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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 06.10.2004
Aktenzeichen: 4 B 00.31647
Rechtsgebiete: AuslG, AsylVfG


Vorschriften:

AuslG § 53 Abs. 6
AsylVfG § 73 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Im Namen des Volkes

4 B 00.31647

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Widerruf der Feststellung von Abschiebungshindernissen;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 20. Juni 2000,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 4. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dillmann, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Kraft,

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 6. Oktober 2004 am 6. Oktober 2004 folgendes

Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

I.

Der nach eigenen Angaben am 26. September 1972 in Kambia geborene Kläger ist sierraleonischer Staatsangehöriger. Er reiste am 17. November 1995 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22. November 1995 einen Asylantrag.

Mit Bescheid vom 16. April 1996 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorliegen. Es bejahte ein Abschiebungshindernis gem. § 53 Abs. 6 Satz 1 AusIG hinsichtlich Sierra Leone; im Übrigen wurden Abschiebungshindernisse nach § 53 AusIG verneint. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Sierra Leone nach Wegfall der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AusIG oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Kläger einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei.

Die dagegen gerichtete Klage auf Verpflichtung zur Anerkennung als Asylberechtigter und Feststellung politisch motivierten Abschiebungsschutzes gem. § 51 Abs. 1 AusIG blieb erfolglos (Urteil des VG München vom 10.09.1998, Az.: M 21 K 96.51833; Beschluss des BayVGH vom 17.11.1998, Az.: 27 ZB 98.35030).

II.

Mit Schreiben vom 27. Januar 2000 teilte das Bundesamt dem Kläger mit, dass beabsichtigt sei, die zu seinen Gunsten getroffene Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AusIG hinsichtlich des Staates Sierra Leone zu widerrufen. Der Kläger führte daraufhin mit am 1. März 2000 beim Bundesamt eingegangenem Schreiben aus, dass er von dem Friedensabkommen vom Juli 1999 gehört habe. In seinem Land herrsche aber immer noch Krieg statt Frieden und dort regierten auch weiterhin die Rebellen. Die Einreise nach Sierra Leone sei auch jetzt noch gefährlich für ihn. Er habe in seinem Heimatland, in das er gerne zurückkehren wolle, keine Chance auf ein normales Leben, da er dort weder Familie noch Verwandte habe. Die Erinnerungen an die schrecklichen Erlebnisse im Krieg seien noch nicht verblasst.

Mit Bescheid vom 14. März 2000 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 16. April 1996 getroffene Feststellung, dass Abschiebungshindernisse gemäß § 53 Abs. 6 AuslG hinsichtlich Sierra Leone vorliegen; auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen

Die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 20. Juni 2000 ab. Bei den in Sierra Leone auch jetzt noch vorhandenen Risiken handele es sich um allgemeine Gefahren i.S. des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG und für die Annahme, dass gerade der Kläger einer individuell-konkreten Gefahrenlage ausgesetzt sei, fehlten jegliche Anhaltspunkte. Jedenfalls in Freetown gerate er auch nicht in eine ausweglose Lage oder werde "sehenden Auges" dem Tod oder einer schweren Gesundheitsverletzung ausgesetzt. Mit Blick auf die prekäre Versorgungslage und Infrastruktur müsse der Kläger wie die anderen dort lebenden Sierraleoner zurecht kommen; individuelle Besonderheiten seien für ihn als offensichtlich gesunden Mann nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich.

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung beantragt der Kläger,

das angefochtene Urteil und den Widerrufsbescheid aufzuheben und festzustellen, dass beim Kläger Abschiebungshindernisse vorliegen.

Das Land stehe nach einem zehnjährigen Bürgerkrieg am Rande des Zusammenbruchs und die mangelhafte Versorgungslage werde durch Rückführung von Flüchtlingen verschlechtert. Der Kläger befinde sich seit November 1995 in Deutschland und sei in das soziale Gefüge seines Heimatlandes nicht mehr eingebunden; mit den daraus resultierenden Problemen im Falle seiner Rückkehr setze sich das angefochtene Urteil nicht auseinander. Auf die weiteren Ausführungen zur Gefahrenlage wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verhandlungsniederschrift, die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung bleibt ohne Erfolg, da der Widerruf des Abschiebungshindernisses gem. § 53 Abs. 6 AuslG hinsichtlich Sierra Leone durch das Bundesamt rechtmäßig ist.

