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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 22.01.2003
Aktenzeichen: 4 CE 02.2966
Rechtsgebiete: GO


Vorschriften:

GO Art. 18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

4 CE 02.2966

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Zulassung eines Bürgerbegehrens (Antrag nach § 123 VwGO);

hier: Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 20. November 2002,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 4. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dillmann, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Kraft,

ohne mündliche Verhandlung am 22. Januar 2003 folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.

III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Gegenstand des Rechtsstreits ist die Sicherung eines Bürgerbegehrens.

1. Der Antragsgegner beschloss am 4. Dezember 2001 die Änderung des Flächennutzungsplans für den Bereich S****. Das Landratsamt K******* genehmigte die Darstellung der Flächen für den Bereich Lehmabbau sowie eines Gewerbegebiets östlich der Staatsstraße **** mit Bescheid vom 22. März 2002, versagte jedoch die Genehmigung im Bereich westlich der genannten Staatsstraße.

Der Gemeinderat des Antragsgegners trat dem Genehmigungsbescheid in seiner Sitzung vom 9. April 2002 bei und fasste einen Beschluss zur erneuten Auslegung der Änderung des Flächennutzungsplans unter Darstellung eines Teils der Gewerbefläche als Industriegebiet. Gleichzeitig wurde die Aufstellung des Bebauungsplans "Gewerbepark S****-Ost" beschlossen. Das Plangebiet umfasst Teilflächen der FlNrn. 545 und 548 sowie die FlNrn. 549 und 550. Vorgesehen war die Festsetzung eines Gewerbe- und eines Industriegebiets; die letztgenannte Festsetzung wurde für die beabsichtigte Errichtung eines Biomassekraftwerks sowie einer Thermolyseanlage für notwendig erachtet. Die Bekanntmachung der Genehmigung der Änderung des Flächennutzungsplans unterblieb; statt dessen wurde der Flächennutzungsplan mit der Darstellung "Gewerbegebiet und Industriegebiet" vom 26. April bis 13. Mai 2002 erneut ausgelegt.

Die Antragsteller leiteten daraufhin ab 9. Mai 2002 die Sammlung von Unterschriften für ein Bürgerbegehren ein. Sie beantragten als Vertreter des Bürgerbegehrens bzw. deren Stellvertreter am 10. Juni 2002 bei dem Antragsgegner unter Einreichung von Listen mit 972 Unterschriften die Durchführung eines Bürgerentscheids mit folgender Fragestellung:

"Sind Sie dafür, dass die Bebauungsplanung für das geplante Gewerbe-/Industriegebiet in R***/S**** auf den Grundstücken FlNrn. 545 (Teilfläche), 548 (Teilfläche), 549 und 550 - alle Gemarkung B***** - gestoppt wird und somit die Genehmigungsgrundlage für ein Biomasse-Kraftwerk und eine Thermolyse-Anlage entfällt?"

Das notwendige Quorum beträgt 252 Unterschriften; nach Feststellung des Antragsgegners sind 941 Unterschriften gültig. Ebenfalls am 10. Juni 2002 stellten die Antragsteller beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, eine Änderung der Bauleitplanung im Bereich S**** bis zur Entscheidung über das Bürgerbegehren zu verhindern (Az. RN 3 E 02.1057).

In seiner Sitzung vom 11. Juni 2002 würdigte der Marktgemeinderat des Antragsgegners die auf die Auslegung der Planentwürfe eingegangenen Anregungen und Bedenken. In getrennten Beschlüssen lehnte er die vorgesehenen Nutzungen "Biomassekraftwerk" und "Thermolyse-Kraft-Anlage" ab; diese sollten gem. § 1 Abs. 5 BauNVO als unzulässige Nutzungen ausgeschlossen werden. Außerdem werde das Verfahren zur Änderung des Flächennutzungsplans nicht fortgeführt und die Verwaltung wurde beauftragt, die Genehmigung des Landratsamtes vom 22. März 2002 unter Hinweis auf die ausgenommenen Teile ortsüblich bekannt zu machen.

Nach Bekanntmachung der Genehmigung am 12. Juni 2002 ließen die Antragsteller ihren Eilantrag für erledigt erklären und das Verwaltungsgericht stellte das Verfahren nach Zustimmung durch den Antragsgegner mit Beschluss vom 1. Juli 2002 (Az. RN 3 E 02.1057) ein.

