Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 20.03.2007
Aktenzeichen: 9 B 06.30845
Rechtsgebiete: AufenthG, GG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 7
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

9 B 06.30845

Verkündet am 20. März 2007

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG (Äthiopien);

hier: Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16. August 2006,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 9. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Plathner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Heinl, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Breit

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 20. März 2007

am 20. März 2007

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

II. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin, eine äthiopische Staatsangehörige amharischer Volkszugehörigkeit, wurde am 22. August 1984 in Wendogenet, Äthiopien, geboren. Sie ist ledig und hat zwei Kinder im Jahr 2000 bzw. im Jahr 2002 geboren. Der im Jahr 2002 geborene Junge verstarb zu einem Zeitpunkt, als sich die Klägerin bereits in Deutschland befand. Die Mutter der Klägerin ist bereits gestorben. Die Klägerin hat noch eine jüngere Schwester, die zusammen mit der im Jahr 2000 geborenen Tochter der Klägerin bei dem jetzt ca. 70-jährigen Vater der Klägerin lebt. Die Klägerin hat den Schulbesuch in der 11. Klasse abgebrochen, weil sie Mutter wurde. Die Reise nach Deutschland hat der Vater bezahlt. Er besaß eine kleine Bar (ca. 15 Plätze) und lebt jetzt von seinen Ersparnissen.

Die Klägerin beantragte am 29. Januar 2003 in Deutschland Asyl. Das Bundesamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 17. März 2003 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und des § 53 AuslG nicht vorliegen und drohte der Klägerin die Abschiebung nach Äthiopien an. Es glaubte der Klägerin die vorgetragene Verfolgungsgeschichte nicht.

Die Klägerin erhob Klage zum Verwaltungsgerichts Ansbach. Mit Schreiben vom 1. April 2003 teilte sie mit, dass sie an einer chronischen HIV-Infektion leide und übermittelte ein ärztliches Attest der HIV-Schwerpunktpraxis Dr. med. Abelein/Helm vom 27. März 2003 folgenden Inhalts.

"Die Patientin litt unter rezidivierenden HIV-assoziierten Infekten.

Aufgrund einer Verschlechterung ihrer Immunlage (fallende sogenannte Helferzellen im Blut nachweisbar, erhöhte Virusmenge in verschiedenen Geweben) und entsprechender klinischer Symptomatik begannen wir im März 2003 mit einer antiretroviralen Kombinationstherapie. Es handelt sich bei der medikamentösen Behandlung um eine Dauertherapie auf nicht absehbarer Zeit; ein Nichtfortführen wäre für den Krankheitsverlauf und damit für die Patientin sehr bedenklich, da eine schnell einsetzende Resistenzentwicklung bezüglich verordneter Medikamente diese unwirksam machen würde.

Die Helferzellzahl lag zuletzt am 20.3.03 bei CD4 103/mcl, CD8 533/mcl, Virus Load vom 20.3.03 <60000 Kop/ml. "

Das Bundesamt übermittelte unter dem 6. April 2005 eine Kostenzusicherung der Regierung von Mittelfranken - Zentrale Rückführungsstelle Nordbayern - vom 1. April 2005 folgenden Inhalts:

"Die ZRS Nordbayern wird im Falle einer freiwilligen Ausreise oder einer beabsichtigten Abschiebung der Obengenannten die Kosten übernehmen, die notwendig sein werden, damit die Antragstellerin im Heimatland für 6 Monate einen gesicherten Zugang zu Medikamenten und Behandlungsmöglichkeiten erhält, soweit dies anderweitig nicht sichergestellt werden kann.

Begründung:

"Die Betroffene ist HIV positiv. Antiretrovirale Medikamente sind in Äthiopien in ausreichendem Maße und jederzeit verfügbar und werden in bestimmten Apotheken ausgegeben. Sofern der Patient über unzureichendes Einkommen verfügt, werden diese Medikamente kostenfrei abgegeben.

Die Betroffene wird deshalb bei der Ausreise einen Barbetrag erhalten, der ausreichend sein wird, für den genannten Zeitraum im Heimatland die benötigten Medikamente zu beschaffen und die Kosten für die notwendige Behandlung übernehmen zu können. Durch diese Maßnahme ist auszuschließen, dass der Betroffenen bei der Rückkehr nach Äthiopien eine erhebliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben droht.

Wir bitten, rechtzeitig vor dem beabsichtigten Rückkehrtermin die notwendigen Mittel zu beantragen."

Die Klägerin legte noch folgendes Attest von Dr. med. Schneider vom 5. Mai 2006 vor:

"Obengenannte befindet sich in meiner regelmäßigen internistischen Betreuung seit dem 18.4.06. Folgende Diagnosen liegen vor:

HIV-Infektion Stadium B III nach CDC.

