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Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 03.08.2007
Aktenzeichen: 25 B 03.3405
Rechtsgebiete: EGV, LÜG, NLV, VO (EG) Nr. 258/97
Vorschriften:
EGV Art. 234 | |
LÜG Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 | |
NLV § 3 Abs. 1 | |
VO (EG) Nr. 258/97 Art. 1 Abs. 2 | |
VO (EG) Nr. 258/97 Art. 1 Abs. 3 | |
VO (EG) Nr. 258/97 Art. 13 |
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
In der Verwaltungsstreitsache
wegen lebensmittelrechtlicher Anordnung;
hier: Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 27. Oktober 2003,
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 25. Senat,
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schechinger, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Petz, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Krieger
ohne mündliche Verhandlung am 3. August 2007
folgenden Beschluss:
Tenor:
I. Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art. 234 EG folgende Fragen zur Auslegung des Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten (ABl Nr. L 043 vom 14.2.1997, S. 1) - im Folgenden: Verordnung (EG) Nr. 258/97 - vorgelegt:
1. Kann für die Beurteilung der Frage, ob ein Lebensmittel im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 "in der Gemeinschaft ... bisher noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet" wurde, der Umstand von Bedeutung sein, dass das Lebensmittel kurz vor dem Inkrafttreten der Verordnung am 15. Mai 1997 in ein räumlich eng begrenztes Gebiet der Gemeinschaft (hier: San Marino) eingeführt wurde und dort erhältlich war?
2. Ist ein Lebensmittel schon dann nicht neuartig im Sinne des Art. 1 Abs. 1, 2 der Verordnung (EG) Nr. 258/97, wenn sämtliche bei der Herstellung des Lebensmittels verwendeten Zutaten in der Gemeinschaft bisher in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden?
3. Ist Art. 1 Abs. 2 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 258/97 einschränkend dahin auszulegen, dass unter die Gruppe der "Lebensmittel ..., die aus ... Algen bestehen", keine Lebensmittel fallen, in denen nur solche Algen enthalten sind, die in der Gemeinschaft schon bisher für den menschlichen Verzehr verwendet wurden?
4. Kann ein Lebensmittel im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung (EG) Nr. 258/97 "erfahrungsgemäß als unbedenkliches Lebensmittel gelten", wenn Erfahrungen über die Unbedenklichkeit nur in Regionen außerhalb Europas (hier: Japan) vorliegen?
5. Kann ein Lebensmittel "erfahrungsgemäß als unbedenkliches Lebensmittel gelten", weil es unter Verwendung erfahrungsgemäß unbedenklicher Zutaten in einem üblichen Herstellungs- oder Verarbeitungsverfahren hergestellt wird, wenn über die Kombination von Zutaten und Verfahren keine Erfahrungen vorliegen?
6. Ergibt sich aus Art. 1 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 258/97, wonach "gegebenenfalls ... nach dem Verfahren des Art. 13 festgelegt werden (kann), ob ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat unter Abs. 2 dieses Artikels fällt", die Pflicht des Unternehmers, im Streitfall diese Festlegung herbeizuführen und abzuwarten? Lassen sich daraus und aus Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 auch Vorgaben für die Darlegungslast und die materielle Beweislast entnehmen?
II. Das Berufungsverfahren wird für die Dauer des Vorabentscheidungsverfahrens ausgesetzt.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt die Aufhebung des behördlichen Verbots, das Produkt MAN-KOSO 3000 (im Folgenden: MAN-KOSO) in der Bundesrepublik Deutschland in Verkehr zu bringen. Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei MAN-KOSO um ein neuartiges Lebensmittel im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 258/97 handelt, das nur nach vorheriger Durchführung eines gemeinschaftsrechtlichen Genehmigungsverfahrens in der Gemeinschaft in Verkehr gebracht werden darf.
Nach Angaben der Klägerin wird MAN-KOSO von der Herstellerfirma ***** ************ *** ***., Hiroshima, aus Japan in die Gemeinschaft eingeführt. Es bestehe aus über 50 verschiedenen Pflanzenzutaten, die weder konserviert noch erhitzt seien und denen auch kein chemischer und anderer Zusatz beigegeben worden sei, und werde durch langjährige Fermentierung gewonnen. Die Klägerin bezeichnet das Erzeugnis als hochkarätiges Lebensmittel mit breit gefächerter Wirkung.
