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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 26.04.2006
Aktenzeichen: 4 B 04.64
Rechtsgebiete: AO


Vorschriften:

AO § 227
AO § 240
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

4 B 04.64

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Gewerbesteuer/Erlass von Säumniszuschlägen;

hier: Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 9. Oktober 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 4. Senat,

durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Motyl den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Kraft,

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 26. April 2006

am 26. April 2006

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens und des Berufungszulassungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt den Erlass von Säumniszuschlägen auf Gewerbesteuer und Gewerbesteuervorauszahlungen für die Jahre 1992 bis 1997 in Höhe von 27.028,93 Euro (entspricht 52.864 DM).

1. Die Klägerin wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 23. Januar 1996 zu Gewerbesteuer für die Jahre 1992 (58.180 DM) und 1993 (94.968 DM), zu Vorauszahlungen für die abgelaufenen Wirtschaftsjahre 1994 und 1995 (jeweils 94.968 DM) sowie zu Vorauszahlungen für 1996 und die folgenden Kalenderjahre herangezogen. Zugrunde lagen (geänderte) Gewerbesteuermessbescheide des Finanzamts M. vom 29. November 1995 für die Jahre 1992 und 1993. Die Klägerin ließ die jeweiligen Fälligkeitstermine ohne Zahlung verstreichen und unter dem 8. Mai 1995 durch ihren Bevollmächtigten Stundung mit dem Hinweis beantragen, dass sie gegen die Steuermessbescheide Einspruch eingelegt und die Aussetzung der Vollziehung beantragt habe, weil sie für das laufende Jahr keinen Gewinn erwarte. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 3. Juli 1996 ab, weil keine Nachweise vorgelegt worden seien. Ein erneuter Stundungsantrag vom 6. September 1996 hatte ebenfalls keinen Erfolg. Auch die Einsprüche der Klägerin gegen die Gewerbesteuermessbescheide und das Aussetzungsbegehren blieben erfolglos.

Nachdem das Finanzamt M. den Steuermessbetrag für 1993 geändert (Bescheid vom 28.2.1997) und den für 1994 erstmalig festgesetzt hatte (Bescheid vom 4.3.1997), passte die Beklagte mit Bescheid vom 23. April 1997 ihre Festsetzungen an, indem sie die Gewerbesteuer für 1993 erhöhte, für 1994 verminderte und die Vorauszahlungen für 1997 neu festsetzte. Die Klägerin legte dagegen Rechtsbehelfe ein und gab erstmals an, dass sie bereits 1984 ihren gesamten Geschäftsbetrieb von M. nach E. verlegt habe, weshalb das Finanzamt M. unzuständig und die Beklagte nicht hebeberechtigt sei. Unerklärlicherweise habe ihr Bevollmächtigter diesen Umstand den Finanzbehörden nie gemeldet; dieser Fehler sei unentdeckt geblieben, weil aufgrund hoher Verlustvorträge bislang keine Zahlungspflicht entstanden sei. Daraufhin setzt das Finanzamt M. am 6. Mai 1997 die Vollziehung der angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide für 1993 und 1994 aus und gab die Sache an das Finanzamt G. ab. Die Beklagte ordnete mit Bescheid vom 2. September 1998 die Aussetzung der Vollziehung des Gewerbesteuerbescheides für diesen Zeitraum mit Wirkung ab dem 14. April 1997 an und gewährte für die Gewerbesteuer 1992 Vollstreckungsaufschub. Das Finanzamt G. setzte schließlich mit Zerlegungsbescheiden vom 27. November 1997 die Gewerbesteuermessbeträge neu fest und wies der Beklagten für 1992 einen Anteil von 76,71 DM und für die Jahre 1993 bis 1995 von jeweils 0 DM zu. Daraufhin änderte die Beklagte die Gewerbesteuerfestsetzung für 1992 auf 368 DM und für die Jahre 1993 bis 1995 auf je 0 DM (Gewerbesteuerbescheid vom 27.1.1998). Später teilte das Finanzamt G. mit, dass die am 6. Mai 1997 angeordnete Aussetzung der Vollziehung der Gewerbesteuermessbescheide vom 28. Februar 1997 (für 1993) und vom 4. März 1997 (für 1994) ab der Bekanntgabe dieser Bescheide, mithin ab 3. März 1997 und 7. März 1997, wirke und sich nicht auf den Gewerbesteuermessbescheid 1993 vom 29. November 1995 erstrecke.

