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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 24.06.2005
Aktenzeichen: 9 B 04.30824
Rechtsgebiete: GG, AufenthG


Vorschriften:

GG Art. 16a
AufenthG § 60 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 3
AufenthG § 60 Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 6
AufenthG § 60 Abs. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

9 B 04.30824

In der Verwaltungsstreitsache

wegen politischem Asyl (Eritrea);

hier: Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12. August 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 9. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Plathner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Franz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Hein

aufgrund der mündlicher Verhandlung vom 21. Juni 2005

am 24. Juni 2005

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12. August 2004 und unter Aufhebung der Nrn. 2 bis 4 des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 30. Oktober 2003 wird die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass bei den Klägern die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen und die Kläger nicht nach Eritrea abgeschoben werden dürfen.

II. Unter Abänderung der Nr. 2 des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12. August 2004 werden die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zur Hälfte von der Beklagten und zu je einem Achtel von den Klägern zu 1 bis 4 getragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1968 geborene Klägerin zu 1 und ihre drei Kinder (geboren 1995, 1996 und 1997), die Kläger zu 2 bis 4, beantragten am 12. Oktober 2003 Asyl und erklärten, sie seien eritreische Staatsangehörige tigrinischer Volkszugehörigkeit und Mitglieder der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Eine Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge fand aus terminlichen Gründen nicht statt. Das Bundesamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 30. Oktober 2003 als offensichtlich unbegründet ab.

Die Kläger erhoben am 5. November 2003 Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach und trugen vor, sie hätten Eritrea aus politischen Gründen verlassen. Bis zum Machtantritt der neuen Regierung habe die Klägerin zu 1 mit ihrer Familie glücklich in Eritrea gelebt. Aber dann sei ihr Glaube unterdrückt worden.

Von 1987 bis kurz vor ihrer Ausreise habe sie als Lehrerin gearbeitet. Sie sei wegen ihres Glaubens mehrere Male vom Unterricht abgeholt und dann polizeilich verhört worden. Anschließend sei versucht worden, sie zur Wehrpflicht einzuberufen, was gegen ihren Glauben verstoße. Da sie Kinder gehabt habe, sei sie nicht zur Wehrpflicht gezwungen worden. 1994 sei von der Regierung veranlasst worden, dass die Zeugen Jehovas verboten wurden und somit die Glaubengemeinschaft und die Gläubigen in die Illegalität getrieben wurden. Sie habe jedoch weiterhin als Lehrerin arbeiten können.

Ihr Ehemann besitze die äthiopische Staatsangehörigkeit. Nach dem Krieg von 1998 sei er zunächst in Eritrea geduldet worden, weil er mit einer Eritreerin verheiratet ist. Im Jahr 2000 sei er aber doch nach Äthiopien abgeschoben worden, weil er sowohl Zeuge Jehovas als auch Äthiopier gewesen sei. Sie seien dadurch in ihrer Glaubensfreiheit und in ihrem Familienleben beeinträchtigt worden: Sie könne nicht nach Äthiopien und er könne nicht nach Eritrea. Sie habe versucht mit ihren Kindern diese Repressalien zu ertragen: Mit ihren Glaubensbrüdern habe sie sich meist im Untergrund getroffen und dort hätten sie auch ihre Gebete und Treffen abgehalten. Bei einem Treffen sei sie von der Polizei erwischt worden. Man habe ihr gesagt, dass sie ihren Beruf als Lehrerin wegen ihres Glaubens verliere und wenn sie noch einmal erwischt werde, werde sie ihrer gerechten Strafe zugeführt.

Nachdem ihr Glaube und ihr Leben sowie das ihrer Kinder bedroht gewesen seien, habe sie keine andere Möglichkeit gesehen, als zu fliehen. Sie habe ihre Ersparnisse genommen und sei am 15. September 2003 von Asmara mit Pkw und Lkw in den Sudan geflohen, wo sie am 18. September 2003 angekommen seien. Sie sei etwa 20 Tage in Khartum gewesen. Am 11. Oktober 2003 sei sie mit einem Fluchthelfer mit einer Maschine der Lufthansa abends um 20.00 Uhr abgeflogen. In Kairo hätten sie eine Stunde Transit gehabt, ohne das Flugzeug zu verlassen. Am 12. Oktober 2003 seien sie um 5.00 Uhr morgens in Frankfurt gelandet. Am selben Tag noch habe sie für sich und ihre Kinder beim Bundesamt in Karlsruhe Asyl beantragt. Der Schlepper habe alles organisiert. Sie sei nur froh gewesen, dass sie endlich ihre Ruhe gefunden habe.

