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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 15.12.2005
Aktenzeichen: 4 B 04.1948
Rechtsgebiete: GrstG, BewG


Vorschriften:

GrstG § 33
BewG § 79
Nach Auslauf eines Mietvertrags begründet auch der länger andauernde Leerstand eines mit einer Halle (Hochregallager) bebauten Grundstücks, für dessen Anmietung nur ein begrenzter Interessentenkreis infrage kommt, keinen atypischen Umstand, der einen Grundsteuererlass rechtfertigt.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

4 B 04.1948

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Grundsteuererlasses;

hier: Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 24. Mai 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 4. Senat,

durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Motyl den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Kraft,

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 14. Dezember 2005

am 15. Dezember 2005

folgendes

Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 24. Mai 2004 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen als Gesamtschuldner.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger begehren Grundsteuererlass für das Jahr 1999 hinsichtlich ihres mit einer Halle (Hochregallager, 6.370 qm Nutzfläche) bebauten Grundstücks FlNr. 300 der Gemarkung T.

Mit Bescheid vom 19. Januar 1984 war das Grundstück für das Jahr 1984 und die Folgejahre auf der Grundlage eines Grundsteuermessbetrags von 4.975,95 DM und eines Hebesatzes von 300 v.H. zu einer Grundsteuer i.H. von 14.927,85 DM veranlagt worden. Die Halle war von November 1997 bis Ende 1998 an die P. AG für 4,00 DM pro Quadratmeter (netto) vermietet. Zwischen Januar und April 1999 zahlte die Firma I. OHG eine Quadratmetermiete i.H.v. 6,50 DM; das bis Ende 2002 avisierte Mietverhältnis kam aber mangels geeigneten Untergrunds der Halle für die Zwecke der Mieterin nicht zustande. Am 6. Oktober 2000 vermieteten die Kläger der Fa. B. eine Teilfläche von 2.000 qm zu einem Quadratmeterpreis von 4,50 DM (netto).

Im März 2000 beantragten die Kläger für das Jahr 1999 einen Grundsteuererlass, weil die Halle trotz intensiver Bemühungen seit Mai 1999 nicht mehr vermietet gewesen sei. Der normale Rohertrag des Grundstücks in Höhe der Mieteinnahmen von Januar bis Dezember 1998 von 449.467,20 DM sei auf 184.089,40 DM reduziert und damit um 59,04 v.H. gemindert gewesen. Die Grundsteuer sei daher in Höhe von 39,04 v.H. (5.828,00 DM) zu erlassen.

Die Beklagte lehnte den Erlassantrag mit Schreiben vom 22. Februar 2001 ab. Die Kläger hätten nicht nachgewiesen, dass sie sich ausreichend um die Wiedervermietung der Halle bemüht hätten. Die vorgelegten Unterlagen aus den Jahren 1996 und 1997 stünden in keinem zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung des Mietverhältnisses im Jahr 1999. Den Widerspruch wies das Landratsamt Bamberg mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2002 zurück. Zur Begründung wurde darauf abgestellt, dass der Leerstand gerade in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs keine atypische Erscheinung sei, sondern viele vergleichbare Objekte betreffe. Eine den Grundsteuererlass rechtfertigen Sondersituation bestehe nicht.

Mit Urteil vom 24. Mai 2004 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, den Klägern einen Grundsteuererlass in Höhe von 3.498,00 Euro (= 6.837,58 DM) zu gewähren. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass im Jahr 1999 der im Sachwertverfahren zu bewertende normale Rohertrag um mehr als 20 v.H. gemindert gewesen sei. Ein Grundsteuererlass sei auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil es sich bei dem die Ertragsminderung verursachenden zeitweiligen Leerstand des Grundstücks möglicherweise um eine in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs typische Erscheinung und damit um die Folge einer strukturell bedingten fehlenden Mieternachfrage handle. Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, lediglich atypische und vorübergehende Minderungen des normale Rohertrags rechtfertigten die Anwendung des § 33 GrStG, finde keinen Anhaltspunkt im Wortlaut der Norm. Sie sei auch systematisch und teleologisch nicht gerechtfertigt. § 33 Abs. 5 GrStG, demzufolge durch Fortschreibung des Einheitswerts berücksichtigungsfähige Ertragsminderungen keinen Erlassgrund bilden könnten, stehe dem nicht entgegen. Eine Verschlechterung der Wertverhältnisse i.S. von § 27 BewG und insbesondere eine strukturell bedingte fehlende Mieternachfrage fließe zwar in den normalen Rohertrag ein. Wenn jedoch der im Erlasszeitraum erzielte Ertrag trotz Berücksichtigung der verschlechterten allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse bei Ermittlung des normalen Rohertrags diesem gegenüber um mehr als 20 v.H. vermindert sei, stehe der Berücksichtigung einer derartigen Ertragsminderung im Rahmen des § 33 Abs. 1 Satz 1 GrStG nichts entgegen. Im Übrigen liege, wenn die mögliche Jahresrohmiete im Erlasszeitraum mangels Mieternachfrage nicht erwirtschaftet werden könne, nach der gesetzlichen Wertung ein atypischer Sonderfall vor. Auch sei die durch den Leerstand des klägerischen Grundstücks in den Monaten Mai bis Dezember 1999 verursachte Ertragsminderung nur vorübergehend und damit berücksichtigungsfähig. Die Kläger hätten diesen Umstand auch nicht zu vertreten.

