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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.11.2009
Aktenzeichen: 9 CS 09.2422
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 30 Abs. 1
BauGB § 31 Abs. 2
BauNVO § 15 Abs. 1 Satz 1
Zur Frage eines Anspruchs auf Erhaltung des Gebietscharakters.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

9 CS 09.2422

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Nachbarklage / Mehrfamilienhäuser;

hier: Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 5. August 2009,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 9. Senat, durch

den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schechinger, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Bergmüller, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Krieger

ohne mündliche Verhandlung

am 4. November 2009

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Unter Aufhebung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 5. August 2009 wird die aufschiebende Wirkung der Klagen des Antragstellers gegen die Baugenehmigungen der Antragsgegnerin vom 26. August 2008, 22. April 2009 und 11. Mai 2009 angeordnet.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 33.750,- € festgesetzt.

Gründe:

Die nach § 146 Abs. 1 und 4, § 147 VwGO zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen des Antragstellers gegen die Baugenehmigungen der Antragsgegnerin vom 26. August 2008 (bauaufsichtliche Genehmigung), 20. April 2009 (Teilbaugenehmigung, Tektur zur Genehmigung vom 26.8.2008) und 11. Mai 2009 (Tektur zur Genehmigung vom 26.8.2008) für das Bauvorhaben der Beigeladenen - den Neubau von drei jeweils über drei Geschoße verfügenden Mehrfamilienhäusern mit je elf Wohneinheiten, Tiefgarage (48 Stellplätze) und Stellplätzen auf den insgesamt 2.989,95 m² großen Grundstücken Fl.Nrn. 2620/2 und 2620/7 (Gemarkung Ingolstadt, Telemannstraße 7 und 9) - zu Unrecht abgelehnt.

Entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts geht der Senat bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage davon aus, dass die angefochtenen Baugenehmigungen voraussichtlich rechtswidrig sind und den Antragsteller auch in seinen subjektiven Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Da die Nachbarklagen des Antragstellers deshalb aller Voraussicht nach Erfolg haben werden, überwiegt bei der im Verfahren nach § 80 a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung das private Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen Nichtvollzug der Baugenehmigungen gegenüber dem Interesse der Beigeladenen, von den ihr erteilten Baugenehmigungen gemäß § 212 a BauGB auch schon vor einer rechtskräftigen Entscheidung über deren Rechtmäßigkeit Gebrauch machen zu können.

1. Die von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung verstößt gegen Bauplanungsrecht und ist damit offensichtlich objektiv rechtswidrig.

a) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der Bebauungsplan Nr. 103 D - Änderung - der Antragsgegnerin (Genehmigung ortsüblich bekannt gemacht am 23.2.1974) nicht funktionslos geworden. Zwar ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die Festsetzungen eines Bebauungsplans aufgrund einer Veränderung der zugrundeliegenden tatsächlichen Verhältnisse funktionslos werden und außer Kraft treten können. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (grundlegend BVerwG vom 29.4.1977 BVerwGE 54, 5; vom 9.10.2003 BauR 2004, 1128) kann eine bauplanerische Festsetzung funktionslos sein, wenn und soweit die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen und diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient. Dabei kommt es nicht auf die Verhältnisse auf einzelnen Grundstücken an. Entscheidend ist vielmehr, ob die jeweiligen Festsetzungen geeignet sind, zur städtebaulichen Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen wirksamen Beitrag zu leisten. Die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. Erst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und so offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit eine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich zu erfüllen vermag, kann von einer Funktionslosigkeit die Rede sein. Das setzt voraus, dass die Festsetzungen unabhängig davon, ob sie punktuell durchsetzbar sind, bei einer Gesamtbetrachtung die Fähigkeit verloren haben, die städtebauliche Entwicklung noch in einer bestimmten Richtung zu steuern (BVerwG vom 9.10.2003 a.a.O.).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Bebauungsplan setzt für das betreffende Areal ein allgemeines Wohngebiet sowie neben blauen Baugrenzen Höchstzahlen für die Vollgeschoße (II), eine GRZ von 0,3 sowie eine GFZ von 0,5 fest. In der hier relevanten Nordhälfte des Plangebiets - oberhalb der Heppstraße sowie zwischen der Telemann- und der Gaimersheimer- bzw. der Nördlichen Ringstraße - sieht der Bebauungsplan in offener Bauweise (o) sattelgedeckte Einzel- und Doppelhäuser vor, mit je bis zu zwei Wohnungen und einer Trauf- bzw. Dachgesimshöhe von maximal 6,50 m ab Oberkante Gehsteig. Es ist zwar richtig, dass - entgegen der festgesetzten offenen Bauweise und der Festsetzung von Einzel- und Doppelhäusern - an der Südseite der Schönbergstraße statt der dort vorgesehenen höchstens sieben Doppelhäuser eine ca. 170 m lange 20-teilige Reihenhauszeile errichtet wurde und dass das Grundstück Fl.Nr. 2619 statt der maximal vorgesehenen zwei Doppelhäuser mit einer 50 m langen Hauszeile mit jeweils zwei Vollgeschoßen und Dachgeschoßen bebaut ist. Auch auf dem Grundstück Fl.Nrn. 2621 (nach Teilung jetzt:) Fl.Nrn. 2621/2 und 2621/3) überschreiten die beiden Haushälften im Bebauungsplan vorgesehenen Bauraum. Diese Abweichungen vom Bebauungsplan stellen aber nach wie vor Ausnahmeerscheinungen des ansonsten plankonform bebauten Gebiets dar. Im Fall der Bebauung auf dem Grundstück Fl.Nr. 2619 betrifft sie überdies nur den Randbereich des Gebiets und unterstützt zudem ein wesentliches Planungsziel, weil dem Gebäude in unmittelbarer Nähe der stark befahrenen Gaimersheimer Straße eine gewisse Abschirmungswirkung zugunsten der dahinterliegenden Wohngrundstücke vor Straßenlärm zukommt. Zudem ist diese Bebauung mit maximal zwei Vollgeschoßen aufgelockert und gestaffelt. Auch die genannte Reihenhauszeile ist nicht vollständig geschlossen, weist in kleineren Abständen Lücken auf und übersteigt die im Bebauungsplan vorgesehenen zwei Geschoße nicht. Beide Baukomplexe stehen damit dem Zweck des Bebauungsplans, ein ruhiges, locker bebautes Wohngebiet mit vorwiegenden Ein- und Zweifamilienhäusern zu schaffen, zwar grundsätzlich entgegen, stürzen aber aufgrund ihrer Anzahl, Lage und Ausstattung das festgesetzte Plankonzept noch nicht vollständig um. Ein Verlust der dahin zielenden Steuerungsfunktion des Bebauungsplans scheidet daher aus.

b) Die demgemäß am Maßstab des § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 2 BauGB zu beurteilenden Baugenehmigungen sind offensichtlich objektiv rechtswidrig. Die von der Antragsgegnerin gewährten Befreiungen hinsichtlich der GFZ (0,865 statt 0,5), der Wandhöhe (9,00 m statt 6,50 m), der Dachform (Pultdach statt Satteldach), den Baugrenzen und der Anzahl der Wohneinheiten (11 statt 2 je Gebäude) halten sich jedenfalls in ihrer Gesamtheit nicht mehr im Rahmen der Grundzüge der Planung des Bebauungsplans. Es entsteht aufgrund der erteilten Baugenehmigungen an der Südgrenze des Grundstücks des Antragstellers ein 47,02 m x 12,85 m großer dreigeschoßiger Gebäudekomplex, der trotz seiner Bezeichnung auch nicht aus zwei getrennten Mehrfamilienhäusern von jeweils elf Wohneinheiten, sondern faktisch aus einem Gebäude mit 22 Wohneinheiten besteht. Nach Auffassung des Senats verstößt diese Bebauung mit den "Häusern" 1 und 2 und erst recht zusammen mit dem Haus 3 gegen die Grundzüge der Festsetzungen des Bebauungsplans, wonach ein locker mit Ein- und Zweifamilienhäusern bebautes Wohngebiet für ruhiges Wohnen gewährleistet werden soll, und bringt damit an zentraler Stelle die Geltungskraft der Norm ins Wanken.

