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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 15.06.2005
Aktenzeichen: 4 N 03.1045
Rechtsgebiete: GG, VwGO, BestG


Vorschriften:

GG Art. 12
VwGO § 47 Abs. 2
BestG Art. 17
1. Ein Normenkontrollantrag gegen eine geänderte Rechtsvorschrift ist nach Ablauf der Antragsfrist hinsichtlich ihrer ursprünglichen Fassung unzulässig, wenn die Änderung rein redaktioneller Natur ist, ohne den materiellen Gehalt und Anwendungsbereich der Norm zu modifizieren; eine darüber hinausgehende Prüfung, ob der Antragsteller durch die Änderung zusätzlich beschwert wird (so BayVGH, U.v. 2.10.2001 - 23 N 01.723, BayVBl. 2002, 532), scheidet aus.

2. Der uneingeschränkte Zwang zur Benutzung eines gemeindlichen Leichenhauses ist unverhältnismäßig und verletzt die Berufsfreiheit privater Bestattungsunternehmer.


Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

4 N 03.1045 In der Normenkontrollsache

wegen Unwirksamkeitserklärung einzelner Bestimmungen der Verordnung über das Bestattungswesen des Marktes Oberstaufen;

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 4. Senat,

durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Motyl den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Kraft,

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 15. Juni 2005

am 15. Juni 2005

folgendes Urteil:

Tenor:

I. § 2 Abs. 3 Sätze 1 und 2 sowie § 6 Abs. 2 der Bestattungsverordnung des Antragsgegners in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Februar 2003 werden für unwirksam erklärt. Im übrigen wird der Antrag abgelehnt.

II. Der Antragsgegner trägt zwei Drittel, der Antragsteller ein Drittel der Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Antragsteller, ein Bestattungsunternehmer, wendet sich mit seinem am 23. April 2003 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Normenkontrollantrag gegen Vorschriften der Bestattungsverordnung des Antragsgegners in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Februar 2003 sowie die inhaltlich entsprechenden Vorschriften der vorhergehenden Fassung der Verordnung vom 29. Dezember 2000.

Die Bestattungsverordnung des Antragsgegners vom 29. Dezember 2000 enthielt u.a. folgende Bestimmungen:

§ 2 Leichenbesorgung und Überführung in ein Leichenhaus

(1) und (2) ...

(3) Jede Leiche aus dem Gemeindegebiet muss nach der Leichenschau und Einsargung, möglichst innerhalb 24 Stunden, in das gemeindliche Leichenhaus verbracht werden, soweit dies nach den sonstigen Rechtsvorschriften zulässig ist. Die öffentliche Aufbahrung in Privathäusern am Sterbeort ist nicht gestattet.

§ 4 Aufbahrung

(1) Verstorbene dürfen in der Regel nur in dem gemeindlichen Leichenhaus aufgebahrt werden.

§ 6 Ausnahmen

In besonders begründeten Fällen können Ausnahmen zugelassen werden von

1. ...

2. den Vorgaben nach § 2 Abs. 3 Satz 1;

3.-5. ...

Ein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung besteht nicht.

§ 7 Ordnungswidrigkeiten

Nach Art, 18 Abs. 1 Nr. 13 BestG kann mit Geldbuße belegt werden, wer

1. ...

2. Entgegen § 2 Abs. 3 den Leichnam nicht fristgerecht in das Leichenhaus bringt;

3. - 5. ...

6. Entgegen § 4 Abs. 1 die Aufbahrung eines Verstorbenen nicht in dem gemeindlichen Leichenhaus vornimmt oder vornehmen lässt;

7.-9. ...

In § 1 der Änderungsverordnung vom 26. Februar 2003 wurden u.a. § 2 Abs. 3 und § 6 der Verordnung vom 29. Dezember 2000 neu gefasst und ein daran anknüpfender Ordnungswidrigkeitentatbestand geschaffen (§ 7 Nr. 10). Diese Vorschriften der unter dem 26. Februar 2003 neu bekannt gemachten Verordnung lauten nunmehr wie folgt:

§ 2 Leichenbesorgung und Überführung in ein Leichenhaus

(1) und (2) ...

(3) Jede Leiche aus dem Gemeindegebiet muss nach der Leichenschau und Einsargung, in das gemeindliche Leichenhaus verbracht werden. Dies gilt auch dann, wenn die Leiche vom Sterbeort nach auswärts transportiert werden soll. Bei Bestattungen im Gemeindegebiet ist die Leiche spätestens 24 Stunden vor Beisetzung in das gemeindliche Leichenhaus zu überführen. Die öffentliche Aufbahrung in Privathäusern am Sterbeort ist nicht gestattet.

