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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 14.09.2006
Aktenzeichen: 5 BV 05.1698
Rechtsgebiete: StAG


Vorschriften:

StAG § 8
StAG § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
StAG § 12 Abs. 1 Satz 2
StAG § 12a Abs. 3
1. Die Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Var. 2 StAG wegen Unzumutbarkeit der Bedingungen für die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit setzt grundsätzlich die Einleitung eines Entlassungsverfahrens voraus.

2. Wird ein Anspruch auf Einbürgerung (unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit) von der Staatsangehörigkeitsbehörde nicht verbeschieden und entfällt später (infolge Asylwiderrufs), setzt eine im Rahmen des § 8 StAG zu berücksichtigende ermessensverdichtende Folgenbeseitigungslast eine qualifizierte behördliche Untätigkeit voraus.


Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

5 BV 05.1698

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Einbürgerung;

hier: Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. Februar 2005,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 5. Senat,

durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Hüffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Prof. Dr. Kraft, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz,

ohne mündliche Verhandlung am 14. September 2006

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. Februar 2005 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, ein am 9. März 1965 im Kosovo geborener serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger albanischer Volkszugehörigkeit, begehrt seine Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit.

Er reiste im Januar 1993 ins Bundesgebiet ein und stellte Asylantrag. Nach erfolgreicher Klage erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Kläger mit Bescheid vom 27. September 1995 als Asylberechtigten an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Daraufhin erhielt der Kläger einen internationalen Reiseausweis mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis vom 13. November 1995 und anschließend die Aufenthaltsberechtigung.

Am 7. Oktober 1999 beantragten seine damaligen Bevollmächtigten die Einbürgerung beim Landratsamt Nürnberger Land. Am 28. Dezember 1999 erklärte der Kläger gegenüber der Behörde, das Einbürgerungsverfahren ohne seine Bevollmächtigten betreiben zu wollen; gleichzeitig gab er auf dem aufgenommenen Antragsformular an, zur Aufgabe seiner bisherigen Staatsangehörigkeit bereit zu sein. Die Akten wurden zwischen am Februar 2000 und Januar 2001 wegen Wohnsitzwechsels von der Stadt Nürnberg geführt und dann wieder an das Landratsamt Nürnberger Land abgegeben. Der Kläger hat die dritte Sprachprüfung am 13. Dezember 2001 bestanden.

Nach Aktualisierung seiner bisher eingereichten Unterlagen erhielt der Kläger am 4. Juni 2002 eine Einbürgerungszusicherung (befristet auf zwei Jahre unter dem Vorbehalt sich nicht ändernder Verhältnisse) für den Fall des nachgewiesenen Verlusts der jugoslawischen Staatsangehörigkeit. Daraufhin reichte der Kläger eine Entlassungsbescheinigung aus der jugoslawischen Staatsangehörigkeit vom 7. Mai 2002 in Übersetzung vom 1. August 2002 ein. Die Regierung von Mittelfranken teilte mit Schreiben vom 23. November 2002 mit, dass von einer Fälschung auszugehen sei. Laut Aktenvermerk des Landratsamtes Nürnberger Land vom 28. Januar 2003 sollte im Einbürgerungsverfahren der Ausgang des Ermittlungsverfahrens wegen Urkundsfälschung abgewartet werden.

Am 30. September 2003, beim Landtatsamt eingegangen am 6. Oktober 2003, teilte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth mit, dass das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Urkundenfälschung am 25. September 2003 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei. Der Kläger habe sich gegen Zahlung von 1.400 Euro eine Entlassungsurkunde verschafft; ein Fälschungsvorsatz sei nicht nachzuweisen. Es sei nicht zu widerlegen, dass er davon ausgegangen sei, eine ordnungsgemäße Entlassungsurkunde beschleunigt durch Schmiergeldzahlung erhalten zu haben.

