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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 27.11.2001
Aktenzeichen: 1 St RR 102/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 256 Abs. 1 Satz 1
Die schriftlichen Auskünfte eines Gerichtsvollziehers über Vollstreckungsaufträge dürfen jedenfalls dann nach § 256 Abs. 1 Satz 1 StPO verlesen werden, wenn der aufsichtsführende Amtsrichter den Gerichtsvollzieher zur Erteilung von Auskünften ermächtigt hat.
Beschluss 1 St RR 102/01 27.11.01

Tatbestand:

Am 20.10.1997 verurteilte das Amtsgericht die Angeklagte wegen Betrugs (in zwei Fällen) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten. Die hiergegen gerichtete Berufung der Angeklagten verwarf das Landgericht am.22.9.1998 nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO, da sie zur Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen sei. Mit Beschluss vom 24.3.1999 hob das Bayerische Oberste Landesgericht auf die Revision der Angeklagten dieses Urteil auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Mit Urteil vom 17.5.2000 verwarf das Landgericht die Berufung der Angeklagten gegen das amtsgerichtliche Urteil erneut nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO. Auf die Revision der Angeklagten wurde dieses Urteil durch Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 13.11.2000 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine Strafkammer eines anderen Landgerichts zurückverwiesen. Mit Urteil vom 7.2.2001 verwarf dieses Landgericht die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 20.10.1997 als unbegründet.

Gegen dieses Urteil richtete sich die Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügte. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

Gründe:

1. Die erhobenen Verfahrensrügen sind entsprechend § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeführt. Sie greifen jedoch nicht durch.

a) Soweit die Revision einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nach § 250 StGB mit der Begründung rügt, die Auskünfte des Gerichtsvollziehers Z. hätten in der Berufungshauptverhandlung nicht gemäß § 256 Abs. 1 Satz 1 StPO verlesen werden dürfen, vielmehr hätte der Gerichtsvollzieher persönlich vernommen werden müssen, erweist sich dieses Vorbringen als unbegründet.

aa) Nach § 256 Abs. 1 Satz 1 StPO können die ein Zeugnis oder Gutachten enthaltenden Erklärungen öffentlicher Behörden durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Diese Ausnahme vom Grundsatz der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Beweisaufnahme (vgl. BGHSt 1, 94/96; OLG Koblenz NJW 1984, 2424; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. § 256 Rn. 1) rechtfertigt sich aus dem Umstand, dass den von öffentlichen Behörden (sowie von den damit gleichgestellten Ärzten) abgegebenen Erklärungen ein so hohes Maß an Objektivität, Zuverlässigkeit und Sachkunde zugebilligt wird, das zumeist von der Vernehmung des Ausstellers der Urkunde in der Hauptverhandlung abgesehen werden kann (SK-StPO/Schlüchter [Stand:. Mai 19951 § 256 Rn. 1, 9).

Eine öffentliche Behörde im Sinn des § 256 Abs. 1 Satz 1 StPO ist jede nach öffentlichem Recht eingerichtete, in den Organismus der Staatsgewalt eingegliederte, mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben betraute Stelle des Staates oder eines anderen Trägers der öffentlichen Verwaltung, die in ihrem Bestand von dem oder den sie jeweils leitenden Beamten unabhängig ist (BVerfGE 10, 20/48; BGH MDR 1964, 68/69; RGSt 18, 246/250; 40, 161; BayObLGSt 1964, 36/38 = NJW 1964, 1192; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 256 Rn.2 m.w.N.).