2. Mit Leistungsbescheid vom 22. Januar 1998 bezifferte die Beklagte die durch die Säumnisse der Klägerin auf die Gewerbesteuer(vorauszahlungen) 1992 bis 1997 vom jeweiligen Fälligkeitstermin bis zum 14. April 1997 angefallenen Säumniszuschläge auf 57.482 DM, und verlangte unter Berücksichtigung von Mahngebühren und einer Umbuchung Zahlung von 51.225,25 DM. Die Klägerin erhob dagegen Widerspruch und beantragt hilfsweise den Erlass des angeforderten Betrages.

Die Beklagte lehnte den Erlassantrag mit Bescheid vom 21. April 1998 hinsichtlich eines Betrages von 52.964 DM (52.864 DM Säumniszuschläge und 100 DM Mahngebühren) ab, weil kein Grund zu erkennen sei, aus dem die Einziehung dieser durch die Säumnis der Klägerin entstandenen Nebenkosten unbillig wäre. Die darüber hinausgehenden Säumniszuschläge von 4.618 DM wurden "storniert", weil sie nach dem 3./7. März 1997 und damit nach dem Zeitpunkt angefallen seien, ab dem die Aussetzung der Vollziehung der Gewerbesteuermessbescheide nach Auskunft des Finanzamtes G. bereits Wirkung entfaltet habe.

Gegen die Ablehnung des Erlassantrags erhob die Klägerin Widerspruch. Sie machte unter anderem geltend, dass sie sich im gesamten Zeitraum wegen der - im Nachhinein betrachtet zu Unrecht festgesetzten - Gewerbesteuer am Rande der Zahlungsunfähigkeit befunden habe, weshalb die mit den Säumniszuschlägen verfolgte Absicht, als Druckmittel für die Zahlung fälliger Steuern zu dienen, ins Leere gegangen sei; im Übrigen sei die Aussetzung der Vollziehung von Anfang an möglich und sogar geboten gewesen. Auf Aufforderung legte sie mehrere Unterlagen zum Nachweis ihrer wirtschaftlichen Schwierigkeiten vor. Die Beklagte sah die Belege als unzureichend an und half den Widersprüchen nicht ab, sondern legte sie mit Schreiben vom 27. September 2002 der Regierung von Oberbayern zur Entscheidung vor. Diese wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2003 als unbegründet zurück.

3. Die Klägerin hat Klage zum Verwaltungsgericht erhoben und ihre Einwände unter Vorlage des Jahresabschlusses zum 31. Dezember 1996 wiederholt und vertieft. Sie hat beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 29. Januar 1998 und vom 21. April 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 9. Januar 2003 aufzuheben,

hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, die festgesetzten Säumniszuschläge zu erlassen,

hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, über den Erlassantrag erneut nach Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. Oktober 2003 in vollem Umfang abgewiesen. Die Säumniszuschläge seien nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung des § 240 AO in der geforderten Höhe verwirkt und blieben durch die spätere Aufhebung der Steuerfestsetzungen unberührt. Die Ablehnung des Erlassantrags lasse keine Ermessensfehler erkennen. Sachlich wäre die Erhebung von Säumniszuschlägen - was hier allein in Betracht komme - dann unbillig, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich sei und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verlöre. Diese Voraussetzung, für die die Klägerin die volle Darlegungs- und Beweislast treffe, sei zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nicht erfüllt.