Zur Begründung der mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Oktober 2004 zugelassenen Berufung wiederholt und vertieft die Beklagte ihr bisheriges Vorbringen und verweist darauf, dass das angefochtene Urteil von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweiche.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 24. Mai 2004 abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Rechtsprechung, wonach Ertragsminderungen wegen Veränderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse bei der nächsten Hauptfeststellung zu berücksichtigen seien, sei vorliegend nicht anwendbar; denn der Einheitswert des streitgegenständlichen Grundstücks sei nicht nach dem Ertragswert-, sondern nach dem Sachwertverfahren ermittelt worden. Im Übrigen sei der Leerstand nicht strukturell bedingt gewesen, weil die Vermietungsbemühungen der Kläger letztlich wieder erfolgreich gewesen seien. Es sei nichts besonderes, dass ein Objekt dieser Größenordnung nicht von heute auf morgen an einen solventen Mieter vermietet werden könne. Die Halle sei mit Blick auf die besonderen Wünsche des ersten Mieters in verkehrsgünstiger Lage, jedoch weit entfernt von Ballungszentren errichtet worden.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses hält die Berufung für begründet, da vorliegend kein atypischer Fall gegeben sei.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist begründet, weil die Voraussetzungen eines Grundsteuererlasses für das Grundstück der Kläger im Jahr 1999 nicht vorgelegen haben. Nach Auslauf des Mietvertrags begründet auch der länger andauernde Leerstand des mit einer Halle (Hochregallager) bebauten Grundstücks, für dessen Anmietung nur ein begrenzter Interessentenkreis infrage kommt, entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts keinen atypischen Umstand, der einen Grundsteuererlass rechtfertigen kann.

1. Ist bei bebauten Grundstücken der normale Rohertrag des Steuergegenstandes um mehr als 20 v.H. gemindert und hat der Steuerschuldner die Minderung des Rohertrags nicht zu vertreten, so wird gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 GrStG die Grundsteuer in Höhe des Prozentsatzes erlassen, der 4/5 des Prozentsatzes der Minderung entspricht. Zwar konnten die Kläger im Jahr 1999 nur in den Monaten Januar bis April Mieteinnahmen für die Halle auf ihrem Grundstück erzielen. Das Vorliegen einer Ertragsminderung erweist sich jedoch unter Berücksichtigung des Ausnahmecharakters des § 33 GrStG sowie dessen Einordnung in die Systematik des Bewertungsrechts nur als notwendige, nicht jedoch als hinreichende Bedingung für einen Grundsteuererlass. Die Ertragsminderung muss vielmehr auf für die Ertragslage außergewöhnlichen atypischen Umständen vorübergehender Natur beruhen (BVerwG, U.v. 3.5.1991 - 8 C 13.89, KStZ 1991, 170; U.v. 4.4.2001 - 11 C 12.00, DVBl. 2001, 1368/1369; BayVGH, U.v. 14.10.1998 - 4 B 98.1688, VerwRR-BY 1998, 416; U.v. 31.3.2005 - 4 B 01.1818 <juris>; VGH Mannheim, U.v. 13.12.2001 - 2 S 1450/01, KStZ 2002, 194/195; OVG Lüneburg, B.v. 3.12.2003 - 13 LA 213/03, NVwZ 2004, 370). Das ergibt sich aus Folgendem:

Die Grundsteuer ist eine ertragsunabhängige Realsteuer. Steuergegenstand ist der Grundbesitz als solcher (§ 2 GrStG) und für die Berechnung ist von dessen Wert auszugehen (§ 13 Abs. 1 GrStG); der Ertrag ist nur für die Ermittlung des Einheitswerts von Bedeutung. Demzufolge begründet der Umstand der Ertragslosigkeit eines bebauten Grundstücks für sich allein noch keinen Erlass (Troll, GrStG, 8. Aufl. 2004, § 33 Rdnr. 6). Mit Blick auf den Charakter der Grundsteuer als Objektsteuer ist der an der Ertragsminderung anknüpfende § 33 GrStG vielmehr eine Ausnahmevorschrift, die nur Sachverhalten Rechnung tragen soll, die im Verhältnis zu den vom Gesetz erfassten Regelfällen als Sonderfälle erscheinen, also als atypisch aus tatsächlichen Gründen aus der Regel fallen (BayVGH, U.v. 14.10.1998 - 4 B 98.1688 a.a.O.).

a) So liegt nach § 33 Abs. 5 GrStG kein Erlassgrund vor, wenn die Ertragsminderung für den Erlasszeitraum durch Fortschreibung des Einheitswerts berücksichtigt werden kann. Eine Wertfortschreibung (§ 22 Abs. 1 BewG) kommt nur bei Änderung der tatsächlichen Verhältnisse der einzelnen wirtschaftlichen Einheit in Betracht (vgl. Viskorf in: Viskorf/Glier/Knobel, BewG, 4. Aufl. 1998, § 22 Rdnrn. 1 und 8); dafür sind die (allgemeinen) Wertverhältnisse im Hauptfeststellungszeitpunkt zugrunde zu legen (§ 27 BewG).