Im Übrigen sind die gewährten Befreiungen zu unbestimmt und nicht begründet worden. So erteilt die Antragsgegnerin eine Befreiung von den "Baugrenzen", ohne deutlich werden zu lassen, um welche Baugrenzen es sich handeln soll. Darüber hinaus sind die Befreiungen nicht begründet worden, vielmehr wiederholt die Antragsgegnerin lediglich den Gesetzeswortlaut des § 31 Abs. 2 BauGB. Ob darin überhaupt eine Ermessensausübung gesehen werden kann, ist zweifelhaft, kann aber dahinstehen, weil in jedem Fall ein Ermessensdefizit vorliegt. In keiner der drei erteilten Baugenehmigungen wurden nachbarliche Interessen (§ 31 Abs. 2 BauGB) überhaupt nur in Erwägung gezogen.

2. Die nach alledem offensichtlich objektiv rechtswidrige Baugenehmigung verletzt auch Rechte des Antragstellers. Dies folgt schon daraus, dass, wie soeben ausgeführt, bei der Ermessensentscheidung zur Erteilung der Befreiungen nachbarliche Interessen nicht einmal in Erwägung gezogen und schon gar nicht gewürdigt wurden.

Auch die Verletzung weiterer subjektiver Rechte des Antragstellers liegt nicht fern. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kann dabei offen bleiben, ob die betroffenen Festsetzungen des Bebauungsplans nachbarschützende Wirkung haben. Dagegen spricht, dass insbesondere Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und zur Gebäudehöhe mangels erkennbarer gegenteiliger Absicht des Plangebers im Regelfall wohl nur allgemeinen städtebaulichen Interessen und nicht gezielt auch dem Schutz der Gebietsanlieger dienen sollen (z.B. BVerwG vom 8.7.1998 BauR 1998, 1206). Auch wenn die Festsetzungen des Bebauungsplans deshalb hier nicht drittschützend sein sollten, entfaltet § 31 Abs. 2 BauGB aber mit dem Gebot der Würdigung nachbarlicher Interessen drittschützende Wirkung (BVerwG vom 19.9.1986 BauR 1987, 707; vom 6.10.1989 BVerwGE 82, 343). Befreiungen von nicht nachbarschützenden Festsetzungen verletzen den Nachbarn dann in seinen Rechten, wenn er handgreiflich betroffen ist und die Behörde seinen Interessen nicht die gebotene Beachtung schenkt. Dies ist nach Maßgabe der Kriterien des Gebots der Rücksichtnahme in seiner nachbarschützenden Ausprägung zu beurteilen. Ob sich ein Vorhaben danach rücksichtslos, das heißt unzumutbar auswirkt, ist unter Beachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls - insbesondere der tatsächlichen und rechtlichen Vorbelastung der Grundstücke und des Gebiets, der tatsächlichen und rechtlichen Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Bauherrn und des Nachbarn sowie der Art und Intensität aller in Betracht kommenden städtebaulich relevanten Nachteile zu beurteilen. Art und Ausmaß einer "rücksichtslosen" Betroffenheit lassen sich demgemäß nicht statisch-absolut festlegen, sondern enthalten jeweils auch relativ-wertende Elemente. Bei dieser Bewertung kommt der objektiven Rechtmäßigkeit des betreffenden Vorhabens sowie seiner Regel- oder nur ausnahmsweisen Zulässigkeit Bedeutung zu. So wird das Rücksichtnahmegebot nur ganz ausnahmsweise drittschützend sein, wenn eine Baugenehmigung im Einklang mit den Festsetzungen des Bebauungsplans steht. Demgegenüber erhöht sich die Wahrscheinlichkeit der drittschützenden Wirkung des Rücksichtnahmegebots, wenn die Baugenehmigung - wie hier und zudem in rechtlich bedenklicher Weise - von nicht nachbarschützenden Festsetzungen im Wege einer Befreiung abweicht (VGH BW vom 8.11.2007 VBl BW 2008, 147). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gewinnen die Interessen des Nachbarn in solchen Fällen größeres Gewicht mit der Folge, dass er umso mehr an Rücksichtnahme verlangen kann, je empfindlicher seine Stellung durch die planabweichende Nutzung berührt wird und je schutzwürdiger er diesbezüglich ist. Umgekehrt braucht der Bauherr umso weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher, unabweisbarer und rechtlich schutzwürdiger seine Interessen sind. Daraus können sich für befreiungs- und nicht befreiungsbedürftige Vorhaben unterschiedliche Anforderungen an den Drittschutz stellen (BVerwG vom 19.9.1986 NVwZ 1987, 409; vom 6.10.1989 DVBl 1990, 205). Handelt es sich um ein befreiungsbedürftiges, aber möglicherweise nicht befreiungsfähiges Vorhaben, so kann die Schwelle rücksichtsloser Betroffenheit des Nachbarn schon bei Nachteilen von etwas geringerer Intensität erreicht sein als dann, wenn das beanstandete Vorhaben mit den Regelfestsetzungen des betreffenden Bebauungsplans übereinstimmt.