Bereits am 9. Juli 2003 hatte sich das Landratsamt an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit der Frage gewandt, ob der Kläger noch Asyl genieße. Mit Schreiben vom 24. Oktober 2003 teilte das Bundesamt mit, dass ein Widerrufsverfahren eingeleitet worden sei. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 16. Dezember 2003 wurde die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter und die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG widerrufen. Die dagegen erhobene Klage wurde im Februar 2004 zurückgenommen.

Bereits am 27. Oktober 2003 hatte der Kläger Untätigkeitsklage erhoben mit dem Antrag, ihn unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit einzubürgern.

Mit Schreiben vom 2. Februar 2004 ließ der Kläger bei der Regierung von Mittelfranken zudem seine Einbürgerung nach § 8 StAG unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit beantragen. Mit Bescheid vom 15. Juni 2004 lehnte die Regierung den Einbürgerungsantrag ab. Er erfülle zwar die Mindestvoraussetzungen des § 8 Abs. 1 StAG, doch sei die Einbürgerung eine Ermessensentscheidung, bei der der Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatigkeit zu beachten sei. Weder schließe das serbisch-montenegrinische Staatsangehörigkeitsrecht eine Entlassung überhaupt aus, noch gebe es Anhaltspunkte dafür, dass die Entlassung durchweg verwehrt oder von unzumutbaren Bedingungen abhängig gemacht werde. Selbst Kosovo-Albanern sei es nicht unmöglich, bei den serbischmontenegrinischen Behörden die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit zu erhalten, wie entsprechende Fälle zeigen würden. Außerdem habe sich der Bewerber im Antrag trotz Asylberechtigung bereit erklärt, sich aus der Heimatstaatsangehörigkeit entlassen zu lassen. Es lägen somit keine Gründe vor, die Mehrstaatigkeit zuzulassen; das Ermessen werde deshalb zugunsten des allgemeinen staatlichen Interesses an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit ausgelegt.

Der geltend gemachte Folgenbeseitigungsanspruch könne nicht darauf gestützt werden, dass die Vorgehensweise des Landratsamtes während des Einbürgerungsverfahrens rechtswidrig gewesen sei. Schon wegen des auf Grund der vorgelegten gefälschten Entlassungsurkunde eingeleiteten Strafverfahrens habe bis zur Mitteilung über die Einstellung des Verfahrens kein Grund zur Einbürgerung bestanden, da während des Ermittlungsverfahrens das Einbürgerungsverfahren auszusetzen sei (Nr. 8.1.1.2 letzter Absatz StAR-VwV). Es sei nicht zu beanstanden, dass die Behörde eine Einbürgerungszusicherung erteilt, sich beim Bundesamt nach dem Bestand der Asylanerkennung erkundigt und den Ausgang dieses Verfahrens abgewartet habe.

Der Kläger bezog den Bescheid in das anhängige Klageverfahren ein und beantragte, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids der Regierung von Mittelfranken vom 15. Juni 2004 zu verpflichten, den Kläger einzubürgern.

Mit Urteil vom 15. Februar 2005 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid der Regierung von Mittelfranken vom 15. Juni 2004 aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, den Kläger unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit einzubürgern. Den Beklagten treffe eine Folgenbeseitigungslast, sein Ermessen im Rahmen des § 8 StAG dahingehend auszuüben, den Kläger unter Hinnahme vor Mehrstaatigkeit einzubürgern. Ihm sei ein begünstigender Verwaltungsakt zu Unrecht vorenthaltenen worden; denn das Landratsamt habe den Einbürgerungsantrag trotz Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 85, 87 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Ziff. 6 AuslG rechtswidrig nicht verbeschieden. Spätestens ab Erteilung der Einbürgerungszusicherung (4.6.2002) bis zum Erlass des asylrechtlichen Widerrufsbescheids (16.12.2003) habe der Kläger die Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit erfüllt; lediglich zwischen September 2002 bis Ende September 2003 habe mit Blick auf das laufende Ermittlungsverfahren ein berechtigter Grund bestanden, das Einbürgerungsverfahren nicht weiter zu betreiben. Insgesamt errechne sich ein Zeitraum von circa sechs Monaten, innerhalb dessen die Anspruchsvoraussetzungen für eine Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit bestanden hätten. Etwas anderes ergebe sich auch nicht im Hinblick auf die seitens des Klägers ursprünglich erklärte Bereitschaft, seine frühere Staatsangehörigkeit aufzugeben. Sein Antrag sei nicht auf diese Alternative beschränkt gewesen, so dass auf Fragen einer verfahrensrechtlichen Beratungspflicht der Behörde nicht näher einzugehen sei. Die sechsmonatige rechtswidrige Untätigkeit der Behörde sei einer rechtswidrigen Versagung eines begünstigenden Verwaltungsakt gleichzustellen.

