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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 15.07.2003
Aktenzeichen: 8 ZB 03.990
Rechtsgebiete: VGO, BayStrWG, BayEG


Vorschriften:

VwGO § 43
BayStrWG Art. 13 Abs. 2
BayEG Art. 29 Abs. 2
Das Verwaltungsverfahren zur Übernahme von Grundeigentum durch den Träger der Straßenbaulast, der die Fläche für eine Straße in Anspruch genommen hat, kann nicht durch eine Klage auf Feststellung der Erwerbspflicht ersetzt werden.
8 ZB 03.990

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

In der Verwaltungsstreitsache

wegen

Feststellung der Erwerbspflicht nach Art. 13 Abs. 2 BayStrWG;

hier: Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 18. Februar 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 8. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Allesch, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dösing, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Graf zu Pappenheim

ohne mündliche Verhandlung am 15. Juli 2003

folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 20.394 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerin und die beklagte Gemeinde streiten um die Pflicht zum Erwerb bestimmter Grundstücksflächen, die nach dem Klagevortrag für den öffentlichen Verkehr genutzt werden. Nachdem weder hinsichtlich der Erwerbspflicht noch hinsichtlich der Grundstückspreise eine Einigung erzielt werden konnte, erhob die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht. Sie beantragte festzustellen, dass die Gemeinde verpflichtet sei, die genau bezeichneten Grundstücksflächen zu erwerben. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab, da die Feststellungsklage unzulässig sei. Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung macht die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Erstgerichts sowie hinsichtlich der Anforderungen an die Nichtigkeit einer Widmung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

1. Die von der Klägerin behaupteten ernstlichen Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts, das ihre Feststellungsklage als unzulässig abgewiesen hat, sind nicht gegeben.

Die Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gemäß § 43 Abs. 1 VwGO setzt voraus, dass der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat. Ferner kann die Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Dem Begehren der Klägerin auf Feststellung, dass die beklagte Gemeinde verpflichtet sei, gewisse Grundstücksflächen von ihr zu erwerben, liegt ein Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO zu Grunde. Ein subjektives Recht des Bürgers stellt ohne Zweifel die Grundlage für ein solches Rechtsverhältnis gegenüber dem Staat oder einer Kommune dar (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, § 43 RdNr. 11; Eyermann/Happ, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 43 RdNr. 13). Art. 13 Abs. 2 Satz 1 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes (BayStrWG) gewährt ein derartiges Recht; der Träger der Straßenbaulast hat nach dieser Vorschrift auf Antrag des Eigentümers oder eines sonst dinglich Berechtigten die für eine Straße in Anspruch genommenen Grundstücke oder ein dingliches Recht daran binnen einer Frist von fünf Jahren seit Inbesitznahme zu erwerben. Zur Geltendmachung dieses Anspruchs genügt eine formlose Willenskundgabe gegenüber dem Verpflichteten (vgl. BayVGH vom 5.7.1988 BayVBl 1989, 309/310). Kommt der Träger der Straßenbaulast dem Begehren nicht nach, so kann der Betroffene gemäß Art. 13 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG die Durchführung eines Enteignungsverfahrens gegen sich selbst beantragen. Gegen die Entscheidung der Enteignungsbehörde ist wegen der Entschädigung Klage zu den ordentlichen Gerichten und im Übrigen zu den Verwaltungsgerichten gegeben (Art. 13 Abs. 2 Satz 3 BayStrWG i.V.m. Art. 44 Abs. 1 und 2 des Bayerischen Gesetzes über die entschädigungspflichtige Enteignung - BayEG). Es kann dahinstehen, ob durch dieses gesetzlich vorgesehene Verwaltungsverfahren mit der anschließenden Möglichkeit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage bereits die Feststellungsklage als subsidiäre Rechtsschutzmöglichkeit im Sinne von § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO ausgeschlossen wird. Denn in jedem Fall fehlt der Klägerin das berechtigte Interesse an einer baldigen Feststellung gemäß § 43 Abs. 1 VwGO. Zwar schließt das berechtigte Interesse in diesem Sinne jedes als schutzwürdig anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art ein (vgl. BVerwGE 100, 262/271). Kein solches berechtigtes Interesse ist aber in den Fällen anzuerkennen, in denen die begehrte Feststellung eine Frage oder Vorfrage betrifft, für deren Beantwortung ein besonderes Verwaltungsverfahren vorgesehen ist (vgl. OVG Münster vom 24.10.1979 NJW 1980, 1069/1070). Ein derartiges Verwaltungsverfahren wird durch Art. 13 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BayStrWG i.V.m. Art. 19 ff. BayEG bereitgestellt. Hiernach kann der Betroffene die Durchführung eines Enteignungsverfahrens gegen sich selbst beantragen. Falls sich die Beteiligten nur über die Höhe der Entschädigung nicht einigen können, aber der Übergang oder die Belastung des Grundstücks nicht mehr streitig sind, kann auf Antrag eines Beteiligten gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayEG die Durchführung des Enteignungsverfahrens auf die Festsetzung der Entschädigung beschränkt werden. Kommt es demgegenüber nicht zu einer Einigung hinsichtlich des Grunderwerbs, so hat die Enteignungsbehörde naturgemäß auf Antrag auch über die grundsätzliche Frage der Erwerbspflicht des Trägers der Straßenbaulast nach Art. 13 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG zu entscheiden. Damit stellt der bayerische Landesgesetzgeber ein sachnahes Verwaltungsverfahren zur Klärung von Konflikten hinsichtlich der Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Straßen zur Verfügung. Dieses Verwaltungsverfahren führt für den Betroffenen gegebenenfalls zu einer umfassenden Klärung der im Vollzug des Art. 13 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG auftretenden Probleme.

