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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 06.12.2005
Aktenzeichen: 5 BV 04.1561
Rechtsgebiete: StAG, StGB, BZRG


Vorschriften:

StAG § 8
StAG § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5
StAG § 12a Abs. 1 Satz 2
StGB § 63
BZRG § 49
BZRG § 51
Das Einbürgerungshindernis der Verurteilung wegen einer Straftat (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG) erfasst auch eine strafgerichtlich wegen Schuldunfähigkeit angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

5 BV 04.1561

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Einbürgerung;

hier: Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 21. April 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 5. Senat,

durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Hüffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Kraft, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz,

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 30. November 2005

am 6. Dezember 2005

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 21. April 2004 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Beklagte hält der vom Kläger begehrten Einbürgerung dessen frühere Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Maßnahme der Besserung und Sicherung) als Verurteilung wegen einer Straftat entgegen.

Der Kläger, ein am 19. Mai 1971 geborener türkischer Staatsangehöriger, beantragte am 4. Januar 2001 seine Einbürgerung. Dabei wurde bekannt, dass mit Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12. Februar 1998 seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet worden war. Zugrunde lag der Tatbestand eines versuchten Totschlages, von dem der Kläger freiwillig zurückgetreten war, so dass sein Verhalten als gefährliche Körperverletzung (§§ 223, 223a StGB) zu beurteilen war. Der Kläger konnte für diese Tat nicht bestraft werden, weil er zum Tatzeitpunkt an einer krankhaften seelischen Störung gemäß § 20 StGB litt, wodurch seine Schuldfähigkeit aufgehoben war; auf die Entscheidungsgründe des in den Akten befindlichen Urteils wird Bezug genommen. Am 8. Januar 1999 wurde der Kläger aus dem Krankenhaus entlassen. Die angeordnete Führungsaufsicht endete vorzeitig am 23. Oktober 2002.

Mit Bescheid vom 17. März 2003 lehnte das Landratsamt Aschaffenburg den Einbürgerungsantrag ab. Dem Einbürgerungsanspruch des Klägers stehe die Verurteilung wegen einer Straftat gem. § 85 Abs. 1 Nr. 5 AusIG entgegen. Gemäß § 88 Abs. 1 Satz 2 AuslG sei nach Ermessen zu beurteilen, ob die angeordnete Maßregel außer Betracht bleiben könne. Dabei seien insbesondere die Schwere der Tat, die Persönlichkeit des Täters, die von ihm ausgegangene Gefahr sowie die Dauer der tatsächlichen Unterbringung zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall sei die Maßregel von nicht geringem Gewicht. Trotz der günstigen Sozialprognose könne nicht über sie hinweggesehen werden; denn der Kläger sei weiterhin auf Medikamente angewiesen. Vor der Tat habe er diese abgesetzt, so dass auch jetzt noch keine endgültige Sicherheit gegeben sei. Solange die Eintragung im Bundeszentralregister bestehe, könne dem Einbürgerungsantrag nicht stattgegeben werden. Da für die Maßregeln keine Tilgungsfristen vorgesehen seien, könne die Anordnung der Tilgung gem. § 49 BZRG beantragt werden. Erst nach der Tilgung würde die Vermutung bestehen, dass von dem Kläger keine Gefahr mehr ausgehe. Auch eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG komme nicht in Betracht.

Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Regierung von Unterfranken mit Widerspruchsbescheid vom 3. September 2003 zurück. Straftat i.S. des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AuslG sei jedes mit Strafe bedrohte Handeln oder Unterlassen. Eine Einbürgerung gem. § 88 Abs. 1 Satz 2 AuslG komme nicht in Betracht. In der Abwägung zwischen den privaten und öffentlichen Interessen sei zu berücksichtigen, dass unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen (regelmäßige Medikation mit Haldol, stabiles soziales Umfeld) nicht von einer konkreten Wiederholungsgefahr auszugehen sei. Zulasten des Klägers wirke sich das besondere Gewicht des von ihm verwirklichten Tatbestandes sowie die lange Aufenthaltsdauer in der geschlossenen psychiatrischen Einrichtung aus. Es verbleibe ein nicht zu unterschätzendes Restrisiko eines Rückfalls, dessen Maß mit der zuverlässigen und regelmäßigen Einnahme psychotroper Medikamente korreliere. In Anbetracht der bei einem Rückfall möglichen Gefährdung für die Allgemeinheit erweise sich das öffentliche Interesse als vorrangig. Mit ausschlaggebend sei auch der Umstand, dass die Maßregel im Bundeszentralregister noch nicht getilgt sei, so dass dem Einbürgerungsantrag nicht stattgegeben werden könne.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 21. April 2004 unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger eine Einbürgerungszusicherung zu erteilen (InfAuslR 2004, 311). Den Entscheidungsgründen ist zu entnehmen, dass die angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als Maßnahme der Besserung und Sicherung nach der grammatikalischen Auslegung nicht als Verurteilung wegen einer Straftat angesehen werden könne. Grundlage der Strafbarkeit sei Verschulden; Schuldunfähigkeit schließe die Strafbarkeit aus. Der Kläger sei nicht verurteilt worden; denn Maßnahmen der Besserung und Sicherung seien keine Strafen. Eine davon abweichende Auslegung scheide wegen des eindeutigen Wortsinns des Strafgesetzbuchs, der durch den Sprachgebrauch im Bundeszentralregistergesetz gestützt werde, aus. Demzufolge sei auch der Anwendungsbereich des § 88 Abs. 1 Satz 2 AuslG nicht eröffnet und eine Ermessensentscheidung komme nicht in Betracht. Die seelische Erkrankung des Klägers könne im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als behoben angesehen werden. Andernfalls käme eine Einbürgerung mangels wirksamen Einbürgerungsantrags nicht in Betracht. Das Verwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen.

Mit der Berufung macht der Beklagte geltend, dass der Kläger entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts verurteilt worden sei. Durch Urteilsspruch (§ 267 Abs. 6 StPO) sei eine Maßregel der Sicherung und Besserung als andere Rechtsfolge der Tat angeordnet worden. Von einem eindeutigen Wortsinn könne folglich nicht gesprochen werden. Darüber hinaus habe das Verwaltungsgericht verkannt, dass der Begriff der Verurteilung i.S. des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AuslG weiter greife als das strafrechtliche Verständnis. Nach Sinn und Zweck des Staatsangehörigkeitsrechts gehe es bei den Einbürgerungsvoraussetzungen nicht um einen Schuldvorwurf oder eine zusätzliche Bestrafung. Vielmehr sollten solche Personen von dem deutschen Staatsverband ausgeschlossen werden, die objektiv wichtige geschützte Rechtsgüter erheblich verletzten. Von dieser Sachlage sei gemäß § 63 StGB bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auszugehen. Auch das Bundesministerium des Inneren vertrete in seinem Schreiben vom 28. Februar 1995 die Auffassung, dass aus teleologischen Gründen die Anordnung einer Maßnahme der Sicherung und Besserung unter § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AuslG zu subsumieren sei; auf den Inhalt des genannten Schreibens wird Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Auffassung des Beklagten, der Begriff der Verurteilung i.S. des § 85 AuslG sei weiter zu fassen als im Strafrecht, finde weder im Wortlaut noch in der Systematik des Gesetzes eine Stütze. Der Begriff der Straftat impliziere eine Schuldfeststellung, die hier jedoch fehle. Eine planwidrige Regelungslücke als Voraussetzung einer Analogie liege nicht vor, da der Gesetzgeber im Zuge vielfacher Reformen des Staatsangehörigkeitsrechts davon abgesehen habe, eine weitergehende Regelung zu treffen.

Entscheidungsgründe:

Auf die Berufung des Beklagten ist das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen. Der Kläger hat in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung weder einen Anspruch auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung noch auf erneute Verbescheidung seines Antrags; denn der Ablehnungsbescheid des Landratsamts Aschaffenburg vom 17. März 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheids der Regierung von Unterfranken vom 3. September 2003 ist auch hinsichtlich der Ermessensausübung nicht zu beanstanden.

1. Die Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung richtet sich nach der Rechtslage im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht, auch wenn der Kläger seinen Einbürgerungsantrag im Januar 2001 gestellt hat. Wird mit der Verpflichtungsklage der Erlass eines Verwaltungsakts begehrt, darf die Behörde zu dessen Erlass nur verpflichtet werden, wenn sie dazu nach der geltenden Rechtslage verpflichtet bzw. befugt ist. Ändern sich die maßgeblichen Rechtsvorschriften, ist die neue Rechtslage vorbehaltlich abweichender Übergangsregelungen auch dann zu berücksichtigen, wenn sie dem Kläger nachteilig ist (BVerwG, B.v. 19.8.1996 - 1 B 82.95, InfAuslR 1996, 399 m.w.N. zur Einbürgerung).

