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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 08.08.2000
Aktenzeichen: 1Z BR 109/00
Rechtsgebiete: BGB, FGG, GG


Vorschriften:

BGB § 2077
FGG § 12
GG Art. 103 Abs. 1
Die gerichtliche Entscheidung vor Ablauf einer gesetzten Äußerungsfrist verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, da Verfahrensbeteiligte darauf vertrauen dürfen, dass innerhalb dieser Frist eingereichte Ausführungen und Anträge vom Gericht berücksichtigt werden.
BayObLG Beschluss

LG München II - 6 T 1999/00 AG Wolfratshausen VI 611/99

1Z BR 109/00

08.08.00

Der 1. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Präsidenten Gummer sowie der Richter Zwirlein und Dr. Schmid am 8. August 2000 in der Nachlaßsache

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 3 wird der Beschluss des Landgerichts München II vom 27. April 2000 aufgehoben.

II. Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung an das Landgericht München II zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Erblasser ist am 27.7.1999 verstorben. Er war in zweiter Ehe mit der Beteiligten zu 1 verheiratet. Die Beteiligte zu 2 ist die Schwester des Erblassers und, nachdem die zum Zeitpunkt des Erbfalles noch lebende Mutter des Erblassers am 16.8.1999 verstorben ist, dessen derzeit nächste lebende Verwandte. Die Beteiligte zu 3 ist die frühere Ehefrau des Erblassers aus dessen am 19.8.1998 geschiedener ersten Ehe.

Der Erblasser und die Beteiligte zu 3 hatten sich mit notariellem Erbvertrag vom 21.11.1989 gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt.

Mit weiterem notariellen Vertrag vom 8.5.1995, der u.a. einen Ehevertrag und im Gliederungsabschnitt "D" einen "Erbvertragsnachtrag" beinhaltete, hoben der Erblasser und die Beteiligte zu 3 den Erbvertrag vom 21.11.1989 auf und trafen folgende erbvertragliche Bestimmung:

"Für künftig eintretende Todesfälle in unserer Ehe setzen wir uns wiederholend gegenseitig zu alleinigen und ausschließlichen Erben ein.

Diese Bestimmung treffen wir mit erbvertraglich bindender Weise.

Sollten wir jedoch länger als ein Jahr getrennt leben, kann jeder von diesem Erbvertrag durch notarielle Urkunde zurücktreten."

In einem handschriftlichen Testament vom 25.2.1997 traf der Erblasser Regelungen für den Fall, dass ihm bei einem bevorstehenden Krankenhausaufenthalt etwas zustoßen sollte. Der Erblasser äußerte u.a. den Wunsch, dass seine Frau, die namentlich bezeichnete Beteiligte zu 3, aus dem Nachlaß bestimmte Zuwendungen leisten und der Rest der Erbmasse zu 100 % seiner Frau zufallen solle.

In einem notariellen Nachtrag vom 30.7.1998 zum notariellen Vertrag vom 8.5.1995 vereinbarten der Erblasser und die Beteiligte zu 3 hinsichtlich der Bestimmungen der Vorurkunde u.a., dass "der Erbvertragsnachtrag nach Ziff. D unverändert" bleiben solle.

Die Ehe des Erblassers und der Beteiligten zu 3 wurde am 19.8.1998 geschieden.

In einem handschriftlichen Nachtrag vom 20.4.1999 zum notariellen Nachtrag vom 30.7.1998 änderten der Erblasser und die Beteiligte zu 3 Regelungen zu Ausgleichszahlungen und vereinbarten, dass "die übrigen Bestimmungen der Vorurkunde unverändert" bleiben sollen.

Die Beteiligte zu 3 beantragte, gestützt auf die letztwilligen Verfügungen, die Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin ausweist.

Die Beteiligte zu 2 trug vor, es sei gesetzliche Erbfolge eingetreten, da die Erbeinsetzung durch letztwillige Verfügung auf die in der Ehe eintretenden Todesfälle beschränkt sei, und beantragte die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins zusammen mit der Beteiligten zu 1.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 14.2.2000 den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2 zurückgewiesen und die Erteilung eines Alleinerbscheins zugunsten der Beteiligten zu 3 bewilligt. Ein entsprechender Erbschein wurde am 23.2.2000 erteilt.

