt, dass er sich nicht mehr auf Dauer in der Bundesrepublik aufhalten möchte, kann sich ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr auf seine Rechte aus dem ARB berufen. Abzustellen ist dabei darauf, ob der Betroffene bei objektiver Betrachtungsweise nach außen hin zu erkennen gegeben hat, dass er sich auf Dauer vom Bundesgebiet verabschiedet hat und wieder in der Türkei leben möchte. Die Dauer des Aufenthalts in der Türkei kann dabei eine wesentliche Rolle spielen. Je länger der Aufenthalt in der Türkei dauert, desto eher ist die Annahme gerechtfertigt, eine Rückkehr in die Bundesrepublik sei nicht mehr beabsichtigt. Ein nur kurzfristiger Aufenthalt in der Türkei, etwa zu Besuchszwecken oder zur Wahrnehmung geschäftlicher Termine, ist dagegen nicht geeignet, die Annahme zu rechtfertigen, auf das aus dem ARB abgeleitete Recht werde verzichtet. Auch aus diesem Grund spricht wenig für die Annahme, dass bereits bei einem halbjährigen Aufenthalt in der Türkei die Schlussfolgerung zwingend wäre, ein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet wäre nicht beabsichtigt und damit der Rechtsstatus nach dem ARB erloschen. Hinzu können im Einzelfall andere Kriterien kommen, welche geeignet sind, die Frage nach der Dauerhaftigkeit zu beantworten. Für eine dauerhafte Abwesenheit spricht etwa eine melderechtliche Abmeldung in Deutschland, die Tatsache, dass sich die Familienangehörigen in der Türkei und nicht mehr in Deutschland aufhalten oder etwa die Kündigung einer Wohnung. Wer auf der anderen Seite weiterhin einen Wohnsitz in Deutschland hat, hier eine Wohnung inne hat oder noch über andere intensive Kontakte verfügt, bei dem wird eher davon auszugehen sein, dass er nur auf beschränkte Zeit das Bundesgebiet verlassen möchte. In der Summe wird deshalb auf der Grundlage all der nach außen hin erkennbaren Indizien zu prüfen sein, ob der Aufenthalt in der Türkei und damit das Verlassen der Bundesrepublik auf Dauer angelegt ist oder nicht.

(b) Zweitens dürfen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs keine "berechtigten Gründe" für den Aufenthalt in der Türkei vorgelegen haben. Der Europäische Gerichtshof hat zu diesem Begriff bereits in einer Entscheidung vom 17. April 1997 (C-351/95 - Kadiman - NVwZ 1997, 1104 RdNr. 48) ausgeführt: "Diese Auslegung bedeutet jedoch nicht, dass sich der Betroffene nicht aus berechtigten Gründen für einen angemessenen Zeitraum vom gemeinsamen Wohnsitz entfernen dürfte, z.B. um Urlaub zu machen oder seine Familie im Heimatland zu besuchen. Denn solche kurzzeitigen Unterbrechungen der Lebensgemeinschaft, die ohne die Absicht erfolgen, den gemeinsamen Wohnsitz im Aufnahmemitgliedsstaat in Frage zu stellen, müssen den Zeiten gleichgestellt werden, während derer der betroffene Familienangehörige tatsächlich mit dem türkischen Arbeitnehmer zusammengelebt hat." Auch wenn diese Entscheidung zur Frage ergangen ist, ob ein ununterbrochener dreijähriger gemeinsamer Wohnsitz vorgelegen hat, so können die Auslegungskriterien doch auch für die vorliegend zu entscheidende Frage herangezogen werden. Maßgebend ist danach auf die Freiwilligkeit abzustellen. Zu prüfen ist, ob der auf längere Zeit angelegte Aufenthalt in der Türkei vom Willen des Betroffenen getragen war oder nicht. Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass der Aufenthalt in der Türkei und das Verlassen der Bundesrepublik vom Willen des Betroffenen getragen sind. Es mag aber eine Vielzahl denkbarer Konstellationen geben, bei denen die Freiwilligkeit nachträglich weggefallen ist. Dies gilt etwa dann, wenn eine Krankheit oder Inhaftierung die zunächst beabsichtigte Rückkehr nach Deutschland unmöglich macht oder unzumutbar erschwert. In gleicher Weise kann dies etwa der Fall sein, wenn familiäre Probleme oder sonstige Schwierigkeiten in der Türkei es unzumutbar erscheinen lassen, innerhalb einer angemessenen Frist nach Deutschland zurückzukehren. Auch diese Kriterien müssen im Einzelfall beurteilt werden, es ist jeweils zu prüfen, ob konkrete Umstände vorgelegen haben, die sich als "berechtigte Gründe" darstellen oder nicht.

