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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 01.03.2005
Aktenzeichen: 5 C 05.199
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, StAG


Vorschriften:

VwGO § 166
ZPO § 114
StAG § 8
StAG § 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

5 C 05.199

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Einbürgerung (Antrag auf Prozesskostenhilfe);

hier: Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 11. Januar 2005,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 5. Senat,

durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Hüffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Kraft, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz

ohne mündliche Verhandlung am 1. März 2005

folgenden Beschluss:

Tenor:

Der Klägerin wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 11. Januar 2005 Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren bewilligt.

Gründe:

I.

Die 1976 in Deutschland geborene Klägerin, eine türkische Staatsangehörige, ist aufgrund einer (geistigen und körperlichen) Schwerstbehinderung geschäftsunfähig und lebt in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe. Für sie ist ein Betreuer bestellt, dessen Aufgabenkreis auch das Stellen eines Einbürgerungsantrags umfasst. Die Klägerin erhält mangels eigenen Einkommens oder Vermögens Leistungen der Grundsicherung und der Eingliederungshilfe für Behinderte. Der Betreuer beantragte für die Klägerin beim Landratsamt Kulmbach ohne Erfolg die Einbürgerung. Im ablehnenden Bescheid vom 29. Juni 2004 ist zur Begründung ausgeführt, dass die Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung nach § 85 ff. AuslG nicht vorlägen, weil die Klägerin nicht über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse verfüge; eine Ermessenseinbürgerung komme nach Rücksprache mit der Regierung von Oberfranken nicht in Betracht. Auf den Widerspruch hin teilte die Regierung formlos mit, dass die Entscheidung des Landratsamtes rechtmäßig sei; eine Ermessenseinbürgerung scheide aus, weil die Klägerin ihren Unterhalt nicht ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten könne und zudem niemals ihre mit der Einbürgerung verbundenen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten würde ausüben können.

Der Betreuer hat (für die Klägerin) Klage zum Verwaltungsgericht erhoben, mit der er den Einbürgerungsantrag weiterverfolgt. Er macht geltend, dass eine Einbürgerung dem mutmaßlichen Willen der Klägerin entspreche; denn die Aufnahme in den deutschen Staatsverband stelle einen gewichtigen Aspekt für eine weitere Integration in ihr seit Geburt an deutsches Lebensumfeld dar. Sie beherrsche die deutsche Sprache nicht, weil sie aufgrund ihrer Behinderung überhaupt nicht sprechen, lesen oder schreiben könne. Die Ablehnung des Einbürgerungsantrags knüpfe allein an Umstände, die aus der Behinderung herrührten. Das könne mit dem Staatsangehörigkeitsrecht und Art. 3 Abs. 3 GG nicht vereinbar sein.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren ist vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 11. Januar 2005 abgelehnt worden. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es fehle an mehreren Voraussetzungen für einen Anspruch auf Einbürgerung nach den nunmehr maßgeblichen §§ 10 ff. StAG.

Mit der Beschwerde verfolgt die Klägerin ihren Prozesskostenhilfeantrag weiter. Der Beklagte ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hinsichtlich der vom Verwaltungsgericht nicht angesprochenen Ermessenseinbürgerung vorlägen, weil sich die zum 1. Januar 2005 in Kraft getretene Regelung des § 8 Abs. 2 StAG zugunsten der Klägerin auswirken könne.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

1. Die Klage bietet entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts hinreichende Aussicht auf Erfolg. Dafür genügt eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit des Erfolges, wobei im Hinblick auf die Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Zur Gewährung von Prozesskostenhilfe ist es einerseits nicht erforderlich, dass der Prozesserfolg schon gewiss ist. Andererseits darf die Prozesskostenhilfe verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfGE 81, 347/357). Gemessen an diesem Maßstab ist der Erfolg der vom Betreuer der Klägerin bereits erhobenen Klage offen und mithin hinreichend wahrscheinlich.

Das Klagebegehren umfasst sowohl die Anspruchseinbürgerung (§§ 10 ff. StAG) als auch die Ermessenseinbürgerung (§ 8 StAG). Es ist mit Blick auf die Klagebegründung nicht auf bestimmte Anspruchsgrundlagen beschränkt. Es stellt sich auch nicht die Frage nach einer Beschränkung des Streitgegenstands infolge einer begrenzten behördlichen Zuständigkeit auf Seiten des Beklagten (vgl. etwa BayVGH, Urteile vom 17.2.2005 - 5 B 04.392 und 5 BV 04.1225); denn infolge ihres Wohnsitzes in einer kreisangehörigen Gemeinde sind für die Entscheidung über eine Einbürgerung der Klägerin im Anspruchs- wie im Ermessenswege nur Behörden des Beklagten zuständig (Verordnung über die Zuständigkeit der Staatsangehörigkeitsbehörden vom 2. Januar 2000, GVBl S. 6; geändert durch VO vom 31.1.2005, GVBl S. 24), nämlich das Landratsamt Kulmbach und die Regierung von Oberfranken.

a) Ob der Klägerin ein Anspruch auf Einbürgerung nach §§ 10 StAG zur Seite steht, bedarf der eingehenden Prüfung in einem Hauptsacheverfahren und kann nicht bereits im Prozesskostenhilfeverfahren zu Lasten der Klägerin beantwortet werden.