Gegen den Beschluss des Amtsgerichts hat die Beteiligte zu 2 Beschwerde eingelegt und beantragt, den Beschluss vom 14.2.2000 aufzuheben, einen gemeinschaftlichen Erbschein zu erteilen, wonach der Erblasser von der Beteiligten zu 1 zu 3/4 und von der Beteiligten zu 2 zu 1/4 beerbt worden ist, und den der Beteiligten zu 3 erteilten Erbschein einzuziehen.

Das mit der Beschwerde befaßte Landgericht teilte den Beteiligten mit Verfügung vom 18.4.2000 mit, "wenn im Beschwerdeverfahren noch Ausführungen gemacht werden sollen, möge dies bis 15.5.2000 erfolgen".

Mit Beschluss des Landgerichts vom 27.4.2000 wurde auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2 der Beschluss des Amtsgerichts vom 14.2.2000 insoweit aufgehoben, als dort die Erteilung eines Erbscheins zugunsten der Beteiligten zu 3 angeordnet wurde, und die Einziehung des der Beteiligten zu 3 erteilten Erbscheins angeordnet; im übrigen wurde die Beschwerde zurückgewiesen. Das Amtsgericht hat daraufhin den Erbschein vom 23.2.2000 als unrichtig eingezogen.

Gegen den Beschluss des Landgerichts vom 27.4.2000 richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 3. Sie rügt die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör und die Auslegung des Erbvertrags durch das Landgericht und beantragt, den Beschluss des Landgerichts aufzuheben und die Erteilung eines Erbscheins anzuordnen, wonach der Erblasser von der Beteiligten zu 3 allein beerbt worden ist.

II.

Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

Das Landgericht hat im wesentlichen ausgeführt, die letztwillige Verfügung unter Buchst. D des notariellen Vertrags vom 8.5.1995 sei dahingehend auszulegen, dass die dort angeordnete Erbeinsetzung nur für den Fall Gültigkeit haben solle, dass der Erbfall während des Bestehens der Ehe eintrete. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2 sei somit bezüglich der Erteilung des Erbscheins an die Beteiligte zu 3 erfolgreich, nicht jedoch im Hinblick auf den eigenen Erbscheinsantrag, da die Mutter der Beteiligten zu 2 zur Zeit des Erbfalles noch am Leben gewesen und die Beteiligte zu 2 daher nicht Erbin des Erblassers, sondern nur Erbeserbin geworden sei.

2. Die Entscheidung des Landgerichts kann keinen Bestand haben, weil das Landgericht den in Art. 103 Abs. 1 GG verankerten Anspruch der Beteiligten zu 3 auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat.

Obwohl das Landgericht für Ausführungen im Beschwerdeverfahren eine Frist bis 15.5.2000 gesetzt hatte, ist bereits mit Beschluss vom 27.4.2000 eine das Beschwerdeverfahren abschließende Sachentscheidung ergangen. Das Gericht war jedoch verpflichtet, die von ihm selbst gesetzte Äußerungsfrist abzuwarten (vgl. BVerfGE 12, 110/113 und 42, 243/247). Die Entscheidung vor Ablauf der gesetzten Äußerungsfrist verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, da die Beschwerdeführerin ebenso wie die anderen Verfahrensbeteiligten darauf vertrauen durfte, dass innerhalb dieser Frist eingereichte Ausführungen und Anträge vom Gericht berücksichtigt werden.

Auf diesem Verfahrensverstoß beruht die angefochtene Entscheidung, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie anders ausgefallen wäre, wenn die Beteiligte zu 3 bereits im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zu dem weiteren tatsächlichen Sachvortrag gehabt hätte, den sie wegen der überraschenden Entscheidung des Landgerichts erst mit der Begründung der weiteren Beschwerde vorbringen konnte. Da in der Rechtsbeschwerdeinstanz neues tatsächliches Vorbringen grundsätzlich nicht berücksichtigt werden kann, muß die Sache an das Landgericht zurückverwiesen werden.