Demgegenüber könnte im Rahmen der von der Klägerin angestrebten Feststellungsklage allenfalls ein Teilproblem behandelt werden. Selbst wenn die Frage der Erwerbspflicht des Trägers der Straßenbaulast geklärt wäre, müsste hinsichtlich der strittigen Höhe der Entschädigung noch ein Enteignungsverfahren nach Art. 13 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BayStrWG i.V.m. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayEG durchgeführt werden. Auch dieser Weg ist hier jedoch verschlossen; denn die Beschränkung des Enteignungsverfahrens nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayEG auf die Festsetzung der Entschädigung setzt voraus, dass sich die Beteiligten außerhalb des Enteignungsverfahrens über den Übergang oder die Belastung des Enteignungsgegenstands grundsätzlich geeinigt haben. Die gerichtliche Feststellung einer Erwerbspflicht des Trägers der Straßenbaulast kann eine derartige Einigung nicht ersetzen. Denn einem verwaltungsgerichtlichen Urteil hinsichtlich dieser Frage käme nur zwischen den Beteiligten eine Bindungswirkung gemäß § 121 Nr. 1 VwGO zu. Die Enteignungsbehörde wäre, da die hier beklagte Gemeinde nicht Kreisverwaltungsbehörde im Sinne von Art. 19 Abs. 1 BayEG ist, nicht an dieses Urteil gebunden. Eine allgemeine Bindung öffentlicher Rechtsträger an von den Verwaltungsgerichten erlassene Urteile, die zwischen anderen Beteiligten ergangen sind, ist aber nicht anerkannt (vgl. Eyermann/Rennert, a.a.O., § 121 RdNr. 38; BVerwG vom 17.10.1995 NVwZ 1996, 199/200).

