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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.12.2006
Aktenzeichen: 7 ZB 06.1790
Rechtsgebiete: VwGO, GG


Vorschriften:

VwGO § 103 Abs. 2
VwGO § 104 Abs. 3 Satz 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 5
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 4 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

7 ZB 06.1790

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Unterlassung;

hier: Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 6. April 2006,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 7. Senat,

durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Dr. Pongratz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Bergmüller, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zöllner

ohne mündliche Verhandlung am 4. Dezember 2006 folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist eine Kommanditgesellschaft, der im Gewerbegebiet M************* -******* mehrere Grundstücke gehören, auf denen sich ein Gewerbezentrum befindet. Die dortigen Gewerbeflächen hat sie an 31 Unternehmen mit insgesamt etwa 360 Mitarbeitern vermietet.

Die Beklagte ist eine als Körperschaft des öffentlichen Rechts verfasste Religionsgemeinschaft, die sich auf einer Website ("www.michelrieth.de") kritisch mit der Glaubensgemeinschaft Universelles Leben (UL) auseinandersetzt.

Mit ihrer am 14. Juli 2005 erhobenen Klage verlangte die Klägerin, einzelne auf der Website enthaltene Äußerungen über ihre Verbindung zum UL und über einen Betrugsfall während der Entstehung des Gewerbezentrums ebenso zu unterlassen wie die Verbreitung eines UL-kritischen persönlichen Textes mit Link zu einer 1998 unter Beteiligung der Klägerin abgeschlossenen geschäftlichen Vereinbarung. Zur Begründung führte sie aus, sie werde durch die genannten Aussagen in ihrem sozialen Geltungsanspruch und ihrer wirtschaftlichen Entfaltungsfreiheit unzulässigerweise beeinträchtigt.

Die Beklagte hielt dem entgegen, als sog. Christusbetrieb sei die Klägerin, deren Geschäftsführer unstreitig dem UL angehörten, dem Umfeld dieser Glaubensgemeinschaft zuzurechnen; sie müsse daher die im Rahmen der weltanschaulichen Auseinandersetzung getroffenen streitigen Aussagen hinnehmen.

Nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 6. April 2006 den Unterlassungsantrag hinsichtlich der behaupteten Verbindung zum UL neu formuliert hatte, gab das Verwaltungsgericht München der Klage im Wesentlichen statt und erließ am 6. April 2006 folgendes Urteil:

"1. Der Beklagten wird untersagt, in Bezug auf die Klägerin ausdrücklich oder sinngemäß zu äußern, sie gehöre zum wirtschaftlichen Zentrum des Universellen Lebens.

2. Der Beklagten wird untersagt zu äußern: Als das A******** Gewerbezentrum mit Millionenaufwand im Entstehen war, gehörte noch der Millionenbetrüger Richard S. zur "Bundgemeinde" der Sekte. S. hatte von 1986 bis 1991 anderweitig über 50.000 gutgläubige Anleger um insgesamt mehrere 100 Millionen DM betrogen und wurde deswegen 1993 zu 6 Jahren Haft verurteilt.

3. Der Beklagten wird untersagt, den Text "Vereinbarung im Vertrauen" unterzeichnet von Frau ********-********** vom 10. März 2004 mit Link zu einer Vereinbarung der Erbengemeinschaft **************** und *********** *** vom Juli 1998 zu verbreiten, soweit darin Name und Anschrift der Klägerin enthalten sind.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen."

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung. Sie trägt vor, nach der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Umformulierung des ersten Klageantrags sei ihr keine Möglichkeit mehr gegeben worden, zu dem nunmehr völlig anderen Inhalt des Klagebegehrens Stellung zu nehmen, so dass das rechtliche Gehör verletzt worden sei. Das Verwaltungsgericht habe überdies den Begriff "wirtschaftliches Zentrum des UL" im doppelten Sinne verstanden und damit die Aussage der Beklagten verfälscht. Bei dem Bericht über den Millionenbetrüger handle es sich um eine wahre Tatsachenbehauptung, die mit der Klägerin nicht in Zusammenhang stehe. Dass die von der "Aussteigerin" ********-********** verbreiteten Aussagen ein Firmeninternum beträfen, habe die Klägerin hinzunehmen, da die Beklagte im Rahmen ihrer grundrechtlich geschützten Aufklärungsarbeit Transparenz herzustellen beabsichtige.

Die Klägerin hält keinen der geltend gemachten Zulassungsgründe für gegeben.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

II.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung wegen eines zur Aufhebung führenden Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) oder wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor.