Sie könne nicht nach Eritrea zurück. Sie sei dort ihres Glaubens und ihrer Ehre beraubt worden. Sie sei nach Deutschland gekommen um ihren Glauben und ihr Leben zu retten. Wenn sie nach Eritrea zurückkehren müsste, würde sie verhaftet und evt. getötet.

Am 7. November 2003 ging beim Verwaltungsgericht die Ablichtung einer Übersetzung der "Identification Card of Displaced Ethiopian from Eritrea 1 D NO.004854" des "Ministry of Finance and Economic Development - Emergency Rehabilitation Program Coordination Office - Emergency Recovery - Program Management Unit" ausgestellt von "Belay Hailu, War Affected Household Rehabilitation Directive Head" für Herrn "Mebrahtu Alemayehu W/Mariam, Adresse: Region 14, Zone 4, Wereda 9, Kebele 20, House No. 1134" ein.

Im Eilverfahren trug der Bevollmächtigte der Kläger zusätzlich vor, die Klägerin habe sich am 14. Dezember 2002 gegen 18.00 Uhr wieder einmal in einer Wohnung von Glaubensbrüdern und -schwestern in Adisalem zum gemeinsamen Gebet eingefunden. Die Gruppe von ca. 10 Personen sei aber von der Polizei festgenommen und in zwei Polizeifahrzeugen auf die zweite Polizeistation von Asmara gebracht worden, wo die Klägerin eine Woche festgehalten worden sei. Da sie drei kleine Kinder zu versorgen gehabt habe, sei sie wieder frei gekommen, allerdings mit der Warnung, bei erneuter Festnahme nicht so gut wegzukommen. Ihre Glaubensbrüder und -schwestern seien in Haft geblieben. Nach Angaben ihrer Familien seien sie ins Gefängnis gekommen.

Der Vorfall habe zur Entlassung der Klägerin aus dem Schuldienst geführt. Als die Klägerin am 13. Februar 2003 morgens um 7.00 Uhr wie immer in die Schule gekommen sei und sich in die Anwesenheitsliste im Lehrerzimmer eingetragen habe, habe sie der Rektor zu sich gerufen und ihr eröffnet, dass sie ab sofort nicht mehr arbeiten dürfe. Er sei von der Regierung informiert worden, dass sie Zeugin Jehovas sei und deshalb zu entlassen sei. Irgendwelche Entlassungspapiere habe sie nicht erhalten. Ungefähr zwei Wochen später seien auch die beiden Kinder Abel und Suzi, von der Kuaheito-Schule in Asmara, Stadtteil Adisalem, mit derselben Begründung verwiesen worden.

Das habe aber die Klägerin nicht davon abgehalten, weiterhin ihren Glauben gemeinsam mit ihren Glaubensbrüdern und -Schwestern zu praktizieren.

Am 13. September 2003 habe ihr Sohn hohes Fieber gehabt. Die Klägerin sei deshalb mit ihm im Mekanehiwet Hospital in Asmara gewesen. Die jüngeren Kinder habe sie zu ihrer Schwester gebracht. Nach der Untersuchung habe sie die Nacht mit ihrem Sohn im Krankenhaus verbringen müssen. Am nächsten Morgen sei ihre Schwester mit einer Nachbarin der Klägerin gekommen und habe berichtet, dass die Polizei im Haus der Klägerin gewesen sei und dass ihre Glaubensbrüder und -schwestern, die sich am Abend zuvor in Kahant, einem Stadtteil von Asmara, zum Gebet getroffen hatten, von der Polizei überrascht und festgenommen worden seien.

Die Klägerin habe sich daraufhin zu ihrer Schwester begeben und von dort die Flucht eingeleitet.

Das Verwaltungsgericht ordnete mit Beschluss vom 8. Januar 2004 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 30. Oktober 2003 an.