§ 6 Ausnahmen, Anordnungen, Zwangsmittel

(1) ...

(2) Vom Leichenhauszwang bei Überführung nach auswärts wird befreit, wenn

a) nachgewiesen wird, dass die Leiche in ein Leichenhaus transportiert wird, die den gesetzlichen Mindestanforderungen genügt,

b) die Überführung vom Sterbeort nach auswärts unmittelbar (d.h. bis 48 Stunden nach Eintritt des Todes) bevorsteht und

c) die Erfüllung der gemeindlichen Überwachungsaufgaben sichergestellt ist.

(3) Eine Befreiung nach Abs. 1 und 2 bedarf der gemeindlichen Genehmigung.

§ 7 Ordnungswidrigkeiten

Nach Art. 18 Abs. 1 Nr. 13 BestG kann mit Geldbuße belegt werden, wer

1.-9. ...

10. Entgegen § 6 Abs. 2 und 3 ohne Erlaubnis oder Zustimmung eine Leiche nach auswärts überführt oder gegen Auflagen im Genehmigungsbescheid verstößt.

Der Antragsteller begründet seinen Normenkontrollantrag damit, dass sein nicht in dem Gemeindegebiet des Antragsgegners ansässiges Bestattungsunternehmen immer wieder auch in dessen Sprengel tätig werde, u.a. bei der Überführung von Leichen aus der S.klinik. Gegen ihn seien mehrere Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Verstoßes gegen den Zwang der Leichenhausbenutzung anhängig. Mit Bescheid vom 4. Dezember 2003 habe ihm der Antragsgegner untersagt, Leichenüberführungen ohne Genehmigung durchzuführen; die Anordnung sei noch nicht bestandskräftig. Der innerhalb der Zwei-Jahres-Frist nach Bekanntmachung der Verordnung gestellte Antrag sei begründet, da die Voraussetzungen für die Überführung und Bestattung im Bestattungsgesetz, der Bestattungsverordnung und dem Personenstandsgesetz abschließend geregelt seien. Der vom Antragsgegner angeordnete Benutzungszwang werde davon nicht gedeckt und verstoße gegen seine Berufsfreiheit. Belangen des Gesundheitsschutzes würden auch private Leichenhallen gerecht. Erst recht müsse die Überführung in andere gemeindliche Leichenhallen zulässig sein; rein fiskalische Gründe rechtfertigten den Benutzungszwang nicht.

Der Antragsteller beantragt,

die §§ 2 Abs. 3, 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 und 3, 7 Nrn. 2, 6 und 10 der Verordnung über das Bestattungswesen des Antragsgegners in der Neufassung vom 26. Februar 2003 und die inhaltlich entsprechenden Regelungen in den vorhergehenden Fassungen für unwirksam zu erklären.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antrag sei zumindest teilweise infolge Verfristung unzulässig. Soweit die Neubekanntmachung der Verordnung keine inhaltlichen Veränderungen enthalte, laufe die Antragsfrist nicht erneut an. § 2 Abs. 3 Satz 2 BestV enthalte nur eine Präzisierung und der an die Stelle des früheren § 6 Nr. 2 tretende § 6 Abs. 2 BestV bewirke mit dem nunmehr eingeräumten Rechtsanspruch eine Verbesserung für den Antragsteller. Der Antragsgegner sei im Gemeindegebiet der einzige Anbieter, der auf dem Friedhof über ein Leichenhaus mit Kühlvorrichtung verfüge. Der Benutzungszwang sei verhältnismäßig, da die Großstädte betreffende Judikatur des Bayer. Verfassungsgerichtshofs nicht auf eine Gemeinde der Größe des Antragsgegners übertragen werden könne. Die Erfüllung der bestattungsrechtlichen Überwachungsaufgaben müsse sichergestellt sein.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der nur teilweise zulässige Normenkontrollantrag ist zum Teil begründet. § 2 Abs. 3 Sätze 1 und 2 sowie § 6 Abs. 2 der Bestattungsverordnung des Antragsgegners in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Februar 2003 (i.F.: BestV 2003) sind infolge Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz weder mit Art. 17 Abs. 1 BestG noch mit Art. 12 GG unvereinbar.

I.