Vor zwei Jahren wurde eine antiretrovirale Therapie mit Truvada (Emitricitabin 200 mg, Tenofovir 245 mg), einmal täglich und Efavirenz (Sustiva) 600 mg abends eingeleitet. Die CD 4 Zellzahl am 14.3.03 belief sich (vor Therapie) auf 91/µl, die quantitative HIV 1 RNA betrug 60000 Cop/ml.

Bei auch nur kurzer Unterbrechung der Medikamente oder fehlender Kontrollen ist von einem innerhalb von Wochen zusammenbrechenden Immunsystem und dem Tod infolge opportunistischer Infektionen wie PCP, Toxoplasmose oder CMV auszugehen."

Das Verwaltungsgericht verpflichtete das Bundesamt mit Urteil vom 16. August 2006 unter Aufhebung der Nrn. 3 und 4 des Bescheides vom 17. März 2003 festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 AufenthG in Bezug auf Äthiopien vorliegt. Im Übrigen wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, HIV sei zwar in Äthiopien grundsätzlich behandelbar, im Hinblick darauf, dass aber Therapieplätze nur für 1,3 % der HIV-Erkrankten vorhanden seien, würde die Klägerin eine Abschiebung nach Äthiopien und die damit verbundene Unterbrechung der in Deutschland begonnenen Therapie in eine extreme Gefahr bringen. Die Klägerin gehöre nach ihrem insoweit glaubwürdigen Vorbringen nicht zu dem mehr oder weniger exklusiven Personenkreis in Äthiopien, der die Kosten für die notwendige antiretrovirale Therapie selbst aufbringen kann. Bei der Klägerin würde deshalb in Äthiopien innerhalb weniger Monate eine akute Verschlechterung ihres Gesundheitszustands bis hin zum Tod eintreten. An dieser Beurteilung vermöge auch die zugesagte Medikamenten- und/oder Geldmitgabe zur Erlangung der erforderlichen Behandlung für einen Zeitraum von bis zu einem halben Jahr nichts zu ändern. Der Sinn der Medikamentenabgabe könne es nur sein, den Zeitraum, den der Ausländer nach seiner Rückkehr benötige um alles für die Behandlung erforderliche in die Wege zu leiten, überbrücken zu helfen, nicht jedoch, die sich aus der nicht gewährleisteten erforderlichen Behandlung ergebende Lebensgefahr um den Zeitraum der Medikamentenmitgabe hinauszuschieben.

Die Beklagte beantragte die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage, ob der Eintritt einer extremen Gefahrenlage "alsbald nach der Rückkehr" ins Heimatland auch dann noch vorliege, wenn Medikamente und Geld für eine Therapie von einem Jahr oder gar noch länger mitgegeben würden. Der Verwaltungsgerichtshof ließ die Berufung mit Beschluss vom 10. August 2006 zu.

In der Berufung beantragt die Beklagte das Urteil des Verwaltungsgerichts abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen. Zur Begründung bezieht sie sich auf ihren Zulassungsantrag und führt noch aus, die Klägerin gerate bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht in eine konkrete Gefahr, weil die Gefahr nicht alsbald eintrete. Der Klägerin könnten Geld und Medikamente für eine Therapie mitgegeben werden. Außerdem sei Äthiopien ein Entwicklungsland, was bedeute, dass bestimmte Gegebenheiten und Situationen sich kurzfristig verändern könnten. Hierzu verwies sie auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Arnsberg vom 9. Mai 2006. Aufgrund der sich ständig verbessernden Lage in Äthiopien sei heute nicht absehbar, dass die Klägerin nach Verbrauch der mitgegebenen Medikamente und des mitgegebenen Geldes tatsächlich in Gefahr gerate, dass sich ihr Gesundheitszustand bei einer Rückkehr nach Äthiopien im Verhältnis zu einem Verbleib in Deutschland wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtere.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die zugelassene und auch im übrigen zulässige Berufung gemäß § 78 Abs. 2 AsylVfG hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat das Bundesamt zu Recht verpflichtet, bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Äthiopiens festzustellen.

Die Berufung wird aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen. Auf die Gründe wird Bezug genommen (vgl. § 130 b Satz 2 VwGO).

Ergänzend wird noch folgendes ausgeführt:

Die Gefahr, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatland verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind, kann ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (BVerwGE 105,383 und BVerwG NVwZ 78,973 = DÖV 99,118). Dasselbe gilt auch dann, wenn die medizinische Behandlungsmöglichkeit zwar grundsätzlich vorhanden, für den von der Krankheit betroffenen Ausländer im speziellen Fall aber aus finanziellen oder persönlichen Gründen nicht erreichbar ist (BVerwG DVBl. 2003, 463 und BVerwG AuAS 2007,30).

Bei Gefahren in einem Land, denen die gesamte Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe, welcher der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, wird Abschiebeschutz allerdings ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60 a AufenthG gewährt (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Diese grundlegende Entscheidung des Bundesgesetzgebers haben auch die Verwaltungsgerichte bei der Auslegung und Anwendung der §§ 60 und 60 a AufenthG zu respektieren (BVerwGE 99,324).

