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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 25.11.2008
Aktenzeichen: 7 ZB 08.2050
Rechtsgebiete: BayEUG, LStVG, GG


Vorschriften:

BayEUG Art. 37
BayEUG Art. 74 Abs. 1
BayEUG Art. 76
BayEUG Art. 111 Abs. 3
BayEUG Art. 118
BayEUG Art. 119 Nr. 1
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1
LStVG Art. 8
GG Art. 6 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

7 ZB 08.2050

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Schulpflicht;

hier: Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 11. Juni 2008,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 7. Senat,

durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Kersten, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Bergmüller, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zöllner

ohne mündliche Verhandlung am 25. November 2008

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Antragsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Antragsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Kläger wenden sich gegen einen Bescheid der Beklagten zur Durchsetzung der Schulpflicht.

Der 1994 geborene Sohn der Kläger nimmt seit dem Herbst 2006 nicht mehr am Unterricht der S.-Hauptschule in A. teil. Seine Eltern sind der Auffassung, er könne aufgrund seines individuellen Förderbedarfs besser von ihnen selbst beschult werden.

Mit Bescheid der Beklagten - Dienststelle Schulverwaltungs- und Sportamt - vom 23. November 2007 wurden die Kläger als Erziehungsberechtigte verpflichtet dafür zu sorgen, dass ihr schulpflichtiger Sohn innerhalb von sieben Tagen ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids regelmäßig am Unterricht der Klasse 6b der S.- Hauptschule teilnimmt und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besucht (I.); für den Fall der Zuwiderhandlung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000 Euro angedroht (II.).

Die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage wies das Verwaltungsgericht Würzburg mit Urteil vom 11. Juni 2008 ab.

Mit dem vorliegenden Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzbegehren weiter.

Die Beklagte tritt dem Antrag entgegen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

II.

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 11. Juni 2008 hat keinen Erfolg, da die von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des klageabweisenden Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht deshalb gegeben, weil das Schulverwaltungs- und Sportamt der Beklagten für den Erlass des streitgegenständlichen Bescheids vom 23. November 2007 sachlich unzuständig gewesen wäre. Alleiniger Regelungsgegenstand dieses Bescheids war die Verpflichtung der Kläger, für die regelmäßige Unterrichtsteilnahme ihres schulpflichtigen Sohnes zu sorgen (Art. 76 i.V.m. Art. 37 BayEUG). Diese Verpflichtung konnte die Beklagte als Kreisverwaltungsbehörde (Art. 118 BayEUG i.V.m. Art. 6 LStVG) gemäß Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. Art. 119 Nr. 1 BayEUG im Wege einer verbindlichen Anordnung durchsetzen, wobei deren Rechtmäßigkeit nicht davon abhing, welches Amt bzw. welcher Mitarbeiter innerhalb des städtischen Verwaltungsapparats tätig wurde. Entgegen der Annahme der Kläger handelte es sich auch nicht (teilweise) um eine "innere Schulangelegenheit", für die nach Art. 111 Abs. 3 BayEUG ein Entscheidungsvorbehalt zugunsten des zuständigen Organs der Schule in Betracht käme. Die dazu von den Klägern zitierte Aussage in den Bescheidsgründen, das Schulamt habe die von der Mutter zeitweise durchgeführte Beschulung in den Räumen der Volksschule nicht hinnehmen können, soll erkennbar nur der Erläuterung des zugrunde liegenden Sachverhalts dienen und nimmt daher nicht am Regelungsgehalt des Bescheids teil. Auf die Frage, wer über die von den Klägern erstrebte gemeinsame Unterrichtung durch Eltern und Schule zu entscheiden hätte, kommt es daher vorliegend nicht an.