Am 12. August 2004 fand die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht statt, in der die Klägerin auf zahlreiche Fragen des Gerichts den geschilderten Sachverhalt wiederholte. Unter anderem gab sie an, dass die Zeugen Jehovas schon seit 1994 unter ständiger Beobachtung stünden und man schon damals gewusst habe, dass sie Zeugin Jehovas sei.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 12. August 2004 ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin hätte wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas in Eritrea keine asylrelevante Verfolgung erlitten. Der Ausschluss der Zeugen Jehovas vom öffentlichen Dienst und von staatlichen Wohnungen, der Entzug ihrer Gewerbescheine und die Schließung ihrer Geschäfte, die Versagung von Pässen und sonstigen staatlichen Serviceleistungen seien für die Betroffenen zwar einschneidend, begründeten aber keine asylerhebliche Verfolgung, da sie weder Leib und Leben noch die persönliche Freiheit tangierten. Auch die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der Religionsausübung der Zeugen Jehovas würden in Eritrea grundsätzlich nicht angetastet. Das religiöse Existenzminimum bleibe gewahrt. Den Zeugen Jehovas bleibe die Möglichkeit einer nicht der staatlichen Zulassung bedürfenden Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Klägerin habe nicht nachvollziehbar darzulegen vermocht, weshalb ihre Entlassung aus dem Schuldienst und die Entfernung ihrer Kinder aus der Schule ausgerechnet im Jahr 2003 kurz vor ihrer Ausreise und nach der Abschiebung ihres Mannes nach Äthiopien erfolgt sein sollten. Aber selbst wenn das diesbezügliche Vorbringen als wahr unterstellt werde, wäre damit keine asylrelevante Verfolgung zu bejahen.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ließ mit Beschluss vom 20. Januar 2005 die Berufung zu.

Im Berufungsverfahren beantragen die Kläger die Beklagte zu verpflichten, sie als Asyl berechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen. Die Klägerin, die bekennende Zeugin Jehovas sei, sei nur durch Zufall davon verschont geblieben, am 13. September 2003 anlässlich eines gemeinsamen Gebets festgenommen und auf der Polizeistation in Asmara festgehalten zu werden. Dieses fluchtauslösende Ereignis habe das Verwaltungsgericht nicht in seine Erwägungen einbezogen.

In der mündlichen Verhandlung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs am 21. Juni 2005 wiederholte und vertiefte die Klägerin zu 1 ihre Lebens- und Verfolgungsgeschichte. Auch in Deutschland besuche sie - soweit ihr das wegen der Aufenthaltsbeschränkung möglich sei - Veranstaltungen der Zeugen Jehovas und werde im übrigen von Glaubensschwestern in ihrer Asylunterkunft besucht.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Akte des Bundesamts und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klagen sind erfolgreich, soweit es um die Verpflichtung zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG geht. Soweit sie auf die Verpflichtung zur Feststellung der Asylberechtigung nach Art. 16 a Abs. 1 GG gerichtet sind, haben sie keinen Erfolg.

Dem entsprechend ist das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts teilweise abzuändern und der Bescheid des Bundesamts in seinen Nrn. 2-4 aufzuheben. Die Beklagte ist zu verpflichten, bei den Klägern das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG festzustellen und auch festzustellen, dass die Kläger nicht nach Eritrea abgeschoben werden dürfen.

1. Nach § 60 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (sog. Genfer Flüchtlingskonvention BGBl. 1953 II S. 559) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. BVerwG vom 18.2.1997 Az. 9 C 9/96 BVerwGE 104,97 = NVwZ 1997, 1134), die auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur vergleichbaren Problematik bei Art. 16 a GG zurückgeht (vgl. z.B. BVerfG 54,341/360 und 70, 169), darf einem ausländischen Antragsteller, der bereits einmal politische Verfolgung erlitten hat, der Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention nur dann versagt werden, wenn bei einer Rückkehr in den Verfolgerstaat eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist (sog. herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab). Denn bei demjenigen, der bereits Verfolgung erlitten hat, liegt die Schwelle der Zumutbarkeit höher als bei dem, der sein Land unverfolgt verlassen hat.