b) Auch Änderungen der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse können keinen Grundsteuererlass gem. § 33 GrStG begründen. Sie wirken sich auf die Erhebung der Grundsteuer nur über die Festsetzung der Steuermessbeträge im Hauptfeststellungszeitpunkt aus (Hauptveranlagung gem. § 16 GrStG), werden also erst bei der nächsten Hauptfeststellung (§ 21 BewG) erfasst. In der Zwischenzeit ist aber auch eine Berücksichtigung im Wege des § 33 GrStG ausgeschlossen; denn der Anknüpfungspunkt des "normalen Rohertrags" in § 33 Abs. 1 Satz 1 GrStG zur Bemessung einer Ertragsminderung ist in Satz 3 der Vorschrift speziell und hinsichtlich des zeitlichen Bezugspunkts gerade abweichend von § 79 Abs. 1 Satz 1 BewG definiert. § 33 Abs. 1 Satz 3 GrStG legt bei bebauten Grundstücken als normalen Rohertrag die Jahresrohmiete (Nr. 2) bzw. die geschätzte übliche Jahresrohmiete (Nr. 3) zugrunde; anders als § 79 Abs. 1 Satz 1 BewG, der hinsichtlich des zeitlichen Bezugspunkts auf den Feststellungszeitpunkt verweist, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen für einen Grundsteuererlass auf das Mietniveau (im Rahmen einer hypothetischen Hauptfeststellung) zu Beginn des Erlasszeitraums abzustellen. Durch diese Sonderregelung in § 33 Abs. 1 Satz 3 GrStG, derzufolge sich der normale Rohertrag nach den allgemeinen Verhältnissen zu Beginn des jährlichen Erlasszeitraums bemisst, hat der Gesetzgeber in seinen Willen aufgenommen, dass Änderungen der allgemeinen Wertverhältnisse zwischen den Hauptfeststellungszeitpunkten als im System berücksichtigter Regelfall keinen Grundsteuererlass zu begründen vermögen. Diese gesetzliche Wertung kann nicht durch eine extensive Interpretation des § 33 GrStG überwunden und damit konterkariert werden. Allgemeine wirtschaftliche Veränderungen treffen vielmehr alle Vermieter in der Gemeinde in vergleichbarer Weise und bieten deshalb unter dem Aspekt einer korrekturbedürftigen Sonderbelastung des einzelnen Steuerschuldners keinen Anlass für einen Grundsteuererlass (so ausdrücklich BVerwG, U.v. 4.4.2001 - 11 C 12.00, a.a.O. S. 1369).

Die systematisch und teleologisch begründete Erlassvoraussetzung der Atypik in § 33 GrStG ist qualitativ zu verstehen. Für die Ertragslage außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls liegen - abweichend vom Verständnis des Verwaltungsgerichts (UA S. 22 f.) - nicht bereits dann vor, wenn der Vermieter im Erlasszeitraum mit seinem Grundstück infolge fehlender Mieternachfrage nicht die Mieteinnahmen zu erzielen vermag, die der üblichen Jahresrohmiete entsprechen. Andernfalls liefe diese Voraussetzung leer; denn sie wäre in jedem Fall einer Ertragsminderung von mehr als 20 v.H. gleichsam automatisch erfüllt.

2. Für die Ertragslage außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls sind vorliegend nicht zu erkennen. Der Klägerbevollmächtigte geht selbst in seinen Schriftsatz vom 12. August 2005 davon aus, dass die Halle mit dem eingebauten Hochregallager als ein Objekt besonderer Größenordnung nicht von heute auf morgen vermietet werden kann. Für ein gewerbliches Objekt spezieller Größe und Qualität, für dessen Anmietung von vornherein nur ein begrenzter Interessentenkreis infrage kommt, erweist sich auch ein längerer Leerstand zwischen zwei Mietverträgen nicht als atypischer Umstand, der einen Grundsteuererlass zu rechtfertigen vermag.

Nachdem bereits die objektiven Voraussetzungen für einen Grundsteuererlass nicht vorliegen, bedarf es keiner abschließenden Klärung, ob die Kläger die Minderung des Rohertrags (nicht) zu vertreten haben und damit das subjektive Tatbestandsmerkmal des § 33 Abs. 1 Satz 1 GrStG erfüllen. Insofern erscheinen allerdings die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu den intensiven Vermietungsbemühungen der Kläger für sich genommen nicht ausreichend. Vielmehr hätte es auch der Prüfung bedurft, ob die Eigentümer bei den erfolglos gebliebenen Vermietungsbemühungen von marktgerechten Preisvorstellungen ausgegangen sind (vgl. Abschnitt 38 Abs. 4 der Grundsteuerrichtlinien, abgedruckt bei Troll, a.a.O. § 33 GrStG Rdnr. 8).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 3.496,00 Euro festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 1 GKG ).



Ende der Entscheidung

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