HIV/Aids ist eine in Äthiopien weit verbreitete Krankheit. Es handelt sich um eine Epidemie. Schätzungen gehen dahin, dass von den ca. 70 Mio Äthiopiern zwischen 1 und 4 Millionen von der Immunschwächekrankheit infiziert sind. Nach einer Auskunft des Deutschen Instituts für ärztliche Mission (DIFÄM) vom 22. März 2006 an das Verwaltungsgericht Ansbach bekommen nur etwa 1,3 % der Erkrankten die von ihnen benötigte langfristige Behandlung. In Äthiopien erreicht deshalb die Zahl der HIV/Aids-Infizierten ohne Behandlungsmöglichkeit die Größenordnung einer ganzen Bevölkerungsgruppe. Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für einzelne Mitglieder der Bevölkerungsgruppe ist somit nach Satz 2 der Vorschrift ausgeschlossen. Eine politische Ermessensentscheidung nach § 60 a AufenthG für HIV-infizierte finanzschwache Äthiopier gibt es in Bayern nicht.

Wenn somit dem einzelnen Ausländer - und damit auch der Klägerin - kein Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 2 bis 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zusteht, er aber gleichwohl nicht abgeschoben werden darf, weil die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wegen einer extremen Gefahrenlage die Gewährung von Abschiebeschutz unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 2 und § 60 a AufenthG gebieten, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen, dass eine Entscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht ausgeschlossen ist (BVerwGE 99,324 Leitsatz 3). Eine extreme Gefahrenlage im Sinne dieser Rechtsprechung liegt dann vor, wenn der betroffene Ausländer sehenden Auges alsbald nach der Abschiebung in sein Heimatland dem sicheren Tod oder schwersten Gesundheitsbeeinträchtigungen ausgesetzt wäre (BVerwGE 99,324/328).

So liegt der Fall hier.

Die Klägerin leidet an einer chronischen HIV-Infektion und bedarf regelmäßiger und engmaschiger ärztlicher Betreuung. Eine antiretrovirale Therapie unter entsprechenden Kontrollen der Immunparameter ist bei ihr erforderlich. Die CD4 Zellzahl belief sich vor Therapie am 14. März 2003 auf 91/µl. Die quantitative HIV 1 RNA betrug 60.000 Cop/ml. Die Klägerin wird zurzeit mit Truvada (Emitricitabin 200 mg, Tenofovir 245 mg) und Efavirenz (Sustiva) 600 mg behandelt. Die Therapie, welche die Klägerin in Deutschland erhält, kann nach dem gegenwärtigen Stand der ärztlichen Kunst zwar die Immunschwäche nicht heilen, aber sie kann das Leben der Klägerin um viele Jahre verlängern (Wikipedia Aids S. 10).

Infektionen mit den Retroviren HIV-1 (oder seltener) HIV-2 sind charakterisiert durch eine zunehmende Schwächung der Immunabwehr mit Verringerung der Anzahl von T-Helferzellen in allen Körperkompartimenten (Pschyrembel, Therapeutisches Wörterbuch Berlin 1999 - Stichwort HIV m.w.N.). Endstadium der Infektion ist Aids mit gehäuftem Auftreten von opportunistischen Infekten und Malignomen. HIV-Infektionen werden in der Regel nach der von US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention erstellten und 1993 überarbeiteten CDC-Klassifikation eingeteilt; danach wird nach drei klassischen Stadien (A, B und C) sowie drei CD4-Zellzahlbereichen (1 bis 3) unterschieden. Kategorie A bezeichnet eine asymptomatische HIV-Infektion; in Kategorie B werden diverse Krankheiten zusammengefasst, die nicht als Aids-definiert gelten, aber in einem Zusammenhang mit einem Immundefekt zu stehen scheinen. Kategorie C umfasst die Aids-definierten Erkrankungen, wobei es sich um meist opportunistische oder maligne Erkrankungen handelt, die bei einem gesunden Immunsystem nicht oder nicht in der beschriebenen Weise auftreten. Die CDC-Klassifikation der Laborkategorien beschreibt die vorhandene Zahl der CD4-Zellen; Kategorie 1 entspricht mehr als 500 CD4-Zellen, Kategorie 2 zwischen 200 und 400 CD4-Zellen und Kategorie 3 weniger als 200 CD4-Zellen.

Der Krankheitsverlauf nach einer HIV-Infektion verläuft in vier Phasen: Nach einer akuten Phase von vier bis sechs Wochen, während der u.a. grippeähnliche Symptome auftreten, kommt es zu einer meist mehrjährigen Latenzphase, während der sich das Virus im Körper vermehrt, ohne dass nennenswerte körperliche Symptome auftreten. Ähnlich verhält es sich in der anschließenden Aids Related Complex Phase. Die Krankheitsphase setzt mit den Aids-definierten Erkrankungen ein. Die Infektionen werden als opportunistische Infektionen bezeichnet und schwächen bzw. vernichten das Immunsystem. Als Maß für die Zerstörung des Immunsystems dient die T-Helfer-Zellen-Zahl im Blut des HIV-Infizierten. Die Unterschreitung eines Standardgrenzwertes -T-Zell-Niveau unter 200 bis 400/µl Blut - stellt sodann die Behandlungsindikation dar.