1. Es ist nicht erkennbar, dass der Beklagten im Anschluss an die Neuformulierung des ersten Klageantrags in der mündlichen Verhandlung vom 6. April 2006 das rechtliche Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) zu dem geänderten Streitgegenstand verweigert worden wäre. Aus dem damaligen Sitzungsprotokoll, dessen Richtigkeit die Beklagte nicht in Abrede stellt, geht eindeutig hervor, dass der Bevollmächtigte der Beklagten nach Stellung der (teilweise geänderten) Klageanträge vor Schließung der mündlichen Verhandlung nochmals zu Wort gekommen ist, wobei er aber nur den Antrag auf Klageabweisung gestellt hat. Dass er die Gelegenheit der Worterteilung nicht dazu genutzt hat, den Abweisungsantrag im Hinblick auf die vorangegangene Antragsänderung ergänzend zu begründen (§ 103 Abs. 3 VwGO) oder erforderlichenfalls eine Unterbrechung der mündlichen Verhandlung zu beantragen, lag in seiner eigenen Verantwortung, so dass in dem Fehlen einer weiteren Sachäußerung kein Gehörsverstoß gesehen werden kann. Selbst wenn die mündliche Verhandlung, wie in der Begründung des Zulassungsantrags entgegen dem Protokoll behauptet wird, bereits unmittelbar nach der Bekanntgabe des gerichtlichen Formulierungsvorschlags geschlossen worden wäre, hätte für den Beklagtenvertreter zumindest die Möglichkeit bestanden, unter Berufung auf § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO eine Wiedereröffnung zu beantragen und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör geltend zu machen. Nachdem auch dies nicht geschehen ist, kann in dem Verhalten des Verwaltungsgerichts kein Verfahrensfehler gesehen werden.

2. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des stattgebenden Urteils sind ebenfalls nicht ersichtlich. Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine ergebnisrelevante Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG vom 23.6.2000 NVwZ 2000, 1163/1164). Im vorliegenden Fall liegt keine dieser Voraussetzungen vor.

a) Das Verwaltungsgericht hat der Beklagten zu Recht untersagt, in Bezug auf die Klägerin ausdrücklich oder sinngemäß zu äußern, sie gehöre zum wirtschaftlichen Zentrum des UL. Der aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht sowie (subsidiär) aus dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb abzuleitende Unterlassungsanspruch bezieht sich auf die in der Website unter der Kapitelüberschrift "Das A******** Gewerbezentrum" getroffene Aussage, in der M**-*****-Straße liege das wirtschaftliche Zentrum des UL, wo neben anderen aufgezählten Firmen auch die Klägerin zu finden sei. Die betreffende Formulierung ("Hier finden wir...") kann entgegen dem Vorbringen der Beklagten nicht als eine rein geographische Lagebeschreibung ohne weitergehenden Aussagegehalt verstanden werden. Aus dem Gesamtzusammenhang des Abschnitts "Das UL in A******", der eine detaillierte Auflistung von - nach Meinung der Beklagten - UL-nahen Einrichtungen in A****** enthält (Hotel S**********, UL-Kindergarten), muss ein unbefangener Leser vielmehr den Schluss ziehen, dass innerhalb des als "wirtschaftliches Zentrum des UL" qualifizierten Gewerbegebiets zumindest die namentlich erwähnten Gewerbebetriebe ebenfalls als maßgeblich vom UL beeinflusst anzusehen seien. Für diese Aussage, die ungeachtet gewisser Wertungselemente in erster Linie die Tatsachenbehauptung enthält, die Betriebe seien mit der genannten Glaubensgemeinschaft im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeit in weltanschaulicher oder organisatorischer Hinsicht eng verbunden, hat die Beklagte in Bezug auf die Klägerin nicht den ihr obliegenden Wahrheitsbeweis erbracht. Sie hat insbesondere ihre Vermutung nicht belegen können, dass es sich bei der als Handelsgesellschaft eingetragenen Klägerin um einen nach den Prinzipien des UL organisierten sog. Christusbetrieb mit einer entsprechenden "urchristlichen Betriebsordnung" handle. Die hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht abgegebenen gegenteiligen Erklärungen der Geschäftsführer der Klägerin sind ebenso unwidersprochen geblieben wie die Angaben des Bevollmächtigten der Klägerin, wonach deren Gewerbeflächen an eine Vielzahl von Unternehmen vermietet seien, deren Mitarbeiter mehrheitlich nichts mit dem UL zu tun hätten. Unstreitig ist allerdings, dass beide Geschäftsführer der Klägerin dem UL persönlich eng verbunden sind. Dieser Umstand allein rechtfertigt aber noch nicht, auch die Klägerin als gewerbliches Unternehmen mit dieser in der Öffentlichkeit umstrittenen Glaubensgemeinschaft unmittelbar in Verbindung zu bringen und so ihre wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten erheblich zu beeinträchtigen oder zumindest zu gefährden, ohne dass sich die Beklagte dafür ihrerseits auf ein berechtigtes Interesse an der Informationsverbreitung berufen könnte.

b) Ebenfalls zu Recht hat das Verwaltungsgericht der Beklagten die Verbreitung der einen früheren Betrugsfall betreffenden Äußerungen in der bisher vorliegenden Form untersagt. Der dagegen im Zulassungsverfahren erhobene Einwand, die unstreitig wahre Tatsachenbehauptung über den Millionenbetrüger stehe weder optisch noch thematisch in einem Zusammenhang mit der Klägerin, vermag nicht zu überzeugen.