Während des Berufungsverfahrens ist das Staatsangehörigkeitsrecht mit Wirkung zum 1. Januar 2005 durch Art. 5 des Zuwanderungsgesetzes (Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30.7.2004, BGBl. I S. 1950) neu gefasst worden. Die für die Beurteilung des streitgegenständlichen Anspruchs auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung bisher maßgeblichen Regelungen der §§ 85 ff. AuslG finden sich nunmehr (leicht modifiziert) in §§ 10 ff. StAG. Eine besondere Übergangsregelung enthält das Gesetz nicht. Der Gesetzgeber war sich aber, wie aus Art. 5 Nr. 18 Zuwanderungsgesetz (Einfügung von § 40c StAG für bis zum 16.3.1999 gestellte Einbürgerungsanträge) deutlich wird, des intertemporalen Regelungsbedarfs für anhängige Einbürgerungsanträge bewusst. Damit verbleibt es entsprechend der Grundregel bei der Maßgeblichkeit des nunmehr geltenden Rechts.

2. Der Beklagte hält dem auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung gerichteten Begehren des Klägers die mit Urteil des Landgerichts Hamburg vom 12. Februar 1998 angeordnete, im Bundeszentralregister noch nicht getilgte und daher für den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG nicht von vornherein irrelevante Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als Maßregel der Besserung und Sicherung (§ 63 StGB) entgegen; diese könne auch gem. § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG nicht außer Betracht bleiben. Das ist unter Berücksichtigung des beschränkten gerichtlichen Kontrollumfangs hinsichtlich der Ermessensentscheidung gem. § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO).

a) Die gerichtliche Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus unterfällt als Maßregel der Besserung und Sicherung gemäß § 63 StGB dem Begriff der "Verurteilung wegen einer Straftat" i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG. Eine derartige Anordnung in einem Straf- bzw. Sicherungsverfahren (§ 413 ff. StPO) setzt die Feststellung eines tatbestandsmäßigen sowie rechtswidrigen Verhaltens des Beschuldigten voraus; sie wird durch Urteil ausgesprochen (§ 260 Abs. 4 Satz 4, § 267 Abs. 6, § 414 Abs. 2 Satz 4 StPO). Der Begriff der "Verurteilung" schließt die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung ein (vgl. § 3 Nr. 1 i.V.m. § 4 BZRG). Der Klägerseite und dem Verwaltungsgericht ist einzuräumen, dass das strafrechtliche Verständnis einer "Straftat" über das Vorliegen einer rechtswidrigen Tat (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB) hinaus das Verschulden des Täters impliziert und damit dessen Schuldfähigkeit voraussetzt. Die Terminologie von Strafgesetzbuch und Strafprozessordnung wird jedoch dem ordnungsrechtlich geprägten Begriffsverständnis, wie es dem § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG zugrunde liegt, nicht gerecht. Das ergibt sich insbesondere aus der historischen Auslegung der Vorschrift unter Berücksichtigung ihres Regelungszwecks:

Die negativen Einbürgerungsvoraussetzungen in § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 sowie § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG haben gemeinsame Wurzeln. Lange vor der Normierung eines allgemeinen Einbürgerungsanspruchs in §§ 85 ff. AuslG durch das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354) war die Ermessenseinbürgerung gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 RuStAG (Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22.7.1913, RGBl. S. 583) davon abhängig, dass der Ausländer "einen unbescholtenen Lebenswandel geführt hat." (so bereits die Naturalisationsvoraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1.6.1870, BGBl. S. 355). Damit sollten solche Personen vom Erwerb der Reichs- und Staatsangehörigkeit ferngehalten werden, welche nach ihrem Lebenswandel für die Zukunft keine Gewähr für eine einwandfreie Führung zu bieten vermochten (PrOVG, U.v. 14.6.1917 - I A 8/17, PrOVGE 73, 311/312). Auch nach Inkrafttreten des Grundgesetzes stellte die Rechtsprechung darauf ab, dass der Einbürgerungsbewerber in seinem Lebenswandel und den sich daraus ergebenden charakterlichen Eigenschaften gewisse Mindestvoraussetzungen erfüllt [hat] (BVerwG, U.v. 13.2.1958 - I C 140.56, BVerwGE 6, 186/188; dazu Lichter/Hoffmann, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl. 1966, § 8 RuStAG Rdnr. 19). Bei dieser Einzelfallwürdigung bedurfte es keiner gerichtlichen Bestrafung, um die Annahme einer "Bescholtenheit" zu rechtfertigen (BVerwG, B.v. 2.12.1983 - 1 B 153.83, Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 21 S. 29/30), sondern inhaltlich wurde dieser Rechtsbegriff mit dem Schutzbereich der öffentlichen Ordnung verknüpft (vgl. OVG Hamburg, U.v. 18.9.1985 - OVG Bf V 2/85, InfAuslR 1986, 108/109; kritisch Marx, Kommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht, 1997, § 8 RuStAG Rdnr. 32).

