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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.09.2002
Aktenzeichen: 7 ZB 02.1701
Rechtsgebiete: VwGO, BayEUG, GG


Vorschriften:

VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 3
BayEUG Art. 35
BayEUG Art. 36
BayEUG Art. 118 Abs. 1
GG Art. 4
GG Art. 6 Abs. 2 Satz 1
GG Art. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

7 ZB 02.1701

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Schulpflicht;

hier: Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 30. April 2002,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 7. Senat,

durch den Richter am Verwaltungsgerichtshof Kersten als Vorsitzenden, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Bergmüller, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Heinl

ohne mündliche Verhandlung am 18. September 2002 folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Kläger haben gesamtverbindlich die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 4.000,--Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Kläger wenden sich aus Glaubensgründen gegen die Schulpflicht ihrer Tochter. Sie weigern sich, ihre Tochter die Grundschule, in deren Sprengel sie wohnen, besuchen zu lassen. Statt dessen wird das Kind zusammen mit anderen Kindern von Angehörigen der Glaubensgemeinschaft, der die Kläger angehören, innerhalb dieser durch Hausunterricht unterrichtet.

Mit Bescheid vom 2. Oktober 2001 gab das Landratsamt nach umfangreichen mündlichen und schriftlichen Verhandlungen und entsprechender Anhörung in Ziff. I.1 den Klägern auf, ihre Tochter spätestens am Tag nach der Zustellung des Bescheides bei der Volksschule Deiningen anzumelden. In Ziff. I.2 wurde ihnen aufgegeben, dafür zu sorgen, dass ihre Tochter spätestens ab dem Tage nach der Zustellung des Bescheides regelmäßig am Unterricht der Grundschule Deiningen teilnimmt und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besucht. Für den Fall der Nichterfüllung der in Ziff. I.1 und I.2 festgelegten Pflichten durch den Kläger zu 1 wurde in Ziff. II des Bescheids "pro schulpflichtigem Kind" ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 2.000 DM angedroht und die sofortige Vollziehung der genannten Verpflichtungen angeordnet (Ziff. 3).

Mit Schreiben vom 15. Oktober 2001 erklärte das Landratsamt gegenüber dem Kläger zu 1 ein Zwangsgeld in Höhe von 4.000 DM für fällig. Die gegen den Bescheid vom 2. Oktober 2001 erhobenen Widersprüche der Kläger wies die Regierung von Schwaben mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2002 zurück.

Das Verwaltungsgericht Augsburg wies die gegen die genannten Bescheide erhobene Klage mit Urteil vom 30. April 2002 ab.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.

II.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.

1. Soweit sich die Kläger gegen die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung und der ihnen gesetzten Frist wenden, liegen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils vor.

a) Entgegen der Auffassung der Kläger wird aus der Zwangsgeldandrohung hinreichend deutlich, dass für jede der in Ziff. I.1 und I.2 festgelegten Pflichten jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000 DM zur Zahlung fällig wird. Den Klägern musste sich nach Auffassung des Senats aufdrängen, dass der Zusatz in der Zwangsgeldandrohung "pro schulpflichtiges Kind", der vom Landratsamt offensichtlich versehentlich in den hier vorliegenden Bescheid übernommen wurde, im Falle der Kläger überflüssig war, da es sich nur um ein schulpflichtiges Kind handelt. Auf die Verständlichkeit der Zwangsgeldandrohung konnte dies aber offensichtlich keinen Einfluß haben.

b) Auch die Kritik an der den Klägern gesetzten Tagesfrist zur Erfüllung der im streitgegenständlichen Bescheid angeordneten Pflichten greift nicht durch. Angesichts der Tatsache, dass dem Bescheid des Landratsamts bereits mehrere Gespräche und Schriftwechsel sowie eine Anhörung durch das Landratsamt zugrundegelegen haben, konnten und mussten sich die Kläger schon seit längerer Zeit darauf einstellen, dass die Erfüllung der Schulpflicht notfalls im Wege des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden würde (s. BayVGH v. 20.8.2002 Az. 7 CS 02.1302).

