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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 17.11.2003
Aktenzeichen: 4 St RR 138/03
Rechtsgebiete: StGB, WaffG


Vorschriften:

StGB § 123 Abs. 1
WaffG a.F. § 4 Abs. 4
WaffG a.F. § 35 Abs. 1
WaffG a.F. § 53 Abs. 1 Nr. 3b
1. Der zur Straße hin offene Vorplatz einer zu einem Wohnhaus gehörenden Garage ist weder der Wohnung zuzurechnen noch steht er einem befriedeten Besitztum gleich.

2. Aus dem Schutzzweck des Waffenrechts kann sich eine im Verhältnis zu den Tatbestandsbegriffen des Hausfriedensbruchs strengere teleologische Auslegung der Tatbestandsmerkmale ergeben.


Tatbestand:

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen unerlaubten Führens einer Schusswaffe zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts besaß der Angeklagte als Sportschütze berechtigt mehrere scharfe Waffen, darunter auch eine Pistole "Beretta", Modell 92FS. Diese Waffe nahm der Angeklagte in der Sylvesternacht am 31.12.2002 gegen 20 Uhr aus seinem Waffentresor und trat mit ihr vor sein Haus auf seinen zur Straße gelegenen und - wie er wusste - nicht umzäunten Garagenvorplatz. Von dort feuerte er aus dieser Waffe eine scharfe Patrone in die Luft ab. Das Projektil schlug ca. 140 m entfernt in ein Wohnhausfenster ein und zerstörte dort eine Isolierglasscheibe.

Mit seinem als Sprungrevision bezeichneten Rechtsmittel rügte der Angeklagte die Verletzung des formellen und materiellen Rechts.

Die (Sprung-)Revision des Angeklagten erwies sich als zulässig (§§ 312, 335, 341, 344, 345 StPO), jedoch unbegründet.

Gründe:

1. Die Verfahrensrüge der Verletzung des § 261 StPO, das Gericht habe seine Kenntnis vom Tatort außerhalb der Hauptverhandlung geschöpft, weil es sich in den Urteilsgründen lediglich auf die Wiedergabe der örtlichen Verhältnisse durch die Beweispersonen stützt, aber selbst keinen Augenschein eingenommen habe, ist jedenfalls unbegründet. Der Tatrichter kann sich - wie hier - einen seiner Überzeugung nach ausreichenden Überblick über Tatort und Tatverlauf durch einen (mittelbaren) Augenschein mit Hilfe von Lichtbildern vom Tatort und Zeugenaussagen verschaffen (BGHR StPO § 244 Abs. 5 Augenschein 2). Dies folgt im Übrigen schon aus § 244 Abs. 5 StPO, denn was das Gericht zur Begründung der Ablehnung eines förmlichen Antrags auf Einnahme eines Augenscheins heranziehen kann, darf es sich auch ohne entsprechenden Antrag selbst sagen und zur Richtschnur seines Handelns machen (Herdegen NStZ 1984, 97/98).

2. Eine Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge hin hat weder zum Schuld- noch zum Rechtsfolgenausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Im Einzelnen gilt zu den erhobenen Rügen:

2.1 Die Rüge, das Amtsgericht hätte die Neufassung des Waffengesetzes berücksichtigen müssen, greift nicht durch. Nach § 2 Abs. 1 StGB gilt grundsätzlich das zur Tatzeit (31.12.2002) geltende Recht, also das Waffengesetz in der alten Fassung (a.F.), da das Waffengesetz vom 11.10.2002 (WaffG n.F.) erst am 01.04.2003 in Kraft trat (Art. 19 Nr. 1 Satz 2 Waffenrechtsneuregelungsgesetz WaffRNeuRegG vom 11.10.2002 BGBl I S. 3969/4013).

Da sich der § 53 Abs. 1 Nr. 3b WaffG a.F. entsprechende Strafrahmen des § 52 Abs. 1 Nr. 2b WaffG n.F. nicht geändert hat, war das Amtsgericht auch nicht etwa gehalten, zugunsten des Angeklagten das neue Recht gemäß § 2 Abs. 3 StGB anzuwenden.

