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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 20.06.2005
Aktenzeichen: 25 N 04.2512
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, GO


Vorschriften:

VwGO § 47
BauGB § 10 Abs. 3
GO Art. 26 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

25 N 04.1299 25 N 04.2512

In den Normenkontrollsachen

wegen Bebauungsplan "...";

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 25. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schechinger, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dachlauer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Petz

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 16. Juni 2005

am 20. Juni 2005

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

II. Die Bebauungspläne der Gemeinde Kahl am Main "Prischoß" und "Prischoß, 1. Änderung", bekannt gegeben im Amtsblatt der Gemeinde vom 5. Dezember 2003, sind unwirksam.

III. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Antragsteller zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

V. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand:

Gegenstand der Normenkontrolle sind die beiden Bebauungspläne "Prischoß" und "Prischoß, 1. Änderung" der Antragsgegnerin. Die Antragsteller sind Eigentümer von Grundstücken im Plangebiet.

Der überplante Bereich grenzt im Norden an die Prischoßstraße, im Osten an das Gemeindegebiet der Stadt Alzenau, im Süden an den Nachtweidesee und im Westen an ein zwischen einer Bahnlinie und dem Wasserloser Weg entstandenes kleineres Wohngebiet. Im nördlichen Bereich des lang gestreckten Plangebiets ist entlang der Prischoßstraße bereits eine zellenförmige Wohnbebauung vorhanden. Die sich nach Süden in Richtung Nachtweidesee anschließenden Flächen sind fast vollständig unbebaut. Dort verläuft derzeit ein Feldweg, der einen Uferstreifen von den nördlich gelegenen Privatgrundstücken trennt und an der Westseite des Plangebiets in die Gemeindestraße Wasserloser Weg übergeht. Der Bebauungsplan "Prischoß" sieht anstelle dieses Feldwegs eine weiter nach Norden versetzte Verlängerung des Wasserloser Weges vor. Die neue Straße soll mit einem Parkstreifen von 2,5 m und einer Breite von 3,5 m für die übrige Verkehrsfläche parallel zur Prischoßstraße verlaufen und nach etwa 400 m rechtwinklig abknickend in diese einmünden. Für das durch die beiden Straßen umgrenzte Gebiet setzt der Bebauungsplan ein allgemeines Wohngebiet fest. An der Nordseite des künftigen Wasserloser Weges und durch diesen erschlossen ist eine neue zellenförmige Bebauung mit Wohnhäusern festgesetzt. Die südlich der Erschließungsstraße gelegenen Flächen bis zum Ufer des Nachtweidesees einschließlich des bestehenden Feldweges sind als öffentliche Grünflächen und Flächen für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen festgesetzt. In der Begründung des Bebauungsplans wird als Ziel der Planung angegeben, südlich der Prischoßstraße durch eine Einbahnstraße die rückwärtige Bebauung zu ermöglichen. Im Plangebiet befanden sich eine Reihe schützenswerter Landschaftsteile und Biotope. Im Bereich der Bauflächen sei dafür ein Ausgleich zu schaffen. Ein Großteil der Ausgleichsflächen befinde sich im Besitz der Gemeinde.

Die Aufstellung des Bebauungsplans "Prischoß" geht auf einen Beschluss des Gemeinderats der Antragsgegnerin vom 16. Dezember 1997 zurück. Nach einer frühzeitigen Bürgerbeteiligung wurde in der Zeit vom 16. Oktober bis 17. November 2000 ein Bebauungsplanentwurf vom 10. Oktober 2000 öffentlich ausgelegt. In einer daraufhin geänderten Entwurfsfassung vom 20. November 2000 wurde er in der Zeit vom 1. bis 18. Dezember 2000 erneut öffentlich ausgelegt. In dieser Fassung wurde er vom Gemeinderat am 19. Dezember 2000 als Satzung beschlossen. Eine öffentliche Bekanntmachung unterblieb zunächst.