Am 10. Januar 2001 entnahm die Beklagte eine Probe des Produkts und übermittelte diese zur Untersuchung an das Landesuntersuchungsamt für das Gesundheitswesen Nordbayern. Nach der Beurteilung des Landesuntersuchungsamts (Stellungnahme vom 15.5.2001, Bl. 57 der Regierungsakte) ist MAN-KOSO ein neuartiges Lebensmittel im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 258/97. Ein bedeutender Teil der in MAN-KOSO enthaltenen Zutaten - wie z.B. Gobo-Wurzeln, Lotos-Wurzeln, Yuri-Knollen, Akebi oder Shiso-Blätter - sei vor dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 258/97 am 15. Mai 1997 in der Europäischen Union nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden. In seiner Stellungnahme vom 6. Mai 2002 (Bl. 164 der Regierungsakte) ergänzte das Landesuntersuchungsamt, es sei zu vermuten, dass MAN-KOSO auch in Japan kein Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs darstelle, sondern eher zum sog. "Functional Food", also zu den Lebensmitteln mit Gesundheitsbezug zu rechnen sei. Es werde nicht bestritten, dass die Zutaten "Akebi" und "Gobo" essbar seien. Auch werde nicht bestritten, dass das Erzeugnis und seine Zutaten in Japan als Lebensmittel verkehrsfähig und üblich seien. Andererseits habe sich für Erzeugnisse wie z.B. Lotos-Wurzeln, Akebi, Gobi oder bestimmte Algenarten (Hijiki) in Europa bisher offensichtlich keine Verbrauchererwartung als Ausdruck einer nennenswerten Nutzung als Lebensmittel bilden können. Eine erbetene Beibringung von Unterlagen, aus denen ein nennenswertes Inverkehrbringen in Europa vor 1997 hervorgehe, sei nicht erfolgt. Auch sei weiterhin unbekannt, ob sich MAN-KOSO in Italien rechtmäßig in Verkehr befinde, und ob die dort importierten Produkte mit dem in Deutschland angebotenen MAN-KOSO identisch seien.
Mit Bescheid vom 24. Oktober 2002 untersagte die Beklagte der Klägerin das Inverkehrbringen von MAN-KOSO mit sofortiger Wirkung (Nr. 1), drohte für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld in Höhe von 2.500 Euro an (Nr. 2) und ordnete die sofortige Vollziehbarkeit der Nr. 1 an (Nr. 3).
Den Widerspruch der Klägerin wies die Regierung der Oberpfalz mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2002 zurück. Die Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27. Oktober 2003 abgewiesen mit der Begründung, dass MAN-KOSO ein neuartiges Lebensmittel im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 258/97 sei. In beiden Instanzen erfolglos blieb auch ein bei Gericht gestellter Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs der Klägerin (Beschluss des VG Regensburg vom 29.11.2002 Az. RO 5 S 02.2012; Beschluss des Senats vom 12.3.2003 Az. 25 CS 02.3162 - ZLR 2003, 600).
Mit Beschluss vom 25. Oktober 2005 hat der Senat die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zugelassen. Die Klägerin ließ mitteilen, dass sie wegen des behördlichen Verbots nunmehr ein Produkt namens "*** ******" vertreibe, das ohne die umstrittenen Zutaten hergestellt werde; dem entsprechend firmiere sie jetzt an ihrem neuen Geschäftssitz auch unter einem anderen Namen. Sie sei aber weiterhin gewillt, das Originalprodukt "Manda-Koso", in Deutschland aus markenrechtlichen Gründen als "MAN-KOSO" bezeichnet, zu vertreiben, sobald ihr dies wieder erlaubt sei.
II.