Der Krankheitsverlauf kann durch eine antiretrovirale Therapie (ART), d.h. durch Einnahme von HIV-unterdrückenden Medikamenten, und durch die Behandlung von opportunistischen Erkrankungen (Sekundärinfektionen) und der Tumore verlangsamt werden. Weil das HIV-Virus schnell Resistenzen gegenüber einzelnen Medikamenten entwickelt, hat sich die als "Highly Active Antiretroviral Treatment (HAART)" bezeichnete Therapie durch gleichzeitige Einnahme mehrerer Medikamente durchgesetzt (vgl. hierzu im Einzelnen http://hiv.net/2010/haart/htm m.z.N.). ART ist nur als Dreier- oder Viererkombination anwendbar, um die Viruslast unter 300 Kopien/ml zu bringen (vgl. Pschyrembel, a.a.O.). Die Therapie kann keine vollständige Eradikation des Virus und keine Heilung bewirken; auch können schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten. Eine einmal begonnene Therapie sollte nicht mehr abgesetzt werden, um Resistenzbildungen bei zeitweiliger Unterdosierung zu verhindern. Eine regelmäßige Tabletteneinnahme ist unumgänglich, weil ART wegen der hohen Belastung für den HIV-Infizierten nur bei einem bestimmten Einnahmemodus, d.h. bei einem bestimmten (Stunden-)Rhythmus wirksam ist. Notwendig ist hierfür die sog. Compliance (Bereitschaft eines Patienten zur Mitarbeit bei diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, z.B. Zuverlässigkeit, mit der die therapeutischen Anweisungen befolgt werden - sog. Verordnungstreue; vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch a.a.O.).

Für die ART werden drei Wirkstoffklassen eingesetzt:

- Nukleosidische Reverse - Transkriptase - Inhibitoren oder Nukleosidanaloga (NRTI) wie die Substanzen Zidovudin, Stavudin, Zalcitabin, Didanosin, Lamivudin; Ansatzpunkt ist das HIV-Enzym Reverse Transkriptase (vgl. http://hiv.net/2010/haart nrti.htm m.w.N.);

- nichtnukleosidische Reverse - Transkriptase - Inhibitoren (NNRTI) wie die Substanzen Nevirapin, Delavirdin und Efavirenz; Zielenzym ist wie bei den Nukleosidanaloga das Enzym Reverse Transkriptase (vgl. http://hiv.net/2010/haart nnrti.htm m.w.N.);

- Protease-Inhibitoren (PI) wie die Substanzen Saquinovir, Indinavir, Ritonavir und Nelfinar; diese spalten ein virales Makromolekül, das sog. Polyprokin, in seine Untereinheiten (vgl. http://hiv.net/2010/haart.htm m.w.N.); (vgl. ferner Pschyrembel a.a.O. zu HIV).

Im Rahmen der sog. HAART erfolgt eine Kombinationtherapie mit mehreren antiretroviralen Medikamenten, deren Ziel die Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze und die Erhöhung der CD4-Zellwerte ist, um das Immunsystem gegen opportunistische Infektionen und Aids-definierte Erkrankungen zu stärken. In der Regel besteht diese HAART aus der Gabe von zwei verschiedenen Nukleosidanaloga (NRTI) zusätzlich mit einem Nichtnukleosidischen Reverse- Transkriptase- Hemmer (NNRTI) oder einem Proteaseinhibitor (PI) oder anderen Nukleosidanaloga (vgl. http://hiv.net/2010/haart.htm m.w.N.; Pschyrembel a.a.O.). Als Komplikationen treten die Entwicklung von Resistenzmutationen durch Unterdosierung und allgemeine Nebenwirkungen wie z.B. gastrointestinale Beschwerden, Pankreatitis usw. auf. Zum günstigsten Zeitpunkt für eine ART bzw. HAART gibt es keinen Konsens, weil die Gefahr, an Aids zu erkranken, gegen die Risiken, die mit einer Langzeittoxizität und Resistenzbildung verbunden sind, abgewogen werden müssen. Im Rahmen des sog. Monitoring wird die Viruslast (auch Virusload oder viral load), d.h. die Menge der HIV-RNA im Blut gemessen. Hierfür werden im wesentlichen drei Methoden (Assays) verwendet, die Reverse Transcription Polymerase Chain Reaction (RT-PCR), die branched DNA (b-DNA) und gelegentlich die Nucleic Acid Sequence-Based Amplification (NASBA). Diese Methoden unterscheiden sich sowohl hinsichtlich der Nachweisgrenzen als auch des linearen Bereichs, innerhalb dessen eine Messung zuverlässig bzw. reproduzierbar ist (vgl. http://hiv.net/2010/haart.monitor.htm m.w.N.).