Das Anerkennungsbegehren der Klägerin zu 1 ist an Hand dieses herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs zu prüfen, weil die Klägerin in Eritrea bereits politische Verfolgung erlitten hat.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ist davon überzeugt, dass die Klägerin die eritreische Staatsangehörigkeit besitzt und der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas angehört. Es besteht kein Anlass, an dem Vortrag der Klägerin insofern zu zweifeln. Die Klägerin spricht die in Eritrea übliche Sprache Tigrinia, ihr Mann ist in der vorgelegten amtlichen äthiopischen "Identifikation Card" als Vertriebener aus Eritrea bezeichnet, und die Klägerin konnte den Gerichten zahlreiche Einzelheiten aus dem Glaubensleben der Zeugen Jehovas und ihrem eigenen Leben als Zeugin Jehovas berichten.

Auch die von ihr vorgetragene Verfolgungsgeschichte, wonach sie u.a. am 14. Dezember 2002 für einige Tage von der Polizei gefangen gehalten wurde und am 13. September 2003 nur knapp einer erneuten Verhaftung entging, ist glaubhaft. Sie wurde in beiden gerichtlichen mündlichen Verhandlungen ohne Widerspruch und ohne Steigerung in Einzelheiten geschildert. Die Klägerin konnte dabei auch auf kritische Nachfragen prompt und überzeugend antworten. Die Klägerin machte dabei den Eindruck einer in ihrem Gottvertrauen ruhenden Persönlichkeit.

Die Verfolgungsgeschichte stimmt auch mit den in die Gerichtsverfahren eingeführten Auskünften und Berichten überein: Nach dem Dekret des eritreischen Präsidenten vom 25. Oktober 1994 und der Bekanntmachung des eritreischen Innenministeriums vom 1. März 1995 (Anlage zur Auskunft des UNHCR an das VG Darmstadt vom 18.7.2002) nimmt der eritreische Staat den Zeugen Jehovas übel, dass sie nicht am Unabhängigkeitskrieg teilgenommen haben, dass sie sich nicht am Referendum über die Loslösung Eritreas von Äthiopien im Frühsommer 1993 beteiligten, dass sie den Nationalen Dienst ablehnen, dass sie sich angeblich weigerten, den eritreischen Staat anzuerkennen, d.h., dass sie insgesamt den Geboten ihres Gottes mehr gehorchen als den Gesetzen des eritreischen Staates. Die Toleranz des Staates habe ihre Grenzen erreicht und die Zeugen Jehovas könnten deshalb nicht länger staatsbürgerliche Rechte genießen.

Infolge dieser Erlasse wurden und werden Zeugen Jehovas in Eritrea nicht in den Staatsdienst aufgenommen bzw. sie werden aus ihm entlassen, sie erhalten keine bzw. verlieren staatliche Wohnungen, ihre Kinder dürfen keine staatlichen Schulen besuchen, Geschäftslizenzen wurden ihnen entzogen, sei erhalten keine ID-Karten (vergleichbar Personalausweisen), Reisepässe, Lebensmittelmarken oder jegliche sonstige staatliche Dienstleistungen. In der staatlichen Radio- und Fernsehpropaganda wird gegen sie gehetzt. Private Arbeitgeber und Wohnungsgeber werden aufgefordert, Zeugen Jehovas keine Arbeit und keine Wohnung zu geben. Wenn sie es gleichwohl tun, haben sie staatliche Nachteile zu befürchten. Entsprechend schwierig ist es für Zeugen Jehovas deshalb private Arbeit und private Wohnungen zu finden. Die Sicherheitskräfte haben die öffentlichen Gottesdienste der Zeugen Jehovas überfallen und die Gläubigen festgehalten und gezwungen, ihrer Religion abzuschwören (Institut für Afrika-Kunde - IAK - an VG Würzbug vom 8.2.1996; UNHCR an BAFI vom 25.6.1996; ai an VG Würzburg vom 27.6.1996; AA an VG Stuttgart vom 21.11.1997; US Dept. of State Annual Report on International Religious Freedom for 1999 - Eritrea-; Wachturm an VG Köln vom 7.12.1999; Zeugen Jehovas an VG Köln vom 27.2.2000; IAK an VG Kassel vom 19.1.2001; AA an VG Kassel vom 8.3.2001; ai an VG Kassel vom 20.8.2001; Zeugen Jehovas an VG Wiesbaden vom 18.10.2001; UNHCR an VG Darmstadt vom 18.2.2002; European Comission, Eurasil, UNHCR guidelines to the eligebility of asylum seekers from Eritrea, November 2002; AA an VG Aachen vom 31.3.2003; IAK an VG Aachen vom 15.7.2003; vgl. auch Urteil des BayVGH vom 24.2.2000 Az. 9 B 96, 35177).