Der einleitende Halbsatz des strittigen Abschnitts ("Als das A******** Gewerbezentrum im Entstehen begriffen war, ...") verbindet ganz gezielt die Phase der Gewerbeansiedlung mit den jahrelangen Betrugshandlungen des früheren Mitglieds der "Bundgemeinde" der UL. Dass damit bei näherer Betrachtung noch kein sachlicher Zusammenhang behauptet, sondern nur ein zeitliches Zusammentreffen festgestellt wird, welches durchaus auf Zufall beruhen kann und insofern keinen speziellen Aussagegehalt aufweist, ändert wegen des Kontexts der Äußerung nichts an der negativen Betroffenheit der Klägerin. Die Passage über den Betrugsskandal steht nicht für sich allein, sondern findet sich im Abschnitt "Das A******** Gewerbezentrum". Dadurch wird sie mit dem "wirtschaftlichen Zentrum der UL" und den dortigen Betrieben in eine (allerdings unausgesprochene) sachlich-inhaltliche Verbindung gebracht.

Aufgrund des indirekt hergestellten Zusammenhangs kann ein nicht besonders aufmerksamer Leser sehr leicht den Eindruck gewinnen, in Anbetracht der "anderweitig" bewiesenen kriminellen Energie des (damals zur UL gehörenden) Millionenbetrügers Richard S. sei möglicherweise auch bei der zeitgleichen Entstehung des A******** Gewerbezentrums nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Aus diesem Verdacht kann sich ein rufschädigender und kreditgefährdender "Makel" ergeben, der insbesondere die geschäftliche Tätigkeit der Klägerin beeinträchtigen kann, der seit einigen Jahren die Betriebsgrundstücke mit den darauf errichteten Bauwerken gehören und die somit als Rechtsnachfolgerin der Gründer des Gewerbezentrums anzusehen ist. Da für ein kriminelles Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Entstehung des Gewerbezentrums bisher kein Anhaltspunkt besteht, kann die Klägerin von der Beklagten verlangen, ihre diesbezüglich zumindest missverständlichen Äußerungen künftig zu unterlassen.

c) Auch soweit der Beklagten verboten worden ist, den ihr zuzurechnenden Text von Frau ********-********** vom 10. März 2004 mit dem Link zu der Vereinbarung zwischen der Erbengemeinschaft ********/******* und der *********** *** vom Juli 1998 weiterhin zu verbreiten, soweit darin Name und Anschrift der Klägerin enthalten sind, unterliegt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts keinen ernstlichen Zweifeln. Die der Beklagten generell zustehende Freiheit, sich mit anderen Glaubensgemeinschaften auch kritisch auseinanderzusetzen, umfasst nicht das Recht, betriebsinterne Daten und Vorgänge von Unternehmen, deren unmittelbare Zugehörigkeit zu der kritisierten Religionsgemeinschaft nicht einmal erwiesen ist (s.o.), der allgemeinen Öffentlichkeit bekannt zu geben oder zugänglich zu machen. Dies gilt insbesondere, wenn sich wie hier aus dem Mitteilungszusammenhang der nicht näher erläuterte Vorwurf eines Dritten ergibt, das genannte Unternehmen habe an unlauteren Geschäften bzw. an der wirtschaftlichen Schädigung eines Vertragspartners mitgewirkt. Die öffentliche Verbreitung einer solchen wegen ihrer Unbestimmtheit kaum widerlegbaren Äußerung, die im Geschäftsleben zu erheblichen Nachteilen führen kann, ist nicht bereits deshalb erlaubt, weil der Dritte das kritisierte Fehlverhalten in einen Zusammenhang mit der religiösen oder weltanschaulichen Ausrichtung des Unternehmens gebracht hat. Auch in solchen Fällen muss nicht nur der Wahrheitsgehalt des Vorwurfs ausreichend belegt, sondern auch das im religiösen bzw. weltanschaulichen Meinungskampf wurzelnde Interesse an der öffentlichen Verbreitung nachvollziehbar dargetan werden. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass gerade Angehörige kleinerer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften mit den Mitteln einer Verdachtsberichterstattung gezielt aus dem Geschäftsleben herausgedrängt werden könnten (vgl. hierzu BVerwG vom 15. 12. 2005 NJW 2006, 1303).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zum Streitwert auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG.



Ende der Entscheidung

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