Im Rahmen des Monitorings sind Blutbild und Blutchemie im Verlauf der HIV-Infektion alle drei Monate zu kontrollieren; bei ART oder CD-positiven Zellen von weniger als 500/µl alle sechs Wochen. Bei Neubeginn und nach Umstellung einer ART sind diese Kontrollen alle vier Wochen vorzunehmen (vgl. Pschyrembel a.a.O.). Der Verlauf der HIV-Infektion variiert erheblich und ist im Einzelfall abhängig von der immunologischen Ausgangslage, der Therapie und verschiedenen individuellen Faktoren. Allerdings lassen sich mit konsequenter Behandlung und Prophylaxe opportunistischer Infektionen sowie mit antiretroviralen Therapien erhebliche Verbesserungen der Lebensqualität und -zeit erreichen (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Berlin 1994, Stichwort HIV m.w.N.).

Im Falle einer Therapieunterbrechung wäre mit einer raschen Verschlechterung der Immunparameter und dem Auftreten vital gefährdender opportunistischer Krankheiten bei der Klägerin zu rechnen (Attest vom 11.2.2007). Die Viruslast würde in kurzer Zeit ansteigen und die Zahl der CD4-Helferzellen abfallen. Eine zusätzliche Vermehrung der resistenten Virus-Stämme würde eintreten. Die HIV-Infektion nähme ihren natürlichen Verlauf. Der immungeschwächte Körper könnte den immer vorhandenen Krankheitserregern nicht mehr widerstehen. In Äthiopien sind die Krankheitserreger wegen der unhygienischen Verhältnisse noch zahlreicher als in Deutschland. Der Tod träte mit hoher Wahrscheinlichkeit typischer Weise durch eine der folgenden Krankheiten ein: Chronische Hepatitis B und C, Tuberkulose, Pneumocystis-carinii-Pneumonie (eintreten der Infektion bei 20 bis 30 % der Fälle, Tod in 80 % der Fälle), cerebrale Toxoplasmose (eintreten bei 20 bis 30 % der Fälle; Tod in 80 % der Fälle), Soorbefall des Verdauungstrakts (eintreten in 100 % der Fälle), CMV-Retinitis (Erblindung in 100 % der Fälle), Mycobakteriose (Tod in 100 % der Fälle) (Dr. Gölz "Basis-Information zu HIV und Aids in Abschiebeverfahren" Asylmagazin 2000, 13).

Diese schwersten Gesundheitsbeeinträchtigungen und der Tod würden bei einer Abschiebung der Klägerin nach Eintreffen in Äthiopien, innerhalb von Monaten, eintreten. Denn die Klägerin hat sich schon 2003 oder früher mit HIV infiziert. Sie ist im Stadium CDC B 3 des Krankheitsverlaufs. Die Klägerin würde in Äthiopien keine Behandlung ihrer HIV-Infektion erhalten:

Zwar ist nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. Mai 2006 an das VG Arnsberg der Wirkstoff Efavirenz in Äthiopien erhältlich. Das ist einer der Wirkstoffe, mit denen die Klägerin derzeit therapiert wird. Die Wirkstoffe Emitricitabin und Tenofovir, die in Truvada enthalten sind, kann man in Äthiopien dagegen nicht kaufen. Außerdem ist es fraglich, ob die Medikamente, die die Klägerin bei der nächsten Therapieumstellung benötigen wird, ebenfalls in Äthiopien verfügbar sein werden. Therapieumstellungen innerhalb von sechs Monaten bis drei Jahren sind bei der Behandlung von HIV typisch und notwendig. Die Ärzte sprechen von den einzelnen Therapieregimes.