Nachdem es einen durchgängig einheitlichen Behördenbegriff des öffentlichen Rechts nicht gibt, bildet die in § 1 Abs. 4 Verwaltungsverfahrensgesetz enthaltene Legaldefinition den Ausgangspunkt für die Bestimmung des Begriffs der öffentlichen Behörde. Danach muss es sich um eine Stelle handeln, "die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt", wobei Einigkeit darüber besteht, dass dies in einem weiten Sinn zu verstehen ist. Erforderlich ist aber zur Erfüllung des Begriffs der öffentlichen Behörde neben der öffentlich-rechtlichen Organisationsform der Stelle die öffentlich-rechtliche Ausgestaltung des Verhältnisses zu den Bediensteten (SK-StPO/Schlüchter § 256 Rn. 9). So sind beispielsweise als öffentliche Behörden in der Rechtsprechung anerkannt die Landeskriminalämter (BGH NJW 1968, 206) oder die bayerischen Notare (KMR/Paulus [Stand des Gesamtwerks: Juli 2001] § 256 Rn.7), nicht aber etwa der Technische Überwachungsverein (BayObLGSt 1955, 89) sowie generell die privaten Vereinigungen und Einrichtungen, auch wenn sie zum Teil öffentliche Aufgaben wahrnehmen (Übersicht bei LR-Gollwitzer StPO 25.Aufl. § 256 Rn. 11, 12; SK-StPO/Schlüchter § 256 Rn. 11, 12).

bb) Die Frage, ob es sich bei der Auskunft eines Gerichtsvollziehers über eingegangene Vollstreckungsaufträge gegenüber Gerichten, Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden um ein behördliches Zeugnis handelt, das gemäß § 256 Abs. 1 Satz 1 StPO in der Hauptverhandlung verlesen werden kann, ist - soweit ersichtlich - bislang noch nicht entschieden worden. Die Antwort ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Der Gerichtsvollzieher selbst kann nicht schon allein wegen seines Beamtenstatus, § 1 Gerichtsvollzieherverordnung (GVO), und deswegen, weil er ein selbständiges, eigenverantwortliches Organ der Rechtspflege ist, als Behörde angesehen werden. Es lässt sich kaum ein Beamter denken, dem nicht innerhalb gewisser Grenzen ein gewisses Maß an Selbständigkeit zukommt, ohne dass er dadurch bereits zur "Behörde" wird (so bereits RGSt 8, 5/9; 18, 246/250). Vielmehr setzt der Behördenbegriff nicht bloß ein selbständiges Arbeiten des Beamten voraus, sondern eine selbständige, durch Verfassung und Recht dauernd geregelte Organisation seines Amtes (RGSt 18, 246/250). Auch wenn es sich dabei nicht zwingend um eine kollegiale Organisation handeln muss - eine Behörde kann sich auch in der "bürokratischen Form" eines einzigen Beamten darstellen -, so muss doch das Amt als solches in einer bestimmt geregelten Gliederung ein organischer Bestandteil der Amts- und Behördenverfassung sein (RGSt aaO).