2.2 Rechtsfehlerfrei ist das Amtsgericht im Ergebnis auch davon ausgegangen, dass der Angeklagte die Schusswaffe außerhalb seines befriedeten Besitztums im Sinne von § 4 Abs. 4 WaffG a.F. führte. Entscheidend für die Annahme eines befriedeten Besitztums ist, dass es vom berechtigten Inhaber in äußerlich erkennbarer Weise mittels zusammenhängender Schutzwehren gegen das willkürliche Betreten durch andere gesichert sein muss (BayObLGSt 1994, 93 mwN.). Dies hat das Amtsgericht zutreffend geprüft und verneint.

Es bestand nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen, an die das Revisionsgericht gebunden ist (BGHSt 35, 238/241), auch kein berechtigter Anlass zur Annahme, der zur Straße offene Garagenvorplatz am Wohnhaus gehöre zu einer Wohnung im Sinne von § 4 Abs. 4 WaffG a.F.

Dabei kann zunächst offen bleiben, ob es sich bei einer Garage selbst um einen der Benutzung durch die Wohnungsinhaber dienenden Nebenraum (wie Keller, Treppenhaus etc. vgl. BGH NStZ-RR 1999, 7; LK-Schäfer StGB 9. Aufl. zu § 123 StGB Rn. 7) handelt, der zur Wohnung zählt. Selbst wenn diese Frage zu bejahen wäre, nimmt der im Freien liegende Garagenvorplatz nicht mehr am für Nebenräume der Wohnung geltenden Schutz teil. Auch der so erweiterte Schutzbereich setzt nämlich einen dem Wohnbereich erkennbar räumlich funktional zuzuordnenden Nebenraum voraus (Lackner StGB 24. Aufl. § 123 Rn. 3), der Bestandteil der räumlich abgegrenzten Privat- und Geheimsphäre sein muss (SK-Rudolphi StGB § 123 RdNr. 10). Daran fehlt es beim Garagenvorplatz.

Es kann auch dahingestellt bleiben, ob im Regelungsbereich des Hausfriedensbruchs nach § 123 StGB, an dessen Begriffe sich § 4 Abs. 4 WaffG a.F. anlehnt (vgl. BayObLGSt 1994, 93/94), eine Tendenz beteht, allein eine räumliche Anbindung an ein Wohnhaus zum Anlass zu nehmen, einen Teil eines Grundstücks auch ohne besondere Einbindung oder Einzäunung zu einem "befriedeten Besitztum" zu machen.

Während es beim Hausfriedensbruch darum geht, dem Willen des Berechtigten zum Erfolg zu verhelfen, andere auch von Hausvorgärten, Hofräumen und anderen Grundstücksteilen fernzuhalten, also das Hausrecht zu schützen (vgl. BayObLGSt 1965, 10/11 und ausführlich Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 123 RdNr. 6), geht es beim Waffenrecht gerade nicht um den Schutz von Individualinteressen, sondern um die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit. Danach ist es teleologisch verboten, eine erweiternde Auslegung des befriedeten Besitztums zu übernehmen, nicht zuletzt - wie dieser Lebenssachverhalt zeigt - im Interesse der Rechtsklarheit.

2.3 Nach der vom Amtsgericht im Urteil (S. 3) wiedergegebenen Einlassung des Angeklagten, er habe sich für berechtigt gehalten, die Waffe am Tatort zu führen, weil seines Erachtens insoweit ein befriedetes Besitztum vorgelegen habe, hätte der Tatrichter prüfen müssen, ob der Angeklagte einem Verbotsirrtum nach § 17 StGB unterlag (BGH StV 1998, 186).

Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil indes nicht (§ 337 StPO), weil der Senat aufgrund der festgestellten Gesamtumstände ausschließen kann, dass ein vermeidbarer Verbotsirrtum zu einer Strafmilderung (§ 49 Abs. 1 StGB) hätte führen können. Es ist ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, dass die Zumutbarkeit des Einsatzes aller Faktoren der Erkennbarkeit des Unrechts mit der Gefahrenträchtigkeit des jeweiligen Lebensbereichs steigt (LK-Schroeder StGB 11. Aufl. § 17 RdNr. 30 m. w. N.). Eine Strafmilderung bleibt außer Betracht, wenn ein zu Waffenbesitz berechtigter und entsprechend vorgebildeter Täter an einem Tatort wie beschrieben eine Waffe führt und auch vorgefasster Absicht entsprechend von ihr Gebrauch macht, ohne in irgendeiner Form vorher rechtskundigen Rat hierzu gesucht zu haben.



Ende der Entscheidung

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