Der Antragsteller hat die § 2 Abs. 3, § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 2 und 3, § 7 Nrn. 2, 6 und 10 der Bestattungsverordnung des Antragsgegners in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Februar 2003 "sowie die diesen inhaltlich entsprechenden Regelungen in den vorhergehenden Fassungen" zur Überprüfung durch das Normenkontrollgericht gestellt. Dieser Antrag ist nur teilweise zulässig.

1. Hinsichtlich der mit § 7 BestV angegriffenen Ordnungswidrigkeitentatbestände fehlt es bereits an einer Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs. Der Verwaltungsgerichtshof ist gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. Art. 5 Satz 1 AGVwGO nur "im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit" zur Primärkontrolle untergesetzlichen Landesrechts berufen; d.h. aus der Anwendung der angegriffenen Regelungen müssen sich Rechtsstreitigkeiten ergeben können, für die der Verwaltungsrechtsweg i.S. des § 40 VwGO eröffnet ist. Das ist bei Vorschriften rein ordnungswidrigkeitsrechtlichen Inhalts nicht der Fall, weil gegen die darauf gestützten Bußgeldbescheide gemäß § 68 OWiG allein die ordentlichen Gerichte angerufen werden können (BVerwG, B.v. 27.7.1995 - 7 NB 1.95, BVerwGE 99, 88/90).

2. a) Soweit der Normenkontrollantrag auch die "den angegriffenen Vorschriften inhaltlich entsprechenden Regelungen in den vorhergehenden Fassungen" der Bestattungsverordnung erfasst, ist dieser Teil des Antrags - unabhängig von der Frage ausreichender Bestimmtheit - verfristet. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO verlangt in der seit 1. Januar 1997 geltenden Fassung (Art. 1 Nr. 2a des 6. VwGOÄndG vom 1.11.1996, BGBl. I S. 1626), dass der Normenkontrollantrag "innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift" gestellt wird. Maßgeblich ist die Bekanntmachung derjenigen konkreten Einzelnorm, durch die oder deren Anwendung der Antragsteller sich in seinen Rechten verletzt sieht. Die ursprüngliche Bestattungsverordnung des Antragsgegners vom 29. Dezember 2000 (i.F.: BestV 2000) ist am gleichen Tag bekannt gemacht worden, so dass die Antragsfrist bei Eingang des Normenkontrollantrags am 23. April 2003 abgelaufen war.

b) Auch hinsichtlich des angegriffenen § 4 Abs. 1 BestV 2003 ist der Antrag verfristet. Die "Bekanntmachung der Neufassung der Verordnung über das Bestattungswesen im Markt Oberstaufen vom 26.02.2003", die der Antragsgegner aus Anlass der Ersten Änderungsverordnung vom gleichen Tag veranlasst hat, ändert an diesem Ergebnis nichts. Die den § 4 Abs. 1 BestV 2000 nicht berührende Änderungsverordnung hat die Antragsfrist nicht etwa hinsichtlich der gesamten Verordnung einschließlich der unverändert gebliebenen Vorschriften neu in Gang gesetzt, sondern nur hinsichtlich der modifizierten und neu eingefügten Regelungen (BVerwG, U.v. 21.1.2004 - 8 CN 1.02, NVwZ 2004, 620; BayVGH, B.v. 31.3.2005 - 4 N 03.3086 <juris>). Die Neubekanntmachung einer Verordnung ist - wie die Neubekanntmachung eines formellen Gesetzes - kein erneuter konstitutiver Rechtssetzungsakt, sondern lediglich eine deklaratorische Feststellung des Verordnungstextes im Interesse der Klarheit und Übersichtlichkeit, die deren Identität und den rechtlich erheblichen Normtext nicht berührt, auch wenn die Staatspraxis die Norm nunmehr mit dem Datum ihrer Neubekanntmachung bezeichnet (vgl. H. Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, Rdnrn. 684 ff.; Bauer in: Dreier, Grundgesetz-Kommentar, 1998, Art. 82 RdNr. 19 m.w.N.). Die Neubekanntmachung kann daher grundsätzlich nicht selbstständig angegriffen werden und vermag auch die Frist für einen Normenkontrollantrag nicht erneut auszulösen. Allein diese Sichtweise entspricht dem mit der Einführung der Antragsfrist verfolgten gesetzgeberischen Zweck, Beeinträchtigungen der Rechtssicherheit jedenfalls mit Blick auf die prinzipale Normenkontrolle entgegenzuwirken, die sich durch Angriffe gegen Rechtsvorschriften ergeben, die bereits seit langem praktiziert worden sind und auf deren Rechtsgültigkeit sowohl die zuständigen Behörden als auch die berührten Bürger vertraut haben (BayVGH, B.v. 31.3.2005 - 4 N 03.3086 mit Hinweis auf BT-Drs 13/3993 S. 10).

Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich die Neubekanntmachung aufgrund des veröffentlichten Normtexts als ein Akt darstellt, welcher der angegriffenen Vorschrift konstitutiv Geltung verschaffen soll (vgl. BVerwG, U.v. 21.1.2004 a.a.O.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier indes nicht vor: Die Neubekanntmachung der Bestattungsverordnung vom 26. Februar 2003 hat den § 4 Abs. 1 nicht erneut in Kraft gesetzt. Schon aus ihrer Einleitung geht hervor, dass nicht etwa unter Aufhebung der Bestattungsverordnung vom 29. Dezember 2000 für die Zukunft neues Verordnungsrecht geschaffen, sondern lediglich der gegenwärtig maßgebliche Wortlaut der unverändert fortgeltenden Verordnung unter Berücksichtigung der Ersten Änderungsverordnung veröffentlicht werden sollte. Dementsprechend verweist die Fußnote zu § 8 BestV auf das Inkrafttreten der Verordnung in der ursprünglichen Fassung vom 29. Dezember 2000. Daher beruht die Geltungswirkung des § 4 Abs. 1 BestV ausschließlich auf der Verordnung vom 29. Dezember 2000.

3. Zulässig ist der Normenkontrollantrag hinsichtlich der angegriffenen § 2 Abs. 3 Sätze 1 - 3, § 6 Abs. 2 und 3 BestV 2003. Diese Vorschriften, die den Antragsteller in isolierter Betrachtung potentiell belasten, hat der Verordnungsgeber in § 1 Abs. 1 und 3 der Änderungsverordnung vom gleichen Tag neu gefasst und ihnen damit konstitutiv Geltung verschafft. Das reicht im vorliegenden Fall - entgegen der Auffassung des Antragsgegners sowie des Vertreters des öffentlichen Interesses - für die (erneute) Auslösung der Antragsfrist und die Bejahung der Antragsbefugnis mit Blick auf Art. 12 GG aus.

Der erkennende Senat erachtet eine darüber hinaus gehende, intertemporal vergleichende Betrachtung, ob der Antragsteller durch die geänderte Fassung der angegriffenen Norm materiell zusätzlich beschwert wird, nur in eingeschränktem Umfang für zulässig. Die vom 23. Senat des Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 2.10.2001 - 23 N 01.723, BayVBl. 2002, 532) für diese Auffassung herangezogene verfassungsprozessrechtliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 93 Abs. 3 BVerfGG (Antragsfrist für die Rechtssatzverfassungsbeschwerde) rechtfertigt jedenfalls keine intensive Vergleichsbetrachtung des Rechtszustands vor und nach der Änderung, sondern nur eine Abschichtung der Fälle rein redaktioneller Änderungen ohne Modifikation des materiellen Gehalts und Anwendungsbereichs der Norm (BVerfG, B.v. 7.2.1961 - 2 BvR 23/61, BVerfGE 12, 139/141; U.v. 24.3.1981 - 1 BvR 1516/78 u.a., BVerfGE 56, 363/380; so auch zu § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO: OVG Brandenburg, U.v. 27.6.2002 - 1 D 24/01.NE, LKV 2003, 89; OVG Lüneburg, B.v. 24.11.2003 - 2 MN 334/03 <juris>). Über eine so verstandene Ausschlussprüfung hinauszugehen verbietet sich auch angesichts des Zwecks des Normenkontrollverfahrens gemäß § 47 VwGO, aufgetretene Zweifel an der Gültigkeit von Landesrecht im Range unter dem förmlichen Gesetz im Interesse einheitlicher Rechtsanwendung durch den Verwaltungsgerichtshof möglichst bald einer allgemein verbindlichen Entscheidung zuführen zu können (BVerwG, B.v. 14.7.1978 - 7 N 1.78, BVerwGE 56, 172/178 m.w.N.). Diese vom Gesetzgeber beabsichtigte Entlastungswirkung wird angesichts der im übrigen unbeschränkten inzidenten Normprüfung und -verwerfung aller Gerichte im Rahmen anderer Prozesse umso weniger erreicht, je enger die Zulässigkeitsschranken des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gehandhabt werden. Nachdem die Neufassung des § 2 Abs. 3 S. 1 - 3 und des § 6 Abs. 2 und 3 BestV durch die Erste Änderungsverordnung vom 26. Februar 2003 über eine rein redaktionelle Änderung hinausgeht, ist der Antrag hinsichtlich dieser Bestimmungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Februar 2003 zulässig.