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht der Beklagte geltend, dass der Kläger derzeit nicht (mehr) die Voraussetzungen für eine Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit gem. § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG erfülle. Eine Folgenbeseitigungslast bestehe nicht, da das Landratsamt das Einbürgerungsverfahren antragsgemäß durchgeführt habe. Weder habe es eine rechtswidrige Versagungsentscheidung getroffen noch liege eine qualifizierte behördliche Untätigkeit vor. Es bestehe auch keine Hinweispflicht der Behörde auf die Möglichkeit einer Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit, da die Folgen der Mehrstaatigkeit den Betreffenden nicht ausschließlich begünstigten. Angesichts der Verpflichtung zur Ableistung von Wehrdienst im Heimatstaat und einer eventuellen Strafbarkeit wegen Fahnenflucht sei es unvertretbar, einem Einbürgerungsbewerber gegen seinen erklärten Willen Mehrstaatigkeit aufzudrängen. Erstmals in der Klagebegründung sei von der Klägerseite eine Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit begehrt worden. Darüber hinaus sei kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers auf eine Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit begründet worden, auf das dieser sich durch bestimmte Dispositionen eingerichtet hätte.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 15. Februar 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Das Landratsamt sei verpflichtet gewesen, den offensichtlich rechtsunkundigen Kläger zu beraten und ihn zumindest darauf hinzuweisen, dass aufgrund seines damaligen Status als Asylberechtigter auch eine Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit in Betracht komme. Der Beklagte habe seine Beratungspflicht verletzt und aktiv darauf hingearbeitet, den bestehenden Einbürgerungsanspruch zunichte zu machen. Die Anfragen beim Bundesamt belegten, dass auch der Beklagte davon ausgegangen sei, es komme eine Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit in Betracht. Darüber hinaus gingen mehrere Bundesländer im Einklang mit einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 4. Oktober 2005 davon aus, dass Kosovo-Albaner durch die serbisch-montenegrinischen Auslandsvertretungen de facto von der Gewährung konsularischer Dienstleistungen ausgeschlossen würden und sie sich deshalb keiner Entlassung aus der Heimatstaatsangehörigkeit unterziehen müssten.

Dem hält der Beklagte das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim vom 24. November 2005 entgegen und führt unter Bezugnahme auf das vorgelegte IMS vom 12. Mai 2006 aus, dass nach einer Erhebung bei den bayerischen Staatsangehörigkeitsbehörden in der Zeit von Januar 2004 bis Ende Juni 2006 insgesamt 586 albanische Volkszugehörige aus der serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigkeit entlassen worden seien. In Bayern seien in den Jahren 2004 und 2005 insgesamt 933 Bewerber aus Serbien-Montenegro unter Vermeidung von Mehrstaatigkeit eingebürgert worden. In Baden-Württemberg hätten nach Auskunft des Innenministeriums in den letzten drei Jahren mindestens 115 Personen albanische Volkszugehörigkeit ihre Entlassung aus der serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigkeit herbeiführen können. Aufgrund dieser Zahlen könne die der Entscheidung des OVG Koblenz zugrunde liegende "amtliche" Einschätzung des Auswärtigen Amtes nicht geteilt werden.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Auf die Berufung des Beklagten, über die der Verwaltungsgerichtshof gem. §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO im schriftlichen Verfahren entscheiden kann, ist das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen. Der Kläger hat in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der Fällung des Berufungsurteils im schriftlichen Verfahren weder einen Anspruch auf Einbürgerung (unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit) noch auf erneute Verbescheidung seines Antrags; denn der Ablehnungsbescheid der Regierung von Mittelfranken vom 15. Juni 2004 ist hinsichtlich der Ermessensausübung nicht zu beanstanden.