Mit der Schaffung eines Anspruchs auf Einbürgerung, die am Ende eines gelungenen Integrationsprozesses stehen sollte (so die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 85 AuslG in BT-Drs. 11/6321, S. 47), erschien dem Gesetzgeber ein generelles Absehen von einer strafrechtlichen "Bescholtenheit" nicht gerechtfertigt, jedoch sollten typische Jugendsünden nicht zum Ausschluss der erleichterten Einbürgerung führen (BT-Drs. 11/6321, S. 48; vgl. auch zur Modifikation des § 85 Abs. 1 Nr. 4: BT-Drs. 11/6960 S. 28). Es fehlt jeder Beleg dafür, dass der Gesetzgeber mit der bis heute unveränderten Anspruchsvoraussetzung "nicht wegen einer Straftat verurteilt worden ist" einen grundlegenden Systemwechsel verbunden hätte; vielmehr blieb die ordnungsrechtliche, d.h. dem Rechtsgüterschutz ohne Rücksicht auf Verschulden dienende Zielsetzung dieser Einbürgerungsvoraussetzung im Kern unverändert.

Die gerichtliche Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt gem. § 63 StGB die Prognose voraus, dass von dem Täter infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, in einem derartigen qualifizierten Fall der Allgemeingefährlichkeit greife § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG mangels vorliegenden Verschuldens nicht, ist mit Sinn und Zweck dieser staatsangehörigkeitsrechtlichen Regelung unvereinbar (so auch VG Berlin, U.v. 12.7.2005 - VG 2 A 26.03, InfAuslR 2005, 427/429). Schließlich erscheint es auch kaum nachvollziehbar, einen Einbürgerungsanspruch in Fällen der Begehung einer rechtswidrigen Tat im Zustand verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) gesetzlich - unter dem Vorbehalt des § 12a StAG - auszuschließen, dagegen bei Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) - ohne jede Möglichkeit eines Korrektivs - zwingend durchgreifen zu lassen.

Die von dem historischen Befund sowie teleologischen Überlegungen geleitete Auslegung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG, derzufolge jedenfalls die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB staatsangehörigkeitsrechtlich als Verurteilung zu einer Straftat anzusehen ist, wird von der Literatur geteilt (Berlit in: GK-StAR, IV-2 § 10 Rdnr. 287; differenzierend Makorov/v.Mangoldt, § 85 AuslG Rdnr. 47). Sie begegnet angesichts der häufiger anzutreffenden Notwendigkeit, identische Rechtsbegriffe bereichsspezifisch wegen unterschiedlicher Normzwecke verschieden zu interpretieren, auch unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten sowie mit Blick auf die Grenzen richterlicher Auslegung keinen Bedenken.

Dem vom Kläger geltend gemachten Einbürgerungsanspruch steht demzufolge § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG entgegen; denn die Anordnung der Unterbringung des Klägers in einem psychiatrischen Krankenhaus durch das Landgericht Hamburg mit Urteil vom 12. Februar 1998 ist mangels Tilgung(sreife) im Bundeszentralregister (§ 45 Abs. 3 Nr. 2, § 51 Abs. 1 BZRG) im Einbürgerungsverfahren verwertbar; eine Tilgung gem. § 49 BZRG ist bislang nicht erfolgt.