Der Klägerin ist es auch zuzumuten, das Enteignungsverfahren nach Art. 13 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BayStrWG i.V.m. Art. 19 ff. BayEG zu betreiben, falls definitiv keine Einigung mit dem Träger der Straßenbaulast zu Stande kommt. Insbesondere wird ihr dieses Verfahren nicht aufgezwungen. Denn nicht der Träger der Straßenbaulast entscheidet über den Beginn dieses Verfahrens, sondern der Betroffene durch seinen Antrag nach Art. 13 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BayStrWG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 BayEG bei der Enteignungsbehörde. Auch stehen der Klägerin im Zusammenhang mit diesem von ihr zu beantragenden Verfahren Rechtsschutzmöglichkeiten offen, die den gleichen Umfang und zumindest die gleiche Effektivität bieten wie die von ihr hier angestrebte Feststellungsklage. Hinsichtlich der Erwerbspflicht des Trägers der Straßenbaulast ist gemäß Art. 44 Abs. 2 Satz 1 BayEG der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben, bezüglich der Entschädigung sind nach Art. 44 Abs. 1 BayEG die ordentlichen Gerichte anzurufen. Der Unterschied für die Klägerin besteht somit allein darin, dass sie bei einer gänzlich fehlenden Einigung mit dem Träger der Straßenbaulast zunächst auch hinsichtlich der Frage der Erwerbspflicht das förmliche Verwaltungsverfahren nach Art. 19 ff. BayEG beantragen muss. Die Einhaltung eines gesetzlich vorgesehenen Verwaltungsverfahrens wird vom Bürger aber auch auf zahlreichen anderen Rechtsgebieten verlangt. So liegt es auf der Hand, dass etwa ein baurechtlicher Vorbescheid oder eine Baugenehmigung nicht durch eine wie auch immer geartete Klage auf Feststellung nach § 43 VwGO ersetzt oder umgangen werden kann. Für den Fall des Art. 13 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG gilt nichts anderes. Letztlich würde durch die von der Klägerin angestrebte Verfahrensweise die Grenze zwischen Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten (vgl. § 1 VwGO) verwischt.

Soweit in der Literatur für diesen Fall trotzdem vertreten wird, dass eine Feststellungsklage in Betracht komme, falls der Baulastträger seine Erwerbspflicht bestreite (vgl. Zeitler, BayStrWG, Stand: Oktober 2002 Art. 13 RdNr. 16), geschieht dies ohne nähere Begründung. Außerdem bezieht sich diese Äußerung wohl nur auf den Streit über die Frage, wer im konkreten Fall der richtige Träger der Straßenbaulast ist. Andernfalls stünde diese Ansicht auch im Widerspruch zu späteren Ausführungen, wonach einer Feststellungs- oder Leistungsklage das Rechtsschutzbedürfnis fehle, da der Berechtigte gemäß Art. 13 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BayStrWG notfalls die Enteignung beantragen könne (vgl. Zeitler a.a.O., Art. 13 RdNr. 24). Für den vorliegenden Fall, in dem von den Beteiligten weder eine Einigung bezüglich der Erwerbspflicht noch eine solche hinsichtlich der Entschädigung nachgewiesen ist, hat es mithin sein Bewenden damit, dass eine Feststellungsklage mangels berechtigten Interesses des Betroffenen an einer baldigen Feststellung ausscheidet. Die Klägerin kann demnach weiterhin versuchen, eine Einigung oder zumindest eine Teileinigung mit dem Träger der Straßenbaulast zu erreichen oder bei einem endgültigen und vollständigen Fehlschlagen ihrer Bemühungen die Durchführung des Enteignungsverfahrens gemäß Art. 13 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG beantragen.

2. Da das Verwaltungsgericht die Feststellungsklage der Klägerin bereits als unzulässig abgewiesen hat, stellen seine Ausführungen zur Begründetheit nur noch ein obiter dictum ("im Übrigen") dar. Den seitens der Klägerin insoweit behaupteten ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und ihrem Vortrag zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) fehlt somit die Entscheidungserheblichkeit.

Kostenentscheidung: § 154 Abs. 2 VwGO.

Streitwertfestsetzung: § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 GKG.

Ende der Entscheidung

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