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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 25.02.2000
Aktenzeichen: 1St RR 273/99
Rechtsgebiete: IntVO, FeV, StPO
Vorschriften:
IntVO § 4 | |
IntVO § 4 Abs. 1 Satz 2 | |
IntVO § 4 Abs. 3 | |
IntVO § 4 Abs. 2 Buchst. a | |
FeV § 7 Abs. 1 | |
FeV § 28 Abs. 1 | |
FeV § 28 Abs. 4 Nr. 2 | |
FeV § 7 | |
StPO § 349 Abs. 4 |
1St RR 273/99
Bayerisches Oberstes Landesgericht
BESCHLUSS
Der 1. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Bayerischen Obersten Landesgericht Schmidt sowie der Richter am Bayerischen Oberstern Landesgericht Wannemacher und Kasch
am 25. Februar 2000
in dem Strafverfahren
gegen
wegen
Fahrens ohne Fahrerlaubnis
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft
beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 11. August 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Traunstein zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Am 6.7.1998 hat das Amtsgericht Rosenheim den Angeklagten vom Vorwurf, im Zeitraum vom 15.12.1995 bis 24.12.1998 in 167 Fällen einen Lastkraftwagen auf öffentlichen Straßen vorsätzlich ohne die erforderliche Fahrerlaubnis geführt zu haben, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil er von einer ausländischen Fahrerlaubnis berechtigt Gebrauch gemacht habe. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Traunstein am 11.8.1999 das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und den Angeklagten wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in 167 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so daß die (nicht ausgeführte) Verfahrensrüge unerörtert bleiben kann.
Die Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis kann keinen Bestand haben, weil sie von den bisherigen unvollständigen Feststellungen nicht getragen wird.
Das Landgericht ist von folgendem Sachverhalt ausgegangen:
Nachdem der Angeklagte, der im Inland wegen Eignungsmängeln noch nie im Besitz einer Fahrerlaubnis war, von Möglichkeiten deren Erwerbs in Großbritannien erfahren hatte, "reiste er Anfang März 1995 in die Gegend von London"; noch im März 1995 meldete er sich bei seiner Heimatgemeinde ab. In Großbritannien wurde dem Angeklagten am 16.3.1995 "nach bestandener Fahrprüfung ein Führerschein ausgestellt... In der Folgezeit hielt sich der Angeklagte beruflich noch bis Mitte Oktober 1995 in Großbritannien auf und rückübersiedelte am 13.10.1995 nach Rosenheim, wo er sich nach der im März 1995 erfolgten Abmeldung nach Großbritannien erneut wieder wohnsitzlich anmeldete".
Das Landgericht hat angenommen, die britische Fahrerlaubnis, deren Wirksamkeit es ersichtlich nicht in Frage gestellt hat, habe den Angeklagten nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland berechtigt, weil er im Zeitpunkt ihres Erwerbs seinen ständigen Aufenthalt nicht mindestens 185 Tage in Großbritannien, diesen vielmehr in der Bundesrepublik Deutschland gehabt habe.
Diese Feststellungen reichen nicht aus, um beurteilen zu können, ob sich der Angeklagte wegen - fahrlässigen oder vorsätzlichen - Fahrens ohne Fahrerlaubnis strafbar gemacht hat.
1. Für den Tatzeitraum galt zunächst, daß Inhaber einer EG-Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge im Umfang der Berechtigung auch im Inland führen durften, wenn sie hier keinen ständigen Aufenthalt hatten oder seit dessen Begründung nicht mehr als 12 Monate verstrichen waren (§ 4 Satz 1 Buchst. b der Verordnung über den Internationalen Kraftfahrzeugverkehr - IntVO in der Fassung vom 20.6.1994). Nach Abs. 3 der Vorschrift hatte eine Person einen ständigen Aufenthalt dort, wo sie über einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens 185 Tagen wohnte. Diese Berechtigung galt jedoch nicht für solche Fahrerlaubnisinhaber, die im Zeitpunkt der Erteilung ihren ständigen Aufenthalt im Inland hatten (§ 4 Abs. 2 Buchst. a IntVO).