Am 25. Juni 2002 hob der Marktgemeinderat den Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan mit den Nutzungen "Gewerbe- und Industriegebiet" vom 9. April 2002 auf. Zudem wurde durch Beschluss festgestellt, dass der Bürgerentscheid entfalle. Der Gemeinderat habe die Durchführung der mit dem Bürgerbegehren verlangten Maßnahmen durch Aufhebung des Aufstellungsbeschlusses vom 9. April 2002 sowie sein Votum vom 11. Juni 2002 selbst beschlossen. Ein Bescheid des Antragsgegners, in dem die Zulässigkeit des eingereichten Bürgerbegehrens der Antragsteller abgelehnt wurde, erging nicht.

2. Am 30. Juli 2002 beschloss der Marktgemeinderat des Antragsgegners die Aufstellung eines Bebauungsplans im Bereich der genannten Grundstücke mit der beabsichtigten Nutzung als Gewerbegebiet. Mit Aushang vom 10. Oktober 2002 gab er die Auslegung des Bebauungsplanentwurfes gemäß § 3 Abs. 2 BauGB für den Zeitraum vom 21. Oktober bis 25. November 2002 bekannt.

Am 27. August 2002 erhoben die Antragsteller Klage beim Verwaltungsgericht, um den Antragsgegner zur Zulassung des Bürgerbegehrens und zur Durchführung des Bürgerentscheids zu verurteilen (Az. RN 3 K 02.1587); das Verfahren ist noch anhängig. Am 23. Oktober 2002 beantragten die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, dem Antragsgegner die Fortführung des Verfahrens zur Aufstellung eines Bebauungsplans vor Durchführung des Bürgerbegehrens zu untersagen und ihn zur Einräumung von Veröffentlichungsmöglichkeiten im Mitteilungsblatt der Gemeinde zu verpflichten.

Das Anliegen des Bürgerbegehrens habe sich durch die gemeindlichen Beschlüsse vom 11. und 25. Juni 2002 nicht erledigt. Damit sei nur ein für die Aktualität bedeutsames Teilanliegen erfüllt worden; das Bürgerbegehren gehe aber deutlich weiter. Bei weiterer Missachtung des Bürgerwillens werde es zu einer durchgreifenden Veränderung auf dem streitgegenständlichen Gelände kommen, weil jedenfalls das alte Gutsgebäude S**** den Vorbereitungsarbeiten zur Erschließung als Gewerbegebiet zum Opfer fallen werde und damit eine wesentliche Voraussetzung für alternative Nutzungsmöglichkeiten als den bisher angedachten faktisch entfalle.

Der Antragsgegner trug vor, Ziel des Bürgerbegehrens sei ein Stopp der Bauleitplanung ,,als Grundlage für ein Biomassekraftwerk und eine Thermolyseanlage", nicht aber ein totaler Planungsaufschub gewesen. Allein unter diesen Vorzeichen seien die Unterschriften abgegeben worden.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 20. November 2002 mangels Vorliegens eines Anordnungsanspruchs abgelehnt. Im Rahmen der Interessenabwägung seien die Belange zum Schutz des kommunalen Selbstverwaltungsrechtes höher zu bewerten, weil das Bürgerbegehren durch die Beschlüsse des Antragsgegners vom 11. und 25. Juni 2002 unzulässig geworden sei und zum jetzigen Zeitpunkt keinen vollzugsfähigen Inhalt mehr habe. Wortlaut und Begründung des eingereichten Bürgerbegehrens ließen zweifelsfrei die Absicht der Verhinderung des geplantes Biomassekraftwerks und einer Thermolyseanlage durch einen Stopp bei der Schaffung der entsprechenden planungsrechtlichen Voraussetzungen erkennen. Die nunmehrige Behauptung der Antragstellerseite, Ziel des Bürgerbegehrens sei es in erster Linie die Verhinderung jeglicher Änderung der planungsrechtlichen Situation im Bereich des Gutes S**** gewesen, wobei die zeitweise vorhandenen Planungen für die Errichtung eines Biomassekraftwerkes und einer Thermolyseanlage nur als Anlass gedient hätten, könne nicht überzeugen.

Mit der Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Begehren unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens weiter. Sie beantragen,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben und dem Antrag der Antragsteller stattzugeben.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.

II.