Die im Berufungsverfahren zu treffende Entscheidung, ob das Verbot des Inverkehrbringens von MAN-KOSO rechtswidrig ist, hängt von den vorgelegten Fragen zur Auslegung des Art. 1 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 ab. Die Bedeutung der Auslegungsfragen für die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts wird durch die zwischenzeitlichen Änderungen der Verordnung (EG) Nr. 258/97 (durch Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.9.2003, ABl vom 18.10.2003 Nr. L 268, S. 1, und Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.9.2003, ABl vom 31.10.2003 Nr. L 268, S. 1) nicht in Frage gestellt, weil diese Änderungen die hier fraglichen Regelungen des Art. 1 Abs. 2 Buchst. d und e unberührt lassen und auch Art. 13, auf den Art. 1 Abs. 3 Bezug nimmt, jedenfalls nicht substantiell ändern. Soweit hinsichtlich eines Teils der Auslegungsfragen alternativ zur Klärung der Rechtsfragen auch eine Klärung der Tatsachenfragen in Betracht käme, nimmt der Senat hiervon mit Rücksicht auf den - absehbar - erheblichen Aufwand einer entsprechenden Beweiserhebung (vgl. EuGH vom 27.10.1993 EuGHSlg 1993 I 05535 - Enderby -) und auch im Hinblick auf die klärungsbedürftigen verfahrens- und beweisrechtlichen Fragen Abstand.
1. Die Beklagte stützt das Verbot des Inverkehrbringens von MAN-KOSO auf Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 des Bayerischen Lebensmittelüberwachungsgesetzes - LÜG - vom 11. November 1997 (GVBl S. 738) in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung (§ 2 des Gesetzes vom 24.12.2002, GVBl S. 981). Die Vorschrift bestimmt:
Die Lebensmittelbehörden können zur Erfüllung ihrer Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen treffen, um
1. Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften ... zu verhüten oder zu unterbinden. ...
Die Beklagte sieht einen Verstoß der Klägerin gegen § 3 Abs. 1 Neuartige Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung - NLV - (i.d.F. der Bekanntmachung vom 14.2.2000, BGBI I S. 123, zuletzt geändert durch Gesetz vom 6.8.2002, BGBI I S. 3082, 3099), als gegeben an. Die Vorschrift lautet:
Lebensmittel und Lebensmittelzutaten im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 dürfen vorbehaltlich des Absatzes 2 von demjenigen, der für das Inverkehrbringen verantwortlich ist, nicht ohne eine nach den in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 genannten Verfahren erteilte Genehmigung in den Verkehr gebracht werden.
Ein Genehmigungsverfahren wurde für MAN-KOSO bisher nicht durchgeführt.
2. Das Verbot des Inverkehrbringens ist somit nur rechtmäßig, wenn MAN-KOSO tatsächlich als neuartiges Lebensmittel in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 258/97 fällt. Den Anwendungsbereich regelt Art. 1 Abs. 2 wie folgt:
Diese Verordnung findet Anwendung auf das Inverkehrbringen von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten in der Gemeinschaft, die in dieser bisher noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und die unter nachstehende Gruppen von Erzeugnissen fallen:
...
d) Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus ... Algen bestehen oder aus diesen isoliert worden sind;
e) Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus Pflanzen bestehen oder aus Pflanzen isoliert worden sind, ... außer Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten, die mit herkömmlichen Vermehrungs- oder Zuchtmethoden gewonnen wurden und die erfahrungsgemäß als unbedenkliche Lebensmittel gelten können; ...
Der Senat sieht sich bei der Anwendung dieser Vorschrift vor Auslegungszweifel gestellt, die durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs noch nicht geklärt sind.
Zu Vorlagefrage 1:
Diese Frage zielt auf die Konkretisierung des Kriteriums "in der Gemeinschaft ... bisher noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet" ab. Die Klägerin behauptet, MAN-KOSO sei schon vor dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 258/97 am 15. Mai 1997, nämlich seit März 1997 von der japanischen Herstellerfirma nach San Marino importiert worden. Diese Behauptung wird durch eine Bescheinigung der Herstellerfirma bestätigt.
Bezugszeitraum für das Merkmal "bisher" ist die Zeit bis zum Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 258/97 am 15. Mai 1997 (Art. 15 der Verordnung; vgl. EuGH Erste Kammer vom 9.6.2005, C-211/03; C-316/03 bis C-318/03). In der Rechtsprechung des Gerichtshofs (a.a.O.) ist auch geklärt, dass es für die Frage der Verwendung eines Lebensmittels für den menschlichen Verzehr "von Bedeutung" sein kann, ob "das betreffende Lebensmittel oder die betreffende Zutat vor dem Bezugszeitpunkt auf dem Markt eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten vertrieben wurden". Zweifelhaft ist, ob ein menschlicher Verzehr in nennenswertem Umfang angenommen werden kann, wenn das Lebensmittel - wie hier behauptet - erst kurz vor dem absehbaren Inkrafttreten der Verordnung in die Gemeinschaft eingeführt wurde. Der Senat meint, dass für einen "nennenswerten Umfang" auch eine angemessene Zeitdauer der Verwendung für den menschlichen Verzehr vorliegen muss.