Am 29. Mai 2001 beschloss der Gemeinderat die Aufstellung eines Bebauungsplans "Prischoß 1. Änderung". Ziel dieser Planung war die Änderung des Bebauungsplans "Prischoß" in seinem nordöstlichen Bereich. Die dort vorgesehene öffentliche Grünfläche entlang der Erschließungsstraße Wasserloser Weg wurde an die östliche Grenze des Plangebiets verlegt und die Erschließung der nun unmittelbar angrenzenden Wohnbauflächen wurde vom Wasserloser Weg aus vorgenommen. Der Bebauungsplan wurde vom 25. September bis 26. Oktober 2001 öffentlich ausgelegt und am 18. Dezember 2001 als Satzung beschlossen. Im Amtsblatt der Antragsgegnerin vom 5. Dezember 2003 wurde sowohl der Bebauungsplan "Prischoß" als auch der Bebauungsplan "Prischoß 1. Änderung" ortsüblich bekannt gemacht.

Mit ihren Normenkontrollanträgen beantragen die Antragsteller,

den Bebauungsplan "Prischoß" vom 19. Dezember 2000 - auch in der Fassung seiner 1. Änderung vom 18. Dezember 2001 - für unwirksam zu erklären.

Die Antragsteller zu 1 und 2 sind Eigentümer der parallel verlaufenden Grundstücke FlNrn. 1142 und 1143, Gemarkung Kahl am Main. Die Grundstücke sind mit zwei Wohnhäusern überbaut, die Antragsteller zu 1 und 2 bewohnen das von der Prischoßstraße aus in zweiter Reihe südlich gelegene Wohnhaus. Die Antragsteller zu 3 und 4 sind Eigentümer der Grundstücke FlNr. 1164 und 1164/1. Ihr Wohnhaus befindet sich auf der FlNr. 1164, das daran anschließende, bis zum Feldweg reichende Grundstück FlNr. 1164/1 ist unbebaut. Alle Antragsteller beanstanden, dass durch die vorgesehene Erschließungsstraße die Gärten ihrer Wohngrundstücke zerschnitten werden. Autolärm und Abgase würden in die Grundstücke hineingetragen werden. Der Bebauungsplan komme einseitig den Wünschen einiger Anlieger auf rückwärtige Erschließung und dem Verlangen des Landratsamts auf Verlagerung des Erschließungsweges in die Privatgrundstücke hinein entgegen. Die Belastung der betroffenen Grundstückseigentümer sei nicht abgewogen worden. Die vorgebrachten naturschutzrechtlichen Belange seien weniger gewichtig als die privaten Belange der Antragsteller. Außerdem sei eine Ausweisung neuer Bauplätze überhaupt nicht notwendig gewesen, weil die Antragsgegnerin schon Schwierigkeiten habe, ihre eigenen Bauplätze zu verkaufen. Für eine rückwärtige Erschließung habe der bestehende Feldweg auch ausgereicht. Er habe beispielsweise durch Rasengittersteine befestigt werden können, so dass Regenwasser versickern und ein gewisser Bewuchs gebildet werden könne. Sollten naturschutzrechtliche Belange eine solche Lösung nicht zulassen, sei unter Umständen von der Planung vollständig Abstand zu nehmen. Die Antragsgegnerin habe bei der Behandlung dieser Fragen abwägungsfehlerhaft entschieden.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Anträge abzulehnen.

Sie habe alle Einwendungen der Bürger im Planaufstellungsverfahren ordnungsgemäß behandelt und abgewogen. Für die rückwärtige Erschließung des Baugebiets sei die vorgesehene Einbahnstraße notwendig. Zum Schutz und zum Ausgleich für durch die Bauflächen verlorenen Biotope sei die Festsetzung öffentlicher Grünflächen und das Abrücken der Erschließungsstraße vom Seeufer geboten gewesen. Die betroffenen Grundstücke würden nicht mittig zerschnitten, sondern nur an den Rändern angeschnitten. Überdies sei eine Grundstücksumlegung geplant.

Der Senat hat interessierte weitere Grundstückseigentümer aus dem Plangebiet mit Beschlüssen vom 10. März und 16. Juni 2005 zum Verfahren beigeladen. Die Beigeladenen stellten keine Anträge.

Der Senat hat zur Feststellung der örtlichen Situation im Bereich der Bebauungspläne einen Augenschein eingenommen. Wegen seines Ergebnisses und des Gangs der mündlichen Verhandlung wird auf die Niederschriften vom 16. Juni 2005 Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Normaufstellungsakten (3 Leitzordner und 4 Heftungen) der Antragsgegnerin verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässigen Normenkontrollanträge (§ 47 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 VwGO) sind begründet.