In Einzelauskünften geht das Auswärtige Amt davon aus, dass die antiretrovirale Therapie in Äthiopien durchführbar ist und auch durchgeführt wird (vgl. Auswärtiges Amt vom 25.6.2004 an VG Ansbach). Äthiopien sei ein Entwicklungsland; der Medikamentenmarkt entwickle sich (Auswärtiges Amt vom 2.8.2005 an VG Ansbach). Gerade im gesamten Bereich, der HIV betreffe (Prävention, Behandlung, soziale Komponenten), entwickle sich Äthiopien sehr rasch (Auswärtiges Amt vom 9.5.2006 an VG Arnsberg). Die 2001 in die nationale Liste der essentiellen Medikamente aufgenommenen antiretroviralen Medikamente seien in Addis Abeba in ausreichendem Maß und jederzeit verfügbar; auch in den übrigen großen Städten Äthiopiens seien der Botschaft keine Meldungen über die Nicht - Verfügbarkeit der antiretroviralen Medikamente bekannt. In sehr ländlichen Gebieten könne es aber durchaus zu Versorgungsengpässen bei diesen Medikamenten kommen (Auswärtiges Amt vom 12.12.2003 an VG Ansbach). In Addis Abeba (und den übrigen Großstädten) seien HIV-Medikamente grundsätzlich nur in den staatlichen "Kenema Pharmacies" erhältlich (Auswärtiges Amt vom 12.12.2003 an VG Ansbach, vom 23.11.2004 an VG Aachen), die Produkte könnten bei entsprechend bescheinigter Notwendigkeit auch von Apotheken in anderen Städten aus Addis Abeba bezogen werden (Auswärtiges Amt vom 2.8.2005 an VG Ansbach). In den ländlichen Gebieten sei der Vertrieb antiretroviraler Medikamente über die Health Center (Gesundheitsstationen, die gleichsam Krankenhaus, Allgemeinarzt und Apotheke verkörpern) geregelt (Auswärtiges Amt vom 12.12.2003 an VG Ansbach). Die in Äthiopien erhältlichen Medikamente seien in Indien hergestellt und trotz gleicher Inhaltsstoffe und Wirkung deutlich preiswerter als die in Deutschland hergestellten Produkte (Auswärtiges Amt vom 25.6.2004 an VG Ansbach). Jederzeit (in den Kenema Apotheken) erhältlich seien: Zudovidine, Nevirapine 200 mg, Lamivudine 150 mg, Stavudine (d 47) 40 mg, Stocrin 600 mg, Efavirenz (vgl. Auswärtiges Amt vom 25.6.2004). Ständig und zu jeder Zeit erhältlich seien in den staatlichen Kenema Apotheken in Addis Abeba Lamivudine und Zidovudine (in Kombination), Nevirapine, Stavudine, Nelfinavir und Efavirenz (Auswärtiges Amt vom 23.11.2004 an VG Aachen; vom 9.5.2006 an VG Arnsberg). Weitere antiretrovirale Arzneimittel seien zwar in die nationale Liste der essentiellen Medikamente aufgenommen, aber nicht zu jeder Zeit verfügbar. Hierzu zählten u.a. Ritonavir, Zalcitabine, Indanavir, Didanosine, Lamivudine, Zidovudine/Azidothymidine, Nelfinar, Saquinavir (Auswärtiges Amt vom 25.6.2004 an VG Ansbach, 23.11.2004 an VG Aachen, 2.8.2005 an VG Ansbach, 9.5.2006 an VG Arnsberg).

Zum Fehlen der notwendigen Medikamente kommt hinzu, dass die zur medizinischen Behandlung notwendigen Lymphozyten- und Viruslast-Bestimmungen nur in wenigen Labors in Addis Abeba möglich sind (Auswärtiges Amt vom 2.8.2005 an VG Ansbach). Prinzipiell bestehe in Äthiopien die Möglichkeit, eine wie auch immer fortgeschrittene HIV-Infektion/Aids-Erkrankung zu behandeln, nur in der Hauptstadt Addis Abeba (mit Einzugsgebiet) und in wenigen Großstädten (z.B. Jemma, Gonder, Awasa und Bahir Dar); in ländlichen Gebieten und Provinzhauptstädten sei die Versorgung lückenhaft und es fehle an gut ausgebildetem Personal (Auswärtiges Amt vom 9.5.2006 an VG Arnsberg). Im Rahmen dieser Möglichkeiten sei die Initiierung einer antiretroviralen Dauertherapie mit eingeschlossen. Durch die seit 2004 implementierte nationale HIV-/Aids-Bekämpfungsstrategie seien in Äthiopien allgemein HIV-Tests, Diagnose, Monitoring und Therapie (für bedürftige und mittellose Patienten nach Auskunft des AA kostenlos) verfügbar. Darüber hinaus bestehe die Möglichkeit einer Privatbehandlung, deren Kosten Patienten (mit den nötigen finanziellen Mitteln) selbst tragen müssten.

Das Deutsche Institut für ärztliche Mission e.V. - Difäm - weist in seiner Stellungnahme vom 22.3.2006 (an das VG Ansbach) dagegen darauf hin, dass es in Äthiopien erst seit kurzem offizielle Richtlinien für die Einschleusung von HIV-Patienten in ART-Programme gebe. Danach seien Patienten im klinischen Stadium 4 der WHO automatisch eingeschlossen. Weil die Laboruntersuchungen nicht überall verfügbar seien, werde teilweise nach klinischen Kriterien (z.B. krankheitstypische Begleiterscheinungen) ausgewählt. Die Zahl der Therapieplätze in den zugelassenen Krankenhäusern reiche bei weitem nicht aus, so dass Wartelisten existierten. Nur 1,3 vom Hundert der Menschen, die langfristig einer Behandlung bedürften (ca. 1,5 Millionen) erhielten diese. Nach der (zusammenfassenden) Einschätzung von Difäm ist die Zahl der Therapieplätze in Äthiopien bei weitem nicht ausreichend und es sei unsicher, ob und wie schnell sie weiter ausgebaut werden. Die Zugangskriterien (zu ART) seien nicht eindeutig definiert.