In räumlicher Hinsicht wird das Merkmal "in nennenswertem Umfang" so ausgelegt, dass das Lebensmittel in der Gemeinschaft generell verfügbar gewesen sein muss (vgl. Diskussionspapier der Kommission zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 258/97, S. 3, Nr. 1.3.1). Offen ist, ob der Vertrieb eines Lebensmittels in einem räumlich eng begrenzten Gebiet der Gemeinschaft (hier: San Marino) ausreicht. Unter Berücksichtigung regional unterschiedlicher Ernährungsgewohnheiten ist dies nach Meinung des Senats nicht auszuschließen, weil auch regional begrenzte Erfahrungen mit einem Lebensmittel gesundheitliche Bedenken zerstreuen können, stellt aber erhöhte Anforderungen an die Zeitdauer der Verwendung.
Zu Vorlagefrage 2:
Die Klägerin behauptet, dass jedenfalls die Zutaten von MAN-KOSO in der Gemeinschaft bisher in nennenswertem Umfang erhältlich gewesen seien, nämlich insbesondere in japanischen Spezialitätenrestaurants und asiatischen Feinkostläden. Dieser Behauptung ist das Landesuntersuchungsamt entgegen getreten; jedenfalls für einige der in MAN-KOSO verwendeten Zutaten wie z.B. Lotos-Wurzeln, Akebi, Gobi oder bestimmte Algenarten (Hijiki) habe sich in Europa bisher keine Verbrauchererwartung als Ausdruck einer nennenswerten Nutzung als Lebensmittel bilden können.
Neben dem insoweit bestehenden tatsächlichen Aufklärungsbedarf wirft die Behauptung der Klägerin auch Auslegungsfragen auf. Fraglich ist, ob ein Lebensmittel schon dann nicht neuartig im Sinne des Art. 1 Abs. 1, 2 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 ist, wenn zwar nicht das Lebensmittel selbst, aber dessen Zutaten in der Gemeinschaft bisher in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden.
Der Wortlaut des Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 stellt "Lebensmittel und Lebensmittelzutaten" gleich, was nahe legen könnte, dass es für den Anwendungsbereich der Verordnung unerheblich ist, ob das fragliche Lebensmittel selbst oder auch nur dessen Zutaten in der Gemeinschaft bisher in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden. Andererseits differenziert der Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 ausdrücklich zwischen dem "Inverkehrbringen neuartiger Lebensmittel und neuartiger Lebensmittelzutaten". Auch kommt etwa in Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Verordnung (EG) Nr. 258/97 zum Ausdruck, dass ein Lebensmittel nicht zwangsläufig als unbedenklich gelten kann, wenn seine Zutaten unbedenklich sind.
Alternativ zur Beantwortung dieser Vorlagefrage käme zwar auch eine Klärung der Tatsachenfragen durch Beweiserhebung in Betracht; da der Senat aber eine positive Beantwortung der Vorlagefrage für eher unwahrscheinlich hält und sich eine sehr aufwändige Beweiserhebung über die bisherige Verwendung sämtlicher strittiger Zutaten von MAN-KOSO in der Gemeinschaft deshalb letztlich als nutzlos erweisen könnte, erscheint eine Klärung der Rechtsfrage vorzugswürdig.
Zu Vorlagefrage 3:
Neuartig im Sinne des Art. 1 Abs. 1, 2 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 sind bisher noch nicht in nennenswertem Umfang verwendete Lebensmittel nur dann, wenn sie unter eine der in Art. 1 Abs. 2 Buchst. c bis f genannten Gruppen von Erzeugnissen fallen. In Betracht kommt hier die in Art. 1 Abs. 2 Buchst. d genannte Gruppe der "Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus ... Algen bestehen".