Diese missliche Lage der Zeugen Jehovas hat sich seit etwa dem Jahr 2002 nochmals deutlich verschlechtert. Seit dieser Zeit sind Gottesdienste solcher Religionsgemeinschaften untersagt, die nicht seit mindestens 40 Jahren im Land aktiv sind. Seit 40 Jahren im Land aktiv sind nur die folgenden vier Religionsgemeinschaften: Die christlich orthodoxe Kirche, die sunnitische muslimische Religionsgemeinschaft, die römisch-katholische Kirche und die protestantische Kirche (Lutherischer Weltbund, denen auch die Anglikaner zugeordnet werden). Alle anderen Religionsgemeinschaften müssen sich erst registrieren lassen. Trotz Bemühungen ist es bisher noch keiner Religionsgemeinschaft gelungen, alle vom Staat für eine Registrierung vorgeschriebenen Unterlagen beizubringen. Die Zeugen Jehovas z.B. weigern sich, dem Staat die Listen mit den Namen und Adressen ihrer Mitglieder zu übergeben. Folglich wurde auch noch keine Registrierung vorgenommen. Bis zur Registrierung sind Aktivitäten der nicht registrierten kleineren Religionsgesellschaften weiterhin unzulässig (Lageberichte des AA vom 18.7.2003 S. 9 und vom 25.5.2004 S. 8).

Auch private Gebetszusammenkünfte in Privathäusern in kleinen Gruppen werden seither von den Sicherheitskräften aufgelöst, soweit sie ihnen bekannt werden. Die dabei ertappten Gläubigen werden vorübergehend verhaftet. Das Auswärtige Amt berichtet, dass die Anhänger der kleinen Glaubensgemeinschaften in der Haft gefoltert werden, um sie für ihre Zugehörigkeit zu diesen Religionsgemeinschaften zu bestrafen. "Andere sollen in Haft gezwungen worden sein, ihrem Glauben abzuschwören oder ihn nicht mehr zu praktizieren. Nur dann wurden sie freigelassen. Anderen Berichten zufolge sind Verwandte der Inhaftierten gezwungen worden, solche Erklärungen zu unterschreiben, wenn die Inhaftierten sich weigerten dies zu tun" (Lagebericht des AA vom 11.4.2005 S. 10; IAK an OVG Meck-Vorp. vom 9.10.2003; AA an OVG Meck-Vorp. vom 5.11.2003).

Es spricht viel dafür, dass diese Behandlung der Zeugen Jehovas durch den eritreischen Staat wegen ihrer Verfolgungsdichte eine Gruppenverfolgung im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss vom 14.12.1995 DVBl. 1996,611) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. BVerwGE 96,2000) darstellt, weil auch das religiöse Existenzminimum nicht mehr gewährleistet ist (zum religiösen Existenzminimum vgl. z.B. BVerfG vom 1.7.1987 BVerwG 76,143 ff.). Diese Frage kann hier jedoch dahinstehen, weil der Senat der Klägerin aufgrund ihres überzeugenden Auftretens in der mündlichen Verhandlung glaubt, dass sie persönlich Opfer politischer Verfolgung war. Die Klägerin war im Dezember 2001 bereits mehrere Tage wegen ihres Glaubens eingesperrt. Eine erneute Inhaftierung stand am 13. September 2003 unmittelbar bevor. Diese würde, da es sich aus der Sicht der eritreischen Sicherheitskräfte um eine Wiederholungstat handelte, vermutlich noch länger gedauert haben. Nicht nur eine erlittene Inhaftierung, sondern auch eine unmittelbar bevorstehende Verhaftung ist eine Verfolgung, die zur Anwendung des herabgesetzten Wahrscheinlichkeitsmaßstabes führt (BVerfG 83,216). Eine mehrtägige Verhaftung ist auch von ihrer Intensität her als politische Verfolgung zu werten (vgl. z.B. BVerwGE 87,141). Dass die Verfolgung aus religiösen Gründen betrieben wurde, ergibt sich eindeutig aus dem glaubhaften Vorbringen der Klägerin.