Ab 1.7.1996 entfiel die Befristung auf 12 Monate für Inhaber einer EG-Fahrerlaubnis (§ 2 Satz 1 der Verordnung vom 19.6.1996 zur Umsetzung der Richtlinie 91/439/EWG vom 29.7.1991). Am Ausschluß der Berechtigung für solche Inhaber einer EG-Fahrerlaubnis, die zum Zeitpunkt ihrer Erteilung ihren ständigen Aufenthalt im Inland hatten, änderte sich jedoch nichts (§ 4 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung vom 19.6.1996).
2. Für die Beurteilung der Strafbarkeit des Angeklagten kommt es daher entscheidend darauf an, ob er am 16.3.1995, dem Zeitpunkt der Erteilung der britischen Fahrerlaubnis, seinen ständigen Aufenthalt (noch) im Inland hatte, oder ob er diesen mit der Abmeldung und dem Aufenthalt in Großbritannien beendet hatte.
Das hat wohl auch das Landgericht zutreffend erkannt. Der Begründung, mit der es einen Inlandsaufenthalt bejaht*) (*berichtigt gemäß Beschluß vom 13.03.00) hat - nämlich ersichtlich mit der Erwägung, der Angeklagte habe damals noch nicht mindestens 185 Tage seinen Aufenthalt in Großbritanien gehabt - kann aber so nicht gefolgt werden.
a) Die gesetzliche Definition des "ständigen Aufenthalts" im Sinn von § 4 IntVO wurde in Anlehnung an die Definition des Begriffs "ordentlicher Wohnsitz" in Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG vom 25.7.1991 eingeführt (Amtliche Begründung zu § 4 IntVO in der Fassung vom 1.4.1993, VkBl 1993, 402). Hiernach gilt als ordentlicher Wohnsitz der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder - im Fall eines Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen - wegen persönlicher Bindungen; die enge Beziehungen zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, das heißt während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt. Liegen die beruflichen Bindungen an einem anderen Ort als dem der persönlichen Bindungen, gilt unter Umständen letzterer als ordentlicher Wohnsitz, sofern der Führerscheininhaber regelmäßig dorthin zurückkehrt. Diese auch von § 4 Abs. 1 Satz 2 IntVO in der Fassung vom 18.8.1998 sowie von § 7 Abs. 1, § 28 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 2 FeV übernommene Begriffsbestimmung gilt begriffsnotwendig nicht nur für die Frage der Begründung des Inlandsaufenthalts, sondern auch für dessen Beendigung. Vorliegend kommt es daher (auch) darauf an, ob der Angeklagte am 16.3.1995 seinen Inlandswohnsitz aufgegeben hatte.
Die Antwort kann nicht, wie es das Landgericht wohl getan hat, darin gefunden werden, der Angeklagte habe zu diesem Zeitpunkt noch nicht mindestens 185 Tage in Großbritannien seinen ständigen Aufenthalt gehabt. Denn § 4 Abs. 3 IntVO a. F. enthielt eine Legaldefinition des ständigen Aufenthalts, nicht aber des "Wohnens" bzw. des "Wohnsitzes".