Die rechtliche Grundlage für alle das Amt des Gerichtsvollziehers betreffenden Dienstvorschriften bildet § 154 GVG. In Ausführung der in § 154 GVG gegebenen Ermächtigung haben die Landesjustizverwaltungen die GVO einheitlich erlassen. Aus § 2 Nr.1 GVO folgt, dass Dienstbehörde des Gerichtsvollziehers das Amtsgericht ist, bei dem er beschäftigt ist. Als Beamter, § 1 GVO, muss der Gerichtsvollzieher die Anordnungen seiner Vorgesetzten befolgen und untersteht einer allgemeinen Dienstaufsicht (vgl. Dütz Deutsche Gerichtsvollzieherzeitung 1975, 49/52). Nicht er selbst ist somit Behörde i.S. des § 256 Abs. 1 Satz 1 StPO sondern das Amtsgericht, bei dem er beschäftigt ist. Die Erteilung von Auskünften über eingegangene Vollstreckungsaufträge obliegt daher gemäß § 2 Nr.2 GVO zunächst einmal dem "aufsichtführenden Richter des Amtsgerichts", der allerdings dem Gerichtsvollzieher entweder eine generelle oder aber auch eine auf die konkrete Anfrage bezogene Genehmigung zur Auskunftserteilung gegenüber Gerichten, Staatsanwaltschaften und/oder Polizeidienststellen erteilen kann. In Bayern ist den Gerichtsvollziehern regelmäßig generell - so auch den bei dem hier in Rede stehenden Amtsgericht tätigen Gerichtsvollziehern - die Auskunftsgenehmigung über eingegangene Vollstreckungsaufträge gegenüber Gerichten, Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden erteilt worden. Erteilt nun nach entsprechender Genehmigung ein Gerichtsvollzieher dem Gericht eine Auskunft über eingegangene Vollstreckungsaufträge, so liegt ein "Zeugnis oder ein Gutachten einer öffentlichen Behörde", nämlich des Amtsgerichts, vor - im Gegensatz zu einer privaten Äußerung eines Behördenangehörigen -, weil der Gerichtsvollzieher seine Erklärung im Namen der Behörde abgibt, also diese "repräsentiert", und weil er insoweit zur Vertretung der Behörde berechtigt ist (vgl. auch BayObLGSt 1964, 36/38 m..w.N.). Dass die Auskünfte des Gerichtsvollziehers Z. nicht im eigenen Namen, sondern im Namen des Amtsgerichts erteilt wurden, stützt auch der Inhalt der Auskünfte, welche u.a. Dienstregisternummer, Auftragseingang, Art der Forderung sowie Art und Tag der Erledigung an Hand der Auswertung aus der dienstlichen EDV-Anlage nennen. Im eigenen Namen hätte der Gerichtsvollzieher eine solche Auskunft nicht erteilen dürfen. Die Auskünfte des Gerichtsvollziehers konnten daher in der Hauptverhandlung gemäß § 256 Abs. 1 Satz 1 StPO verlesen werden, ohne dass es der Zustimmung der Verfahrensbeteiligten bedurfte.

b) Ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO ist nicht darin zu sehen, dass sich das Landgericht auf die Verlesung der Auskünfte des Gerichtsvollziehers vom 26.2.1997 und 5.2.2001 beschränkt und diesen nicht persönlich vernommen hat.

Die nach § 256 Abs. 1 Satz 1 StPO pflichtgemäß zu treffende Ermessensentscheidung, ob eine Verlesung an die Stelle der Vernehmung tritt, hat sich an der gerichtlichen Aufklärungspflicht zu orientieren. Gebieten besondere Umstände des Einzelfalls eine Vernehmung des Urkundenausstellers, so ist dieser nach dem Unmittelbarkeitsgrundsatz persönlich zu vernehmen, weil dann von der Ausnahmebestimmung des § 256 Abs. 1 Satz 1 StPO kein Gebrauch gemacht werden darf (BGHSt 1, 94/96; BGH StV 1993, 458; BayObLGSt 1952, 228). Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der Zeuge oder Sachverständige seine Angaben nur unter dem Eindruck der Hauptverhandlung zuverlässig erstatten kann (vgl. RiStBV Nr.111 Abs. 3 Satz 2 2.Halbsatz) oder die inhaltliche Richtigkeit und/oder Vollständigkeit der Erklärung, z.B. aufgrund von in der Hauptverhandlung veränderten oder neu eingetretenen Umständen, zweifelhaft erscheint (KMR-Paulus § 256 Rn. 3).