1. Die streitgegenständlichen Bebauungspläne sind ungültig, weil sie vor ihrer öffentlichen Bekanntmachung nicht ausgefertigt worden waren.

Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 BauGB (in der insoweit noch anwendbaren Fassung der Bekanntmachung vom 27.8.1997, BGBl I S. 2141, geändert durch Gesetz vom 19.6.2001, BGBl I S. 1149, vgl. § 245 c BauGB in der Fassung des Art. 12 Nr. 13 des Gesetzes vom 27.7.2001, BGBl I S. 1950) ist der Beschluss des Bebauungsplans durch die Gemeinde ortsüblich bekannt zu machen. Zusätzlich ist bestimmt, dass der Bebauungsplan mit der Begründung zu jedermanns Einsicht bereitzuhalten ist (§ 10 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1). Rechtsstaatlich geboten ist es ferner, dass der Bebauungsplan ausgefertigt wird und die Ausfertigung seiner ortsüblichen Bekanntmachung vorausgeht (BVerwG vom 9.5.1996 NVwZ-RR 1996, 630; vom 27.1.1999 NVwZ 1999, 878). Die formellen Gültigkeitserfordernisse der Ausfertigung und insbesondere die Frage, ob zur Verkündung eine Originalurkunde herzustellen ist, sind dagegen bundesrechtlich nicht geregelt, sondern bestimmen sich nach Landesrecht (vgl. BVerwG vom 9.5.1996 a.a.O.; vom 16.5.1991 BVerwGE 88, 204 = NVwZ 1992, 371/372). Das bayerische Landesrecht sieht in Art. 26 Abs. 2 Satz 1 GO die Ausfertigung gemeindlicher Satzungen ausdrücklich vor. Unter den Senaten des Verwaltungsgerichtshofs besteht auch Einigkeit darüber, dass dies die Herstellung einer der Verkündung der Norm zugrundezulegenden Originalurkunde bedeutet und dass hierfür die eigenhändige Unterschrift des ersten Bürgermeisters oder seines Stellvertreters erforderlich ist (vgl. BayVGH - 1. Senat - vom 4.4.2003 BayVBl 2004, 23; vom 24.2.2004 Az. 1 ZB 04.276; - 14. Senat - vom 18.11.1991 BayVBl 1993, 146; -20. Senat- vom 10.10.2000 Az. 20 N 98.3701; - 23. Senat - vom 16.3.1990 BayVBl 1991, 23; vom 25.2.1993 BayVBl 1993, 530; - 25. Senat - vom 15.2.2005 Az. 25 ZB 00.1906; vom 21.2.2005 Az. 25 N 03.377; - 26. Senat - vom 23.7.1992 BayVBl 1993, 725). Unterschiedliche Auffassungen bestehen allerdings darüber, ob die Originalurkunde auch schon durch die Unterzeichnung eines Auszugs aus der Sitzungsniederschrift über den Satzungsbeschluss oder mit der Unterschrift auf dem Bekanntmachungsvermerk hergestellt werden kann, wenn nur der Satzungsbeschluss und der Bebauungsplan genau genug bezeichnet sind (vgl. näher dazu - verneinend - BayVGH vom 4.4.2003 a.a.O.). Auf diese Meinungsverschiedenheiten kommt es aber nicht weiter an, weil im vorliegenden Verfahren weder ein Auszug aus der Sitzungsniederschrift über den Satzungsbeschluss noch ein Bekanntmachungsvermerk vorgelegt werden konnte, der vom ersten Bürgermeister der Antragsgegnerin vor Bekanntmachung unterzeichnet wurde. Die Originalsitzungsniederschriften über die beiden Sitzungstage, an denen die Beschlüsse über die Bebauungspläne gefasst wurden, und die der Senat in der mündlichen Verhandlung eingesehen hat, tragen zwar am Ende jeweils die Unterschrift des ersten Bürgermeisters. Sie enthalten aber eine Vielzahl von Tagesordnungspunkten und können deshalb selbst bei großzügiger Betrachtungsweise nicht mehr als Originalurkunden der Bebauungspläne angesehen werden.