Gemessen hieran ist bei summarischer Prüfung davon auszugehen, dass das Bauvorhaben der Beigeladenen subjektive Rechtspositionen des Antragstellers verletzt. Zwar sind insbesondere Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und zur Gebäudehöhe allein für das nachbarschaftliche Austauschverhältnis - wie erwähnt - grundsätzlich nur wenig aussagekräftig, weil sie die Nutzung des Grundstücks im einzelnen und auch die räumliche Lage der Nutzung in der Regel nur sehr unvollkommen festlegen. Die Verletzung subjektiver Rechte erscheint hier dennoch nicht völlig ausgeschlossen. Im Hauptsacheverfahren wird zu prüfen sein, ob das ca. 50 m lange und ca. 8,50 m hohe Gebäude, das nach Auffassung des Verwaltungsgerichts und nach summarischer Prüfung die Abstandsflächen - einschließlich der Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 6 BayBO mit Rücksicht auf die Stellung der Häuser 1/2 und 3 zueinander -zum Grundstück des Antragstellers einhält, gleichwohl eine erdrückende und damit rücksichtslose Wirkung gegenüber dem (bislang unbebauten) Grundstück des Antragstellers haben kann.

Ungeachtet dieser Frage neigt der Senat der Auffassung zu, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung des durch den Bebauungsplan im einzelnen umrissenen Baugebiets zusteht, ohne dass es im übrigen einer zusätzlichen subjektiven Betroffenheit bedürfte. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Aus dieser Vorschrift ist zu folgern, dass die Gemeinde zwar bezüglich des Nachbarschutzes im Grundsatz frei ist, ob sie eine Festsetzung auch zum Schutze Dritter trifft; insoweit gibt es grundsätzlich keinen Typenzwang (z.B. BVerwG vom 16.9.1993 BVerwGE 94, 151). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O. S. 155) kann es insbesondere bei der Festsetzung der Baugebiete nicht vom Willen der Gemeinde abhängen, ob die Planfestsetzung nachbarschützend ist. Zu den Aufgaben des Bauplanungsrechts gehört es, die einzelnen Grundstücke einer auch im Verhältnis untereinander verträglichen Nutzung zuzuführen. Indem es in dieser Weise auf einen Ausgleich möglicher Bodennutzungskonflikte zielt, bestimmt es zugleich den Inhalt des Grundeigentums. Bauplanungsrechtlicher Nachbarschutz beruht demgemäß auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen (BVerwG a.a.O.). Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) sind der Hauptanwendungsfall im Bauplanungsrecht für diesen Grundsatz die Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung. Durch sie werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind. Soweit die Gemeinde durch die Baunutzungsverordnung zur Festsetzung von Baugebieten ermächtigt wird, schließt die Ermächtigung deshalb ein, dass die Gebietsfestsetzung grundsätzlich nachbarschützend sein muss. Eine nicht nachbarschützende Gebietsfestsetzung würde gegen das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB verstoßen.

