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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 01.03.2002
Aktenzeichen: 4 St RR 2/02
Rechtsgebiete: AO, EGStG
Vorschriften:
AO § 150 Abs. 2 Satz 2 | |
AO § 150 Abs. 3 Satz 1 | |
AO § 378 Abs. 1 | |
EGStG § 25 Abs. 3 Satz 4 | |
EGStG § 25 Abs. 3 Satz 5 |
Tatbestand:
Die miteinander verheirateten Angeklagten erzielten in den Jahren 1990 mit 1993 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Für diese Veranlagungszeiträume überließen sie jeweils blanko unterschriebene Formulare für die Einkommensteuererklärung mit den von ihnen gesammelten Belegen dem damals an dem für sie zuständigen Finanzamt S. als Steuerbeamter tätigen Zeugen P. Dieser füllte die Steuererklärungen aus, wobei er die Werbungskosten zu hoch einsetzte, und versah sie mit dem Vermerk. "Belege eingesehen und zurückgegeben". Anschließend führte jeweils entweder er selbst oder der zuständige Sachbearbeiter die Veranlagung der Angeklagten entsprechend diesen Erklärungen durch. Auf diese Weise erhielten die Angeklagten für die genannten Jahre zu Unrecht Steuererstattungen in Höhe von insgesamt 14680 DM.
Die Staatsanwaltschaft erhob gegen beide Angeklagte am 20.10.2000 Anklage wegen vier gemeinschaftlich begangener besonders schwerer Fälle der Steuerhinterziehung.
Am 19.3.2001 wurden sie vom Amtsgericht von diesem Vorwurf freigesprochen.
Nach Ansicht der Amtsrichterin war den Angeklagten aufgrund der Beweisaufnahme nicht zu widerlegen, dass sie darauf vertraut hätten, der Zeuge P. werde die Steuererklärungen immer korrekt ausfüllen. Sie hätten auch hinterher nicht bemerkt, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Ihrer Meinung nach handelten die Angeklagten auch nicht leichtfertig. Sie hätten nämlich diesem Zeugen vertrauen dürfen.
Die Revision der Staatsanwaltschaft war begründet.
Gründe:
Die Amtsrichterin hat die erhobenen Beweise nicht erschöpfend gewürdigt (vgl. dazu etwa BGH NStZ 2000, 48; 2002, 48 jeweils m.w.N.).
Ihre Auffassung, vorsätzliches Handeln der Angeklagten sei nicht feststellbar, ist deshalb nicht hinreichend begründet. Schon die Ausführungen zur Glaubwürdigkeit des Zeugen P. sind unzulänglich. Bei der hier gegebenen Fallgestaltung ist nicht ersichtlich, wie der Zeuge seinen Tatbeitrag, den er mit einer im Urteil nicht dargestellten Lebenskrise entschuldigt, noch hätte beschönigen können. Da die Staatsanwaltschaft keine Verfahrensrüge erhoben hat, kann dahinstehen, ob die als tragende Entscheidungsgrundlage gewertete Äußerung der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, der Zeuge habe in anderen Verfahren auch andere differenzierte Angaben gemacht, die dort zu einer Verurteilung geführt hätten, prozessordnungsgemäß als Beweismittel in das amtsgerichtliche Verfahren eingeführt wurde. Dem Urteil ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass die Amtsrichterin diese Aussagen, die auch nicht wiedergegeben wurden, inhaltlich zur Kenntnis genommen und selbst bewertet hat. Weiterhin kann aus dem Umstand, dass ein Zeuge in anderen Fällen Angeklagte wahrheitsgemäß belastet hat, nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden, dass auch seine entlastenden Angaben in einem weiteren Fall der Wahrheit entsprechen. Dies gilt gerade dann, wenn sich der Zeuge nach Ansicht der Amtsrichterin durch seine Straftat die Freundschaft der Angeklagten "erkaufen" wollte. Schließlich hat die Amtsrichterin bei der Würdigung der Aussage des Zeugen P. nicht erwogen, dass der Zeuge bei lebensnaher Betrachtungsweise die Angeklagten, waren sie tatsächlich gutgläubig, nicht nur dem erheblichen Risiko eines Strafverfahrens aussetzte, ohne dass sie dies ahnten. Er lief auch Gefahr, dass die Angeklagten ihre Steuererklärungen und die daraufhin ergangenen Steuerbescheide überprüften und ihre Unrichtigkeit bemerkten. Denn bei einer solchen Kontrolle konnten sie unabhängig von den vom Zeugen in Aussicht gestellten Steuererstattungen feststellen, ob die in den Steuererklärungen gemachten und den Steuerbescheiden zugrundegelegten Angaben zur Höhe der Werbungskosten und der Sonderausgaben oder etwa zu außergewöhnlichen Belastungen der Wirklichkeit entsprachen, zumal sie im Besitz der Unterlagen über ihre tatsächlichen Ausgaben waren. Waren die Angeklagten ahnungslose, aber gesetzestreue Bürger, lief der Zeuge Gefahr, dass sie sich von ihm und seiner Vorgehensweise distanzierten und auf eine Berichtigung ihrer Steuererklärungen und der Steuerbescheide hinwirkten. Ausweislich der bisherigen Urteilsfeststellungen deutet nichts darauf hin, dass der Zeuge diese Problematik übersehen oder bewusst in Kauf genommen haben könnte. Zudem ist aus den Urteilsgründen nicht ersichtlich, was den Zeugen gehindert haben könnte, nicht schon das richtige Erstellen der Steuererklärungen, das den Angeklagten erheblichen Zeitaufwand und, falls sie hierfür bisher geschäftsmäßige Hilfe in Anspruch genommen hatten, auch nennenswerte Ausgaben ersparte, als ausreichende Leistung für den Erhalt der Freundschaft anzusehen, wenn die Angeklagten von ihm aus seiner Sicht korrektes Verhalten erwarteten.
