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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 03.05.2005
Aktenzeichen: 5 BV 04.3174
Rechtsgebiete: StAG, AuslG 1990


Vorschriften:

StAG § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
AuslG 1990 § 35 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

5 BV 04.3174

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 12. Juli 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 5. Senat,

durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Hüffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Kraft, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz,

ohne mündliche Verhandlung

am 3. Mai 2005

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wurde am 19. Dezember 2000 in München als Sohn angolanischer Staatsangehöriger geboren und begehrt die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises.

Die Eltern des Klägers reisten am 16. Januar 1985 in das Bundesgebiet ein und stellten am 28. Januar 1985 Asylanträge. Mit Bescheid des damaligen Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) vom 11. Juli 1986 wurden sie zunächst als Asyl berechtigte anerkannt. Auf Klage des Bundesbeauftragten hob das Verwaltungsgericht die Anerkennungsentscheidung mit Urteil vom 25. November 1986 auf (Az. AN 1 K 86.31285); der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wies die Berufung mit Urteil vom 28. November 1991 zurück (Az. 25 B 87.30235).

Am 30. März 1992 beantragten die Eltern des Klägers die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen; eine Entscheidung darüber wurde von der Beklagten mit Blick auf das laufende Asylfolgeverfahren zurückgestellt (Schreiben v. 15.2.1993).

Im Juni 1993 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Durchführung weiterer Asylverfahren ab, verneinte das Vorliegen politisch motivierten Abschiebungsschutzes sowie von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG und drohte den Eltern des Klägers die Abschiebung an. Das Verwaltungsgericht ordnete mit Beschluss vom 26. April 1994 die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage hinsichtlich der angedrohten Abschiebung nach Angola an (Az. AN 13 S 93.43104); nach Klagerücknahme wurde das Verfahren mit Beschluss 12. September 1996 eingestellt (Az. AN 2 K 93.43097).

Am 10. September 1996 erhielten die Eltern des Klägers Aufenthaltsbefugnisse aufgrund einer Härtefallregelung nach § 32 AuslG; am 21. Oktober 1997 erhielten sie unbefristete Aufenthaltserlaubnisse. Seit 5. Oktober 2000 bzw. 31. Oktober 2000 sind sie im Besitz von Aufenthaltsberechtigungen.

Am 29. Januar 2002 beantragten die Eltern des Klägers für diesen die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises. Mit Bescheid vom 6. März 2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Der Kläger habe die deutsche Staatsangehörigkeit nicht gemäß § 4 Abs. 3 StAG erworben, weil kein Elternteil bei der Geburt des Klägers seit mindestens acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt habe. Die vor dem 10. September 1996 mit Aufenthaltsgestattungen verbrachte Zeit sei nicht als gewöhnlicher Aufenthalt zu werten. Den Widerspruch wies die Regierung von Oberbayern mit Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 2003 zurück.

Die auf Verpflichtung zur Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 12. Juli 2004 ab. Der Kläger sei nicht deutscher Staatsangehöriger; denn er habe die deutsche Staatsangehörigkeit nicht nach dem allein in Betracht kommenden § 4 Abs. 3 StAG durch Geburt im Inland erworben. Zum Zeitpunkt seiner Geburt habe kein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt. Die vor dem 10. September 1996 liegende Zeit, in der die Eltern des Klägers Aufenthaltsgestattungen aufgrund der negativ abgeschlossenen Asylverfahren besessen hätten, könne nicht als gewöhnlicher Aufenthalt im Sinn des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG angesehen werden.

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht der Kläger geltend, dass Zeiten eines negativ abgeschlossenen Asylverfahrens durch § 35 Abs. 1 Satz 2 AuslG gerade in Abweichung zu § 55 Abs. 3 AsylVfG für anrechnungsfähig erklärt würden. Deshalb seien diese Zeiträume als gewöhnlicher Aufenthalt anzusehen. Diese Interpretation werde durch die Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht bestätigt. Zumindest ab Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung am 13. März 1992, spätestens jedoch seit Zurückstellung der Entscheidung darüber (15.2.1993) liege ein gewöhnlicher Aufenthalt vor. Die Rechtmäßigkeit des Daueraufenthalts lasse sich nur retrospektiv beurteilen; denn spätere Entscheidungen wie die Asylgewährung oder die Gewährung eines Daueraufenthalts gem. § 35 Abs. 1 Satz 2 AuslG führten im Nachhinein dazu, dass man den zunächst nur vorübergehenden Aufenthaltszweck als auf Dauer gerichteten ansehe. Ausgenommen seien damit nur Aufenthaltszeiten, bei denen von vornherein eine Verfestigung auf Dauer ausgeschlossen sei (z.B. bei einer Aufenthaltsbewilligung).

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts sowie des Bescheids der Beklagten vom 6. März 2003 und des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 12. Mai 2003 die Beklagte zu verpflichten, für den Kläger eine (deutsche) Staatsangehörigkeitsurkunde auszustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beteiligte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte und der Beteiligte verteidigen das angefochtene Urteil.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden kann, ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises, da er kein deutscher Staatsangehöriger ist. Er hat die deutsche Staatsangehörigkeit nicht gemäß § 4 Abs. 3 StAG erworben; andere Erwerbsgründe sind nicht ersichtlich.

Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG erwirbt ein Kind ausländischer Eltern durch Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und darüber hinaus gem. Nr. 2 aufenthaltsberechtigt ist. Zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals "achtjähriger gewöhnlicher Aufenthalt" hat das Bundesverwaltungsgericht die insoweit wortgleiche Vorschrift des § 85 Abs. 1 Satz 1 AuslG und die dazu ergangene Rechtsprechung herangezogen, da keine Gründe für die Anwendung anderer Kriterien ersichtlich seien (BVerwG, B.v. 25.11.2004 - 1 B 24.04, NVwZ 2005, 231). Ausdrücklich hat es dabei an seine Entscheidungen zu Art. 2 Satz 1 AGStlMindÜbk (Ausführungsgesetz zu dem Übereinkommen vom 30.8.1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13.9.1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit - Gesetz zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 29.6.1977, BGBl. I S. 1101) angeknüpft, in denen ausgeführt wurde, dass der dort verwendete Begriff des dauernden Aufenthalts dem im Ausländerrecht verwendeten Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts entspricht. Von der Voraussetzung des dauernden Aufenthalts zu unterscheiden ist dessen Rechtmäßigkeit; dieses Tatbestandsmerkmal setzt grundsätzlich voraus, dass der Aufenthalt von der Ausländerbehörde erlaubt worden ist. Mit Blick auf die unterschiedlichen aufenthaltsrechtlichen Legalisierungstatbestände verlangt das Bundesverwaltungsgericht, dass die Rechtmäßigkeit sich auf den dauernden Aufenthalt beziehen, ihn "abdecken" muss. Nicht die bloße Anwesenheit, sondern ein etwaiger Daueraufenthalt des Ausländers in Deutschland muss rechtmäßig sein. In Fällen eines genehmigungsbedürftigen Aufenthalts wird daher vorausgesetzt, dass die Aufenthaltsgenehmigung für einen dauernden, nicht bloß für einen vorübergehenden Aufenthaltszweck erteilt worden ist (BVerwG, U.v. 23.2.1993 - 1 C 45.90, BVerwGE 92, 116/126 f.).

Der asylverfahrensrechtlichen Aufenthaltsgestattung (früher § 19 AsylVfG, nunmehr § 55 AsylVfG) und der Fiktionswirkung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung (§ 69 AuslG 1990) hat das Bundesverwaltungsgericht die Legalisierungswirkung eines Daueraufenthalts abgesprochen, da der Aufenthalt nur zur Durchführung des Asylverfahrens bzw. bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde gestattet bzw. erlaubt/geduldet werde und auf diese Funktion begrenzt sei. Diese allein durch die Antragstellung ausgelöste Vergünstigung mit dem immanent begrenzten Aufenthaltszweck könne nicht die - mit einem für den Betroffenen positiven Abschluss des Verfahrens verbundene - Wirkung einer Zustimmung zum Aufenthalt im Bundesgebiet vorwegnehmen und führe daher unter dem Blickwinkel der Einbürgerungsvorschriften nicht zu einem rechtmäßigen Aufenthalt (BVerwG, U.V. 16.10.1990-1 C 15.88, BVerwGE 87, 11/20).

Diese Rechtsprechung, der sich der erkennende Senat angeschlossen hat (U.v. 14.4.2005 - 5 BV 03.3089), gilt gleichermaßen auch für § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG. Die vom Kläger in den Vordergrund gestellte Regelung des § 35 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1990 rechtfertigt kein anderes Ergebnis; denn die Rechtsfolgen dieser Vorschrift beschränken sich auf aufenthaltsrechtliche Wirkungen: Die Anrechnung der Dauer eines negativ abgeschlossenen Asylverfahrens auf die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderliche Aufenthaltszeit hat nicht zur Folge, dass der asylverfahrensbedingte Aufenthalt im Sinne qualifizierter staatsangehörigkeitsrechtlicher Anforderungen rechtmäßig ist. § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG verlangt nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung einen den Daueraufenthalt legalisierenden Aufenthaltstitel. Die wohl weitergehende Interpretation des Gesetzes durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Staatsangehörigkeitsrecht (Nr. I. 4.3.1.2 Buchst, f StAR-VwV vom 13.12.2000, Anl. zum BAnz vom 31.1.2001) vermag keine Abweichung von der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu begründen; eine vergleichbare Erlasslage zur Einbürgerung gem. § 85 AuslG bestand im übrigen bereits im Zeitpunkt des Ergehens der oben zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen (vgl. Nr. 2.2 der Vorläufigen Ausführungsbestimmungen des Bundesministers des Inneren vom 11.10.1990 zu den einbürgerungsrechtlichen Vorschriften im neuen Ausländergesetz, abgedruckt in InfAuslR 1991, 15 ff.).

Demnach wurde der gewöhnliche Aufenthalt der Eltern des Klägers erst mit Erteilung der Aufenthaltsbefugnisse am 10. September 1996 rechtmäßig, so dass § 4 Abs. 3 StAG nicht zugunsten des Klägers greift. Nachdem andere Erwerbsgründe für die deutsche Staatsangehörigkeit nicht ersichtlich sind, bleibt die Berufung des Klägers ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss:

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 10.000,00 Euro festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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