b) Liegt mit der Maßregel der Besserung und Sicherung gem. § 63 StGB eine Verurteilung i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG vor, die mangels Strafmaßbezugs nicht von Gesetzes wegen bei der Prüfung des Einbürgerungsanspruchs gem. § 12a Abs. 1 Satz 1 StAG außer Betracht bleibt, ist der Staatsangehörigkeitsstelle in erweiternder Auslegung des § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG die fakultative Nichtberücksichtigung im Einzelfall eröffnet (so auch Berlit in: GK-StAR, IV-2 § 12a Rdnr. 45). Dabei hat die Behörde mit Blick auf das für eine Einbürgerung vorauszusetzende Maß an Integration die öffentlichen und privaten Interessen umfassend zu würdigen. Abwägungsrelevant sind insbesondere die Umstände sowie die Schwere der Tat, ihre Qualität als Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsdelikt, die Dauer des Freiheitsentzugs, der seither verstrichene Zeitraum, frühere Verfehlungen des Antragstellers, die Persönlichkeit des Betreffenden, sowie u.a. die (Wiederholungs-)Gefahr (vgl. Berlit a.a.O. Rdnrn. 40 und 46 ff.). Allein auf die mangelnde Tilgung der strafgerichtlichen Verurteilung gem. § 46 bzw. § 49 BZRG kann die Nichtberücksichtigung allerdings nicht gestützt werden, da nach erfolgter bzw. bei anstehender Tilgung die Tat und die Verurteilung dem Einbürgerungsbewerber gem. § 51 Abs. 1 BZRG ohnehin nicht mehr entgegengehalten werden dürfen, so dass dann eine berücksichtigungsfähige Verurteilung i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG bereits nicht mehr vorliegt. Wollte man für die nach § 12a Abs. 1 Satz 2 StAG zu treffende Ermessensentscheidung alleine auf die fehlende Tilgung der Tat im Bundeszentralregister abstellen, würde dieser Vorschrift der Anwendungsbereich entzogen.

Im vorliegenden Fall haben Ausgangs- und Widerspruchsbehörde eine den Anforderungen gerecht werdende Ermessensentscheidung getroffen, die unter Berücksichtigung des eingeschränkten gerichtlichen Kontrollauftrags nicht zu beanstanden ist (§ 114 Satz 1 VwGO). Die Ausführungen in der Begründung der Bescheide zum Fortbestand des Eintrags der Maßregel im Bundeszentralregister sind als Quintessenz der Abwägung zu verstehen; durch die mangelnde Tilgung gem. § 49 BZRG haben sich die Behörden nicht etwa an einer Abwägung der Einzelfallumstände gehindert gesehen, wie die im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid im einzelnen dargelegten Ermessensgesichtspunkte belegen. Trotz der günstigen Sozialprognose für den Kläger hat der Beklagte angesichts der Schwere der Tat und der nach wie vor bestehenden Notwendigkeit regelmäßiger Medikation die - beendete - Maßregel in nicht zu beanstandender Weise gewichtet. Ihre fortgesetzte Berücksichtigung begegnet im Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids (3.9.2003) keinen Bedenken, zumal selbst bei geringer Wiederholungsgefahr das Nichtberücksichtigungsermessen nicht allein deswegen zugunsten des Bewerbers reduziert ist (Berlit a.a.O. Rdnr. 56 a.E.; Hailbronner in: Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl. 2005, § 12a StAG Rdnr. 7).

3. Eine Einbürgerung des Klägers kommt auch nicht gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG in Betracht; denn mit der Tat hat der Kläger einen Ausweisungsgrund erfüllt. Staatsangehörigkeitsrechtlich ist insoweit ohne Bedeutung, ob der Betreffende wegen dieses Grundes auch tatsächlich ausgewiesen werden soll, kann oder darf (BVerwG, U.v. 31.5.1994 - 1 C 5.93, BVerwGE 96, 86/90; U.v. 18.11.2004 - 1 C 23.03, DVBl. 2005, 588/590). Demzufolge war die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.

Die Revision wird zugelassen, weil die Rechtssache mit Blick auf die Frage, ob die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Maßnahme der Besserung und Sicherung) als Verurteilung wegen einer Straftat i.S. des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG anzusehen ist, grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Beschluss:

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 8.000 Euro festgesetzt (§ 72 Nr. 1 GKG i.V.m. §§ 14, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a.F.).

Ende der Entscheidung

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