(c) Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass auch das nach Art. 7 ARB 1/80 bestehende Recht auf Beschäftigung und Aufenthalt erlöschen kann, wenn der Betroffene auf Dauer und ohne berechtigte Gründe die Bundesrepublik verlässt. Ob dies der Fall ist, kann letztlich nur anhand der konkreten Umstände im Einzelfall geprüft werden. Es ist die Frage zu beantworten, ob das Verhalten des Betroffenen bei objektiver Betrachtungsweise den Schluss zulässt, dass er die Bundesrepublik freiwillig und auf Dauer verlassen wollte. Die in § 44 AuslG bzw. § 55 AufenthG enthaltenen Kriterien können dabei als Auslegungshilfe dienen (so bereits Beschluss des Senats vom 21.4.2005 Az. 24 CS 05.601).

(5) Im Falle des Klägers ist nach Auffassung des Senats davon auszugehen, dass er die Bundesrepublik auf Dauer und ohne berechtigte Gründe verlassen hat. Maßgebend hierfür sind die nachfolgenden Umstände:

Der Kläger hat bis Dezember 2000 in der Bundesrepublik gearbeitet. Dies ergibt sich aus der von ihm vorgelegten Bestätigung seines Arbeitgebers (Bl. 241 der Behördenakte) sowie der Bestätigung der AOK Bayern (Bl. 251 der Behördenakte). Nach dem Dezember 2000 ging der Kläger keiner Beschäftigung mehr in der Bundesrepublik nach. Vielmehr ist er in die Türkei (aus)gereist und hat dort seine jetzige Ehefrau geheiratet. Er hat mit dieser zusammen in der Türkei eine Familie gegründet, mittlerweile wurden zwei Kinder geboren. Der Bruder des Klägers hat diesen in Deutschland abgemeldet. Dies folgt aus der fernmündlichen Bestätigung des Einwohnermeldeamts D********* (Bl. 56 der Verwaltungsgerichtsakte). Der Kläger hat weiterhin in der Türkei bis zum Dezember 2001, also fast ein Jahr lang gearbeitet. Er hat sich dort bis zum Frühjahr 2005 aufgehalten. Sein Aufenthalt in der Türkei dauerte damit mehr als vier Jahre, er hat dort eine Familie gegründet und ist zunächst einer Beschäftigung nachgegangen.

Hinzu kommt, dass der Kläger, soweit dies den dem Gericht vorliegenden Unterlagen entnommen werden kann, keinerlei Kontakt mehr nach Deutschland hatte. Es ist nicht erkennbar, dass noch geschäftliche Beziehungen zu der Firma nach D********* bestanden. Der Kläger hat sich vor allem auch zu keinem Zeitpunkt bei der für ihn zuständigen Ausländerbehörde gemeldet. Er hatte zwar Kontakt zu seinem Anwalt, hat aber keinerlei Versuche oder Initiativen unternommen, um seinen aufenthaltsrechtlichen Status abzuklären. Auch dies lässt letztlich nur den Schluss zu, dass ein Interesse an einer Rückkehr nach Deutschland bei objektiver Betrachtungsweise nicht mehr bestand.

Für das Vorliegen eines berechtigten Grundes für die lange Abwesenheit von Deutschland spricht zunächst sicherlich die Erkrankung des Klägers in der Türkei. Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist, nach Deutschland zurückzukehren, kann sich auf einen berechtigten Grund im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (siehe oben) berufen. Allerdings ist der Krankheitsverlauf beim Kläger nicht so, dass es ihm, hätte er nach Deutschland zurückkehren wollen, nicht zumutbar gewesen wäre, dies in irgendeiner Weise kundzutun. Dies ergibt sich aus den dem Gericht vorgelegten Unterlagen. Der Kläger war vom 28. Dezember 2001 bis zum 2. Januar 2001 im Florence Nightingale Krankenhaus in Behandlung. Er wurde ausweislich der vorgelegten Bestätigung vom 24. Januar 2005 "mit Gesundheit entlassen". Eine weitere Behandlung fand dann erst am 21. April 2003 statt. Auch diese Behandlung wurde beendet, es waren "keine Komplikationen vorhanden". Als weiteres Behandlungsdatum ist dann der 25. Januar 2005 genannt. Aus den vom Kläger vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen ergibt sich somit, dass er über längere Zeiten hinweg nicht in stationärer ärztlicher Behandlung war. Er hätte also durchaus die Möglichkeit gehabt, sich mit den zuständigen Stellen in Deutschland in Verbindung zu setzen oder sonstwie zu bekunden, dass er wieder nach Deutschland zurückkehren möchte. Dies gilt umso mehr, als es ihm, soweit vorgetragen, auch möglich war, den Kontakt zu seinem damaligen Bevollmächtigten in der Bundesrepublik aufrecht zu erhalten. Entscheidend ist also nicht, ob der Kläger reisefähig war oder nicht. Vielmehr ist zentral darauf abzustellen, dass er in keiner Weise zum Ausdruck gebracht hat, jemals wieder nach Deutschland zurückkehren zu wollen.