Es bestehen auch keine Zweifel daran, dass die Schulpflichtverletzung seitens der Kläger rechtswidrig war. Dem im Zulassungsverfahren vorgebrachten Einwand, ihr Verhalten sei durch eine "notstandsähnliche Situation" gerechtfertigt gewesen, kann nicht gefolgt werden. Auch wenn der Sohn der Kläger laut vorgelegtem Sachverständigengutachten an einer schweren Form der Lese-/Rechtschreibstörung leidet und daher einer individuellen Förderung bedarf, über deren Art und Umfang zwischen den Eltern und der Schule bislang keine Einigung erzielt werden konnte, ergab sich daraus für die Kläger nicht das Recht, ihren Sohn bis auf weiteres dem Schulunterricht zu entziehen. Der bloße sachliche Dissens zwischen den zuständigen schulischen Stellen und den Erziehungsberechtigten in der Frage, welche Form der Beschulung dem Kind am besten gerecht wird, lässt für die Eltern noch keine notstandsähnliche Zwangslage entstehen, in der es ihnen nicht mehr zugemutet werden könnte, der gesetzlichen Pflicht zur Ermöglichung des Schulunterrichts nachzukommen. Sie sind in einem solchen Fall vielmehr darauf verwiesen, den behaupteten Anspruch ihres Kindes auf spezielle Förderung gegenüber dem Schulträger nötigenfalls auf gerichtlichem Wege geltend zu machen.

Dass die gesetzliche Schulpflicht zugleich ein Recht auf "Homeschooling" ausschließt, ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt (BayVGH vom 2.8.2007 NVwZ-RR 2007, 763). Ein solches Recht ergibt sich entgegen anderslautenden Auffassungen in der Literatur auch nicht aus der Bestimmung des Art. 2 Satz 2 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Konvention für Menschenrechte, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner bisher unveröffentlichten Entscheidung vom 11. September 2006 entschieden hat (Az. 35504/03, Volltext unter http://www.coe.int/t/d/menschenrechtsgerichtshof/dokumente_auf_deutsch/volltext/ entscheidungen/20060911-Konrad.asp#TopOfPage). Dass die Kläger aufgrund ihrer Lektüre neuerer wissenschaftlicher Literatur zu einer positiven Einschätzung dieser Unterrichtsform gelangt sind, kann an diesem rechtlichen Befund nichts ändern.

Es ist auch nicht erkennbar, dass die Anordnung zur Durchsetzung der Schulpflicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde (Art. 8 LStVG). Ein milderes Mittel zur Erreichung des vom Gesetzgeber vorgegebenen Ziels eines Unterrichts in der öffentlichen Schule war vorliegend nicht gegeben. Die von den Klägern erstrebte "gemeinsame Beschulung" unter maßgeblicher Unterrichtsbeteiligung der Eltern ist im derzeit geltenden Schulrecht nicht vorgesehen und findet insbesondere in der allgemeinen Kooperationspflicht des Art. 74 Abs. 1 BayEUG keine Grundlage; aus dem grundrechtlich gewährleisteten elterlichen Erziehungsrecht lässt sich ein derartiger Anspruch ebenfalls nicht ableiten.

Es bestanden und bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Erfüllung der Schulbesuchspflicht für das betroffene Kind gerade im vorliegenden Fall zu schweren und unzumutbaren persönlichen Belastungen führen würde. Die in dem vorgelegten Gutachten diagnostizierte Anpassungsstörung mit einer Mischung aus Angst und Depression verpflichtete die im Unterricht eingesetzten Lehrkräfte zwar zu erhöhter Rücksichtnahme und möglicherweise auch zu individuellen Förder- und Ausgleichsmaßnahmen. An der grundsätzlichen Möglichkeit der Beschulung durch das pädagogisch und fachlich besonders ausgebildete Personal der Hauptschule änderte sich dadurch aber nichts.

Da die von den Klägern aufgeworfenen Fragen in der neueren Rechtsprechung (vgl. zuletzt BVerwG vom 8.5.2008 Az. 6 B 65/07 <JURIS> m.w.N.) bereits umfassend geklärt sind, weist die vorliegende Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf, die zu einer Zulassung der Berufung führen könnte.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zum Streitwert auf § 47, § 52 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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