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Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 25.10.2006
Aktenzeichen: 25 CS 06.2205
Rechtsgebiete: VwGO, BayBO, TA Lärm
Vorschriften:
VwGO § 146 Abs. 1 | |
VwGO § 146 Abs. 4 | |
VwGO § 80 Abs. 5 | |
VwGO § 80a Abs. 3 | |
BayBO Art. 6 Abs. 3 Satz 4 | |
TA Lärm Nr. 6.5 |
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
In der Verwaltungsstreitsache
wegen Nachbarklage/Krankenhauserweiterung (Antrag nach § 80a Abs. 3 VwGO);
hier: Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 26. Juli 2006,
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 25. Senat,
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schechinger, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Petz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Krieger
ohne mündliche Verhandlung am 25. Oktober 2006
folgenden Beschluss:
Tenor:
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens; der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.750 Euro festgesetzt.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers (§ 146 Abs. 1, 4, § 147 VwGO) ist unbegründet.
1. Der Senat teilt die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Baugenehmigung des Landratsamts Rhön-Grabfeld vom 8. März 2006 i.d.F. der Tekturgenehmigung vom 4. Mai 2006 für das Bauvorhaben des Beigeladenen (Erweiterung des Kreiskrankenhauses durch einen Anbau in südlicher Richtung sowie Errichtung von zehn Oberflächen- und 19 Tiefgaragenstellplätzen) den Antragsteller nicht in Nachbarrechten verletzt. Da der Rechtsbehelf des Antragstellers in der Hauptsache deshalb voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird, hat sein privates Interesse, vom Vollzug der Baugenehmigung vorläufig verschont zu bleiben, im Rahmen der im Eilrechtsschutzverfahren gemäß § 80 a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden gerichtlichen Interessenabwägung gegenüber dem öffentlichen Interesse des Beigeladenen, die beabsichtigte Krankenhauserweiterung sofort verwirklichen zu können, zurückzutreten.
a) Entgegen der Auffassung des Antragstellers verstößt das Bauvorhaben nicht gegen Abstandsflächenrecht. Insbesondere erachtet der Senat die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts als rechtlich unbedenklich, dass für das zweite zurückgesetzte Geschoß des Erweiterungsbaus (im Eingabeplan und im Folgenden als "1. Obergeschoß" bezeichnet) nach der Umplanung der ursprünglich vorgesehenen senkrechten südlichen Außenwand in eine Dachschräge mit einer Dachneigung von 72 Grad das Dachflächenprivileg des Art. 6 Abs. 3 Satz 4 BayBO zu Anwendung kommt, wonach die Höhe von Dächern mit einer Neigung von mehr als 45 Grad und maximal 75 Grad nur zu einem Drittel zu der für die Berechnung der Abstandsflächentiefe maßgeblichen Wandhöhe hinzugerechnet wird.
Art. 6 Abs. 3 Satz 4 BayBO knüpft tatbestandlich an "die Höhe von Dächern" an. Was unter einem Dach zu verstehen ist, definiert die Bayerische Bauordnung nicht. Auszugehen ist deshalb vom allgemeinen Wortverständnis, wonach ein Dach eine bauliche Anlage überdeckt und sie nach oben abschließt (vgl. auch Famers in Koch/Molodovsky/Famers, BayBO, Erläuterung 1.2 zu Art. 33). Liegen diese Voraussetzungen vor und beträgt die Neigung mehr als 45 Grad und maximal 75 Grad, kommt die Drittelregelung des Art. 6 Abs. 3 Satz 4 BayBO zur Anwendung. Das gilt auch für einzelne Dachteile, die gegebenenfalls mit anderen Dachteilen und auch anderen Dachformen kombiniert sein können, wie beispielsweise bei Mansarddächern. Die Voraussetzung eines Dachteils erfüllt die südliche Dachschräge im "1. Obergeschoß" des Krankenhaus-Erweiterungsbaus ohne weiteres, weil sie einen Teil der Grundfläche des Erweiterungsbaus überdeckt und das Gebäude insoweit nach oben abschließt, auch wenn im Übrigen noch ein Flachdach und auf diesem zurückgesetzt ein Technikraum im "2. Obergeschoß" mit Satteldach vorgesehen ist.
Weitere Voraussetzungen hat die Anwendbarkeit der Drittelregelung für Dachflächen mit einer Neigung von mehr als 45 Grad und maximal 75 Grad nicht. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist insbesondere nicht erforderlich, dass das Dach das oberste Geschoß räumlich umschließt. Abstandsflächen sind gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO für jede Außenwand eines Gebäudes gesondert zu berechnen. Entsprechendes gilt, wenn eine Dachfläche im Falle eines Gebäudes mit versetzten Außenwänden - wie hier - nicht als Abschluss des obersten Geschoßes, sondern eines darunter liegenden Geschoßes vorgesehen ist.
