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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.02.2004
Aktenzeichen: 5 ZB 03.2842
Rechtsgebiete: VwGO, AuslG, ZPO


Vorschriften:

VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
AuslG § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
AuslG § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6
ZPO § 300
Ab Erlass eines Widerrufsbescheids gem. § 73 AsylVfG fehlt einer auf Einbürgerung (unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit nach § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG) gerichteten Verpflichtungsklage die für eine Sachentscheidung notwendige Entscheidungsreife (im Anschluss an BayVGH, Beschluss vom 14.10 2003, Az. 5 C 03.2024).
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

5 ZB 03.2842

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Einbürgerung (hier: Untätigkeitsklage);

hier: Antrag der Beteiligten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 10. September 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 5. Senat,

durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Hüffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Kraft, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz,

ohne mündliche Verhandlung am 9. Februar 2004

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Berufung wird zugelassen.

II. Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen 5 B 03.2842 fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO).

III. Die Entscheidung über die Kosten des Antragsverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

IV. Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren und das Berufungsverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt Auer, Regensburg, gewährt.

Gründe:

I.

Der im Kosovo geborene Kläger, Staatsangehöriger Serbien-Montenegros, war mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. Juli 1993 als Asylberechtigter unter Feststellung politisch motivierten Abschiebungsschutzes gem. § 51 Abs. 1 AuslG anerkannt worden.

Am 6. Oktober 2000 beantragte er bei der Beklagten seine Einbürgerung. Mit Schreiben vom 9. April 2001 teilte das Bundesamt der Beklagten mit, dass gegenüber dem Kläger ein Widerrufsverfahren hinsichtlich seiner Asylanerkennung eingeleitet worden sei. Nachdem dem Kläger zunächst seitens der Beklagten eröffnet worden war, dass das Einbürgerungsverfahren (unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit) abgeschlossen sei und die Einbürgerungsurkunde zur Abholung bereit liege, wurde ihm mit Schreiben vom 27. Mai 2003 eine bis zum 26. Mai 2005 gültige Einbürgerungszusicherung erteilt für den Fall, dass der Verlust der serbisch-montenegrinischen Staatsangehörigkeit nachgewiesen wird.

Das Verwaltungsgericht gab der auf Verpflichtung zur Einbürgerung gerichteten Untätigkeitsklage des Klägers mit Urteil vom 10. September 2003 statt. Es liege kein zureichender Grund i.S. von § 75 VwGO dafür vor, dass die Beklagte bislang nicht abschließend über den Einbürgerungsantrag entschieden habe. Auf gerichtliche Nachfrage habe das Bundesamt am 6. August 2003 fernmündlich mitgeteilt, dass das Widerrufsverfahren derzeit nicht als entscheidungsreif eingestuft werde und kurzfristig nicht mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Aufgrund dieser Auskunft und der Verfahrensdauer von 28 Monaten liege kein zureichender Grund für ein weiteres Zuwarten der Beklagten vor. Der Kläger habe zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit (§ 85 AuslG i.V.m. § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG), da aufgrund der Bindungswirkung des Anerkennungsbescheids gem. § 4 AsylVfG derzeit davon auszugehen sei, dass der Kläger politisch Verfolgter i.S. von § 51 AuslG ist.

Dem Verwaltungsgericht war bei seiner Entscheidung nicht bekannt, dass die Asylanerkennung des Klägers zuvor mit Bescheid des Bundesamtes vom 1. September 2003 widerrufen worden war.

Gegen das Verpflichtungsurteil auf Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit wendet sich der Vertreter des öffentlichen Interesses mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, da das Verwaltungsgericht bei Kenntnis von dem mittlerweile erlassenen Widerrufsbescheid das Verfahren gem. § 75 Satz 3 VwGO ausgesetzt hätte. Seit Erlass dieses Bescheids seien die Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG für eine Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit nicht mehr erfüllt. Die seitens des Verwaltungsgerichts ausgesprochene Verpflichtung, den Kläger auf der Grundlage dieses Sachverhalts einzubürgern, sei rechtswidrig. Die Sache habe zudem grundsätzliche Bedeutung.