Nach den Produktinformationen der Klägerin (Bl. 33 der Regierungsakte) befinden sich unter den Zutaten von MAN-KOSO neben verschiedenen Frucht-, Gemüse- und Getreidearten auch Braun- und Rotalgenarten sowie Hijiki (Seetang). Von diesen Algenarten behauptet die Klägerin, dass sie schon bisher in der Gemeinschaft erhältlich gewesen seien. Da diese Behauptung hinsichtlich der Braun- und Rotalgenarten nicht bestritten ist und hinsichtlich Hijiki derzeit nicht als widerlegt angesehen werden kann, stellt sich die Frage, ob Art. 1 Abs. 2 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 258/97 auch dann erfüllt ist, wenn in einem - bisher nicht in nennenswertem Umfang verwendeten - Lebensmittel nur solche Algen enthalten sind, die ihrerseits in der Gemeinschaft schon bisher verwendet wurden.
Denkbar wäre ein Verständnis der Norm, das die Risikogruppe der "Lebensmittel, die aus ... Algen bestehen", auf neuartige Algenarten beschränkt. Hiervon sind möglicherweise die zuständigen Behörden ausgegangen; jedenfalls wurde die Einstufung von MAN-KOSO in diese Risikogruppe im Verwaltungsverfahren nicht in Erwägung gezogen. Gegen eine einschränkende Auslegung spricht aber der Wortlaut des Art. 1 Abs. 2 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 258/97.
Zu Vorlagefrage 4:
Falls das Produkt nicht bereits wegen der verwendeten Algen in die Risikogruppe des Art. 1 Abs. 2 Buchst. d der Verordnung (EG) Nr. 258/97 fällt, stellt sich die weitere Frage, ob es zu der in Art. 1 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung (EG) Nr. 258/97 genannten Gruppe von Lebensmittel und Lebensmittelzutaten gehört, "die aus Pflanzen bestehen ..., außer Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten, die mit herkömmlichen Vermehrungs- oder Zuchtmethoden gewonnen wurden und die erfahrungsgemäß als unbedenkliche Lebensmittel gelten können". Unstreitig ist, dass MAN-KOSO aus Pflanzen besteht, die mit herkömmlichen Vermehrungs- oder Zuchtmethoden gewonnen wurden.
Problematisch ist demgegenüber, ob MAN-KOSO "erfahrungsgemäß als unbedenkliches Lebensmittel gelten" kann. Hierzu vertritt die Klägerin die Auffassung, der Nachweis der erfahrungsgemäßen Unbedenklichkeit sei bereits dadurch erbracht, dass MAN-KOSO im Ursprungsland Japan breite Verwendung finde und dort als unbedenkliches Lebensmittel gelte; der tatsächliche Gehalt dieser Aussage wurde von Seiten des Beklagten unstreitig gestellt. Die Qualifizierung von MAN-KOSO als neuartiges Lebensmittel hängt somit von der Auslegungsfrage ab, ob die Erfahrungen in Japan maßgeblich sind.
Sinn und Zweck der Verordnung (EG) Nr. 258/97, die öffentliche Gesundheit im Gemeinschaftsraum zu schützen (Erwägungsgrund 2), legen es nahe, als Beurteilungsmaßstab für die erfahrungsgemäße Unbedenklichkeit eines Lebensmittels in erster Linie auf Erfahrungen im europäischen Raum und vergleichbaren Regionen abzustellen (BayVGH vom 12.3.2003 a.a.O. S. 603 f. m.w.N.). Sofern nur Erfahrungen aus Regionen im außereuropäischen Raum vorliegen, ist nach Ansicht des Senats zu fordern, dass diese Erfahrungen geeignet sind, den in der Gemeinschaft herrschenden Standard an Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten. Das könnte generell gegen die Maßgeblichkeit von Erfahrungen sprechen, die nicht in Europa gewonnen wurden. Die Vorschrift könnte aber auch so verstanden werden, dass außereuropäische Erfahrungen maßgeblich sind, wenn sie im Einzelfall trotz der Unterschiede bei Ernährungsgewohnheiten, körperlicher Konstitution der Bevölkerung und gesellschaftlichen Verhältnissen auf europäische Verhältnisse übertragbar sind.
Zu Vorlagefrage 5:
Die Klägerin behauptet, dass jedenfalls die Zutaten von MAN-KOSO im europäischen Raum erfahrungsgemäß als unbedenklich gelten können. Diese Behauptung ist bestritten. Eine Beweiserhebung könnte dennoch unterbleiben, wenn aus der erfahrungsgemäßen Unbedenklichkeit der verwendeten Zutaten nicht zwingend die Unbedenklichkeit des Lebensmittels selbst folgen würde.