Nicht zum Erfolg führt ferner die Auffassung des Antragstellers, dass es bei einer (nach innen) "geneigten Außenwand" mit einer Neigung bis 75 Grad abstandsflächenrechtlich "keinesfalls vertretbar" erscheine, das für Dächer geltende Prinzip des Art. 6 Abs. 3 Satz 4 BayBO anzuwenden und die Höhe nur zu einem Drittel anzurechnen. Die vom Antragsteller als Beleg herangezogene Kommentarstelle (Rauscher in Simon/Busse, BayBO, RdNr. 166 ff. zu Art. 6) ist hier bereits deshalb nicht aussagekräftig, weil sie sich ausdrücklich auf Sonderbauformen bezieht, bei denen eine Unterscheidung zwischen Wand und Dach überhaupt nicht möglich sei, "weil die Außenhaut von unten bis oben ohne erkennbare Unterbrechung durchläuft" (Rauscher, a.a.O., RdNr. 166 zu Art. 6). Nur in diesen Fällen wie insbesondere beim sog. Nur-Dach-Haus, das aus einem Satteldach besteht, welches ohne Wände unmittelbar auf dem Erdboden aufsitzt, sowie bei allen Formen von gewölbten Wandflächen (etwa halbtonnenförmige Gebäude wie eine Traglufthalle) soll nach dieser Meinung unter Zugrundelegung eines Lichteinfallswinkels von 45 Grad die Lage einer "fiktiven Wand" zu ermitteln sein, deren Abstandsfläche an die Stelle der Abstandsfläche der gesamten Wand trete; in diesem Sinne soll etwa das "Nur-Dach-Haus" abstandsflächenrechtlich als "Nur-Wand-Haus" einzustufen sein (Rauscher in Simon/Busse, BayBO, RdNr. 167 zu Art. 6). Ob bei Sonderbauformen tatsächlich eine Anwendung der Drittelregelung ausscheidet, was übrigens von der wohl überwiegenden Meinung im Schrifttum (vgl. insbesondere Dirnberger in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, BayBO, RdNr. 90 zu Art. 6; Koch/Molodovsky/Famers, BayBO, Erl. 7.4.3.2 zu Art. 6) verneint wird, kann hier offen bleiben, weil eine derartige Sonderbauform bei der streitgegenständlichen Krankenhauserweiterung, bei der - teilweise versetzte - senkrechte Außenwandflächen deutlich von den waagrechten oder geneigten Dachflächen (Sattel-, Pult- und Flachdachflächen) abgesetzt sind, nicht vorliegt. Im Streit steht auch nicht eine besondere Dachform, die gegebenenfalls eine Einzelfallbeurteilung erfordern könnte, wie dies in der Rechtsprechung (BayVGH vom 9.2.1994 Az. 26 CS 93.3437) für besondere Giebelformen gefordert worden ist. Es bleibt deshalb dabei, dass die fragliche Schräge im abstandsflächenrechtlichen Sinne als Dach zu behandeln ist und der Beigeladene deshalb, weil die Neigung 75 Grad unterschreitet, die Drittelregelung des Art. 6 Abs. 3 Satz 4 BayBO für sich in Anspruch nehmen kann. Eine Differenzierung nach schrägen Wandflächen einerseits und schrägen Dachflächen andererseits hält der Senat hier nicht für zulässig.
Eine entsprechende Differenzierung erschiene übrigens auch kaum durchführbar, weil geeignete Kriterien für die Abgrenzung fehlen. Insbesondere scheiden konstruktive oder funktionale Anforderungen wie beispielsweise die Fähigkeit, Niederschlagswasser abzuleiten oder Schneelasten zu tragen, als Abgrenzungskriterien aus, weil diese an eine Dachfläche und eine schräge Wand gleichermaßen zu stellen wären. Nur ergänzend sei deshalb angemerkt, dass die umstrittene Schräge im "1. Obergeschoß" des Erweiterungsbaus auch konstruktiv ein für Dächer traditionell verwendetes Bauelement aufweist (Oberfläche aus Titanblech) und dass sich die Umplanung entgegen der Auffassung des Antragstellers keineswegs auf eine Anschrägung der ursprünglich senkrechten Außenwand des "1. Obergeschoßes" beschränkte, sondern ersichtlich auch von der Vorstellung geleitet war, eine Dachfläche zu schaffen. Hierfür spricht etwa, dass in der Schräge zunächst Dachgauben vorgesehen waren, die sich als Verlängerung der Wand des darunter liegenden Geschoßes darstellten und etwa die Hälfte der Fläche einnahmen; wegen rechtlicher Bedenken, ob diese Gestaltung in einer Dachfläche zulässig sei, wurden sie auf Anraten der Regierung von Unterfranken durch Dachflächenfenster ersetzt (siehe etwa Gesprächsnotiz vom 21.4.2006, Akte der Regierung, Bl. 26).