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht den Erlass einer Sicherungsanordnung abgelehnt, weil sich das eingeleitete Bürgerbegehren thematisch auf die Verhinderung der Schaffung planerischer Grundlagen für die Errichtung einer Thermolyseanlage und eines Biomassekraftwerks beschränkt hat und diesem Anliegen durch die Beschlüsse des Antragsgegners vom 11. und 25. Juni 2002 Rechnung getragen worden ist.

a) Die dem Bürgerbegehren zugrundeliegende Fragestellung beinhaltet sprachlich einen untrennbaren Zusammenhang zwischen der zur Abstimmung gestellten Unterbrechung des laufenden Bauleitplanverfahrens und dem damit verfolgten Ziel der Verhinderung der genannten Anlagen. Die Konjunktion "somit" verknüpft den beabsichtigten Stopp der Bauleitplanung mit den zukünftigen planungsrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen von Biomassekraftwerk und Thermolyseanlage. Diese Verbindung von Mittel und Zweck war für den Leser der Fragestellung und Unterzeichner des Bürgerbegehrens angesichts des Stands der kommunalpolitischen Willensbildung im Zeitpunkt der Einleitung des Bürgerbegehrens auch naheliegend: Mit den am 9. April 2002 gefassten Beschlüssen hatte der Antragsgegner das Planungsziel einer projektbezogenen Bauleitplanung verfolgt und die beiden Anlagen konkret bei der Ausgestaltung der beabsichtigten Darstellungen und Festsetzungen in den Blick genommen.

Der Begründungstext des Bürgerbegehrens stützt den gewonnenen Auslegungsbefund zusätzlich. Die Ausführungen zu den konkret angestrebten Technologien ("Energierückgewinnung", "Verwertung von Biomasse") und deren Risiken und Zukunftsauswirkungen im Vorwort, die Hinweise zur Planungssituation und die Zielbeschreibung des Bürgerbegehrens belegen die Absicht, die Errichtung eines Kraftwerks und einer Verschwelungsanlage auf dem Wege des Stopps der Bauleitplanung zu verhindern. Das hat das Verwaltungsgericht einleuchtend begründet; insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.

Die den Anlagenbezug leugnende Beschwerdebegründung vermag demgegenüber nicht zu überzeugen. Die von der Antragstellerseite vertretene Aufspaltung der Fragestellung in einen allein zur Abstimmung gestellten Stopp der Bauleitplanung unter Ausblendung des zweiten Halbsatzes als lediglich "notwendiger Konsequenz" eines zustimmenden Votums wird dem in objektiver Auslegung gewonnenen Anliegen des Bürgerbegehrens nicht gerecht. Die Beschwerde verfehlt mit ihrer Wiedergabe der Motive und Stimmungen unter den Initiatoren und Unterstützern des Bürgerbegehrens sowie den mündlichen Erläuterungen gegenüber Vertretern des Antragsgegners und der Bürgerschaft die entscheidende Auslegungsperspektive. Maßgeblich für die Ermittlung des Inhalts der Fragestellung ist nicht die subjektive, im Laufe des Verfahrens erläuterte Vorstellung der Initiatoren von Sinn, Zweck und Inhalt des Bürgerbegehrens, sondern nur dessen objektiver Erklärungsinhalt, wie er in der Formulierung und Begründung der Frage zum Ausdruck gebracht und von den Unterzeichnern verstanden werden konnte und musste (BayVGH vom 19.2.1997, VGH n.F. 50, 42/45 = BayVBl. 1997, 276/277). Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs treten die in der Beschwerdebegründung hervorgehobenen allgemeinen, nicht anlagenbezogenen Aspekte der Begründung des Bürgerbegehrens in den Hintergrund.

b) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass der Marktgemeinderat des Antragsgegners durch seine Beschlüsse vom 11. und 25. Juni 2002 dem oben beschriebenen Anliegen des Bürgerbegehrens voll und ganz nachgekommen ist. Die projektbezogene Bauleitplanung wurde aufgegeben und wird auch in dem neu eingeleiteten Bauleitplanverfahren für ein Gewerbegebiet nicht weiter verfolgt, so dass das Ziel des Bürgerbegehrens erreicht ist und ein Bürgerentscheid entfällt (Art. 18 Abs. 14 GO; BayVGH vom 22.3.1999, BayVBl. 1999, 439/440). Nachdem das Bürgerbegehren infolge Erledigung unzulässig geworden ist, können die Antragsteller keine Veröffentlichungsmöglichkeiten mehr beanspruchen. Auch kommt es auf das Fehlen der Antragsbefugnis der Antragsteller zu 2), 5) und 6), die nur als Stellvertreter der Vertreter des Bürgerbegehrens benannt waren, nicht mehr an (vgl. Art. 18a Abs. 4 Satz 2 GO; BayVGH vom 10.3.1999, Az. 4 B 98.1349).

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 i.V.m. § 159 Satz 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1, § 14 Abs. 1, § 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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