Im Anschluss an diesen vom Bundesverwaltungsgericht bereits im Grundsatzurteil vom 11. Mai 1989 (BVerwGE 82, 61) entwickelten und im Urteil vom 16. September 1993 (BVerwGE 94, 151) fortgeführten Anspruch auf Beibehaltung der Art der baulichen Nutzung in einem Bebauungsplangebiet (sog. Gebietserhaltungsanspruch) hat das Bundesverwaltungsgericht im Beschluss vom 13. Mai 2002 (NVwZ 2002, 1385) ausdrücklich festgestellt, dass § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht nur das Gebot der Rücksichtnahme, sondern auch einen Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung eines Baugebiets vermittelt. Nach Auffassung des Senats besteht ein solcher Anspruch auch dann, wenn einer Umstrukturierung des gesamten Wohngebiets durch eine rechtswidrige Baugenehmigung Vorschub geleistet wird. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der durch die Festsetzungen des Bebauungsplans geprägte typische Charakter eines Wohngebietes in Frage gestellt und das Baugebiet durch ein Bauvorhaben in Unruhe gebracht wird. Damit werden zugleich nachbarliche Belange verletzt, die sich bei rechtmäßiger Abwägung bei einer Überplanung des Baugebiets durchsetzen müssten (so bereits BayVGH vom 28.10.2005 Az. 25 CS 05.2711; HessVGH vom 13.7.1999 BauR 2000, 1845).

Nach dem oben Gesagten liegen hier die Voraussetzungen der Umstrukturierung des Wohngebiets durch das Bauvorhaben vor. Hinzu kommt noch, dass aufgrund der Genehmigung von insgesamt 33 Wohneinheiten ein erheblicher Stellplatzbedarf entstanden ist, dem mit der Genehmigung von 48 Tiefgaragenstellplätzen Rechnung getragen wurde. Ungeachtet der Frage, ob die an der Nordwestgrenze zum Antragsteller hin genehmigte Tiefgaragenzufahrt zu den 48 Stellplätzen im Untergeschoß möglicherweise zu einer als rücksichtslos einzustufenden Lärmbetroffenheit des Antragstellers führt - diese Prüfung muss ebenfalls dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben - deutet auch diese zwangsläufige Folgewirkung der Verpflichtung zur Errichtung einer erheblichen Zahl von Stellplätzen mit der weiteren Konsequenz der Entstehung von erheblichem An- und Abfahrtslärm für die weitere Umgebung auf eine Umstrukturierung des Wohngebiets hin. Überdies ist in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen, ob mit dieser Erschließung des Grundstücks nicht eine den Antragsteller konkret schützende Festsetzung des Bebauungsplans umgangen wird. Dort ist nämlich eine das Baugrundstück auf der - vom Grundstück des Antragstellers abgewandten - Südseite erschließende öffentliche Stichstraße vorgesehen. Die Gründe, die dazu geführt haben, dass von deren Verwirklichung abgesehen wird, sind nicht bekannt und werden im Hauptsacheverfahren zu klären sein.

Nach alledem hätten die Klagen des Antragstellers aller Voraussicht nach nicht vom Verwaltungsgericht abgewiesen werden dürfen, so dass im Hauptsacheverfahren (Az. 9 ZB 09.2421) die Berufung zuzulassen sein wird. Da das Berufungsverfahren voraussichtlich erfolgreich sein und den Klagen stattzugeben sein wird, ist dem Antrag gemäß § 80 a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Dabei waren die Kosten des Verfahrens in erster und zweiter Instanz der Antragsgegnerin aufzuerlegen, weil die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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