Unzureichend hat sich die Amtsrichterin letztlich auch mit der Einlassung der Angeklagten auseinandergesetzt, wonach diese im Ergebnis keine Zweifel daran hatten, dass in den in Rede stehenden Bescheiden die Steuern richtig festgesetzt waren.
Nach Sachlage ist davon auszugehen, dass die Angeklagten nicht erst seit 1990 steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielen und auch nicht erstmals für das Jahr 1990 Steuererklärungen abgegeben haben. Sie wussten deshalb, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe sie vor 1990 Steuererstattungen erhalten hatten. Nicht angenommen werden kann, dass die Angeklagten vom Zeugen P. darauf hingewiesen wurden, sie hätten vor dem Veranlagungszeitraum 1990 tatsächlich angefallene steuermindernde Aufwendungen nicht geltend gemacht. Denn ausweislich der Gründe des amtsgerichtlichen Urteils behaupten dies weder die Angeklagten noch der Zeuge. Auch wurden danach die Angeklagten vom Zeugen nicht aufgefordert, ihm über die übergebenen Belege hinaus noch weitere zu bringen. Bei dieser Sachlage konnten die Steuererstattungen die ab 1990 entweder erstmalig in beträchtlicher Höhe oder aber weit höher als in den vorhergehenden Steuerbescheiden - das angefochtene Urteil äußert sich dazu nicht - festgesetzt wurden, auch aus der Sicht der Angeklagten, zumal wenn sie schon früher bei der Abgabe von Steuererklärungen fachkundigen Rat in Anspruch genommen hatten, nur rechtmäßig sein, wenn entweder ihre lohnsteuerpflichtigen Einkünfte im Vergleich zum anfänglichen Verdienst im Laufe eines Veranlagungszeitraums stark abgesunken und/oder ihre steuermindernden Aufwendungen im Vergleich zu früheren Veranlagungszeiträumen erheblich gestiegen waren. Denn jedem Durchschnittsarbeitnehmer, dazu rechnen augenscheinlich auch die Angeklagten, ist geläufig, dass die steuerliche Belastung des Nichtselbständigen entscheidend von der Höhe seiner Einkünfte und der seiner steuermindernden Aufwendungen bestimmt wird, weshalb er bei einer im Vergleich zum vorherigen Veranlagungszeitraum im wesentlichen unveränderten Einkunfts-/Ausgabesituation nicht mit einer nennenswerten Reduzierung seiner Steuerlast rechnet. Die Angeklagten kannten auch ab 1990 die Höhe ihrer Einkünfte und, da sie die Belege sammelten, im wesentlichen ihre steuermindernden Aufwendungen, wie auch sonstige steuerlich relevante Veränderungen ihrer Situation. Die Feststellung, dass die Angeklagten die in Rede stehenden Steuerfestsetzungen gleichwohl für richtig hielten, erfordert deswegen eine eingehende Auseinandersetzung mit der Frage, aus welchen Gründen sie alle gegen eine richtige Steuerfestsetzung sprechenden Fakten, "versehentlich" außer Betracht gelassen haben könnten. Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. In diesem Zusammenhang bleibt auch unklar, worauf das von den Angeklagten behauptete Vertrauen in den Zeugen P. basiert haben soll, wenn sich dieser andererseits veranlasst sah, die Freundschaft der Angeklagten mit erheblichen - kriminellen Leistungen zu "erkaufen".