3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

Der Grundsatz der Amtsermittlung (§§ 2358 Abs. 1, 2361 Abs. 3 BGB, § 12 FGG) verpflichtet das Tatsachengericht, die zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Das bedeutet zwar nicht, dass allen Beweisanträgen der Beteiligten stattgegeben und allen denkbaren Möglichkeiten zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen nachgegangen werden müßte. Eine Aufklärungspflicht besteht aber insoweit, als das Vorbringen der Beteiligten und der festgestellte Sachverhalt aufgrund der Tatbestandsvoraussetzungen des materiellen Rechts bei sorgfältiger Überlegung zu weiteren Ermittlungen Anlaß geben. Das Gericht darf seine Ermittlungen erst abschließen, wenn von einer weiteren Beweisaufnahme ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht mehr zu erwarten ist (BayObLGNJW-RR 1997, 7/8; Palandt/Edenhofer BGB 59. Aufl. § 2358 Rn. 1 m.w.N.). Hier hätte es sich nahezu aufgedrängt, zur Auslegung der Urkunde vom 30.7.1998 den beurkundenden Notar als Zeugen zu vernehmen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen wird das Landgericht im übrigen zu beachten haben, dass es hier nicht um die Auslegung einer einseitigen letztwilligen Verfügung geht, sondern um die Auslegung einer vertragsmäßigen Verfügung in einem Erbvertrag. Daher ist der erklärte übereinstimmende Wille der Vertragsparteien bei Errichtung des Vertrages zu ermitteln, gegebenenfalls ist § 157 BGB heranzuziehen (vgl. BayObLGZ 1995, 120/123 m.w.N.). Maßgebend ist, was die Vertragsteile erklärt haben und wie das Erklärte aus der Sicht des anderen Teils zu verstehen war (BGHZ 106, 359/361; BayObLG NJW-RR 1997, 7/8).

Die Beteiligte zu 3 hat sich wiederholt dahingehend geäußert, ihr und des Erblassers gemeinsamer Wille sei es gewesen, dass die am 8.5.1995 angeordnete gegenseitige Erbeinsetzung auch für Todesfälle nach Beendigung der Ehe gelten solle. Ihr Vorbringen, dies habe auch den Vorstellungen des Erblassers entsprochen, hat die Beteiligte zu 3 nunmehr insbesondere auf eine schriftliche Äußerung der Beteiligten zu 1 vom 11.5.2000 gestützt. Danach soll es der Wille des Erblassers gewesen sein, dass seine erste Frau (Beteiligte zu 3) Alleinerbin ist und seine Schwester (Beteiligte zu 2) nichts bekommt. Für entsprechende Äußerungen des Erblassers wurde die Beteiligte zu 1 als Zeugin benannt.

Im Gegensatz zu den bisherigen Erwägungen des Landgerichts spricht auch der Umstand, dass der Erblasser und die Beteiligte zu 3 am 30.7.1998, also wenige Tage nach dem vom Erblasser gestellten Scheidungsantrag vom 27.7.1998, und am 20.4.1999, also nach der am 19.8.1998 erfolgten Ehescheidung, die erbvertraglichen Regelungen einvernehmlich bestätigt haben, für eine Fortgeltung der erbvertraglichen Verfügung zugunsten der Beteiligten zu 3 auch nach Scheidung der Ehe. Hätte es dem erklärten Willen der Vertragsparteien entsprochen, dass die im notariellen Vertrag vom 8.5.1995 angeordnete Erbeinsetzung nur für Erbfälle während des Bestehens der Ehe Gültigkeit haben sollte, wäre die Erbeinsetzung jedenfalls nach erfolgter Ehescheidung hinfällig gewesen. Dass die nunmehr geschiedenen Eheleute gleichwohl nochmals einvernehmlich bestätigt haben, die einschlägigen Bestimmungen der Vorurkunde sollten unverändert bleiben, spricht für einen Fortgeltungswillen der Vertragsparteien.

4. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Gerichtskosten fallen im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht an (§ 131 Abs. 1 Satz 2 KostO). Über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten wird das Beschwerdegericht zu befinden haben (Keidel/Zimmermann FGG 14. Aufl. § 13a Rn. 36 und 39).

Ende der Entscheidung

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