4. Mit ihrer Berufung, die der Verwaltungsgerichtshof nur hinsichtlich des Hilfsantrags auf Verpflichtung der Beklagten zum Erlass der Säumniszuschläge zugelassen hat, trägt die Klägerin vor: Sie habe einen Anspruch auf Erlass der Säumniszuschläge, weil sie bei Fälligkeit der Gewerbesteuerforderungen überschuldet gewesen und deshalb zumindest ein Hinausschieben der Fälligkeit geboten gewesen sei. Das ergebe sich daraus, dass die - im Nachhinein betrachtet unberechtigten - Gewerbesteuerforderungen der Beklagten sich mit Vorauszahlungen und Zinsen auf insgesamt 472.164 DM summiert hätten. Diese Steuerverbindlichkeiten hätten nach den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Buchführung in der Bilanz mit der Folge auswiesen werden müssen, dass die Passiva die Aktiva überwogen hätten. Die Klägerin habe dauernd Kredite in Anspruch nehmen müssen, diese beständig überzogen und sich - wie die Beklagte selbst einräume - in einem wirtschaftlichen Engpass befunden. Damit habe ein Anspruch auf Stundung bestanden, wobei berücksichtigt werden müsse, dass diese wirtschaftliche Situation durch die unberechtigte Steuerforderung der Beklagten herbeigeführt worden sei. Daran ändere auch ein etwaiges Fehlverhalten ihres Bevollmächtigten im Zusammenhang mit der unterbliebenen Mitteilung der Betriebssitzverlegung nichts.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 9. Oktober 2003 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, die Säumniszuschläge zu erlassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass die Klägerin bei Fälligkeit der Gewerbesteuerforderungen weder zahlungsunfähig und überschuldet gewesen sei noch eine Stundungs- oder Erlasssituation hinsichtlich Hauptschuld vorgelegen habe. Der Bevollmächtigte der Klägerin habe seinerzeit nichts Entsprechendes vorgetragen und noch nicht einmal auf die Verlegung des Betriebssitzes von M. nach B. im Jahre 1984 hingewiesen. Hätte er beizeiten die möglichen und nahe liegenden Maßnahmen getroffen, wären die Steuermessbeträge und Gewerbesteuerforderungen auf Null herabgesetzt worden. Diese Versäumnisse ihres Bevollmächtigten, die sich die Klägerin zurechnen lassen müsse, schließe auch eine Stundungssituation aus.

Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat keinen Antrag gestellt

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren Hilfsantrag auf Erlass der Säumniszuschläge für nicht rechtzeitig entrichtete Gewerbesteuern und Vorauszahlungen für die Jahre 1992 bis 1996 und das erste Quartal 1997 weiter, die von der Beklagten mit Bescheiden vom 22. Januar und 21. April 1998 auf zuletzt 52.864 DM (27.028,93 Euro) beziffert werden. Mit dieser Beschränkung trägt sie dem Umstand Rechnung, dass der Verwaltungsgerichtshof nur in diesem Umfang die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen hat. Hinsichtlich des Hauptantrags auf Aufhebung der genannten Bescheide ist das die Klage abweisende erstinstanzliche Urteil mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung bereits rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erlass der Säumniszuschläge. Ihr steht auch kein Anspruch auf erneute Entscheidung der Beklagten über ihren Erlassantrag zu, weil die Ablehnung dieses Antrags frei von Ermessensfehlern ist.

1. Nach § 227, § 1 Abs. 2 Nr. 5 AO, Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG können die Gemeinden Ansprüche aus einem Gewerbesteuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des Einzelfalls unbillig wäre. Zu den Ansprüchen aus einem Steuerschuldverhältnis zählen auch Ansprüche auf Säumniszuschläge (§ 37 Abs. 3, § 3 Abs. 4; § 240 AO). Die Entscheidung der Gemeinde über einen Erlassantrag aus Billigkeitsgründen ist eine Ermessensentscheidung, wobei Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens durch den Maßstab der Billigkeit bestimmt werden (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, B.v. 19.10.1971 - GmS-OGB 3.70 - BVerwGE 39,355/366 f.).

Aus sachlichen Billigkeitsgründen, die hier alleine in Betracht kommen, sind Säumniszuschläge zu erlassen, wenn ihre Einziehung im Hinblick auf ihren Zweck, den Steuerpflichtigen zu einer rechtzeitigen Zahlung fälliger Steuern anzuregen, nicht mehr zu rechtfertigen ist, weil die Erhebung - obwohl der Sachverhalt den gesetzlichen Tatbestand erfüllt - den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (vgl. BVerwG, U.v. 8.7.1998 - 8 C 31.96 - NVwZ-RR 1999, 193/194; BFH, U.v. 7.7.1999 - X R 87.96 - juris). Ein solcher Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers liegt entgegen der Ansicht der Klägerin unter keinem Gesichtpunkt vor:

a) Der Umstand, dass die Hauptforderungen später durch Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 1998 von insgesamt 461.794 DM auf 368 DM herabgesetzt worden sind, begründet keine sachliche Unbilligkeit.

Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO sind Säumniszuschläge immer schon dann zu entrichten, falls eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt wird. Maßgebend ist allein die Höhe der festgesetzten Steuer. Nachträgliche Erhöhungen der Bemessungsgrundlage bleiben genauso unberücksichtigt (§ 240 Abs. 1 Satz 3 AO) wie deren nachträgliche Ermäßigung (§ 240 Abs. 1 Satz 4 AO). Der Gesetzgeber hat es mit dieser Regelung bewusst in Kauf genommen, dass Säumniszuschläge für Steuern selbst dann zu entrichten sind, wenn sich deren Festsetzung später als unrechtmäßig erweist. Dem Rechtsschutzbedürfnis des Steuerpflichtigen ist durch die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Festsetzung der Steuer - oder der Steuermessbeträge - selbst hinreichend Genüge getan (BFH, U.v. 7.7.1999 a.a.O.). Deshalb kommt ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht allein deshalb in Betracht, weil die Steuerfestsetzung zugunsten des Steuerpflichtigen später herabgesetzt oder aufgehoben worden ist. Denn der Billigkeitserlass ist grundsätzlich nicht das richtige Mittel, die Folgen schuldhafter Versäumnis eines Rechtsbehelfs auszugleichen (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, RdNr. 46 zu § 227 AO m.w.N.). In Durchbrechung dieses Grundsatzes ist eine inhaltlich Prüfung der Steuerfestsetzung im Rahmen des Billigkeitserlasses daher ausnahmsweise nur dann angezeigt, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig falsch ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren (BVerwG, U.v. 23.8.1990 - 8 C 42.88 - DVBl 1990, 1405/1406). An der zuletzt genannten Voraussetzung fehlt es.

Die mit Gewerbesteuerbescheid vom 23. Januar 1996 festgesetzten Steuern für die Jahre 1992 bis 1997 waren von Anfang an objektiv fehlerhaft, weil die Klägerin seit geraumer Zeit keine Betriebsstätte mehr im Gebiet der Beklagten unterhalten hatte und deshalb auf die Beklagte - wie später mit Zerlegungsbescheiden des Finanzamtes G. vom 27. November 1997 auch ausgesprochen - vom einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag für 1992 lediglich ein geringer und für die folgenden Jahre überhaupt kein Anteil entfiel. Die Verlegung ihrer Betriebsstätte ist von der Klägerin aber erst im April 1997 mit Rechtsbehelfen gegen die (geänderten) Gewerbesteuermessbescheide des Finanzamtes M. vom 28. Februar und 4. März 1997 sowie den Gewerbesteuerbescheid der Beklagten vom 23. April 1997 vorgebracht worden. Zuvor war die Klägerin dem Finanzamt wie der Beklagten gegenüber stets mit Betriebssitz in M. aufgetreten, insbesondere auch noch bei ihren - erfolglosen - Einsprüchen gegen die Steuermessbescheide des Finanzamts M. vom 29. November 1995, die dem Gewerbesteuerbescheid der Beklagten vom 23. Januar 1996 zugrunde lagen. Sie selbst hat der Beklagten im Schreiben vom 24. April 1997 mitgeteilt, dass ihre Erklärungen insoweit "wohl aus interner Nachlässigkeit stets... fehlerhaft" gewesen seien; sie habe ihren gesamten Geschäftsbetrieb bereits 1984 von M. nach E. verlegt, was aber ihr Bevollmächtigter "unerklärlicherweise ... den Finanzbehörden nie gemeldet" habe. Es liegt auf der Hand, dass es der Klägerin möglich und zumutbar war, die - nach § 137 AO innerhalb eines Monats meldepflichtige - Verlegung des Betriebssitzes so rechtzeitig geltend zu machen, dass die Festsetzung der Gewerbesteuermessbeträge und in deren Folge (§ 184 Abs. 1 AO) die Festsetzung der Steuern unterblieben wären, sodass damit auch die Säumniszuschläge nicht hätten entstehen können. Das Unterlassen dieser sich aufdrängenden "Selbsthilfemöglichkeit" stellt eine (grobe) Nachlässigkeit dar, die nicht im Billigkeitswege ausgeglichen werden kann. Etwaige Versäumnisse ihres Bevollmächtigten können daran nichts ändern.

b) Eine sachliche Unbilligkeit kann entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht aus ihrer wirtschaftlichen Lage bei Fälligkeit der Hauptforderungen (am 15.2., 26.2., 15.5., 15.8., 15.11.1996 und 15.2.1997) hergeleitet werden.

