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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 03.07.2003
Aktenzeichen: 2Z BR 34/03
Rechtsgebiete: WEG
Vorschriften:
WEG § 14 Nr. 1 | |
WEG § 22 Abs. 1 | |
WEG § 44 Abs. 3 |
2. Das Erfordernis der Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zu einer baulichen Veränderung ist abdingbar.
3. Die Beurteilung, ob eine bauliche Veränderung andere Wohnungseigentümer beeinträchtigt, ist Sache des Tatrichters. Dieser kann sich dabei auf vorgelegte Pläne und Lichtbilder stützen, sofern diese geeignet sind, eine umfassende Beurteilung zu ermöglichen. Andernfalls ist ein Augenschein einzunehmen.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin und ihr Ehemann sowie die Antragsgegnerin sind die Wohnungseigentümer einer aus drei Wohnungen bestehenden Wohnanlage mit zwei Gebäuden samt Garagen und Sondernutzungsrechten an der Grundstücksfläche.
§ 8 der als Inhalt des Sondereigentums im Grundbuch eingetragenen Gemeinschaftsordnung lautet wie folgt:
Teile des gemeinschaftlichen Eigentums, die einzelnen Sondereigentümern zur ausschließlichen Nutzung zugewiesen wurden, können vom jeweiligen Eigentümer ohne Zustimmung der übrigen Sondereigentümer verändert werden.
Die Antragsgegnerin beabsichtigt, auf der ihr zur Sondernutzung zugewiesenen Terrasse einen Wintergarten zu errichten. Das Vorhaben ist bauaufsichtlich genehmigt. Mit den Bauarbeiten wurde im Sommer 2002 begonnen.
Die Antragstellerin hat beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Bauarbeiten an dem Wintergarten zu unterlassen und diesen, soweit er bereits errichtet ist, zu beseitigen. Das Amtsgericht hat dem Antrag am 12.9.2002 stattgegeben und am 2.10.2002 die Baueinstellung für vorläufig vollstreckbar erklärt. Das Landgericht hat durch Beschluss vom 5.2.2003 die beiden Beschlüsse des Amtsgerichts aufgehoben und die Anträge der Antragstellerin abgewiesen. Dagegen richtet sich deren sofortige weitere Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg; es führt zur Aufhebung der Entscheidung des Landgerichts in der Hauptsache und zur Zurückverweisung an das Landgericht.
1. Das Landgericht hat ausgeführt: § 22 WEG sei nicht durch § 8 der Gemeinschaftsordnung abgedungen worden. Bei der angesichts der objektiven Interessenlage gebotenen restriktiven Auslegung sei unter Veränderungen der Eingriff in die bereits bestehende Substanz zu verstehen, nicht aber die Neuerrichtung eines Anbaus.
Auf die subjektiven Vorstellungen der Beteiligten bei Abschluss des Kaufvertrags über die Wohnung sei nicht abzustellen. Nachdem § 22 WEG nicht abgedungen sei, komme es auf die Einhaltung baurechtlicher Abstandsflächen nicht an.
Angesichts der baulichen Konzeption des Wintergartens, wie sie sich aus den vorgelegten Plänen und Lichtbildern ergebe, sowie der konkreten räumlichen Situation, die durch die Fotos verdeutlicht worden sei, bestehe keine Beeinträchtigung der Antragstellerin durch den Wintergarten. Die Sitz- und Nutzfläche befinde sich auf Kellerebene, an die sich ein Glasaufbau anschließe. Eine verstärkte Lärmbelästigung sei nicht zu befürchten. Da ausweislich der Lichtbilder an der Grenze eine dichte Fichtenbepflanzung bestehe, versperre der Wintergarten auch nicht die Sicht der Antragstellerin. Dass die Bepflanzung wieder beseitigt werden könne, rechtfertige hier keine andere Beurteilung. Ein Überschreiten der Grenze zwischen den Sondernutzungsflächen liege nicht vor.
Der Beschluss des Amtsgerichts über die vorläufige Vollstreckbarkeit sei schon deshalb aufzuheben, weil das Amtsgericht nicht mehr zuständig gewesen sei, nachdem die sofortige Beschwerde anhängig geworden sei.
