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Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 08.10.2009
Aktenzeichen: 4 B 08.1790
Rechtsgebiete: EWS
Vorschriften:
EWS § 2 Abs. 1 | |
EWS § 4 Abs. 2 | |
EWS § 5 Abs. 1 | |
EWS § 8 Abs. 3 |
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes
In der Verwaltungsstreitsache
wegen Verlegung eines Kanals
hier: Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 24. Mai 2007,
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 4. Senat, durch
die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Motyl, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Wagner, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Greve-Decker
aufgrund mündlicher Verhandlung vom 7. Oktober 2009
am 8. Oktober 2009
folgendes Urteil:
Tenor:
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 24. Mai 2007 wird abgeändert. Die Beklagten werden verurteilt, die Errichtung, Unterhaltung und das Belassen des gemeindlichen Abwasserkanals auf dem Grundstück Fl.Nr. 585/2 der Gemarkung Z****** zu dulden. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen werden gegeneinander aufgehoben.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin, die zur Abwasserbeseitigung eine Entwässerungsanlage als öffentliche Einrichtung betreibt, möchte nach der Errichtung einer neuen Kläranlage auch die Außenbereiche des Gemeindegebiets an die gemeindliche Abwassereinrichtung anschließen. Die Beklagten sind Eigentümer der Grundstücke Fl.Nrn. 585/2, 452, 453, 585, 584 und 589 der Gemarkung Z******. Diese Grundstücke werden landwirtschaftlich genutzt, teilweise sind sie mit wohn- und landwirtschaftlichen Betriebsgebäuden bebaut. Die bebauten Grundstücke liegen nicht an einer öffentlichen Verkehrsfläche. Vielmehr werden sie durch eine private Zufahrt auf dem Grundstück Fl.Nr. 585/2 von der öffentlichen Verkehrsfläche aus erreicht.
Das Verwaltungsgericht hat die auf Verpflichtung zur Duldung der Errichtung, Unterhaltung und des Belassens des gemeindlichen Abwasserkanals über die Grundstücke mit den Fl.Nrn. 585/2, 452 453 sowie 585, sowie der Errichtung, Unterhaltung und des Belassens eines Revisionsschachtes auf Fl.Nr. 585 gerichtete Klage als unbegründet abgewiesen. Das Anschluss- und Benutzungsrecht erstrecke sich nur auf solche Grundstücke, die durch einen Kanal erschlossen würden. Dies sei bei den bebauten Grundstücken nicht der Fall. Die Durchquerung der Vorderliegergrundstücke mit einem Anschluss sei rechtlich und tatsächlich nicht auf Dauer gesichert. Es bestehe weder ein dinglich gesichertes Leitungsführungsrecht noch ein dinglich gesichertes Geh- und Fahrtrecht. Da eine Verbindung der Leitungen von den zu entwässernden Grundstücken zu der Kanalleitung in der öffentlichen Verkehrsfläche über die Zwischengrundstücksfläche nicht existiere, bestehe auch kein Notleitungsrecht gemäß § 918 Abs. 2 S. 2 BGB. Damit seien die bebauten Grundstücke nicht erschlossen und auch nicht anzuschließen, sodass die Beklagten die von der Klägerin begehrten Maßnahmen nicht hinzunehmen hätten.
Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzbegehren weiter. Es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein gesichertes Leitungsführungsrecht nicht erforderlich sei, wenn Vorder- und Hinterliegergrundstück demselben Eigentümer gehörten, sofern das Hinterliegergrundstück bereits bebaut sei und über eine Zufahrt verfüge. Denn dann sei eine Erschließung vorauszusetzen. Bei einer möglichen nachfolgenden Veräußerung des Zwischengrundstücks entstehe für das Hinterliegergrundstück ein Notleitungsrecht gemäß § 918 Abs. 2 S. 2 BGB. Der vom Verwaltungsgericht in Bezug genommene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs (vom 14.7.2004 Az. 23 CS 04.755) betreffe einen anders gelagerten Sachverhalt. Wegen des in § 2 Abs. 1 EWS definierten wirtschaftlichen Grundstücksbegriffs sei zunächst zu klären, ob und welches Vorderliegergrundstück mit welchem Hinterliegergrundstück eine wirtschaftliche Einheit bilde.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 24. Mai 2007 aufzuheben und die Beklagten gesamtverbindlich zu verpflichten, die Errichtung, Unterhaltung und das Belassen des gemeindlichen Abwasserkanals über die Grundstücke Fl.Nrn. 585/2, 452, 453 sowie 585 der Gemarkung Z****** sowie die Errichtung, Unterhaltung und das Belassen eines Revisionsschachtes auf Fl.Nr. 585 der Gemarkung Z****** zu dulden.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat habe im die Berufung zulassenden Beschluss vom 3. Juli 2008 zutreffend darauf hingewiesen, dass bezüglich der Grundstücke Fl.Nrn. 452, 453 eine wirtschaftliche Einheit nicht zu begründen sei. Ein Duldungsanspruch bezüglich des Grundstücks Fl.Nr. 585/2 bestehe nicht, weil die Klägerin stets vorgetragen und mit entsprechenden Planunterlagen auch belegt habe, dass der Anschluss der Grundstücke Fl.Nrn. 585, 584 und 589 nur über das Wegegrundstück Fl.Nr. 585/2 sowie die Grundstücke Fl.Nrn. 452 und 453 geführt werden könne. Da bezüglich der letztgenannten Grundstücke eine Duldungspflicht nicht bestehe, habe die Klägerin auch kein Interesse, eine etwa bestehende Duldungspflicht für das Wegegrundstück Fl.Nr. 585/2 geltend zu machen.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und teilweise begründet. Dementsprechend war das verwaltungsgerichtliche Urteil abzuändern. Die Klägerin kann von den Beklagten beanspruchen, dass diese die Errichtung, Unterhaltung und das Belassen des gemeindlichen Abwasserkanals auf dem Grundstück FlNr. 585/2 der Gemarkung Z****** dulden. Im übrigen war die Klage abzuweisen, weil die landwirtschaftliche Nutzung der weiteren im Klageantrag genannten Grundstücke keine wirtschaftliche Einheit mit den bebauten Grundstücken zu begründen vermag, so dass letztere auch für den Grundstücksanschluss nicht in Anspruch genommen werden dürfen.
Die Klägerin kann die Beklagten für den beabsichtigten Grundstücksanschluss nur auf Duldung in Anspruch nehmen, wenn die Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 der Satzung für die öffentliche Entwässerungsanlage der Gemeinde S********* (EWS) vorliegen. Danach muss jeder Eigentümer, dessen Grundstück an die öffentliche Entwässerungsanlage angeschlossen oder anzuschließen ist, die Verlegung von Grundstücksanschlüssen, den Einbau von Schächten, Schiebern, Meßeinrichtungen und dergleichen und von Sonderbauwerken zulassen, ferner das Anbringen von Hinweisschildern dulden, soweit diese Maßnahmen für die ordnungsgemäße Beseitigung des auf seinem Grundstück anfallenden Abwassers erforderlich sind. Der Anschluss- und Benutzungszwang des § 5 Abs. 1 EWS i.V.m. § 4 Abs. 2 EWS erstreckt sich dabei nur auf solche Grundstücke, die durch einen Kanal erschlossen werden.