Die Lösung kann nicht ohne Heranziehung des Zwecks der Regelung gefunden werden. Durch § 4 Abs. 2 Buchst. a IntVO a. F. und § 4 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung vom 19.6.1996 (wie wohl auch durch § 28 Abs. 4 Nr. 2 FeV) soll(te) verhindert werden, daß in Deutschland lebende Personen, die den Schwerpunkt ihrer Lebensbeziehung im Inland haben, im Ausland eine Fahrerlaubnis erwerben, um damit im Inland Kraftfahrzeuge führen und somit den deutschen Vorschriften über den Erwerb und die Entziehung der Fahrerlaubnis entgehen zu können (Amtliche Begründung VkBl 1982, 496; Himmelreich/Hentschel, Fahrverbot-Führerscheinentzug 8. Aufl. 1995 Rn. 199; vgl. OVG Bremen VRS 62, 393/395). Gegenüber demjenigen, der sich ständig in Deutschland aufhält und hier Kraftfahrzeuge führt, ist das Zurückstellen inländischer Interessen nicht gerechtfertigt (BayObLG Beschluß vom 26.8.1996 - 1-St. RR 102/96). Nimmt man die Anknüpfung des Begriffs des ständigen Aufenthalts an den des ordentlichen Wohnsitzes hinzu, folgt hieraus, daß zumindest für die Frage der Beendigung des ständigen Inlandsaufenthalts nicht allein auf die Frist von mindestens 185 Tagen abgestellt werden darf und daß daher der Inlandsaufenthalt unter bestimmten Voraussetzungen auch schon dann beendet sein kann, wenn seit der Aufgabe des inländischen ordentlichen Wohnsitzes die Mindestfrist noch nicht verstrichen ist.
Die Richtigkeit dieses Verständnisses findet in der Entstehungsgeschichte der Regelung ihre Bestätigung. Nach der Amtlichen Begründung zu § 4 IntVO a. F. (aaO) kann ein ständiger Aufenthalt auch dann angenommen werden, wenn der Zeitraum zwar kürzer war, der Betreffende aber glaubhaft machen kann, daß er mehr 185 Tage wohnen bleiben wollte. Die gleiche Meinung wurde in der Literatur vertreten (Jagusch/Hentschel Straßenverkehrsrecht 34. Aufl. 1997 § 15 StVZO Rn. 9, 13, 25; Bouska DAR 1993, 241/242 f.; Himmelreich/Hentschel aaO Rn. 199). Soweit bei Jagusch/Hentschel Straßenverkehrsrecht 35. Aufl. nunmehr in Rn. 4 zu § 7 FeV die Auffassung vertreten wird, ein ordentlicher Wohnsitz bestehe dann, wenn das Wohnen mindestens 185 Tage angedauert hat, vermag das weder in der Begründung noch im Ergebnis zu überzeugen; im übrigen betrifft sie nicht die damalige Rechtslage (vgl. dort aber auch Rn. 5).
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 29.2.1996 (DAR 1916, 193) betrifft einen anderen Sachverhalt.
b) Da es hiernach rechtlich wie auch tatsächlich möglich war, daß der Angeklagte bereits am 16.3.1995 seinen Inlandsaufenthalt - sei es auch nur vorläufig oder auf bestimmte Zeit (vgl. BayObLGSt 1996, 107/108) - beendet hatte, hätte das Landgericht die gesamten oder jedenfalls die wesentlichen Lebensumstände des Angeklagten, aus denen auf den Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse geschlossen werden kann, darlegen müssen (vgl. BayObLG Beschluß vom 14.2.1992 - 1 St RR 3/92; OLG Köln VRS 67, 239/240). Hierzu hätten etwa Feststellungen dazu gehört, welche Bindungen und Beziehungen persönlicher - Angehörige, Lebensgefährtin/Freundin, Wohnung, Habe - oder wirtschaftlicher/beruflicher Art im Inland weiter bestanden oder nicht mehr bestanden bzw. nach Großbritannien verlegt worden waren. Dabei hätten auch Zweck, Häufigkeit und Dauer etwaiger zwischenzeitlicher Inlandsaufenthalte von Bedeutung sein können, ohne daß die formale meldebehördliche Abmeldung entscheidend sein mußte (zur Frage des Doppelwohnsitzes Bouska aaO S. 243; vgl. auch Art. 9 Sätze 2, 3 der Richtlinie 91/439/EWG).
Da das Landgericht derartige Darlegungen unterlassen hat, kann der Senat derzeit nicht ausschließen, daß das Urteil auf dem aufgezeigten Mangel beruht.
III.
Auf die Revision des Angeklagten ist daher das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO).
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Traunstein zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 StPO).
Die Entscheidung ergeht nach § 349 Abs. 4 StPO durch einstimmigen Beschluß.
Ende der Entscheidung
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