1. Die Beurteilung des geltend gemachten Einbürgerungsanspruchs (unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit) richtet sich nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts, auch wenn der Kläger seinen Einbürgerungsantrag im Oktober 1999 gestellt hat. Wird mit der Verpflichtungsklage ein Verwaltungsakt begehrt, darf die Behörde zu dessen Erlass nur verpflichtet werden, wenn sie dazu nach der geltenden Rechtslage verpflichtet bzw. befugt ist. Ändern sich die maßgeblichen Rechtsvorschriften, ist die neue Rechtslage vorbehaltlich abweichender Übergangsregelungen auch dann zu berücksichtigen, wenn sie dem Kläger nachteilig ist (BVerwG, B.v. 19.8.1996 - 1 B 82.95, InfAuslR 1996, 399 m.w.N.).

Während des Prozesses ist das Staatsangehörigkeitsrecht mit Wirkung zum 1. Januar 2005 durch Art. 5 des Zuwanderungsgesetzes (Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern vom 30.7.2004, BGBl. I S. 1950) neu gefasst worden. Die für die Beurteilung des streitgegenständlichen Anspruchs auf Einbürgerung (unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit) in §§ 85 ff. AuslG finden sich nunmehr (leicht modifiziert) in §§ 10 ff. StAG. Eine besondere Übergangsregelung enthält das Gesetz nicht. Der Gesetzgeber war sich aber, wie aus Art. 5 Nr. 18 Zuwanderungsgesetz (Einfügung von § 40c StAG für bis zum 16.3.1999 gestellte Einbürgerungsanträge) deutlich wird, des intertemporalen Regelungsbedarfs für laufende Einbürgerungsverfahren bewusst. Nachdem § 40c StAG angesichts der Antragstellung des Klägers im Oktober 1999 nicht greift, verbleibt es bei der Maßgeblichkeit des nunmehr geltenden Rechts.

2. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Kläger die Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG bis auf den Fortfall seiner bisherigen Staatsangehörigkeit (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG) erfüllt. Die von der Klägerseite geltend gemachten Ausnahmen, unter denen Mehrstaatigkeit hinzunehmen ist, greifen nicht durch.

a) Die Ausnahmeregelung für politisch Verfolgte kommt für den Kläger nicht (mehr) in Betracht. § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG stellt - anders als § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG - nicht auf den Status eines politisch Verfolgten oder Flüchtlings ab, sondern auf den - rechtmäßigen (BayVGH, U.v. 17.2.2005 - 5 B 04.392, VGH n.F. 58, 55/57 f.; ebenso VGH Mannheim, U.v. 24.11.2005 - 12 S 1695/05 <juris>) - Besitz (u.a.) eines Reiseausweises nach Art. 28 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1952 II S. 559). Diese Voraussetzung liegt nicht vor, nachdem der Widerruf seiner Asylanerkennung im Februar 2004 unanfechtbar geworden ist. Außer Betracht muss bleiben, dass der Kläger früher den Status eines anerkannten Asylberechtigten innegehabt und damit den Reiseausweis rechtmäßig besessen hat. Die Frage, ob die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StAG erfüllt sind, beurteilt sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs; denn den gesetzlichen Regelungen ist kein anderer zeitlicher Anknüpfungspunkt zu entnehmen (dazu ausführlich BayVGH, U.v. 17.2.2005 - 5 B 04.302, a.a.O.).

b) Der darüber hinaus geltend gemachte Ausnahmetatbestand des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit ist nicht erfüllt. Nachdem der Kläger sich an keine Vertretung seines Heimatlandes als zuständige Behörde für die Einreichung eines Entlassungsantrags gewandt hat (Einlassung gegenüber der KPI Nürnberg vom 19.4.2003), können die erste und die dritte Variante dieser Vorschrift nicht greifen. Aber auch die zweite Fallgruppe, derzufolge Mehrstaatigkeit in den Fällen hingenommen wird, in denen der ausländische Staat die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht, ist mangels Einleitung eines derartigen Verfahrens durch den Kläger vorliegend nicht gegeben.

