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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 28.05.2001
Aktenzeichen: 2Z BR 28/01
Rechtsgebiete: GG, WEG, FGG
Vorschriften:
GG Art. 2 Abs. 1 | |
GG Art. 3 Abs. 1 | |
GG Art. 20 Abs. 3 | |
WEG § 45 Abs. 1 | |
FGG § 16 Abs. 3 |
Der 2. Zivilsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung der Richter Demharter, Werdich und Dr. Delius
am 28. Mai 2001
in der Wohnungseigentumssache
wegen Schadensersatzes,
beschlossen:
Tenor:
I. Die sofortige weitere Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 18. Januar 2001 wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 16760,20 DM festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller ist Wohnungseigentümer in einer Anlage, die von der Antragsgegnerin verwaltet wird. Im November 1999 erkrankte der Antragsteller an Legionellose. In der Folgezeit wurden im Warmwasser der Wohnanlage Legionellen festgestellt. Der Antragsteller hat die Ansicht vertreten, die Antragsgegnerin habe ihr obliegende Verwalterpflichten bei der Wartung und beim Betrieb der Warmwasseranlage verletzt und dadurch seine Erkrankung verschuldet. Er hat beim Amtsgericht beantragt, die Antragsgegnerin zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1760,20 DM und eines Schmerzensgeldes von mindestens 15000 DM zu verpflichten. Das Amtsgericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 29.11.2000 den Antrag abgewiesen. Ausweislich des Sitzungsprotokolls wurden Tenor und Gründe in Anwesenheit des Antragstellers und seines Verfahrensbevollmächtigten, eines Rechtsanwalts, sowie des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin verkündet.
Gegen den am 14.12.2000 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller durch seinen Verfahrensbevollmächtigten am 20.12.2000 sofortige Beschwerde eingelegt und nach Hinweis auf die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels am 12.1.2001 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Landgericht hat durch Beschluss vom 18.1.2001 dem Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die sofortige Beschwerde verworfen.
Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Das Landgericht hat ausgeführt:
Die Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde habe nach § 16 Abs. 3 FGG mit der Verkündung des Beschlusses in Anwesenheit der Beteiligten bzw. ihrer Verfahrensbevollmächtigten zu laufen begonnen. Entgegen der Meinung des Antragstellers sei die Vorschrift des § 16 Abs. 3 FGG nicht verfassungswidrig; eine Pflicht zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht bestehe daher nicht. Weder der verfassungsrechtliche Anspruch auf effektiven Rechtsschutz noch der Gleichheitsgrundsatz würden dadurch verletzt, dass sich die Regelungen über den Beginn der Rechtsmittelfrist im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit von den Vorschriften der Zivilprozessordnung unterscheiden.
Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Ein Irrtum des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers über den Beginn der Rechtsmittelfrist sei nicht unverschuldet. Auf das Fehlen einer im Gesetz nicht vorgesehenen Rechtsmittelbelehrung könne sich der durch einen Rechtsanwalt vertretene Antragsteller nicht berufen.
2. Die angefochtene Entscheidung ist frei von Rechtsfehlern.
a) Die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde in Wohnungseigentumssachen beträgt zwei Wochen und beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem die angefochtene Entscheidung dem Beschwerdeführer bekannt gemacht worden ist (§ 43 Abs. 1, § 45 Abs. 1 WEG, § 22 Abs. 1 FGG). Da mit der Bekanntmachung der Entscheidung des Amtsgerichts eine Frist beginnt, ist die Entscheidung grundsätzlich durch Zustellung nach den für die Zustellung von Amts wegen geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung (vgl. §§ 208 ff., §§ 166 ff. ZPO) bekannt zu machen (§ 16 Abs. 2 Satz 1 FGG). Einem Anwesenden kann die Entscheidung jedoch auch zu Protokoll bekannt gemacht werden (§ 16 Abs. 3 Satz 1 FGG). In diesem Fall muss die vollständige Entscheidung einschließlich der Gründe durch Verlesen in Gegenwart aller Beteiligten oder ihrer Vertreter bekannt gemacht werden; damit wird die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde in Gang gesetzt (BayObLGZ 1999, 82/83; BayObLG NZM 1999, 575 m. w. N.).
b) Die Voraussetzungen einer gemäß § 16 Abs. 3 FGG wirksamen Bekanntmachung der Entscheidung des Amtsgerichts liegen vor.
(1) Der Antragsteller macht Ansprüche gegen die Verwalterin wegen Verletzung der ihr bei der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums obliegenden Pflichten im Sinn von § 43 Abs. 1 Nr. 2 WEG geltend. An einem solchen Verfahren sind zwar gemäß § 43 Abs. 4 Nr. 2 WEG grundsätzlich sämtliche Wohnungseigentümer materiell beteiligt mit der Folge, dass sie formell am Verfahren zu beteiligen sind. Hier gilt jedoch eine Ausnahme, weil es sich um Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche wegen einer Gesundheitsschädigung handelt, die dem Antragsteller allein zustehen und die er ohne Mitwirkung der übrigen Wohnungseigentümer geltend machen kann, weil diese in keiner Weise betroffen sind. Die übrigen Wohnungseigentümer brauchten daher am Verfahren nicht beteiligt zu werden (vgl. BayObLG NJW- RR 2000, 1033 m.w.N.). Dem gemäß genügte es, dass der Antragsteller und sein Verfahrensbevollmächtigter sowie der Vertreter der Antragsgegnerin bei der Verkündung der Entscheidung anwesend waren.