Als geklärt kann insoweit angesehen werden, dass die erfahrungsgemäße Unbedenklichkeit von Lebensmittelzutaten jedenfalls nicht durch deren bloße "Neuformulierung" in Frage gestellt wird (siehe Diskussionspapier der Kommission, a.a.O., Nr. 1.3.4). Fraglich ist, ob bei der Anwendung spezieller Herstellungs- oder Verarbeitungsverfahren (konkret: einer langjährigen Fermentierung) etwas anderes gilt. Art. 1 Abs. 2 Buchst. f der Verordnung (EG) Nr. 258/97 zeigt, dass nicht übliche Herstellungsverfahren zur Einstufung des Lebensmittels als neuartig führen können. Fermentierung ist zwar für sich genommen ein auch im europäischen Raum übliches Verfahren bei der Lebensmittelherstellung und -verarbeitung (z.B. bei der Herstellung von Käse). Klärungsbedürftig ist aber, ob die Anwendung dieses Verfahrens auf erfahrungsgemäß unbedenkliche Zutaten die Unbedenklichkeit des Endprodukts dann in Frage stellen kann, wenn über die Kombination von Zutaten und Verfahren in Europa keine Erfahrungswerte vorliegen.
Zu Vorlagefrage 6:
Der Rechtsstreit wirft schließlich verfahrens- und beweisrechtliche Fragen auf.
Gemäß Art. 1 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 kann "gegebenenfalls ... nach dem Verfahren des Art. 13 festgelegt werden, ob ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat unter Abs. 2 dieses Artikels fällt." Dies könnte als bloßes Angebot verstanden werden, bei Zweifeln oder im Streitfall die Anwendbarkeit der Verordnung auf ein Lebensmittel in diesem Verfahren zu klären. Der Unternehmen hätte dann die Wahl, dieses Verfahren durchzuführen oder ein repressives Einschreiten der Behörden zu riskieren. Die Einrichtung dieses Verfahrens könnte aber auch so gemeint sein, dass der Unternehmer bei Zweifeln über die Einstufung des Lebensmittels die Pflicht hat, vor dem Inverkehrbringen die Festlegung zu beantragen und abzuwarten. Daraus ergäben sich dann Konsequenzen nicht nur für die Rechtmäßigkeit seines Handelns vor der Festlegung, sondern auch für die Darlegungs- und Beweislast im gerichtlichen Verfahren.
Nach deutschem Recht ist die Frage, zu wessen Ungunsten im Falle eines non liquet zu entscheiden ist, in erster Linie eine Frage des materiellen Rechts. Fehlen ausdrückliche Regeln, gilt der Grundsatz, dass die Nichterweislichkeit einer Tatsache zu Lasten desjenigen Beteiligten geht, der aus der fraglichen Tatsache eine für ihn günstige Rechtsfolge ableitet (vgl. z.B. BVerwG vom 1.11.1993 NJW 1994, 468). Die Existenz des Verfahrens nach Art. 1 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 258/97 könnte darauf hindeuten, dass nach Gemeinschaftsrecht ohne eine in diesem Verfahren erfolgte Festlegung den Unternehmer die Darlegungslast und die materielle Beweislast dafür treffen, dass das Lebensmittel nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt. Ferner könnten die Tatsachen, dass das Lebensmittel schon bisher in nennenswertem Umfang in der Gemeinschaft verwendet wurde und dass es erfahrungsgemäß als unbedenkliches Lebensmittel gelten kann (Art. 1 Abs. 2 Halbsatz 1 und Halbsatz 2 Buchst. e der Verordnung (EG) Nr. 258/97), als Tatsachen angesehen werden, aus denen der Unternehmer günstige Rechtsfolgen ableitet und für die er deshalb nach deutschem Recht grundsätzlich die Beweislast trüge. Fraglich ist, ob diese Beweislastverteilung auch den genannten Vorschriften des Gemeinschaftsrechts entnommen werden kann.
III.
In entsprechender Anwendung des § 94 VwGO ist das Berufungsverfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs über die Vorlagefragen auszusetzen.
Ende der Entscheidung
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