Nach diesen Auskünften ist der Senat der Ansicht, dass die Klägerin in Äthiopien die erforderliche ärztliche Behandlung nicht erhalten wird und sie auch die erforderlichen Medikamente nicht bekommen wird. Im Rahmen einer kontinuierlichen antiretroviralen Therapie (ART) sind zur Vermeidung und Behandlung opportunistischer Erkrankungen regelmäßige Kontrollen des Blutbildes und der Blutchemie im Abstand von drei Monaten erforderlich. Nachdem eine Vortherapie bei der Klägerin abgesetzt wurde, erfolgt derzeit die Medikation mit Truvada und Sustiva. Diese Medikation wird von der Klägerin gut toleriert. Es ist daher für die Klägerin lebensgefährlich, diese Medikation durch die Rückkehr in das Herkunftsland zu gefährden. Erst recht würde eine Therapieunterbrechung oder eine inadäquate Fortführung der Medikation (bei drohender Resistenzbildung), ferner eine nicht begründete Veränderung der Therapie wegen fehlender Kombinationsmöglichkeiten von Medikamenten der NRTI-, NNRTI - und PI-Produkte (weil die benötigten Medikamente nicht oder nur unregelmäßig erhältlich sind) zu schwerwiegenden Folgen bis hin zum Tod führen. Jedenfalls würde eine Verschlechterung der Immunparameter eintreten und letztlich muss mit dem Auftreten lebensbedrohender opportunistischer Erkrankungen ernsthaft gerechnet werden. Nach den beigezogenen Auskünften und Stellungnahmen ist anzunehmen, dass adäquate medikamentöse Optionen wie auch eine entsprechende ärztliche Versorgung im Herkunftsland der Klägerin aus tatsächlichen Gründen nicht gewährleistet sind.

Die Klägerin wird nicht nur keine ärztliche Behandlung in Äthiopien erhalten wird, sondern auch die zur HIV-Bekämpfung erforderlichen Medikamente (soweit sie überhaupt erhältlich sind) nicht bezahlen können. Die Medikamentenkosten im Rahmen der antiretroviralen Therapie liegen in Äthiopien nach Auskunft des Auswärtigen Amtes (vom 9.5.2006 an VG Arnsberg) monatlich bei etwa 33 Euro und nach Auskunft von Difäm (vom 22.3.2006 an VG Ansbach) bei 29 bis 92 US Dollar. Die Klägerin hat die hierfür erforderlichen Finanzmittel nicht und wird sie sich auch durch Arbeit in Äthiopien nicht verdienen können. Der käufliche Erwerb der antiretroviralen Medikamente ist nach wie vor dem Kreis der besser Verdienenden (Angestellte in leitenden Positionen, Lektoren/Dozenten der Universitäten, Beamte in Führungspositionen u.ä.) vorbehalten (Auskunft des AA vom 12.12.2003 an VG Ansbach). Die Klägerin und ihr Vater gehören nicht zu diesem Kreis.

Ein staatliches Gesundheitssystem, das für Medikamentenkosten und Kosten der ärztlichen Behandlung aufkäme - vergleichbar dem deutschen - gibt es in Äthiopien nicht. In Äthiopien gibt es für die Ärmsten der Armen ein von der Kebele (Verwaltung der untersten Stufe) ausgestelltes sog. Freepaper. Das gewährt allerdings keine kostenlose Behandlung, sondern wohl nur einen Zuschuss zu den Krankheitskosten in Höhe von etwa 10 Euro monatlich (Auskunft von Difäm vom 12.5.2005 an VG Ansbach). Die gegenteilige Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 25. Juni 2004 an das VG Ansbach dürfte wohl nicht zutreffen. Rückkehrer aus Europa werden von der äthiopischen Regierung allerdings nicht als mittellos angesehen (selbst wenn sie es sind) und bekommen deshalb kein Freepaper (Lagebericht des AA vom 18.7.2006 S. 23), so dass offen bleiben kann, welche Leistungen ein solches Freepaper beinhaltet.

Auch Nicht - Regierungs - Organisationen (NGO s) haben bei weitem nicht die Mittel um allen HIV-Kranken in Äthiopien helfen zu können. Das wenige für diesen Zweck verfügbare Geld wird nach strengen Kriterien unter die Armen verteilt, so dass die Klägerin auch von dieser Seite keine Hilfe zu erwarten hätte (Auskunft von Difäm vom 22.3.2006 an VG Ansbach).

Die beklagte Bundesrepublik Deutschland hat im gerichtlichen Verfahren eine Zusicherung der Regierung von Mittelfranken - Zentrale Rückführungsstelle Nordbayern (ZRS) vom 8. Oktober 2004 des Inhalts vorgelegt, dass die ZRS im Fall der "freiwilligen" Rückkehr oder der Abschiebung der Klägerin "die Kosten übernimmt die notwendig sein werden, damit die Klägerin in Äthiopien für 6 Monate einen gesicherten Zugang zu Medikamenten und Behandlungsmöglichkeiten erhält, sofern dies anderweitig nicht sichergestellt werden kann". Dadurch könnte - so meint die Beklagte - der Eintritt schwerster Gesundheitsbeeinträchtigungen oder des Todes um sechs Monate hinausgeschoben werden und würde nicht "alsbald" nach der Abschiebung eintreten. Damit wäre die Gefahr der erheblichen Gesundheitsverschlechterung für die Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht mehr "konkret", denn sie würde nicht "alsbald nach der Rückkehr" eintreten.