(2) Im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.11.2000 ist die Anwesenheit dieser Personen festgehalten und vermerkt, dass sie die Anträge gestellt sowie Gelegenheit zur Äußerung erhalten hätten. Auf die Feststellung "sodann verkündet das Gericht folgenden Beschluss" folgt der Entscheidungstenor und die Begründung, die mit der Kostenentscheidung und Festsetzung des Geschäftswerts endet. Damit genügt das vom Richter unterzeichnete Protokoll den Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 Satz 1 FGG (vgl. BayObLGZ 1999, 82/83; Staudinger/Wenzel WEG § 44 Rn. 57; Bärmann/Merle WEG 8. Aufl. § 44 Rn. 125; Keidel/Schmidt FGG 14. Aufl. § 16 Rn. 26). Die weitergehenden Vorschriften der §§ 159 ff. ZPO, aus denen der Antragsteller die Unvollständigkeit des Protokolls herleiten will, gelten im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht (Bassenge/Herbst FGG/RPflG 8. Aufl. Einl. FGG Rn. 71 m.w.N.). Die Zustellung einer Ausfertigung des Protokolls, die im Rechtsverkehr dessen Urschrift vertritt (vgl. ZÖller/ StÖber ZPO 22. Aufl. § 170 Rn. 3) ist für den Lauf der Rechtsmittelfrist rechtlich unerheblich (BayObLGZ 1977, 11/12; Bassenge/Herbst § 16 FGG Rn. 14).
c) Der Senat hält ebenso wie das Landgericht die Vorschrift des § 16 Abs. 3 FGG nicht für verfassungswidrig. Er sieht deshalb keinen Anlaß, eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 Abs. 1 GG einzuholen. Es verstößt weder gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) noch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), wenn im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit Beschlüsse, die eine Frist in Lauf setzen, nach § 16 Abs. 3 FGG den Anwesenden zu Protokoll bekannt gemacht werden können, während solche Beschlüsse im Zivilprozess - auch wenn sie verkündet wurden - den Parteien förmlich zugestellt werden müssen (§ 329 Abs. 3 ZPO).
(1) Die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens ist Sache des Gesetzgebers, der dabei zwischen dem Interesse an Rechtssicherheit und Verfahrensbeschleunigung einerseits und dem subjektiven Interesse des Rechtsuchenden an einem möglichst uneingeschränkten Rechtsschutz andererseits abzuwägen hat. Bei einer unterschiedlichen Behandlung von Sachverhaltsgruppen kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum zu (BVerfGE 93, 99 = NJW 1995, 3173/3174). Der Gesetzgeber hat die Streitigkeiten gemäß § 43 WEG über die sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und aus der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer und des Verwalters dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zugewiesen, weil dieses Verfahren einfacher, freier, elastischer, rascher und damit für Streitigkeiten mit einer häufig großen Zahl von Beteiligten besser geeignet ist als der Zivilprozess (BGHZ 71, 314/317; BayObLGZ 1963, 161/164 m.w.N.).
(2) Die im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit eröffnete Möglichkeit, durch Bekanntmachung einer Entscheidung gemäß § 16 Abs. 3 FGG eine Rechtsmittelfrist in Lauf zu setzen, stellt keine unzumutbare, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigende Erschwerung des Rechtswegs dar. Anders als die Verkündung einer Entscheidung im Zivilprozess, bei der die Parteien nicht anwesend zu sein brauchen (§ 312 Abs. 1, § 329 Abs. 1 ZPO), muss die Bekanntmachung einer Entscheidung nach § 16 Abs. 3 FGG strengeren Anforderungen genügen, damit dadurch die Rechtsmittelfrist in Lauf gesetzt wird. Der Beteiligte, in dessen Gegenwart eine ihm nachteilige Entscheidung mündlich verkündet und vollständig begründet wird, ist anschließend in der Lage zu prüfen, ob er diese Entscheidung hinnehmen will oder nicht. Die Möglichkeit, dass der Anwalt eines Beteiligten bei dessen Beratung und Vertretung im Einzelfall die Rechtsmittelerfordernisse verkennt oder nicht beachtet, kann in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise der Risikosphäre des Beteiligten zugeordnet werden (BVerfG NJW 1995, 3173/3174; BayObLG NJW-RR 2001, 444).
d) Es kann offen bleiben, ob im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NJW 1995, 3173) der Anspruch auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz bei befristeten Rechtsmitteln in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit von Verfassungs wegen grundsätzlich eine Rechtsmittelbelehrung gebietet (vgl. Senatsbeschluss vom 13.3.2001, 2Z BR 23/01 m. w. N.). Denn die Versäumung der Frist für die sofortige Beschwerde beruht hier nicht auf einer unterbliebenen Belehrung über Form und Frist des Rechtsmittels, sondern auf dem Verschulden des im Termin anwesenden Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners, der die Bedeutung der Verkündung der Entscheidung für den Beginn der Rechtsmittelfrist verkannt hat; dieses Verschulden muss sich der Antragsteller gemäß § 22 Abs. 2 Satz 2 FGG zurechnen lassen (BayObLG NJW-RR 2001, 444).
3. Dem Senat erscheint es angemessen, dem Antragsteller die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aufzuerlegen (§ 47 WEG).
Die Geschäftswertfestsetzung für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.
Ende der Entscheidung
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