Der Kläger wendet sich gegen den Zulassungsantrag und beantragt Prozesskostenhilfe für das Zulassungs- und das Berufungsverfahren. Es sei Sache der Beklagten gewesen, das Gericht von dem am 5. September 2003 zugestellten Widerrufsbescheid in Kenntnis zu setzen. Mit Blick auf die gegen den Widerrufsbescheid anhängige Anfechtungsklage bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Grundsätzliche Bedeutung habe die Sache nicht.

II.

Auf den zulässigen Antrag des Vertreters des öffentlichen Interesses lässt der Senat die Berufung gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, da ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen. Mit Blick auf den gegenüber dem Kläger im Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts bereits erlassenen Widerrufsbescheid des Bundesamtes vom 1. September 2003 war die auf Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit gerichtete Verpflichtungsklage im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht entscheidungsreif.

Hinsichtlich der gesetzlichen Einbürgerungsvoraussetzungen (hier: § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG - Aufgabe oder Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit) und der diesbezüglichen Ausnahmen (hier: § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG für politisch Verfolgte i.S. von § 51 AuslG) kommt es - unabhängig von der Kenntnis des Gerichts - auf die objektiv gegebene Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 14. Oktober 2003 (Az. 5 C 03.2024 <juris>) entschieden, dass der Erlass eines Widerrufsbescheids des Bundesamtes gem. § 73 AsylVfG den Zeitpunkt markiert, ab dem Zweifel über die tatsächlichen Voraussetzungen der o.g. Einbürgerungsvoraussetzung bzw. der sie betreffenden Ausnahme bestehen, die die Entscheidungsreife des Einbürgerungsantrags (unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit) in Frage stellen und ein Zuwarten der Behörde mit der abschließenden Sachentscheidung rechtfertigen. Trifft das Verwaltungsgericht danach - bewusst oder unbewusst - eine Sachentscheidung, die entscheidungserheblich auf ein derzeit unsicheres Tatbestandsmerkmal gestützt ist, fehlt es an der aus materiellrechtlicher Sicht notwendigen Entscheidungsgewissheit hinsichtlich dieser Einbürgerungsvoraussetzung bzw. der damit korrespondierenden Ausnahmeregelung. Prozessrechtlich ist daher mangels Spruchreife bis zur Bestandskraft des Widerrufsbescheids bzw. der Rechtskraft einer ihn betreffenden gerichtlichen Entscheidung kein Raum für eine abschließende Sachentscheidung über die auf Einbürgerung gerichtete Verpflichtungsklage. Daher ist die Berufung bereits aus diesem Grund zuzulassen, ohne dass es auf die Frage der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der diesbezüglichen Darlegungsanforderungen ankäme.

Dem Kläger ist angesichts der dargelegten Bedürftigkeit für das Zulassungs- und das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des von ihm beauftragten Rechtsanwalts zu bewilligen (§ 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 1 ZPO); die Erfolgsaussichten seiner Rechtsverfolgung sind gem. § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht zu prüfen.

Belehrung:

Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Wegen der Verpflichtung, sich im Berufungsverfahren vertreten zu lassen, wird auf die Rechtsmittelbelehrung der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

Hinweis:

Nachdem das am Verwaltungsgericht Regensburg anhängige Verfahren des Klägers gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamtes vom 1. September 2003 (Az.: RO 6 K 03.31250) ein präjudizielles Rechtsverhältnis für die Frage der Einbürgerung unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit betrifft, erwägt der Senat die Aussetzung des Berufungsverfahrens im Hinblick auf dieses Verfahren gem. § 94 VwGO. Den Beteiligten wird insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Ende der Entscheidung

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