Demgegenüber wurde der Normtext des § 2 Abs. 3 S. 4 BestV 2003, wonach die öffentliche Aufbahrung in Privathäusern am Sterbeort nicht gestattet ist, aus der ursprünglichen Fassung der Verordnung vom 29. Dezember 2000 wortgleich übernommen (= § 2 Abs. 3 S. 2 BestV 2000). Anwendungsbereich und materieller Gehalt der Vorschrift sind unverändert geblieben, so dass sich der Antrag insoweit als unzulässig erweist.

II.

In dem zulässigen Umfang hat der Antrag nur teilweise Erfolg. § 2 Abs. 3 Sätze 1 und 2 sowie § 6 Abs. 2 der Bestattungsverordnung des Antragsgegners in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Februar 2003 sind weder mit Art. 17 Abs. 1 BestG noch mit Art. 12 GG infolge Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu vereinbaren; im übrigen ist der Antrag unbegründet.

1. a) § 2 Abs. 3 Sätze 1 und 2 BestV 2003, wonach jede Leiche aus dem Gemeindegebiet nach der Leichenschau und Einsargung in das gemeindliche Leichenhaus verbracht werden muss und dies auch dann gilt, wenn die Leiche vom Sterbeort nach auswärts verbracht werden soll, ist weder mit der Ermächtigungsgrundlage des Art. 17 Abs. 1 BestG noch mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Die auf Art. 17 Abs. 1 BestG gestützten Bestimmungen berühren das durch Art. 12 GG gewährleistete Grundrecht der Berufsfreiheit der privaten Bestattungsunternehmer (vgl. VGH Kassel, U.v. 28.10.1987 - 5 N 2733/84, NVwZ 1988, 847/848 ff.; OVG Weimar, B.v. 12.8.1997 - 2 N 67/96, NVwZ 1998, 871/ 872). Bei der Normierung von Berufsausübungsregelungen durch Gesetz, wozu auch auf gesetzlicher Grundlage erlassene Rechtsverordnungen einer Gemeinde zählen, ist die Regelungsbefugnis des Normgebers nicht unbegrenzt. Er ist insbesondere an den verfassungsimmanenten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden, der in Art. 17 Abs. 1 BestG zudem nochmals vom Gesetzgeber besonders hervorgehoben worden ist ("Soweit ... erforderlich ...").

Diesen Vorgaben werden die angegriffene Regelungen des § 2 Abs. 3 Sätze 1 und 2 der Verordnung nicht gerecht. Der Schutz der Gesundheit stellt bestimmte bauliche Anforderungen an Leichenhallen, auf deren Erfüllung bei Erteilung der Baugenehmigung hingewirkt werden kann und die Leichenräume privater Bestattungsunternehmer ebenso erfüllen können wie die Räume in gemeindlichen Friedhöfen (vgl. VGH Kassel, U.v. 28.10.1987 a.a.O.; OVG Weimar, B.v. 12.8.1997 a.a.O.). Die verhaltensbezogenen Anforderungen beim Betrieb von Leichenhallen sowie im Umgang mit Leichen können ebenfalls von gewerblichen Bestattungsunternehmern in gleicher Weise wie von der öffentlichen Hand erfüllt und mit dem Instrumentarium des Bestatungs- (Art. 14 BestG) bzw. des Gewerberechts (§ 35 GewO) überwacht und durchgesetzt werden. Das Anliegen des Gesundheitsschutzes rechtfertigt demzufolge kein Verwaltungsmonopol der Leichenaufbewahrung in kommunaler Eigenregie und den dadurch bewirkten Ausschluss privater Bestattungsunternehmer von der Aufbewahrung von Leichen in eigenen Leichenräumen (so zum Maßstab des Art. 101 BV: BayVerfGH, E.v. 19.4.2002 - Vf. 9-VII-00, VerfGH 55, 66/70 ff.; E.v. 23.12.2004 - Vf. 6-VII-03, BayVBl. 2005, 237/238 ff.).