Unzureichend sind auch die Erwägungen, mit denen die Amtsrichterin leichtfertiges Handeln der Angeklagten verneint hat. Der Vorwurf der Leichtfertigkeit entfällt nicht schon, wenn man unterstellt, den Angeklagten habe es sich nicht aufdrängen müssen, dass der Zeuge P. in ihre Steuererklärungen steuerverkürzende Angaben eintrug. Leichtfertigkeit bezeichnet einen erhöhten Grad an Fahrlässigkeit, der mit grober Fahrlässigkeit gleichzusetzen ist und auch bei unbewusster Fahrlässigkeit gegeben sein kann (vgl. dazu z.B. BGH NStZ 1988, 276; BFH/NV 1998, 8; BayObLG BB 1971, 1544; ZfZ 1968, 246). Leichtfertigkeit liegt deshalb immer schon dann vor, wenn die - bewusste oder unbewusste - Missachtung wesentlicher steuerlicher Pflichten Ausdruck einer groben Nachlässigkeit ist. Die Angeklagten hatten die Einkommensteuererklärungen eigenhändig zu unterschreiben (§ 150 Abs. 3 Satz 1 AO, § 25 Abs. 3 Satz 5 EStG), wobei sie mit ihrer Unterschrift auf dem Erklärungs-Vordruck auch die Versicherung unterzeichneten, dass sie ihre Angaben wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen gemacht hatten (§ 150 Abs. 2 Satz 2 AO). Mit dieser schriftlichen Versicherung wird dem Steuerpflichtigen persönlich die Verpflichtung auferlegt, Angaben in der Steuererklärung nach bestem Wissen und Gewissen zu machen. Er soll durch seine eigenhändige Unterschrift erkennbar die Verantwortung für die tatsächlichen Angaben in der Steuererklärung übernehmen. Ferner soll sichergestellt werden, dass sich der Steuerpflichtige über die Lückenlosigkeit und Richtigkeit der gegebenenfalls von einem Dritten, also insbesondere von seinem steuerlichen Berater vorgenommenen Eintragungen und den Umfang der im Vordruck vorgesehenen Angaben vergewissert hat (st. Rspr. vgl. Z.B. BFH BStB1 11 1999, 203; BFH/NV 1998, 8; BStBl II 1987, 77; 1984, 13, 436 jeweils m.w.N.). Die Angeklagten waren deshalb verpflichtet, die vom Zeugen P. vorbereiteten Steuererklärungen jeweils vor deren Abgabe beim Finanzamt daraufhin zu überprüfen, ob in ihnen alle Angaben tatsächlicher Art vollständig und richtig enthalten waren. Zudem hatten sie dabei zu kontrollieren, ob er alle im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellten und auf einen ganz bestimmten Vorgang bezogenen Fragen beachtet hatte (vgl. dazu etwa BFH/NV 1998, 8; BFHE 181, 252; 165, 454 jeweils m.w.N.). Überlässt ein Steuerpflichtiger unter Missachtung dieser Pflichten seinem steuerlichen Berater ein blanko unterschriebenes Einkommensteuererklärungsformular und lässt ihn die von diesem ausgefüllte Erklärung ungeprüft beim Finanzamt einreichen, so handelt er in der Regel leichtfertig im Sinne des § 378 AO. Dies unabhängig davon, ob er die durch § 150 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 AO, § 25 Abs. 3 Satz 4 bzw. Satz 5 EStG normierten Kontrollpflichten bewusst missachtet oder etwa deswegen, weil er sie nicht zur Kenntnis genommen hat. Die bewusste Nichtbeachtung der Pflicht, die von einem Dritten gefertigte Einkommensteuererklärung auf ihre tatsächliche Richtigkeit zu prüfen, ist angesichts der Bedeutung dieser Erklärung für das Besteuerungsverfahren, ein grober Verstoß gegen die steuerlichen Pflichten. Nichts anderes gilt, wenn der Steuerpflichtige die mit der Unterzeichnung einer Einkommensteuererklärung verbundenen Pflichten deswegen nicht zur Kenntnis genommen hat, weil er das ihm inhaltlich unbekannte Erklärungsformular ungelesen blanko unterschrieben hat. Auch in einem solchen Verhalten kommt regelmäßig eine erhebliche Gleichgültigkeit gegenüber den steuerlichen Pflichten zum Ausdruck.
Sinn und Gewicht der hier in Rede stehenden steuerlichen Pflichten sind für den Steuerpflichtigen, falls sie ihm nicht ohnehin geläufig sind, im Regelfall ohne weiteres einsehbar. Ebenso ist für ihn im allgemeinen erkennbar, dass diese Inhaltskontrolle der Steuererklärung nicht dann entfällt, wenn er seinem Berater vertraut. Denn dann hätte diese Prüfungspflicht keine praktische Bedeutung, weil kaum jemand einen Dritten, zu dem er kein Vertrauen hat, mit der Erledigung seiner steuerlichen Angelegenheiten beauftragen wird.
Anhaltspunkte für die Annahme, dass im vorliegenden Fall, wenn vorsätzliches Handeln nicht feststellbar ist, ausnahmsweise auch Leichtfertigkeit zu verneinen ist, bieten die Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht. Angesichts ihres beruflichen Werdegangs liegt es nahe, dass die Angeklagten aufgrund ihrer individuellen intellektuellen Fähigkeiten ihre steuerlichen Pflichten, falls sie ihnen unbekannt gewesen sein sollten, erkennen und ihnen auch genügen konnten. Der Umstand, dass der Zeuge P. die Steuererstattungen jeweils in etwa richtig prognostizierte, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang. Zum einen war dieses Ergebnis bei der Blankounterzeichnung der Steuererklärungen noch nicht abzusehen. Zum anderen besagt dies nicht ohne weiteres, dass die Angaben in den Steuererklärungen tatsächlich richtig waren, sondern nur, dass sie dem Steuerbescheid unverändert zugrundegelegt wurden.
Ende der Entscheidung
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