Auch der Einwand des Antragstellers, dass gesetzlich vorgeschriebene Abstandsflächen nicht durch "künstliche Veränderungen" verkürzt werden dürften, führt zu keiner anderen Beurteilung. Jedem Bauherrn steht es frei, sein Bauvorhaben unter Ausnutzung einer für ihn günstigen gesetzlichen Regelung zu planen. Soweit die Anwendung des Art. 6 Abs. 3 Satz 4 BayBO zu gewissen abstandsflächenrechtlichen Ungereimtheiten führt, weil Dächer ab einer bestimmten Dachneigung im Vergleich zu Außenwänden bevorzugt werden (kritisch Rauscher, a.a.O., RdNr. 129 zu Art. 6), beruht das auf einer bewussten Entscheidung des Landesgesetzgebers, der diese Diskrepanzen in Kauf genommen hat, ohne dass die Drittelregelung schon die Grenzen überschritte, die dem Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) durch höherrangiges Recht wie insbesondere durch den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den allgemeinen Gleichheitssatz gezogen sind.
b) Der Senat teilt auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die vom Landratsamt erteilten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans "Westliche Außenstadt" nachbarliche Rechte des Antragstellers nicht verletzen. Soweit der Antragsteller hiergegen einwendet, zumindest das Gebot der Rücksichtnahme sei verletzt, weil über die Befreiungen von den Festsetzungen zur Geschoßigkeit, zu den Baugrenzen sowie zur zulässigen Dachform und -neigung die Nichtbeachtung der Abstandsflächen ermöglicht worden sei, greift dieser Gedanke bereits deshalb nicht durch, weil die betreffenden Festsetzungen des Bebauungsplans - soweit aus den vorliegenden Unterlagen ersichtlich - aus allgemeinen städtebaulichen Gründen und nicht mit Blick auf eine ausreichende Belichtung und Belüftung der Nachbargrundstücke getroffen worden sind. Der allgemeine Hinweis des Antragstellers, dass das Maß der baulichen Nutzung auch nachbarschützende Zielsetzungen beinhalten kann, ist nicht geeignet, eine konkrete nachbarschützende Zielrichtung der Festsetzungen des Bebauungsplans "Westliche Außenstadt" nahezulegen.
c) Schließlich sind auch unzumutbare Belästigungen oder Störungen des Antragstellers durch die im Erweiterungsbau vorgesehene Tiefgarage nicht erkennbar.
Soweit der Antragsteller geltend machen lässt, in der fachlichen Stellungnahme des Landratsamts - Sachgebiet Immissionsschutz - habe bislang nicht Beachtung gefunden, dass bei der Ermittlung des Beurteilungspegels gemäß Nr. 6.5 der Sechsten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionisschutzgesetz (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm) vom 26. August 1998 (GMBl S. 503) ein Zuschlag für Tageszeiten mit erhöhter Empfindlichkeit zu berücksichtigen sei, weist die Landesanwaltschaft Bayern darauf hin, dass es an den Voraussetzungen dieses Zuschlags bereits deshalb fehle, weil sich der Immissionsort nicht nur nach den Festsetzungen des einschlägigen Bebauungsplans, sondern auch faktisch in einem Mischgebiet befinde, für das Nr. 6.5 der TA Lärm nicht einschlägig sei. Die Landesanwaltschaft hat diesen Vortrag mit einer differenzierten Nutzungsbeschreibung der Grundstücke des betreffenden Bauquartiers unterlegt. Da substantiierter Gegenvortrag des Antragstellers hierzu fehlt, ist mit der Landesanwaltschaft davon auszugehen, dass bei der Ermittlung des Beurteilungspegels ein Zuschlag für Tageszeiten mit erhöhter Empfindlichkeit gemäß Nr. 6.5 TA Lärm bereits deshalb ausscheidet, weil kein Gebiet nach Nr. 6.1 Buchst. d bis f TA Lärm betroffen ist.
Soweit der Antragsteller geltend machen lässt, durch die niveaugleiche Ein- und Ausfahrt der Tiefgarage seien auch erhebliche Blendwirkungen in der Nachtzeit gegeben, folgt der Senat jedenfalls im Ergebnis der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass hierdurch die bauplanungsrechtlichen Zumutbarkeitsgrenzen nicht überschritten werden. Krankenhaustypischer Fahrzeugverkehr und die damit einhergehenden typischen Begleiterscheinungen sind nämlich bereits durch den Bebauungsplan "Westliche Außenstadt" sanktioniert, in dem die Nutzung des Areals als Krankenhaus rechtsverbindlich festgesetzt worden ist.
2. Da die Beschwerde des Antragstellers somit keinen Erfolg hat, waren ihm gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig (§ 162 Abs. 3 VwGO), weil der Beigeladene Anträge nicht gestellt und sich deshalb auch gemäß § 154 Abs. 3 VwGO selbst einem Kostenrisiko nicht ausgesetzt hat. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 152 Abs. 1, § 153 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 47 GKG.
Ende der Entscheidung
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