Der in der Anordnung des abstrakt-generellen Benutzungszwangs liegende Verstoß des Verordnungsgebers gegen das Übermaßverbot wird nicht dadurch beseitigt, dass § 6 Abs. 2 BestV 2003 bei Überführung nach auswärts die Erteilung einer Befreiung vom Leichenhauszwang ermöglicht, wenn die dort aufgezählten Voraussetzungen vorliegen. Zwar mildert ein vom Normgeber vorgesehener Ausnahme- und Befreiungstatbestand im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Schwere des generellen Verbots als Eingriff ab, macht diesen aber nicht gleichsam automatisch verhältnismäßig (vgl. BayVerfGH, E.v. 23.12.2004, a.a.O. S. 240). Der bei Anordnung des Benutzungszwangs mit partieller Befreiungsmöglichkeit zwischengeschaltete Verfahrensvorbehalt, der die behördliche Überwachung privater Unternehmer von der rein repressiven auf die präventive Kontrolle vorverlagert, bewirkt eine selbständige Belastung der Grundrechtsträger, die der Rechtfertigung bedarf. Auch dafür reichen die von Art. 17 Abs. 1 BestG genannten öffentlichen Gemeinwohlbelange nicht aus; denn es ist nicht ersichtlich, dass gerade die Überführung von Leichen durch private Bestatter einer gesteigerten Überwachung in Form eines präventiven Verbots mit Erlaubnis- bzw. Befreiungsvorbehalts bedürfe; dafür wurde von dem Antragsgegner auch nichts vorgetragen. Rein fiskalische Erwägungen allein vermögen den Benutzungszwang jedoch nicht zu rechtfertigen.

Der Verstoß gegen das Übermaßverbot wird auch nicht dadurch infrage gestellt, dass im Gemeindegebiet neben dem gemeindlichen Leichenhaus (noch) keine kühlbaren und damit für eine längere Aufbewahrung von Leichen geeigneten Räume vorhanden sind. Die zur gerichtlichen Prüfung gestellten Regelungen wirken auch zulasten von Bestattungsunternehmern aus anderen Orten und erweisen sich schon deshalb in objektiver Sicht als unverhältnismäßig. Das reicht für die Unwirksamkeitserklärung des § 2 Abs. 3 S. 1 und 2 der BestV 2003 gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO aus.

b) Von der Unwirksamkeit dieser Vorschriften wird auch die Befreiungsregelung des § 6 Abs. 2 BestV erfasst. Sie steht in untrennbarem systematischen Zusammenhang mit der generellen Anordnung des Benutzungszwangs für das gemeindliche Leichenhaus und ist isoliert nicht aufrechtzuerhalten.

2. Im übrigen ist der Normenkontrollantrag unbegründet.

a) Der ebenfalls angegriffene § 2 Abs. 3 Satz 3 BestV 2003, wonach bei Bestattungen im Gemeindegebiet die Leiche spätestens 24 Stunden vor Beisetzung in das gemeindliche Leichenhaus zu überführen ist, begegnet keinen Bedenken. Insoweit rechtfertigt die dem Antragsgegner obliegende Aufgabe der Überwachung gemäß Art. 14 BestG einen Benutzungszwang für einen abschließenden Zeitraum vor der Bestattung, um die Einhaltung der bestattungsrechtlichen Anforderungen wirksam überwachen zu können (BayVerfGH, E.v. 23.12.2004, a.a.O. S. 238 und 239).

b) Schließlich bleibt der Antrag auch hinsichtlich des § 6 Abs. 3 BestV 2003 ohne Erfolg. Diese Vorschrift, derzufolge eine Befreiung nach Abs. 1 und 2 der gemeindlichen Genehmigung bedarf, behält mit Blick auf die Befreiungsregelung des § 6 Abs. 1 BestV einen Anwendungsbereich und ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Nachdem auch die Gemeinde gemäß Art. 14 BestG eine Überwachungskompetenz hat, begegnet die Statuierung eines Mitwirkungserfordernisses keinen Bedenken.

3. Daher waren § 2 Abs. 3 Sätze 1 und 2 sowie § 6 Abs. 2 der Bestattungsverordnung des Antragsgegners in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Februar 2003 für unwirksam zu erklären; der Antragsgegner hat die Entscheidungsformel in derselben Weise zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekannt zu machen wäre (§ 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 15.000 Euro festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 1 GKG in der vor dem 1. Juli 2004 geltenden Fassung i.V.m. § 72 Nr. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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