Die Unmöglichkeit rechtzeitiger Zahlung wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit, die regelmäßig zumindest den teilweisen Erlass der verwirkten Säumniszuschläge gebietet (BFH, U.v. 7.7.1999 - X R 87.96 - juris), ist vom Verwaltungsgericht mit zutreffenden Erwägungen verneint worden. Das zieht die Klägerin auch nicht in Zweifel. Ihr ist allerdings darin beizupflichten, dass Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit (im konkursrechtlichen Sinne) nicht die einzigen Gründe für die Rechtfertigung eines sachlichen Billigkeitserlasses von Säumniszuschlägen wegen Zahlungsschwierigkeiten sind. Ein Erlass kann bereits unterhalb dieser Schwelle in Betracht kommen, wenn im Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungspflicht hinsichtlich der Hauptforderung eine wirtschaftliche Gesamtlage bestanden hat, in der ein Hinausschieben der Fälligkeit - insbesondere - durch Stundung nach § 222 AO möglich und geboten gewesen wäre (vgl. BVerwG, U.v. 23.8.1990 - 8 C 42.88 - DVBl 1990, 1405/1408; U.v 8.7.1998 - 8 C 31.96 NVwZ-RR 1999, 193/194; BFH, U.v. 23.5.1985 - V R 124.79 - BFHE 143, 512). Das wiederum setzt eine "erhebliche Härte" (§ 222 Satz 1 AO) voraus, die vorliegt, wenn der Steuerschuldner zumutbar nicht in der Lage ist, die Steuerschuld ohne ein Entgegenkommen in zeitlicher Hinsicht zu begleichen (BVerwG, U.v. 23.8.1990 a.a.O.). Aber auch auf einen solchen Erlassgrund kann die Klägerin sich - aus mehreren Gründen - nicht berufen:

Selbst wenn die Einziehung der Hauptforderung bei Fälligkeit für die Klägerin wegen ungünstiger wirtschaftlicher Verhältnisse tatsächlich eine erhebliche Härte bedeutet hätte, so muss sie sich insoweit ebenfalls eine Nachlässigkeit entgegenhalten lassen, die den Billigkeitserlass der verwirkten Säumniszuschläge ausschließt. Es kann dahinstehen, ob das mit der Beklagten schon daraus zu folgern ist, dass die Klägerin die Verlegung ihres Betriebssitzes nicht rechtzeitig mitgeteilt hat. Jedenfalls hat es die Klägerin trotz wiederholter Hinweise der Beklagten darüber hinaus versäumt, den (unterstellten) Stundungsgrund rechtzeitig in hinreichender Weise geltend zu machen und zu belegen.

Auch wenn die Stundung ausnahmsweise ohne Antrag gewährt werden kann (vgl. § 222 Satz 2 AO) und der Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln ist (§ 88 AO), so trifft den Steuerschuldner doch eine Mitwirkungspflicht (§ 90 Abs. 1 AO) bei Aufklärung der Stundungsvoraussetzungen, die regelmäßig in seinem Verantwortungsbereich angesiedelt sind. Er ist gehalten, der Steuerbehörde ein zeitnahes Bild seiner wirtschaftlichen Verhältnisse zu verschaffen. Fehlt es daran, muss die Behörde auf den Schuldner einwirken, den Sachverhalt erschöpfend darzulegen (Tipke/Kruse, a.a.O. RdNr. 51 zu § 222 AO mit Nachweisen der Rechtsprechung). Dieser Mitwirkungspflicht ist die Klägerin trotz wiederholter Aufforderungen der Beklagten nicht ausreichend nachgekommen.

Einen ersten Stundungsantrag vom 8. Mai 1996 mit der formelhaften Begründung, "nach Angaben der Geschäftsleitung (werde) kein Gewinn erwartet", hat die Beklagte mit - bestandkräftig gewordenem - Bescheid vom 3. Juli 1996 unter Hinweis darauf abgelehnt, dass keine sachdienlichen Unterlagen zur Prüfung vorgelegt worden seien. Das wurde auf ein erneutes Stundungsbegehren vom 6. September 1996 hin mit Schreiben vom 25. September 1996 wiederholt. Auch in der Eingangsmitteilung vom 5. Februar 1998 (zum Widerspruch gegen den Nebenkostenbescheid vom 22.1.1998) hat die Beklagte mit Blick auf einen Antrag auf Vollstreckungsaufschub ohne Ergebnis die Vorlage entsprechender Nachweise angemahnt. Erst im Verfahren auf Erlass der Säumniszuschläge ist von Seiten der Klägerin mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 18. März 2002 geltend gemacht und mit Schreiben vom 29. Mai 2002 wiederholt worden, die Klägerin habe sich "während des gesamten fraglichen Zeitraums am Rande des Zustands der Zahlungsunfähigkeit", hervorgerufen "ausschließlich durch Begleichung von ... festgesetzter Gewerbesteuer", befunden. Auf den wiederholten Hinweis der Beklagten, die bloße Behauptung einer Stundungssituation reiche nicht aus, sie benötige zur Prüfung auch entsprechende Belege, ließ die Klägerin mit Schreiben vom 30. Juli 2002 verschiedene Unterlagen einreichen, darunter eine Erklärung zum Liquiditätsstatus bezogen auf den 28. Februar 1996 (Bl. 72 bis 86 der Behördenakte). Diese Unterlagen hat die Beklagte, ohne damit die Anforderungen an die Mitwirkungspflicht der Klägerin zu überspannen, als unzureichend angesehen; auf die entsprechenden Ausführungen im Schreiben der Beklagten an die Bevollmächtigten der Klägerin vom 27. August 2002 und im Vorlageschreiben an die Widerspruchsbehörde vom 27. September 2002 wird Bezug genommen.

Erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat die Klägerin den Jahresabschluss zum 31. Dezember 1996 vorgelegt, aus dem sie nunmehr eine Stundungssituation bei Fälligkeit der Hauptforderungen herleiten will. Das war indes zu spät, um bei der Entscheidung der Beklagten über den Antrag auf Erlass aus Billigkeitsgründen noch Berücksichtigung finden zu können. Auch für die gerichtliche Prüfung dieser Entscheidung ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgebend, weil es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, deren Rechtmäßigkeit nur von Tatsachen und Verhältnissen abhängen kann, die im Zeitpunkt der Entscheidung vorgelegen haben (BVerwG, U.v. 23.8.1990 a.a.O. S. 1407); da die Widerspruchsbehörde gemäß Art. 119 Nr. 1 GO nur zur Rechts- (und nicht auch zur Ermessens-) kontrolle berufen ist, kommt es auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten Entscheidung der Beklagten (27.9.2002) an. Diese zeitliche Schranke der letzten Verwaltungsentscheidung gilt grundsätzlich auch für die Beurteilung der Frage, ob der Steuerschuldner im Verwaltungsverfahren seiner Mitwirkungspflicht bei Aufklärung der Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass nachgekommen ist. Für eine Ausnahme, etwa weil eine frühere Vorlage der Nachweise nicht möglich oder zumutbar war, ist schon mit Blick auf die wiederholten Hinweise der Beklagten nichts ersichtlich.

Selbst wenn der Jahresabschluss dennoch zu berücksichtigten wäre, kann der Senat aus ihm nicht mit der notwendigen Gewissheit entnehmen, dass bei Fälligkeit der Hauptforderungen tatsächlich eine Stundungssituation bestanden hat. Nach der Gewinn- und Verlustrechnung hat die Klägerin im Geschäftsjahr 1996 einen Jahresüberschuss von etwa 416.000 DM erzielt, also zu einem wesentlichen Teil den Betrag der Steuerforderungen von insgesamt 461.794 DM, die zwischen dem 15. Februar 1996 und dem 15. Februar 1997 fällig geworden sind. Auch mit Blick auf den erheblichen Verlustvortrag aus den Vorjahren und den Umfang der Verbindlichkeiten, kann daher nicht ohne weiteres geschlossen werden, die Klägerin sei zumutbar nicht in der Lage gewesen, die Steuerschuld zum jeweiligen Fälligkeitstermin ohne ein Entgegenkommen in zeitlicher Hinsicht zu begleichen. Ob ausreichende Mittel zur rechtzeitigen Begleichung der Steuerschulden bereit gestanden haben oder zumindest in zumutbarer Weise hätten beschafft werden können, geht auch aus dem Jahresabschluss nicht mit der notwendigen Deutlichkeit hervor.

2. Die Ablehnung des Erlassantrags durch die Beklagte war aus den vorgenannten Gründen frei von Ermessensfehlern.

3. Die Klägerin hat nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten ihrer erfolglosen Rechtsmittel (Berufung und Antrag auf Berufungszulassung) zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss:

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren, das Berufungszulassungsverfahren und - insoweit unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 9. Oktober 2003 - für das erstinstanzliche Verfahren auf jeweils 27.028,93 Euro festgesetzt (§ 25 Abs. 2 Satz 2, § 14, § 13 Abs. 2 GKG in der bis zum 30.6.2004 geltenden Fassung, § 72 Nr. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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