1. Trotz des in dem gestellten Berufungsantrag enthaltenen Feststellungsbegehrens legt der Senat in der vorgegebenen prozessualen Situation (Berufung des Klägers gegen ein klageabweisendes Urteil nach einem ein festgestelltes Abschiebungshindernis widerrufenden Bescheid) das Begehren des Klägers interessengerecht dahingehend aus, dass neben der Kassation des angefochtenen Urteils nur die Aufhebung des Widerrufsbescheids begehrt wird. Damit wäre im Erfolgsfall dem Interesse des Klägers vollumfänglich Rechnung getragen und ein darüber hinaus gehendes Feststellungsbegehren wäre unzulässig.

2. Die Berufung ist unbegründet. Gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG ist die Entscheidung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 1, 2, 4 oder 6 des Ausländergesetzes vorliegt, zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Das Verwaltungsgericht hat - auch unter Berücksichtigung der weiteren Entwicklungen in Sierra Leone bis zu dem für die gerichtliche Prüfung im Berufungsverfahren relevanten Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof (§ 77 Abs. 2 AsylVfG) - zutreffend entschieden, dass die gegenwärtige Lage in Sierra Leone die Feststellung eines Abschiebungshindernisses gem. § 53 Abs. 6 AuslG in der Person des Klägers nicht (mehr) rechtfertigt.

a) Für ein individuelles, ausschließlich an der Person des Klägers anknüpfendes Abschiebungshindernis gem. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ist weder etwas vorgetragen noch ersichtlich. Ein generelles Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG, das nach der Rechtsprechung in verfassungskonformer einschränkender Interpretation des Satzes 2 der Vorschrift (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 - 9 C 9.95, DVBI. 1996, 203/205) zu berücksichtigen wäre, besteht nicht (mehr). Gefahren im Heimatland, die nicht nur dem Kläger persönlich und individuell, sondern zugleich der gesamten Bevölkerung bzw. einer Bevölkerungsgruppe kollektiv drohen, können gemäß § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG grundsätzlich nur über eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde - ggf. im Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern - gemäß § 54 AuslG berücksichtigt werden. Eine derartige Regelung besteht nicht. Sie kann als politische Entscheidung, die alleine in das Ermessen der Innenminister gestellt ist, auch nicht eingeklagt werden. Wenn aber die obersten Landesbehörden trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges alsbald nach der Rückkehr landesweit dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde, von ihrer Ermessensermächtigung aus § 54 AuslG keinen Gebrauch gemacht haben, gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, dem einzelnen Ausländer Abschiebungsschutz zu gewähren. In derartigen Fällen ist § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG verfassungskonform dahingehend einschränkend auszulegen, dass derartige Gefahren im Rahmen des Satzes 1 der genannten Vorschrift zu berücksichtigen sind (BVerwG, U.v. 11.11.1996 - 1 C 6.95, NVwZ 1997, 685/687 f.; U.v. 8.12.1998 - 9 C 4.98, NVwZ 1999, 666/668; B.v. 26.1.1999 - 9 B 617.98, NVwZ 1999, 668; U.v. 12.7.2001 - 1 C 5.01, DVBl. 2001, 1772/1774 f.).

b) Eine derartige, nach Art und Intensität der drohenden Rechtsgutsverletzung sowie durch die hohe Eintrittswahrscheinlichkeit in näherer Zukunft qualifizierte Gefahrenlage liegt zur Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs in Sierra Leone nicht (mehr) vor (vgl. auch die Einschätzung des OVG Koblenz, B.v. 1.2.2002 - 10 A 11812/01 <juris> sowie des OVG Hamburg, U.v. 2.7.2002 - 3 Bf 191/99.A <juris>). Dazu nimmt der Senat auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts zur Entwicklung und Bewertung der Lage in Sierra Leone Bezug und macht sie sich zu eigen. Darauf aufbauend stellt sich die aktuelle Lage auf der Grundlage der zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemachten Auskünfte und gutachtlichen Stellungnahmen (Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 17.2.2003 an das VG Gera Gz. 508-516.80/40778, vom 31.3.2003 an das VG Wiesbaden Gz. 508-516.80/40995 und vom 18.5.2004 an das OVG Schleswig Gz. 508-516.80 SLE; UN Security Council, Twenty-second report of the Secretary-General on the United Nations Mission in Sierra Leone vom 6.7.2004 Gz. S/2004/536; amnesty international, Jahresbericht 2004 Sierra Leone; Institut für Afrikakunde, Stellungnahme an das OVG Schleswig vom 19.5.2004) wie folgt dar:

Nach einem erneuten Waffenstillstand im November 2000 und weiteren Verhandlungen machte die Demobilisierung und Entwaffnung der Rebellen und Milizen bis zur Beendigung entsprechender staatlicher sowie von der internationalen Gemeinschaft getragener Programme gegen Ende 2003 große Fortschritte. UNO-Truppen und humanitäre Hilfsorganisationen erhielten nach und nach auch Zugang zu vorher von den Rebellen kontrollierten Landesteilen. Landesweit wird nicht mehr gekämpft und im Januar 2002 wurde der Konflikt offiziell für beendet erklärt. Seitdem hat sich die allgemeine politische Situation sowie die Sicherheits- und Menschenrechtslage kontinuierlich verbessert und kann mit Ausnahme der Grenzgebiete zu Liberia und in den Diamantabbaugebieten als zufriedenstellend bezeichnet werden. Seit dem Ende des Bürgerkriegs bis Mai 2004 kehrten mit Unterstützung des UNHCR über 261.000 Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten nach Sierra Leone zurück; um deren dauerhafte Reintegration bemühen sich die UN. Darüber hinaus leben ca. 66.000 Flüchtlinge aus Liberia im Land, von denen der größte Teil in acht Lagern untergebracht ist.

Staatliche Strukturen sind wieder landesweit etabliert. Aus den Wahlen am 14. Mai 2002 gingen der amtierende Präsident Kabbah mit über 70 v.H. der Stimmen und seine Partei als klare Sieger hervor; die am 22. Mai 2004 erstmals nach 30 Jahren durchgeführten Regional- und Kommunalwahlen haben wichtige Regierungsfunktionen auf örtlicher Ebene etabliert. Die Umstrukturierung und Ausbildung der sierraleonischen Sicherheitskräfte (Armee und Polizei) wurde und wird durch internationale Beratungs- und Ausbildungsteams unterstützt. Auch wenn die staatliche Autorität in Grenzbereichen des Landes und in den Diamantabbaugebieten noch labil erscheint und die Stabilisierung der Sicherheitslage auf dem Einsatz der internationalen Friedenstruppen (UNAMSIL) beruht, konnte die Verantwortung für weite Teile des Landes inzwischen den staatlichen Ordnungskräften überlassen werden. Die UNO plant, ihre die Sicherheitskräfte Sierra Leones logistisch unterstützenden Truppen von 11.500 Soldaten im Juli 2004 bis zum Jahresende auf ungefähr die Hälfte zu reduzieren, hat aber ihre Mission vorerst bis Mitte 2005 verlängert.

Zur Aufarbeitung der während des Bürgerkriegs begangenen Straftaten und Menschenrechtsverletzungen wurde auf der Grundlage der UN-Resolution Nr. 1315 vom 14. August 2000 im Jahr 2002 der Internationale Sondergerichtshof für Sierra Leone eingerichtet. Im März 2003 wurden die ersten Anklagen beschlossen und Beschuldigte verhaftet. Im Dezember 2002 nahm die Wahrheits- und Versöhnungskommission die Arbeit auf. Die Aufarbeitung der juristischen und moralischen Greueltaten aus der Bürgerkriegszeit wird durch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen unterstützt und bietet den Menschen die Chance der Aussöhnung.