Die mit den Akten von der Antragsgegnerin vorgelegten Bebauungsplanexemplare tragen bei sämtlichen dort vorgesehenen Verfahrensvermerken - also auch bei der Bestätigung, dass die Bebauungspläne als Satzung beschlossen wurden - den Datumsstempel "1. Okt. 2004". Alle Vermerke tragen die Unterschrift des ersten Bürgermeisters. Letzteres gilt auch für die mit Dienstsiegel versehene Rubrik "Ausgefertigt am:", bei der aber die Datumsangabe fehlt. Es ist offensichtlich, dass auch diese Unterschrift zusammen mit den übrigen geleistet wurde. Die Ausfertigung, für die dem Senat übrigens der erwähnte Bestätigungsvermerk über den Beschluss des Bebauungsplans als Satzung genügen würde (vgl. BayVGH vom 15.2.2005 Az. 25 ZB 00.1906), wurde damit erst nach der Bekanntmachung im Amtsblatt der Gemeinde vom 5. Dezember 2003 hergestellt. Für den Bebauungs- und Grünordnungsplan Prischoß ergibt sich das überdies aus der Planzeichnung selbst, die nachrichtlich den Bereich des Bebauungsplans Prischoß, 1. Änderung, umgrenzt, obwohl beim Satzungsbeschluss des Gemeinderats vom 19. Dezember 2000 noch nicht einmal der Aufstellungsbeschluss vom 29. Mai 2001 zum Erlass eines Änderungsbebauungsplanes gefasst worden war. Der Akteninhalt mit Schriftverkehr über die Herstellung von "Genehmigungsplänen", der sich bis Juli 2004 erstreckte, zeigt ebenfalls, dass die Originalurkunden erst nachträglich gefertigt wurden. Sie waren bei Fassung der jeweiligen Satzungsbeschlüsse noch nicht existent und konnten auch nicht der Ersatzverkündung nach § 10 Abs. 3 Satz 2 BauGB durch Bereithaltung zur Einsicht gedient haben.

Die auf Anforderung des Senats zur Vorlage der Planexemplare, die den Satzungsbeschlüssen zugrunde lagen und zur öffentlichen Einsicht bereit gehalten wurden, vorgelegten Pläne unterscheiden sich äußerlich von den ausgefertigten Exemplaren.

So fehlt beim Bebauungs- und Grünordnungsplan Prischoß in dieser Version der Hinweis auf die 1. Änderung; das Planexemplar zur 1. Änderung stimmt zwar in seinem zeichnerischen Teil mit dem ausgefertigten Exemplar überein, enthält aber in Bezug auf die Festsetzungen und Hinweise der Legende nur einen kleinen Ausschnitt davon. Verfahrensvermerke und insbesondere Ausfertigungen fehlen auf diesen Planexemplaren, die anscheinend die eigentlichen Originale darstellen, völlig.

2. Weil die Möglichkeit besteht, dass dieser beiden Bebauungsplänen anhaftende Verfahrensfehler gemäß § 214 Abs. 4 BauGB (insoweit anwendbar in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.9.2004, BGBl I S. 2414, vgl. §233 Abs. 2 Satz 1 BauGB) durch ein ergänzendes Verfahren behoben wird und die beiden Satzungen rückwirkend in Kraft gesetzt werden (vgl. BVerwG vom 25.2.1997 a.a.O.; vom 18.12.1995 a.a.O.; vom 24.5.1998 a.a.O.; Löhr in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 9. Auflage 2005, RdNr. 33 zu § 10; ebenda Battis, RdNr. 23 f. zu § 214; Dirnberger in Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB/BauNVO, 4. Auflage 2005, RdNr. 57 zu § 10 BauGB), weist der Senat die Beteiligten ergänzend darauf hin, dass seine Überprüfung keine weiteren Rechtsfehler der Bebauungspläne ergeben hatte.

