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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 28.05.2002
Aktenzeichen: 3 ObOWi 29/02
Rechtsgebiete: AEntG


Vorschriften:

AEntG § 1 Abs. 1
AEntG § 5 Abs. 1 Nr. 1
Der Mindestlohn im Sinne des § 1 Abs. 1 AEntG errechnet sich aus allen Zahlungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, die nicht nur Aufwandsentschädigung, sondern Teil der Arbeitsvergütung sind.
Tatbestand:

Die österreichische Firma F.S. GmbH führte in der Zeit vom 9.10. bis 13.11.2000 unter Einsatz von zehn ihrer österreichischen Arbeitnehmer im Rahmen des Bauvorhabens H. in 8.... T. Schalungsarbeiten aus. Sie zahlte ihren Arbeitnehmern einen Stundenlohn von 122,80 ÖS (= 17,45 DM) zuzüglich einer sogenannten leistungsunabhängigen Prämie von 15 % des Stundenlohns. Diese Prämie setzte sich aus zwei Zuschlägen zusammen. Nämlich zum einen aus einem als Leistungslohn bezeichneten 5 %igen Zuschlag auf den Stundenlohn und einem Schmutzzulage genannten 10 %igen Aufschlag auf den Stundenlohn. Beide Zuschläge wurden leistungsunabhängig bezahlt, die Schmutzzulage jedoch nicht auf das Feiertagsentgelt. Nach Auffassung des Amtsrichters hat die Firma F. GmbH ihren Arbeitnehmern den nach 1 Abs. 1 AEntG zu zahlenden Mindestlohn nicht gewährt. Denn bei der Berechnung des von ihr gezahlten Stundenlohns habe die Schmutzzulage außer Betracht zu bleiben. Sie sei, da sie auf das Feiertagsentgelt nicht gezahlt werde, kein Bestandteil des Grundlohns, sondern eine anders als der Bauzuschlag nicht berücksichtigungsfähige Zulage.

Gegen die Firma F.S. GmbH (F. GmbH) erging am 19.2.2001 ein Bußgeldbescheid des Arbeitsamts P., in dem ihr ein Verstoß gegen das Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) angelastet wurde. Auf ihren Einspruch hin wurde vom Amtsgericht Termin zur Hauptverhandlung auf den 20.11.2001 anberaumt. In der Hauptverhandlung stellte der Amtsrichter fest, dass die Firma T.A. GmbH, eine österreichische Tochtergesellschaft der deutschen T.K.AG, zunächst zu 75 % an der F. GmbH beteiligt war, ferner dass diese Firma zum 29.3.2001 aufgelöst und mit der T.A.GmbH verschmolzen worden war, wobei das Personal der F... GmbH ebenso wie deren Geschäftsbereich als gesonderte Betriebsabteilung in die T.A. GmbH integriert wurden.

Der Amtsrichter führte daraufhin das Verfahren gegen die T.A. GmbH als Nebenbeteiligte fort und verurteilte sie am 20.11.2001 wegen vorsätzlichen Nichtgewährens des Mindestlohns zur Geldbuße von 5000 DM.

Die Rechtsbeschwerde war begründet.

Gründe:

Allerdings konnte das Bußgeldverfahren gegen die Nebenbeteiligte fortgeführt werden, weil sie mit der mit ihr verschmolzenen F. GmbH wirtschaftlich identisch ist. Für die wirtschaftliche Identität zwischen beiden Firmen spricht schon, dass die T.A. GmbH bereits vor der Verschmelzung zu 75 % an der F. GmbH beteiligt war. Zudem war das Vermögen der letztgenannten Firma ausweislich der Feststellungen des Amtsrichters weiterhin vom Vermögen der für die T.A. GmbH gemäß § 30 OWiG Verantwortlichen getrennt. Da der Geschäftsbereich der ehemaligen F. GmbH unter Einsatz ihres Personals als gesonderte Betriebsabteilung der T.A. GmbH fortgeführt wurde, bedarf es auch keiner weiteren Begründung, dass das Vermögen der F. GmbH einen wesentlichen Teil des Gesamtvermögens der T.A. GmbH ausmacht (vgl. dazu BGH wistra 1986, 221). Der Umstand, dass das Geschäftsfeld aufgegeben werden soll, auf dem früher die F. GmbH tätig war, kann im nachhinein nichts an der wirtschaftlichen Identität beider Firmen ändern.