Der Umfang der gerichtlichen Aufklärungspflicht reicht soweit, als die bekannten Tatsachen unter Berücksichtigung des Akteninhalts und des Verfahrensablaufs dazu drängen und es nahe legen, von einem Beweismittel zur Klärung einer Beweistatsache Gebrauch zu machen. Solche Umstände, die dem Gericht die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung hätten aufdrängen müssen, sind vorliegend nicht ersichtlich. Das Gericht hat seine Überzeugung von den Schuldtiteln aus den verlesenen Auskünften des Gerichtsvollziehers geschöpft. Warum, zumal angesichts des übrigen Beweisergebnisses, sich dem Landgericht die Annahme hätte aufdrängen müssen, die Vernehmung des Gerichtsvollziehers könnte insgesamt weitere Aufschlüsse über die wirtschaftliche Situation der Angeklagten im Zeitpunkt der angeklagten Taten ergeben, insbesondere über "die sich wesentlich verbesserte Vermögenssituation der Angeklagten", wie die Revision vorträgt, ist nicht ersichtlich und wird auch von der Revision nicht näher ausgeführt. Die Auskunft vom 5.2.2001 enthält den Hinweis, dass die Liste ohne Anspruch auf Vollständigkeit (lediglich) "anhand der Auswertung aus der EDV-Anlage erstellt" worden sei und dass die Daten für das Jahr 1996 im Computer bereits gelöscht seien. Ein Hinweis, dass der Gerichtsvollzieher darüber hinaus noch eine eigene Erinnerung hat, findet sich nicht.

c) Soweit die Revision weiterhin rügt, mit der Verlesung der Auskünfte des Gerichtsvollziehers sei gegen § 325 StPO verstoßen worden, trifft dies schon deshalb nicht zu, weil die Verlesung der Auskünfte aufgrund § 256 Abs. 1 Satz 1 StPO zulässig war. Die Voraussetzungen für die Verlesung von Schriftstücken bei der Beweisaufnahme gemäß §§ 249 bis 256 StPO werden durch § 325 Abs. 1 1.Halbsatz StPO nicht erweitert; die Vorschrift stellt nur klar, dass auch beim Bericht nach § 324 StPO, der nicht zur Beweisaufnahme gehört, Schriftstücke verlesen werden dürfen. Die Verlesung einer Vernehmungsniederschrift (§ 325 Abs. 1 2.Halbsatz StPO) hat - worauf die Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht bereits zutreffend in ihrer Stellungnahme hingewiesen hat - nicht stattgefunden.

d) Die Rüge, nach den Verfügungen des Vorsitzenden, die Auskünfte des Gerichtsvollziehers zu verlesen, hätte jeweils eine Entscheidung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO ergehen müssen, weil zuvor der Verteidiger sich der Verlesung der Aussage des Gerichtsvollziehers im Termin vom 8.10.1997 widersetzt hatte, greift nicht durch.

Der Verlesung der Auskünfte des Gerichtsvollziehers hat sich der Verteidiger ausweislich des Sitzungsprotokolls nicht widersetzt. Hierauf hat die Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht in ihrer Stellungnahme vom 2.7.2001 zutreffend hingewiesen. Aber selbst wenn die Einwände des Verteidigers, die er gegen die Verlesung der früheren Aussage des Gerichtsvollziehers vorbrachte, einen Gerichtsbeschluss hinsichtlich der Verlesung der Auskünfte des Gerichtsvollziehers erforderlich gemacht hätten, kann das Urteil auf einem solchen Unterlassen nicht beruhen. Ist eine Entscheidung nach § 238 Abs. 2 StPO unterblieben, so beruht das Urteil nur dann auf dem Mangel, wenn die Maßnahme des Vorsitzenden unzulässig war (BGHSt 44, 82/91; KK/Tolksdorf StPO, 4.Aufl. § 238 Rn.19; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 238 Rn.23). Die Maßnahme des Vorsitzenden war jedoch - wie bereits festgestellt - zulässig. Selbst wenn man der weitergehenden Auffassung folgen sollte, dass das Urteil bereits dann auf dem Mangel beruht, wenn das Unterlassen der Entscheidung zur Irreführung des Beschwerdeführers geeignet war (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO), würde dies die Verfahrensrüge nicht begründen, weil weder die Revisionsbegründung Umstände aufzeigt, welche zur Irreführung des Angeklagten und seines Verteidigers geeignet waren, noch solche sonst wie ersichtlich sind...

2. Die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung aufgrund der Sachrüge deckt Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ebenfalls nicht auf...

Ende der Entscheidung

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