2) Der Rechtssache kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Die von den Klägern aufgeworfene Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sich ein Anspruch der Kläger aus Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auf Gestattung von Heimunterricht unter Befreiung von der Schulpflicht für ihre Tochter ergibt, ist durch die ständige obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt. Zutreffend vertritt das Verwaltungsgericht die Auffassung, dass die Kläger die Erfüllung der Schulpflicht grundsätzlich nicht unter Berufung auf ihre Glaubens- und Gewissensfreiheit verweigern können. Dadurch, dass speziellen Elternwünschen hinsichtlich der bekenntnismäßigen Ausrichtung von Schulen aufgrund der Freiheit zur Gründung privater Ersatzschulen Rechnung getragen wird, ist sichergestellt, dass Eltern und Kinder durch die allgemeine Schulpflicht nicht in einen verfassungsrechtlich unzumutbaren Glaubens- und Gewissenskonflikt geführt werden (BVerwG v. 15.11.1991 NVwZ 1992, 370 m.w.N.). Zutreffend legt das Verwaltungsgericht, auf dessen eingehende und richtige Ausführungen Bezug genommen wird, unter Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen und der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats dar, dass der Schulpflicht hier Vorrang vor dem elterlichen Erziehungsrecht sowie der Glaubens- und Gewissensfreiheit zukommt (vgl. BayVGH v. 16.3.1992 NVwZ 1992, 1224; v. 27.9.2000 7 ZS 00.2403; v. 9.8.2001 7 ZB 01.1120; v. 20.8.2002 7 CS 02.1302).

Entgegen der Auffassung der Kläger im Berufungszulassungsverfahren hat das Bundesverfassungsgericht in dem von ihnen zitierten Beschluss vom 5. September 1986 (BayVBl 1986, 752 = NJW 1987, 180) nicht nur festgestellt, dass die allgemeine Schulpflicht und die sich daraus ergebenden weiteren Pflichten das in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete elterliche Bestimmungsrecht in zulässiger Weise beschränken, sondern darüber hinaus ausdrücklich klargelegt, dass die von den dortigen Beschwerdeführern in Anspruch genommene Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) ihnen nicht das Recht gebe, die Anmeldung ihres Sohnes zum Besuch der Volksschule zu unterlassen. Soweit sich die Kläger darauf berufen, der vom Verwaltungsgericht zitierte Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. November 1991 (BayVBl 1992, 184) trage die Begründung des Verwaltungsgerichts nur bedingt, führt auch dies nicht zur Zulassung der Berufung. Denn dort hat das Bundesverwaltungsgericht in einem dem vorliegenden vergleichbaren Fall ausdrücklich entschieden, dass die durch das Schulpflichtgesetz in Nordrhein-Westfalen begründete allgemeine Schulpflicht mit den bundes- (verfassungs-) rechtlich gewährleisteten Elternrechten insbesondere im Hinblick auf die bundesverfassungsrechtliche Privatschulgarantie (Art. 7 Abs. 4 und 5 GG) vereinbar ist, und dies mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (insbesondere BVerfGE 41, 44) begründet. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der genannten Entscheidung lediglich "im übrigen" festgestellt, dass das Schulpflichtgesetz Nordrhein-Westfalen in seinem § 6 Abs. 4 die Möglichkeit einer Befreiung von der Pflicht zum Besuch der Grundschule für den Fall zulasse, dass "ein wichtiger Grund" vorliegt und für anderweitigen Unterricht hinreichend gesorgt ist. Es hat aber nicht entschieden, dass eine derartige Regelung aus rechtlichen Gründen in der von den Klägern angenommenen Tragweite erforderlich wäre. Schließlich enthält die Entscheidung des Verwaltungsgerichts auch keinen Widerspruch zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. August 1993 (BVerwGE 94, 82 = NVwZ 1994, 578), wonach unter bestimmten Umständen ein Anspruch auf Unterrichtsbefreiung in einem einzelnen Fach bestehen kann (dort Anspruch einer Schülerin islamischen Glaubens auf Befreiung vom koedukativen Sportunterricht). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, da die Kläger die Befreiung von der Schulpflicht insgesamt begehren.

Der Antrag hat daher keinen Erfolg. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 GKG (vgl. Nr. II.37.3 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl 1996, 605).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.

Ende der Entscheidung

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