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist ein Grundstück durch eine öffentliche Entwässerungseinrichtung in der Regel dann erschlossen, wenn es an einer öffentlichen Verkehrsfläche liegt, in der ein zur Einrichtung gehörender Entsorgungsstrang verläuft. Es ist weiterhin dann erschlossen, wenn ein solcher Entsorgungsstrang bis an die Grundstücksgrenze herangeführt ist oder wenn die Möglichkeit besteht, nach Durchquerung eines Zwischengrundstücks einen Anschluss herzustellen und dieser rechtlich und tatsächlich auf Dauer gesichert ist (vgl. BayVGH vom 27.6.2000 Az. 23 ZB 00.1626; vom 15.11.1990 Az. 23 B 88.3688). Die bebauten Flurnummern 585, 584 und 589 der Gemarkung Z****** liegen nicht an einer öffentlichen Verkehrsfläche. Zu Gunsten der bebauten Grundstücke bestehen nach Aktenlage weder ein dinglich gesichertes Leitungsführungsrecht noch ein dinglich gesichertes Geh- und Fahrtrecht. Der Annahme eines Notleitungsrechts gemäß § 918 Abs. 2 Satz 2 BGB steht - worauf das Verwaltungsgericht mit Blick auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Juli 2004 (Az. 23 CS 04.755) hingewiesen hat - entgegen, dass bislang keine Kanalleitung über den Zwischengrund besteht. Indes legt die Entwässerungssatzung in § 2 Abs. 1 nicht den grundbuchrechtlichen Grundstücksbegriff, sondern einen wirtschaftlichen Grundstücksbegriff zugrunde. Danach ist Grundstück im Sinne dieser Satzung jedes räumlich zusammenhängende und einem gemeinsamen Zweck dienende Grundeigentum desselben Eigentümers, das eine selbständige wirtschaftliche Einheit bildet, auch wenn es sich um mehrere Grundstücke oder Teile von Grundstücken im Sinne des Grundbuchrechts handelt. Soweit rechtlich verbindliche planerische Vorstellungen vorhanden sind, sind sie zu berücksichtigen.
Danach ist zu prüfen, ob die bebauten Flurnummern jeweils mit einem Vorderliegergrundstück eine wirtschaftliche Einheit bilden. Eine solche liegt - sofern beide Flächen im gleichen Eigentum stehen - nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vom 15.7.1999 Az. 23 B 98.1238 m.w.N.) vor, wenn das an die öffentliche Straße unmittelbar angrenzende Grundstück (Vorderliegergrundstück) nur in einer schmalen, aber nach Baurecht genügenden Fläche besteht, die als Zuwegung zum Hauptgrundstück (Baugrundstück) dient. Bei solchen Hammergrundstücken stellt das an die öffentliche Einrichtung anzuschließende Grundstück eine "wirtschaftliche Einheit" mit dem Vorderliegergrundstück, dem Hammerstiel, dar und wird daher durch die an diesem vorbeiführende Versorgungsleitung unmittelbar erschlossen. Dies trifft auf Flurnummer 585/2 zu, bei der es sich um ein nicht selbständig bebaubares Privatstraßengrundstück und die einzige Zuwegung zu den bebauten Grundstücken der Beklagten handelt. Es besteht demnach ein auf diese Flurnummer beschränkter Duldungsanspruch, während die gemeinsame landwirtschaftliche Nutzung der bebauten Flurnummern und der Flurnummern 452 und 453 eine wirtschaftliche Einheit nicht zu begründen vermag (vgl. BayVGH vom 4.2.1977 BayVGH n.F. 37, 102/104; vom 11.12.1996 Az. 23 B 93.3804). Da Umstände, die eine Inanspruchnahme sämtlicher im Klageantrag bezeichneten Flurstücke notwendig machten, weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind - nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung steht weder die Topographie (vergleichsweise ebenes Gelände) noch sonstige technische Gegebenheiten einer Verlegung des Entwässerungsgrundstücksanschlusses allein im Grundstück FlNr. 585/2 entgegen - konnte über die Frage des Duldungsanspruchs für jedes der im Klageantrag bezeichneten Grundstücke - entgegen der Auffassung der Beklagten - gesondert entschieden werden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufzuheben. Einerseits sind die Beklagten hinsichtlich der Frage, ob ihr Anwesen überhaupt an die öffentliche Entwässerungseinrichtung anzuschließen ist, unterlegen. Andererseits hat die Klägerin, obwohl ein Duldungsanspruch nur in Bezug auf ein Grundstück besteht, diesen in Bezug auf mehrere geltend gemacht. Das Urteil war gemäß § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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