a) Das gilt zunächst für das ungewöhnliche Änderungsverfahren. Die Gemeinde hat den Bebauungs- und Grünordnungsplan Prischoß in der Entwurfsfassung vom 20. November 2000 am 19. Dezember 2000 als Satzung beschlossen. Rund ein Jahr später hat sie den Änderungsbebauungsplan in der Entwurfsfassung vom 18. Dezember 2001 an diesem Tag als Satzung beschlossen und zwei weitere Jahre später beide Beschlüsse gleichzeitig in ihrem Amtsblatt vom 5. Dezember 2003 bekannt gemacht. Obwohl bei Aufstellung des Änderungsbebauungsplans der zu ändernde (Grundlagen-)Bebauungsplan noch gar nicht in Kraft war und die Gemeinde durch ihre Verfahren erreichen wollte, dass von vornherein nur ein Bebauungsplan in geänderter Form wirksam wird, hat sie nicht den üblichen Weg einer Änderung des Entwurfs (vgl. § 4 a Abs. 3 BauGB) beschritten. Das hätte - zusammen mit der Aufhebung des ersten Satzungsbeschlusses - von vornherein zu einem einheitlichen Bebauungsplan in der gewünschten Form geführt.

Das Baugesetzbuch schließt aber das gewählte Verfahren nicht aus. Das Ziel des Normgebers, allein eine geänderte Planung rechtswirksam werden zu lassen, kann auch durch die gleichzeitige Inkraftsetzung des Bebauungsplans und des Änderungsbebauungsplans erreicht werden. Den rechtsstaatlichen Geboten der Normenklarheit und Bestimmtheit ist noch entsprochen, weil durch Auslegung ermittelt werden kann, dass dem Änderungsbebauungsplan in seinem Geltungsbereich sofort der Vorrang zukommen soll. Das Risiko, dass mit einer Ungültigkeit allein des Änderungsbebauungsplans der Grundlagenbebauungsplan in seiner ursprünglichen, vom Gemeinderat beschlossenen Fassung in Kraft treten könnte, war der Gemeinde nicht bewusst. Es hat sich im vorliegenden Fall auch nicht verwirklicht, da beide Satzungen an dem gleichen Verfahrensmangel leiden.

b) Auch die von den Antragstellern vorgebrachten materiell-rechtlichen Rügen überzeugen nicht. Ohne Verstoß gegen den Erforderlichkeitsgrundsatz und das Abwägungsgebot konnte die Antragsgegnerin von einem aktuellen Bedarf an Wohnbauflächen in dem überplanten Bereich ausgehen. Dafür spricht schon das Interesse der Grundstückseigentümer, denen die Antragsgegnerin mit der angefochtenen Planung entgegenkommen wollte. Auch Beigeladene im Normenkontrollverfahren haben deutlich ihren Bauwillen bekundet. Dass an anderer Stelle im Gemeindegebiet Bauplätze nicht verkauft werden können, spricht nicht gegen die Realisierbarkeit der Planung, die von der Attraktivität der Grundstücke in der Nähe einer Wasserfläche zusätzlich profitiert.

Auch in Bezug auf die Erschließungsstraße sind keine Abwägungsfehler ersichtlich. Der Antragsgegnerin war bewusst, dass die in Seerichtung verlaufenden, lang gestreckten Grundstücke alle von der Erschließungsstraße überquert und die verbleibenden Restflächen bis zum Wegegrundstück des Feldwegs den öffentlichen Grünflächen für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zugeschlagen werden würden. Das ergibt sich bereits augenscheinlich aus den Planzeichnungen. Die Antragsgegnerin hat auch kein Hehl daraus gemacht, dass sie lieber die Privatgrundstücke verschont und die Erschließungsstraße im Verlauf des Feldweggrundstücks vorgesehen hätte. Das zeigen ihre immer wieder erneut aufgenommenen Verhandlungen mit dem Landratsamt. Letztlich hat sie die Plantrasse nur gewählt, weil ihr andernfalls die rechtmäßige Realisierung ihres Planungsziels, parallel zur Bauzeile an der Prischoßstraße in zweiter Reihe neue Bauflächen zu erschließen, als undurchführbar erschien. Art, Ausmaß und Gewicht der damit ermöglichten Beeinträchtigungen des Grundeigentums der Betroffenen hat die Antragsgegnerin dabei nicht verkannt. Auch im Ergebnis liegt keine Fehlgewichtung der Eigentümerinteressen vor.