2. Die Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung stand, soweit der Beschluss des Amtsgerichts vom 2.10.2002 aufgehoben und der ihm zu Grunde liegende Antrag abgewiesen wurde. Im Übrigen führt die sofortige weitere Beschwerde zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
a) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht den Beschluss des Landgerichts vom 2.10.2002 über die vorläufige Vollstreckbarerklärung des Beschlusses vom 12.9.2002 aufgehoben. Zum Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt einer vorläufigen Vollstreckbarerklärung der Hauptsacheentscheidung vom 12.9.2002 war das Amtsgericht nicht mehr befugt, nachdem die Sache durch Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde am 20.9.2002 beim Beschwerdegericht anhängig geworden war. Ab diesem Zeitpunkt liegt die Zuständigkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Beschwerdegericht. "Richter" im Sinn des § 44 Abs. 3 Satz 1 WEG ist ab Eingang der sofortigen Beschwerde das Landgericht. Die Befugnis zum Erlass sowie zur Aufhebung oder Änderung einer einstweiligen Verfügung geht also auf das Rechtsmittelgericht über (vgl. Weitnauer/Hauger WEG 8. Aufl. § 44 Rn. 8).
b) Dass es sich bei der Errichtung des Wintergartens um eine bauliche Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums handelt, die über eine ordnungsmäßige Instandhaltung oder Instandsetzung hinausgeht, steht außer Frage. Die Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer ist daher nur dann entbehrlich, wenn diese durch die Baumaßnahme nicht über das Maß des § 14 Nr. 1 WEG hinaus beeinträchtigt werden (§ 22 Abs. 1 Satz 2 WEG).
Das Zustimmungserfordernis der übrigen Wohnungseigentümer kann durch die Gemeinschaftsordnung abgedungen werden (allgemeine Meinung; z.B. BayObLG NZM 2001, 815). Dies ist hier nicht geschehen. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht § 8 der Gemeinschaftsordnung dahin ausgelegt, dass diese Bestimmung nicht zur Errichtung des Wintergartens ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer berechtigt. Der Senat kann die Bestimmungen der Gemeinschaftsordnung ohne Bindung an die Auslegung des Landgerichts selbständig auslegen. Dabei ist auf den Wortlaut und Sinn abzustellen, wie sich dieser für einen unbefangenen Leser als nächstliegende Bedeutung der Erklärung darstellt (st. Rsp.; z.B. BayObLG NJW-RR 1988, 140 m. w. N.). Nicht maßgebend ist, was der Verfasser der Gemeinschaftsordnung mit der Bestimmung erreichen wollte.
Der Senat kommt bei der Auslegung von § 8 der Gemeinschaftsordnung zu dem selben Ergebnis wie das Landgericht. Unter Veränderungen des gemeinschaftlichen Eigentums sind nur Eingriffe in bestehendes Gemeinschaftseigentum zu verstehen und nicht die Schaffung neuen Gemeinschaftseigentums durch Errichtung zusätzlicher Bauwerke.
c) Damit kommt es entscheidend darauf an, ob die übrigen Wohnungseigentümer durch die Baumaßnahme über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt werden (§ 14 Nr. 1 WEG). In diesem Zusammenhang kommt jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung in Betracht, die auch in einer nicht ganz unbedeutenden Verschlechterung des optischen Gesamteindrucks der Wohnanlage liegen kann. Ob von einer Beeinträchtigung in diesem Sinn auszugehen ist, liegt weitgehend auf dem Gebiet der tatrichterlichen Würdigung, die vom Rechtsbeschwerdegericht nur beschränkt überprüft werden kann. Grundsätzlich kann sich das Landgericht bei der Beurteilung, ob ein Nachteil vorhanden ist, mit Plänen und Lichtbildern begnügen (vgl. BayObLG NZM 1998, 980 f.). Dies gilt aber nur dann, wenn diese geeignet sind, einen ausreichenden Gesamteindruck der baulichen Veränderung und ihrer Auswirkungen auf die Umgebung, insbesondere das Wohnungseigentum anderer Wohnungseigentümer zu ermöglichen. Ist dies nicht der Fall, ist ein Augenschein einzunehmen.
d) Das Landgericht hat an Hand der ihm vorgelegten Pläne und Lichtbilder eine Beeinträchtigung im Sinn des § 14 Nr. 1 WEG verneint. Die bis zur Entscheidung des Landgerichts eingereichten Pläne und Lichtbilder lassen jedoch eine zuverlässige Beurteilung der entscheidungserheblichen Frage nicht zu. Das Landgericht hätte daher einen Augenschein einnehmen müssen.
Die in der Rechtsbeschwerdeinstanz vorgelegten Pläne und Lichtbilder sind weit eher geeignet, sich eine Vorstellung von Umfang und Auswirkungen der Baumaßnahme zu machen. Diese Pläne und Lichtbilder sprechen eher dafür, dass die mit einem erheblichen Eingriff in das Gemeinschaftseigentum verbundene Baumaßnahme Beeinträchtigungen mit sich bringt, die über das Maß des § 14 Nr. 1 hinausgehen. Die Pläne und Lichtbilder kann der Senat aber als neuen Sachvortrag nicht berücksichtigen. Er ist daher gezwungen, die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen. Dieses wird auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
3. Die Geschäftswertfestsetzung für das Rechtsbeschwerdeverfahren beruht auf § 48 Abs. 3 Satz 1 WEG.
Ende der Entscheidung
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