Jedoch hat die Sachrüge Erfolg. Denn die vom Amtsrichter getroffenen Feststellungen tragen seine Auffassung nicht, dass die F. GmbH gegen § 5 Abs>. 1 Nr. 1 AEntG verstoßen hat. Diese Firma war gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 AEntG verpflichtet, gemäß § 2 des ab 1.9.2000 gültigen Tarifvertrags vom 2.6.2000 zur Regelung eines Mindestlohns im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestlohn) ihren Arbeitnehmern den dort festgelegten Gesamttarifstundenlohn der Berufsgruppe VII 2 von 18,87 DM als Mindestlohn zu gewähren. Berücksichtigt man, wie geboten, beide von der Firma F. GmbH gezahlten Zuschläge, so hat das von ihr gezahlte Entgelt das tarifvertraglich vorgeschriebene überschritten. Aus dem Umstand, dass sich der genannte Gesamttarifstundenlohn aus dem Tarifstundenlohn und dem Bauzuschlag zusammensetzt, kann nicht gefolgert werden, dass sich auch der zu zahlende Mindestlohn nur aus diesen beiden Rechengrößen zusammensetzen dürfe. Solches lässt sich weder dem hier interessierenden Tarifvertrag noch dem AEntG entnehmen. Der mit dem AEntG verfolgte Schutz des Arbeitnehmers (vgl. dazu auch die Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl Nr. L 018 vom 21.1.1997 und z.B. EuGH BB 2002, 624; EuZW 2001, 315) wird vielmehr immer dann verwirklicht, wenn die Summe aller als Lohnbestandteile anzusehenden Zahlungen des Arbeitgebers die Höhe des vorgeschriebenen Mindestlohns jedenfalls erreicht. Der Amtsrichter hat deswegen die leistungsunabhängige garantierte Prämie von 5 % zu Recht bei der Berechnung des von der Firma F. GmbH gezahlten Lohnes berücksichtigt. Er durfte dabei aber auch die Schmutzzulage von 10 % nicht außer Betracht lassen. Zulagen im eigentlichen Sinne sind im Gegensatz zu Aufwandsentschädigungen und Auslösen kein Ersatz für Mehraufwand, sondern Arbeitsvergütung. Nichts anderes gilt für die hier gezahlte Schmutzzulage. Ihrem Wesen nach entspricht sie teilweise ohnehin dem Bauzuschlag, der ausweislich § 2 Abs. 1 Satz 2 TV Mindestlohn in Höhe von 2,9 % zum Ausgleich der Belastungen gewährt wird, denen der Arbeitnehmer durch die Abhängigkeit von der Witterung ausgesetzt ist. Der Umstand, dass dieser Teil des Lohns aus steuerlichen Gründen aus dem Grundlohn ausgegliedert wurde und nun als Zulage bezahlt wird, ändert nichts an seinem Charakter, Teil des Arbeitsentgelts zu sein.

Schließlich bleibt es auch ohne Einfluss, dass die Schmutzzulage von der Firma F. GmbH bei der Berechnung der Entgeltzahlung an Feiertagen im Sinne des § 2 des Entgeltfortzahlungsgesetzes vom 26.5.1994 (BGBl I S. 1014/1065), zuletzt geändert durch Art. 38 des Sozialgesetzbuches - Neuntes Buch vom 19.6.2001 (BGBl I S. 1046/1118), nicht berücksichtigt wurde. Wie auch nicht entschieden zu werden braucht, ob diese Berechnung richtig war. § 1 Abs. 1 Satz 2 AEntG verpflichtet den Arbeitgeber, seinen im räumlichen Geltungsbereich eines für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrages beschäftigten Arbeitnehmern mindestens die in dem Tarifvertrag vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen zu gewähren. Nur der Verstoß gegen diese Pflicht, nicht auch eine Missachtung anderer arbeitsrechtlicher Bestimmungen, ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG mit Geldbuße bedroht. Der hier in Rede stehende Tarifvertrag regelt nicht, wie das Feiertagsentgelt zu berechnen ist, sondern legt in § 2 Abs. 4 lediglich fest, dass der Gesamttarifstundenlohn der Berufsgruppe VII 2 zugleich Mindestlohn im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AEntG ist.

Nach den Feststellungen des Amtsrichters verstieß deshalb das Verhalten der F. GmbH nicht gegen § 5 Abs. 1 Nr. 1 AEntG. Nach Sachlage ist auch nicht zu erwarten, dass in einer erneuten Verhandlung erster Instanz Feststellungen getroffen werden, die zur Verhängung einer Geldbuße gegen die Nebenbeteiligte fahren. Der Senat kann deshalb in der Sache selbst entscheiden (§ 79 Abs. 6 OWiG) und von der Verhängung einer Geldbuße absehen. Angesichts dessen hat der Senat die Kosten und Auslagen des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenbeteiligten der Staatskasse auferlegt.



Ende der Entscheidung

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