Die von der Plantrasse betroffenen Grundstücke liegen sämtlich im Außenbereich nach § 35 Abs. 1 BauGB. Das ist schon aus den in den Akten befindlichen Plänen ersichtlich und hat sich beim Augenschein des Senats bestätigt. Die planungsrechtliche Genehmigungsfähigkeit von Wohngebäuden in zweiter Reihe der sich bandartig entlang der Prischoßstraße bis zur Gemeindegrenze im Außenbereich erstreckenden Siedlung ist ohne Bebauungsplan offensichtlich nicht gegeben. Die Grundstücke werden also durch die Straßentrasse nicht nur belastet, sondern erhalten erstmals Baulandqualität und eine ordnungsgemäße Erschließung. Dass der planerische Zugriff auf die Privatgrundstücke Maßnahmen der Bodenordnung erfordern würde, war der Gemeinde bekannt; erste Schritte zu einer Baulandumlegung hat sie bereits eingeleitet. Unter diesen Umständen musste sie ihre Planung nicht etwa von vornherein wegen Unzumutbarkeit für die betroffenen Grundstückseigentümer aufgeben. Für diejenigen unter den Grundstückseigentümern, deren Flächen derzeit noch brachliegen, ist das selbstverständlich. Es gilt aber auch für diejenigen, deren Grundstücke derzeit kleingärtnerisch oder für Freizeitzwecke genutzt werden. Auch die Antragsteller zu 3 und 4 erhalten für ihr in zweiter Reihe gelegenes, von der Erschließungsstraße überquertes Grundstück FlNr. 1164/1 erstmals Baurecht. Selbst die Antragsteller zu 1 und 2, denen das einzige in zweiter Reihe schon errichtete Wohnhaus gehört und die durch den Verlust eines großen Teils ihres Gartens sowie des bisher ungestörten Übergangs in die freie Natur am stärksten durch die Planung belastet werden, haben noch einen gewissen rechtlichen Vorteil. Auch dieses Wohnhaus liegt nämlich derzeit im Außenbereich und das Grundstück erhält erst mit dem Bebauungsplan planungsrechtlich gesichertes Baurecht sowie eine unmittelbare Zufahrt zu einer ordnungsgemäß erschlossenen öffentlichen Straße.

Der konkrete Trassenverlauf ist ebenso wenig rechtlich zu beanstanden. Die Trasse liegt parallel zur Prischoßstraße, was der Funktion einer Erschließungsstraße für die Bebauung in zweiter Reihe am besten entspricht. Ihr Abstand zum Nachtweidesee ist die Folge des Bedarfs an Ausgleichsflächen, die vom Landratsamt mit Recht als unverzichtbare Voraussetzung für die Gültigkeit des Bebauungsplans gefordert wurden. Im Bereich der Bauflächen befinden sich kartierte Biotope im Sinn von Art. 13 d BayNatSchG. Bei der faunistischen und floristischen Erhebung wurden für das Gebiet zwischen Prischoßstraße und Nachtweidesee 18 gefährdete Arten festgestellt (vgl. Erläuterungsbericht des von der Gemeinde beauftragten Sachverständigen, Fassung vom 1.12.2000). Die in die öffentliche Grünfläche einbezogenen Anteile der Privatgrundstücke können - soweit sie nicht schon selbst unmittelbar schutzbedürftig und daher von der baulichen Nutzung auszunehmen sind - mit der anliegenden Uferzone vernetzt werden und damit die mit der Bebauung verbundenen Eingriffe ausgleichen. Der einer Nutzung entzogene Korridor kann außerdem gleichzeitig einen Puffer für das anschließende Wasserschutzgebiet bilden. Erst diese Maßnahmen lassen es als vertretbar erscheinen, eine Wohnbebauung in problematischer Außenbereichslage zuzulassen. Der Vorwurf, Naturschutz sei hier übergewichtet worden, erscheint dem Senat nach Lage der Dinge unberechtigt.

3. Kostenentscheidung: § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO; vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO; Nichtzulassung der Revision: § 132 Abs. 2 VwGO.

4. Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ist die vorliegende Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel (also der Tenor) von der Antragsgegnerin in ihrem Amtsblatt bekannt zu machen.

Beschluss:

Der Streitwert wird in beiden Verfahren bis zu ihrer Verbindung auf je 20.000 Euro und für die verbundenen Verfahren auf 40.000 Euro festgesetzt (§ 72 Nr. 1 GKG, § 13 Abs. 1 Satz 1, Abs. 6 GKG a.F., § 52 Abs. 1, 7, § 39 GKG).

Ende der Entscheidung

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