§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Var. 2 StAG stellt bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit der Entlassungsbedingungen im Ansatz auf eine konkret einzelfallbezogene Betrachtung ab. Das ergibt sich aus dem unmittelbaren Kontext, in den diese Fallgruppe im Gefüge des § 12 Abs. 1 Satz 2 StAG eingebunden ist; denn die anderen Fallgruppen beziehen sich eindeutig auf den Verlauf des konkreten Entlassungsverfahrens. Neben diesem systematischen Argument spricht auch der Ausnahmecharakter der in § 12 Abs. 1 StAG geregelten Fälle der Hinnahme von Mehrstaatigkeit für eine Prüfung der (Un-)Zumutbarkeit mit Blick auf die von dem einzelnen Einbürgerungsbewerber verlangten Entlassungsbedingungen. Dies setzt indes grundsätzlich voraus, dass der einzelne Einbürgerungsbewerber einen ordnungsgemäßen Entlassungsantrag bei der zuständigen Stelle seines Heimatstaates gestellt hat.

Ob das auch bei einer an bekannten und gleichmäßig von allen Konsulaten geübten Entlassungspraxis eines Staates, die in unzumutbarer Weise an abstrakten Kriterien (z.B. Gruppenzugehörigkeit) anknüpft, in jedem Einzelfall zu fordern ist (dafür VGH Mannheim, U.v. 24.11.2005 - 12 S 1695/05 <juris>; differenzierend Berlit in: GK-StAR, § 12 StAG RdNr. 78 ff.), braucht hier nicht entschieden zu werden. Die Problematik, dass das frühere Serbien-Montenegro die Entlassung von der Erfüllung der Wehrpflicht abhängig gemacht, gleichzeitig Kosovo-Albaner aber seit Jahren nicht zum Wehrdienst einberufen hat, stellt sich vorliegend nicht, da der Kläger seinen Wehrdienst bereits abgeleistet hat (Anhörung des Klägers beim Bundesamt im Asylverfahren vom 7.1.1994).