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StAG können nicht ohne weiteres verneint werden. Die aufenthaltsrechtlichen Anforderungen an die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und den Aufenthaltstitel sind unstreitig erfüllt. Von der Voraussetzung, den Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten zu können (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG), ist nach der zwingenden Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG wohl abzusehen, weil die Klägerin ihre Behinderung als den Grund für die Inanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung und der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nicht zu vertreten hat. Ob ein Einbürgerungsanspruch der Klägerin am grundsätzlichen Verbot der Mehrstaatigkeit (vgl. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG) scheitern kann, ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zweifelhaft. Wenn das türkische Recht tatsächlich eine Entlassung aus der Staatsangehörigkeit nur für mündige und urteilsfähige Personen zulassen und eine Vertretung ausschließen sollte, dann liegt der Ausnahmetatbestand des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StAG für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit nahe; denn die Klägerin ist nicht urteilsfähig. Ob der Einbürgerungsanspruch, wie das Verwaltungsgericht weiter meint, daran scheitert, dass die Klägerin aufgrund ihrer Behinderung weder ein Verfassungstreuebekenntnis noch eine Loyalitätserklärung abgeben kann und deshalb zwangsläufig die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erfüllt, wirft schwierige und in der Rechtsprechung bislang - soweit ersichtlich - noch nicht erörterte Fragen nach der inhaltlichen Reichweite dieser Einbürgerungsvoraussetzung auf. Im Hauptsacheverfahren wird zu klären sein, ob ihre Anwendung auf solche Einbürgerungsbewerber zu beschränken ist, die aufgrund ihrer geistigen Reife bekenntnis- und erklärungsfähig sind; für eine solche teleologische Reduktion des Gesetzeswortlauts könnte die in § 10 Abs. 1 Satz 2 StAG enthaltene Regelung sprechen, die minderjährige Kinder vor Vollendung des 16. Lebensjahres ausdrücklich von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ausnimmt.

Erfüllt ein Einbürgerungsbewerber die Voraussetzungen des § 10 StAG, scheidet allerdings dennoch ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG aus, wenn er nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Da die Klägerin aufgrund ihrer Behinderung weder sprechen noch lesen oder schreiben kann, stellt sich auch in diesem Zusammenhang die Frage nach einer teleologischen Reduktion des Gesetzes auf sprachfähige Personen. Einerseits erlaubt es die Formulierung "ausreichende Kenntnisse" wohl, die individuelle Situation des Einbürgerungsbewerbers zu berücksichtigen und gerade auf Behinderungen Rücksicht zu nehmen (vgl. Berlit in: GK-StAR RdNrn. 26-40 zu § 86 AuslG). Andererseits handelt es sich bei der Forderung von deutschen Sprachkenntnissen nach der Gesetzeskonzeption um ein zentrales Merkmal der vom Einbürgerungsbewerber erwarteten Integrationsbereitschaft und -fähigkeit, was die Annahme eines unabdingbaren Mindestmaßes an die deutschen Sprachkenntnisse unabhängig von den individuellen Fähigkeiten durchaus nahe legt. Die Komplexität dieser Frage überschreitet ebenfalls den Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens.

b) Auch wenn für die Klägerin ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG ausscheiden sollte, so dürfte ihr nach derzeitiger Sachlage zumindest ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ihren Einbürgerungsantrag zustehen.

Die Mindestvoraussetzungen des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 StAG für eine Einbürgerung im Ermessenswege sind nach Aktenlage erfüllt. Zwar fehlt es an der weiteren, in Nr. 4 genannten Voraussetzung, weil die Klägerin zur Bestreitung ihres Unterhalts auf öffentliche Mittel angewiesen ist. Von dieser Voraussetzung kann indes nach § 8 Abs. 2 StAG in der seit dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung (nach Art. 5 Nr. 6 des Zuwanderungsgesetzes vom 30.7.2004, BGBl I S. 1950/1997) aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden. Dieses nach neuer Rechtslage eröffnete Ermessen hat die Regierung von Oberfranken bislang - zwangsläufig - noch nicht ausgeübt. Zwingende rechtliche Gründe, aus denen das spezielle (§8 Abs. 2 StAG) und das allgemeine (§ 8 Abs. 1 StAG) Einbürgerungsermessen nur zu Lasten der Klägerin ausgeübt werden müssten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere verbieten fehlende (deutsche) Sprachkenntnisse nicht die Einbürgerung im Ermessenswege. Dieser Umstand steht nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 11 Satz 1 StAG nur dem "Anspruch auf Einbürgerung nach § 10" entgegen; im Rahmen des § 8 StAG kann dieser Mangel im Rahmen der behördlichen Ermessensabwägung überwunden werden.

2. Die subjektiven Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind ausweislich der dem Verwaltungsgericht vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin erfüllt.

Die Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO) ist bislang nicht beantragt und kann deshalb auch nicht zugesprochen werden; gegebenenfalls wird das Verwaltungsgericht eine Entscheidung hierzu nachholen müssen.

Eine Kostenentscheidung und eine Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren sind entbehrlich. Kosten werden nach § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.

Ende der Entscheidung

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