In der Summe liegen damit Indizien und deutliche Anhaltspunkte lediglich dafür vor, dass der Kläger im Dezember 2000 seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik beendet hatte. Er hat sich danach für einen langen Zeitraum (mehr als 4 Jahre) in der Türkei aufgehalten. Vieles deutet darauf hin, dass er dort einen neuen Lebensmittelpunkt begründet hat. Demgegenüber liegen keinerlei Anhaltspunkte vor, die auch nur ansatzweise den Schluss zulassen würden, dass der Kläger beabsichtigt hätte, nach Deutschland zurückzukehren. Ausgehend hiervon ist die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der Kläger habe Deutschland ohne berechtigten Grund auf Dauer verlassen, nicht zu beanstanden.

b) Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu.

Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne weist eine Rechtsstreitigkeit dann auf, wenn sie eine rechtliche oder tatsächliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist und im Sinne der Rechtseinheit einer Klärung bedarf (Kopp/Schenke, a.a.O., RdNr. 10).

Hiervon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Die Frage, ob ein assoziationsrechtlicher Anspruch bei längerem Aufenthalt im Ausland verloren gehen kann, ist vom Europäischen Gerichtshof bereits mehrfach beantwortet worden. Wann genau dies der Fall ist, stellt eine vom Einzelfall abhängige Bewertung dar. Die Entscheidung hierüber im Falle des Klägers ließe keine über den Einzelfall hinausgehenden, verallgemeinerungsfähigen Erkenntnisse erwarten.

c) Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf.

Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Rechtssache voraussichtlich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht größere, d.h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht (Kopp/ Schenke, a.a.O., RdNr. 9).

Der Klägerbevollmächtigte hat hierzu vorgetragen, die Schwierigkeiten würden darin liegen, dass festgestellt werden müsste, ob der Kläger tatsächlich in der Türkei vier Jahre lang erkrankt war. Diese Frage ist indes ausgehend von den vom Kläger selbst vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen ohne größeren Aufwand zu klären. Besondere tatsächliche Schwierigkeiten liegen damit nicht vor. Welche besonderen rechtlichen Schwierigkeiten daneben vorliegen sollen, wurde vom Klägerbevollmächtigten nicht ausgeführt.

d) Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg weicht auch nicht von der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Verfahren 10 CS 00.1366 (Beschluss vom 9. Juni 2000) ab.

In diesem Beschluss ist ausgeführt, dass der Assoziationsratsbeschluss bei dauernder Ausreise nicht, wie etwa § 44 Abs. 1 Nr. 2 AuslG, ausdrücklich das Erlöschen eines sich aus ihm ergebenden Rechts vorsieht.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts weicht hiervon allerdings nicht ab. Vielmehr weist das Verwaltungsgericht bei der Frage, ob der Aufenthaltstitel des Klägers erloschen ist, zutreffend auf die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie des Europäischen Gerichtshofs zur Frage des Erlöschens hin (Seite 10 des erstinstanzlichen Urteils). § 44 AuslG wird nur als Auslegungshilfe herangezogen (Seite 19). Darin liegt noch keine relevante Abweichung von der Entscheidung des 10. Senats. Selbst wenn man dies annehmen würde, so würde das Urteil auf dieser Abweichung nicht beruhen (siehe oben).

3. Die Kostenentscheidung für das Zulassungsverfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Kläger hat die Kosten seines erfolglos gestellten Antrags auf Zulassung der Berufung zu tragen.

4. Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren folgt aus §§ 47 und 52 Abs. 2 GKG.

5. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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