Die im Berufungsverfahren zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob Kosovo-Albanern die Durchführung des Entlassungsverfahrens generell unzumutbar ist (so OVG Koblenz, U.v. 4.10.2005 - 7 A 10700/05 <juris>), verneint der Verwaltungsgerichtshof. Der Beklagte hat aufgrund der bei den Staatsangehörigkeitsstellen im Freistaat Bayern sowie in Baden-Württemberg erhobenen Zahlen über Entlassungen aus der serbisch-montenegrinischem Staatsangehörigkeit in den vergangenen Jahren belegt, dass in der Praxis auch Kosovo-Albanern ein Ausscheiden aus ihrer früheren Staatsangehörigkeit möglich ist. Die Annahme des OVG Koblenz, dies sei nur mittels Bestechung möglich und deshalb generell unzumutbar, beruht maßgeblich auf der Stellungnahme der Deutschen Botschaft Belgrad vom 6. April 2005, ethnisch albanische Personen aus dem Kosovo seien von der Gewährung konsularischer Dienstleistungen seitens der serbisch-montenegrinischen Auslandsvertretungen de facto ausgeschlossen. Diese Auskunft vermag indes nicht in der von ihr beanspruchten Allgemeingültigkeit zu überzeugen: Zum einen erscheint der Wert dieser Stellungnahme gerade für Fälle aus dem Freistaat Bayern in einem anderen Licht, nachdem die Deutsche Botschaft Belgrad sich im Schreiben vom 6. Juni 2005 zum Beleg dieses "Verdachts" u.a. auf eine Stellungnahme des Kreisverwaltungsreferats der Landeshauptstadt München berufen hat, das eine derartige Auskunft in Abrede stellt. Die Deutsche Botschaft Belgrad hat diese Bezugnahme inzwischen auch nicht länger aufrecht erhalten (IMS vom 25.7.2006, VGH Bl. 103). Zum anderen wird die Einschätzung der in Entlassungsverfahren nicht unmittelbar eingebundenen Deutschen Botschaft Belgrad, dass Entlassungsanträge von den Auslandsvertretungen nur bei Bestechung zeitnah bearbeitet und im Übrigen verschleppt bzw. nicht bearbeitet würden, nicht weiter belegt. Schließlich trägt der Schluss aus dem tatsächlichen Befund nicht, dass es für Kosovo-Albaner generell unzumutbar sei, einen Entlassungsantrag zu stellen: Auch auf der Grundlage der Annahme des OVG Koblenz, einem Einbürgerungsbewerber sei die Zahlung von Bestechungsgeldern an seine Heimatbehörden prinzipiell unzumutbar, bedürfte es für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit angesichts des beschriebenen Regel-Ausnahme-Verhältnisses von § 10 Abs. 1 Nr. 4 StAG zu § 12 Abs. 1 Satz 2 StAG sowie des systematischen Zusammenhangs, in dem die zweite Fallgruppe des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG steht, einer eindeutig belegten, nahezu lückenlosen Praxis der zuständigen Auslandsvertretungen, angesichts derer das Verlangen, einen Entlassungsantrag zu stellen, als überflüssige Formalie erschiene. Eine derartig dichte Verfahrenspraxis wird durch die vorhandenen Stellungnahmen jedoch nicht belegt, so dass es aus dem Kosovo stammenden Einbürgerungsbewerbern albanischer Volkszugehörigkeit zumutbar ist, ein Entlassungsverfahren einzuleiten. Dann kann im Einzelfall beurteilt werden, ob die Entlassung von unzumutbaren Bedingungen abhängig gemacht wird.

Nachdem der Kläger keinen Entlassungsantrag bei der zuständigen Auslandsvertretung gestellt hat, greift § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG nicht zu seinen Gunsten. Da auch die übrigen Ausnahmetatbestände des § 12 StAG ausscheiden, hat der Kläger keinen Einbürgerungsanspruch aus § 10 StAG.

3. Die Voraussetzungen für den vom Kläger geltend machten Einbürgerungsanspruch unter Hinnahme der bisherigen Staatsangehörigkeit auf der Grundlage des § 8 StAG in Verbindung mit einer ermessensverdichtenden Folgenbeseitigungslast (vgl. dazu BayVGH, U.v. 17.2.2005 - 5 BV 04.1225, NVwZ-RR 2005, 856), liegen nicht vor.

Das zur gerichtlichen Prüfung gestellte Einbürgerungsbegehren umfasst auch die Ermessenseinbürgerung. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 StAG liegen unstreitig vor. Die Einbürgerung des Klägers steht demnach im gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Ermessen (§ 114 Satz 1 VwGO) des Beklagten. Die zuständige Regierung von Mittelfranken hat im Bescheid vom 15. Juni 2004 ihr Ermessen zugunsten des allgemeinen staatlichen Interesses an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit ausgeübt, weil die Voraussetzungen der Nrn. 8.1.2.6.3.1 ff. StAR-VwV nicht vorlägen. Das ist nicht zu beanstanden.

Die von der Klägerseite geltend gemachte Ermessensreduzierung infolge einer den Beklagten treffenden Folgenbeseitigungslast greift im vorliegenden Fall nicht. Das Landratsamt hat vorliegend keine rechtswidrige Versagungsentscheidung getroffen, an die die Sanktion der Folgenbeseitigungslast anknüpfen könnte. Unter konkreter Betrachtung des abgelaufenen Einbürgerungsverfahrens lässt sich auch keine qualifizierte Untätigkeit der Behörde feststellen, die einer rechtswidrigen Ablehnung gleichzustellen wäre (vgl. BayVGH, U.v. 17.2.2005 - 5 BV 04.1225, a.a.O.).