Nach dem - unter Verwendung der zur Verfügung stehenden und in das Verfahren eingeführten Auskünfte - beschriebenen Zustand des Verhältnisses des eritreischen Staates zu den Zeugen Jehovas ist es nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, das die vorverfolgte Klägerin zu 1 bei einer Rückkehr nach Eritrea wegen ihres Glaubens erneut politische Verfolgung erleiden wird. Sie ist deshalb als politischer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anzuerkennen.

2. Nach Art. 16 a Abs. 1 GG genießen politisch verfolgte Asylrecht. Gemäß Abs. 2 der Vorschrift kann sich auf das Asylrecht aber nicht berufen, wer aus einen Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention oder der Europäischen Menschenrechtskonvention sichergestellt ist. Die Klägerin behauptet zwar, nach einer Zwischenlandung in Ägypten, das nicht zu den sicheren Drittstaaten zählt, mit dem Flugzeug direkt nach Frankfurt geflogen zu sein. Der Senat konnte sich aber keine Überzeugung davon bilden, dass die Klägerin wirklich auf diese Weise eingereist ist. Die Klägerin könnte mit ihren drei Kindern unschwer und ohne Grenzkontrollen passieren zu müssen aus einem anderen Schengenstaat eingereist sein: Der Vortrag der Klägerin zu ihrem Flug nach Deutschland war - anders als das Vorbringen zu ihrer Lebens- und Verfolgungsgeschichte - nicht von Detailreichtum geprägt. Es ist vorstellbar, dass die Klägerin trotz des Vertrags einer wahren Lebens- und Verfolgungsgeschichte in Bezug auf den Flug nicht ganz bei der Wahrheit geblieben ist. Insofern ist zu bedenken, dass sie für die Einreise nach Deutschland auf die Hilfe des "Geschäftsmannes" angewiesen war und deshalb bereit war, nur seinen Weisungen - auch was die Schilderung der Einreise betrifft - zu folgen. Nach § 15 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG hatte die Klägerin die Pflicht, den in ihrem Besitz befindlichen Flugschein und den Pass den deutschen Behörden auszuhändigen. Stattdessen hat sie diese Unterlagen "dem Geschäftsmann" überlassen. Das mag menschlich verständlich sein, stellt aber eine Verletzung gesetzlicher Pflichten und eine Beweisvereitelung dar. Nachdem sich der Senat nicht auf andere Weise als durch Einsicht in Pass und Flugschein von der Einreise ohne Berührung eines sicheren Drittstaates überzeugen konnte, verliert die Klägerin den Rechtsstreit um die Asylgewährung nach den Regeln der materiellen Beweislast. Denn für den Nachweis der Einreise ohne Berührung eines sicheren Drittstaates ist die Klägerin beweispflichtig (BVerwG Urteil vom 29.6.1999 Az. 9 C 36.98 BVerwGE 109,154). Der sachtypische Beweisnotstand der Asylbewerber betrifft vor allem asylbegründende Vorgänge außerhalb des Gastlandes, für die in der Regel Glaubhaftmachung genügt, während für Vorgänge innerhalb des Gastlandes grundsätzlich der volle Nachweis zu fordern ist (BVerwGE 55, 82).

3. Die Entscheidung des Bundesamts über das Nichtvorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (Nr. 3 des Bundesamtsbescheids - jetzt § 60 Abs. 2-7 AufenthG) war aufzuheben, da der Klägerin Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zu geben ist. Beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG kann von einer Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2-7 AufenthG abgesehen werden (§ 31 Abs. 3 AsylVfG).

4. Die Androhung der Abschiebung nach Eritrea (Nr. 4 des Bundesamtsbescheids) ist aufzuheben, weil die Klägerin in Eritrea politische Verfolgung zu gewärtigen hat (vgl. oben unter 1).

5. Die Feststellung, dass auch bei den Kindern der Klägerin zu 1, den Klägern zu 2 bis 4, die Voraussetzungen des §60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, beruht auf §26 Abs. 4 AsylVfG. Dabei stellt das Gericht gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 21. Juni 2005 ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Befreiung von den Gerichtskosten ergibt sich aus § 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss:

Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens beträgt 5.700 Euro (§ 30 RVO).

Ende der Entscheidung

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