Nach Einschätzung der UN stellen die tiefgreifenden sozio-ökonomischen Probleme des Landes ein Risiko für dessen Sicherheit dar. Sierra Leone ist außerstande, aus eigener Kraft die Versorgung seiner Bevölkerung mit Lebensmitteln zu gewährleisten. Die durchschnittliche Lebenserwartung wird mit 34,2 Jahren angegeben, die Säuglingssterblichkeit im ersten Lebensjahr auf 17,7 v.H. beziffert. Auf Jahre wird das Land von internationaler humanitärer Hilfe (Nahrungsmittel, medizinische Versorgung) abhängig bleiben; der Minimallevel wird gerade erreicht. Bei der Existenzsicherung sind die Menschen auf die Hilfe der Großfamilie angewiesen; für alleinstehende Personen ist die Situation ungleich schwieriger. Das Welternährungsprogramm der UN, die internationale Gebergemeinschaft und der UNHCR kooperieren mit den staatlichen Stellen bei der Nahrungsmittelhilfe und medizinischen Betreuung der Bevölkerung, um die inadäquate Versorgungssituation zu verbessern. Krankenhäuser und Schulen wurden in allen Landesteilen mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft wieder eröffnet. Das Bruttoinlandsprodukt ist im Jahr 2003 das vierte Jahr hintereinander gewachsen (6,5 v.H.); dem stand aber eine Inflation von 6,6 v.H. gegenüber. Massenarmut, verbreitete Arbeitslosigkeit, Inflation führen zu Unzufriedenheit, Unmut und Frustration, die die erreichte Stabilität des Landes erschüttern könnten. Insbesondere die hohe Zahl der arbeitslosen Jugendlichen und ehemaligen Kämpfer, denen - trotz Reintegrationsmaßnahmen - eine Perspektive auf Beschäftigung und legale Einkommenssicherung fehlt, birgt Sicherheitsrisiken und bietet einen Nährboden für Kriminalität.

Trotz der schwierigen Situation nach zehn Jahren Bürgerkrieg in einem der ärmsten Länder der Welt rechtfertigen die beschriebene Umstände in der Gesamtschau nicht die Annahme einer qualifizierten Gefahrenlage für Leib oder Leben des Klägers bei seiner Rückkehr nach Sierra Leone; der erkennende Senat hält eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers nicht einmal für überwiegend wahrscheinlich. Die angeführten Informationen zur Sicherheitslage lassen eine derartige, landesweit geltende Prognose nicht zu. Hinsichtlich der Versorgung mit Nahrungsmitteln und ggf. notwendiger medizinischer Hilfe geht der Senat angesichts der vielfachen Unterstützungsleistungen seitens staatlicher und nichtstaatlicher Hilfsorganisationen davon aus, dass der Kläger als alleinstehender Mann von mittlerweile 32 Jahren sein - wenn auch karges - Auskommen auch ohne den Rückhalt einer Großfamilie selbständig zu finden vermag. Trotz der prekären Versorgungssituation kann nicht die Rede davon sein, dass der Kläger alsbald nach seiner Rückkehr dem sicheren Hungertod ausgeliefert wäre. Individuelle gefahrerhöhende Umstände hinsichtlich seiner Person liegen nicht vor. Der von ihm befürchteten Immun- und Resistenzschwäche seines Körpers hinsichtlich der hygienischen und sonstigen Bedingungen in Sierra Leone nach neunjährigem Aufenthalt in Deutschland lässt sich, wie bei jedem Fernreisenden, medikamentös entgegenwirken.

Diese Einschätzung der Lage in Sierra Leone und die daraus abgeleitete Prognose für die Person des Klägers hat die Klägerseite nicht durch substantiierte Einwände zu erschüttern vermocht. Die Informationen von Frau Dr. K. aus dem Jahr 1998 sind nicht geeignet, die aufgrund der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten aktuellen Quellen aus den Jahren 2003 und 2004 gewonnene Beurteilung der gegenwärtigen Lage zu erschüttern. Die abweichende Einschätzung und Bewertung der Sicherheits- und Versorgungslage der Klägerseite auf der Grundlage von Mandanteninformationen erscheint angesichts der von dem erkennenden Senat verwerteten, im Kern übereinstimmenden und nur in der Bewertungstendenz leicht differierenden Quellen (Auswärtiges Amt, UN Security Council, amnesty international, Institut für Afrikakunde) nicht stichhaltig, sondern interessengeleitet. Die geäußerte Befürchtung des bevorstehenden Ausbruchs eines Bürgerkriegs in Guinea mit den daraus abgeleiteten Folgerungen für die Versorgungslage in Sierra Leone erschöpft sich in spekulativen Vermutungen ohne greifbaren Hintergrund. Aufgrund der für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs relevanten gegenwärtigen Sachlage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erweisen sich derartig unsichere zukünftige Entwicklungen in diesem Verfahren als nicht berücksichtigungsfähig.

Demzufolge ist die Annahme einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, die die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG zu durchbrechen vermag, nicht (mehr) gerechtfertigt. Der Widerruf des festgestellten Abschiebungshindernisses begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden nach § 83b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss:

Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens beträgt 1.500,00 Euro (§ 83 b Abs. 2 Satz 1 AsylVfG a.F.).



Ende der Entscheidung

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