Der ursprüngliche Einbürgerungsantrag war von den damaligen Verfahrensbevollmächtigten beim Landratsamt mit Schreiben vom 5. Oktober 1999 gestellt worden, aus dem sich - durch den in Kopie beigefügten Bundesamtsbescheid vom 27. September 1995 und den Reiseausweis - der Status des Klägers als Asylberechtigter ergab. Nachdem die Behörde mit Schreiben vom 29. Oktober 1999 auf den Grundsatz einheitlicher Staatsangehörigkeit innerhalb einer Familie - mit Ausnahme bei Asylberechtigten - hingewiesen hatte, entband der Kläger seine damaligen Verfahrensbevollmächtigten. Wenn der zuvor rechtsanwaltlich beratene Kläger im Anschluss daran in seinem persönlich gestellten Einbürgerungsantrag vom 28. Dezember 1999 ausdrücklich angab, zur Aufgabe seiner bisherigen Staatsangehörigkeit bereit zu sein und sich verpflichtete, nach schriftlicher Zusicherung der Einbürgerung die erforderlichen Schritte zu unternehmen (Bl. 3 R der Einbürgerungsakte), hatte das Landratsamt keinen Anlass, auf die am Asylstatus anknüpfenden Ausnahmeregelungen von dem gesetzlichen Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit hinzuweisen. Die Erklärung der Bereitschaft zum Verzicht auf die bisherige Staatsangehörigkeit ist demzufolge wirksam und der Kläger muss sich daran festhalten lassen. Wenn er Aufklärungsbedarf zur Bedeutung dieser Erklärung gehabt hätte, hätte es ihm oblegen, den zuständigen Beamten zu befragen. Dem Landratsamt ist in diesem Zusammenhang mangels Offensichtlichkeit einer Unkenntnis des Klägers (vgl. Art. 25 Satz 1 BayVwVfG) kein Verfahrensfehler vorzuwerfen.

Selbst wenn man dem nicht folgen wollte, wäre keine potentiell ermessensverdichtende Voraussetzung einer qualifizierten Untätigkeit des Beklagten erkennbar: Ab dem Zeitpunkt der Erteilung der Einbürgerungszusicherung (4.6.2002) als dem vom Landratsamt dokumentierten Abschluss behördlicher Prüfungstätigkeit hat die Behörde in der Folgezeit den Entscheidungszeitraum von ca. drei zusammenhängenden Monaten (BayVGH, U.v. 17.2.2005 - 5 BV 04.1225, a.a.O.) nicht wesentlich überschritten: Ab Übergabe der (gefälschten) Entlassungsurkunde bzw. spätestens ab dem 23. September 2002 bestand mit Blick auf das daraufhin eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren ein berechtigter Grund zur Aussetzung des Einbürgerungsverfahrens wegen des Verdachts der Beteiligung des Klägers an Urkundendelikten (§ 88 Abs. 3 Satz 1 AuslG; nunmehr § 12a Abs. 3 Satz 1 StAG). Zwischen der dem Beklagten am 6. Oktober 2003 bekannt gewordenen Einstellung des Verfahrens gem. § 170 Abs. 2 StPO und dem Erlass des Asylwiderrufsbescheids am 16. Dezember 2003 hat das Landratsamt ebenfalls nicht über Gebühr mit einer Entscheidung zugewartet. Eine ermessensverdichtende Folgenbeseitigungslast ist demzufolge unter keinem Gesichtspunkt begründet.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zuzulassen, welche Anforderungen § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StAG in der Fallgruppe unzumutbarer Entlassungsbedingungen stellt (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Beschluss:

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 10.000,00 Euro festgesetzt (§ 47 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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