Die extreme Gefahr wäre dadurch aber noch nicht beseitigt, weil die Wirkstoffe Emitricitabin und Tenofovir, mit denen die Klägerin derzeit therapiert wird, in Äthiopien nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. Mai 2006 an das VG Arnsberg nicht auf dem Markt sind. Der Abbruch der vom Körper der Klägerin gut angenommenen Therapie mit Truvada (Wirkstoffe Emitricitabin und Tenofovir), würde zu Resistenzbildungen führen, wäre dem Gesundheitszustand in hohem Maße abträglich und könnte lebensbedrohlich werden.

Hinzu kommt folgendes: Die Zusicherung der Bezahlung von Medikamenten und Behandlung bei der Abschiebung für die maximale Dauer von 6 Monaten ist von der ZRS ausschließlich für die Überbrückung der schwierigen Zeit gedacht, bis die Abgeschobene in ihrem Heimatland wieder selbst für alles Notwendige sorgen kann. Dies ergibt sich aus der Begründung der Zusicherung vom 1 April 2005, welche lautet: "Antiretrovirale Medikamente sind in Addis Abeba in ausreichendem Maße und jederzeit verfügbar und werden in bestimmten Apotheken ausgegeben. Sofern der Patient über ein unzureichendes Einkommen verfügt, werden diese Medikamente kostenfrei abgegeben (Botschaftsbericht vom 12.12.2003 im Verfahren AN 18 K 03.30203)." Dies entspricht allerdings nicht der Realität. Auch in sechs Monaten ist nicht zu erwarten, dass die Klägerin für die von ihr benötigte ART und zusätzlich für ihren Lebensunterhalt wird aufkommen können, wie vorstehend ausgeführt wurde. Die Verschiebung des Eintritts schwerster Krankheiten und des Todes durch die Bezahlung einer 6-monatigen ART lässt den Verstoß gegen die Menschenwürde und das Verbot der Verletzung von Leib und Leben (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), welcher in der Abschiebung eines HIV-infizierten finanziell Bedürftigen nach Äthiopien liegt, nicht entfallen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 26.1.1999 Az. 9 B 617.98) liegt eine extreme Gefahr im Sinn von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG analog (jetzt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG analog) nicht nur dann vor, wenn die Gefahr am Tag des Eintreffens im Heimatland eintritt, sondern auch dann, wenn zwischen dem Tag der Abschiebung und dem Eintreten der Gefahr ein Zeitraum liegt, der die sozialadäquate Kausalität zwischen Abschiebung und Gefahreneintritt noch deutlich erkennen lässt. Das ist jedenfalls bei einem Zeitraum von 6 Monaten noch der Fall. Über längere Zeiträume ist vorliegend nicht zu befinden.

Die Beklagte macht noch geltend, es sei nicht auszuschließen, dass sich in sechs Monaten die Verhältnisse der HIV-Therapie in Äthiopien so verbessert haben, dass die meisten Patienten dort - und auch die Klägerin - in den Genuss einer ART kämen. Bei realistischer Betrachtungsweise ist dies nicht wahrscheinlich. Die Notwendigkeit von Verbesserungen bei der Behandlung von HIV/Aids-Erkrankten hat die äthiopische Regierung zwar schon lange erkannt. Schon 2001 wurden antiretrovirale Medikamente in die nationale Liste der essenziellen Medikamente aufgenommen und sind jetzt teilweise auch in staatlichen Apotheken zu haben. Angesichts der Schwäche des Gesundheitssystems, der Armut des Staates und der Größe des Problems ist die gewünschte Verbesserung aber nur schwer umzusetzen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18.7.2006 S. 23). Zurzeit erhalten nur 1,3 % der mehreren Millionen HIV infizierten Äthiopier ART. Es ist alles andere als wahrscheinlich, dass sich hieran in einem halben Jahr oder auch in mehreren Jahren etwas Wesentliches ändern wird. Wenn es denn - völlig wider Erwarten - so wäre, könnte der Abschiebeschutz immer noch widerrufen werden. Für eine derartige Fallgestaltung liegen allerdings - auch in Anbetracht des fortgeschrittenen Stadiums der Krankheit bei der Klägerin - keinerlei Anhaltspunkte vor.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83 b AsylVfG, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. c und § 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss:

Der Gegenstandswert des Verfahrens vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof beträgt 1.500 Euro (§ 30 Satz 1 RVG).

Ende der Entscheidung

Zurück