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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 11.04.2001
Aktenzeichen: 1 ObOWi 121/01
Rechtsgebiete: OWiG


Vorschriften:

OWiG § 72 Abs. 1 Satz 1
Beschlüsse nach § 70 Abs. 1 Satz 1 OWiG sind unabänderlich, wenn sie dem Gerichtswachtmeister ausgehändigt oder in den Postumlauf gebracht werden.
BayObLG Beschluss

1 ObOWi 121/01

11.04.01

Tatbestand

Dem Betroffenen lag nach dem Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt zur Last, am 24.7.1999 um 15.58 Uhr auf der Bundesautobahn A 8 in Fahrtrichtung München bei Kilometer 40,9 mit dem von ihm gesteuerten Pkw die durch Zeichen 274 StVO auf 100 km/h beschränkte zulässige Höchstgeschwindigkeit um 27 km/h überschritten zu haben.

Das Amtsgericht sprach außerhalb der Hauptverhandlung mit Beschluss vom 14.11.2000 den Betroffenen von diesem Vorwurf frei.

Während dieser Beschluss zur Bekanntgabe an den Betroffenen, seine Verteidiger und die Staatsanwaltschaft auf der Geschäftsstelle lag, ging beim Amtsgericht am 6.12.2000 der Schriftsatz der Verteidiger des Betroffenen vom 5.12.2000 ein, mit welchem der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurückgenommen wurde. Der Richter am Amtsgericht ordnete am 7.12.2000 die Ausführung der Bekanntgabeverfügung an und vermerkte:

"Der Beschluss vom 14.11.2000 wurde kurz nach der Unterzeichnung in den Geschäftsgang gegeben. Am 6.12.2000 ging eine Einspruchsrücknahme ein. Bis dahin wurde die Zustellung des Beschlusses nicht bewirkt. Der Einspruch konnte nach Erlass des Beschlusses nicht mehr zurückgenommen werden (Göhler OWiG, 12.Aufl. Rn. 6 b, 7 zu § 71 OWiG). Der Beschluss vom 14.11.2000 behält daher seine uneingeschränkte Wirksamkeit."

Die gegen den freisprechenden Beschluss gerichtete und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg.

Aus den Gründen:

Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des Beschlusses. Der Beschluss ist zu einem Zeitpunkt ergangen, als der Bußgeldbescheid aufgrund der Einspruchsrücknahme bereits rechtskräftig war. Der Beschluss hätte daher nicht mehr ergehen dürfen.

1. Aufgrund einer zulässig erhobenen Rechtsbeschwerde hat das Rechtsbeschwerdegericht zu prüfen, ob ein Verfahrenshindernis besteht (BayObLGSt 1969, 129). Das ist hier der Fall, da der von der Verwaltungsbehörde erlassene Bußgeldbescheid durch Einspruchsrücknahme Rechtskraft erlangt hat. Die Rücknahme ist bereits mit dem Eingang des Schriftsatzes bei Gericht wirksam geworden (BayObLG NJW 1969, 201; OLG Koblenz NZV 1993, 282; Göhler OWiG 12.Aufl. § 71 Rn. 9). Da dieser Zeitpunkt vor dem Erlass des freisprechenden Beschlusses liegt, ist der Bußgeldbescheid durch die Einspruchsrücknahme in Rechtskraft erwachsen. Die Rechtskraft des Bußgeldbescheids bildete ein Verfahrenshindernis, durch das sich das gerichtliche Verfahren von selbst erledigt hat.

2. Beschlüsse, die - wie der Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO nach rechtzeitiger Einlegung eines Rechtsmittels unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbeiführen, sind nach der Rechtsprechung des BGH aus Gründen der Rechtssicherheit bereits dann mit Außenwirkung erlassen und damit auch einer Abänderung durch den/die entscheidenden Richter entzogen, wenn sie unterschrieben in den Geschäftsgang gegeben werden (BGH NSU 1994, 96). Weil Beschlüsse nach § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG nicht unmittelbar die Rechtskraft des angefochtenen Bußgeldbescheids herbeiführen, kann für die Frage, wann solche Beschlüsse erlassen sind, nicht auf diese Rechtsprechung zurückgegriffen werden.

Wann Beschlüsse, die - wie ein Beschluss nach § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG - nicht unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbeiführen, außerhalb mündlicher Verhandlung mit der Folge der Unabänderbarkeit in derselben Instanz erlassen sind, ist umstritten.

Aus den in § 34 a StPO und § 33 Abs. 2 0WiG, 5 78 c Abs. 2 StGB getroffenen gesetzlichen Regelungen lässt sich kein Argument für die Problemlösung entnehmen: Nach § 34 a StPO gilt die Rechtskraft mit Ablauf des Tages der Beschlussfassung (verstanden als der Tag, den der unterschriebene Beschluss als Datum trägt) als eingetreten, wenn nach rechtzeitiger Einlegung eines Rechtsmittels ein Beschluss unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbeiführt. Für die Verjährungsunterbrechung erklärt § 33 Abs. 2 OWiG - übereinstimmend § 78 c Abs. 2 StGB - bei einer schriftlichen Anordnung oder Entscheidung den Zeitpunkt der Unterzeichnung für entscheidend, und nur wenn das Schriftstück nicht alsbald nach der Unterzeichnung in den Geschäftsgang gelangt, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem es tatsächlich in den Geschäftsgang gegeben wurde. Diese aus Gründen der Rechtssicherheit getroffenen Fiktionen erfolgten gerade deshalb, weil nicht nur aus Rechtsgründen, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht zweifelhaft sein kann, wann ein Beschluss erlassen ist (vgl. KK/Maul StPO 4.Aufl. § 34 a Rn. 1; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44.Aufl. § 34 a Rn. 4). Im übrigen geschieht mit solchen Anordnungen nichts weiter, als dass sie in den Geschäftsgang gegeben werden.

Für die Frage, wann Beschlüsse, die nicht unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbeiführen, erlassen sind, wird teilweise bereits auf den frühest möglichen Zeitpunkt abgestellt, nämlich das Unterschreiben nach vollständiger Abfassung (Rebmann/Roth/Herrmann OWiG 3.Aufl. 4. Lieferung, April 2000, § 71 Rn. 23, jedoch soll das Gericht den Beschluss noch vor Zustellung zurücknehmen können, damit eine Rücknahmeerklärung wirksam werden kann). Im Zeitpunkt des Unterschreibens befindet sich die Entscheidung allerdings noch im Innenbereich des Gerichte und es fehlt an der vom Senat für erforderlich gehaltenen Außenwirkung. Unstreitig kommt dem in der Beschlussentscheidung angegebenen Tag keine Bedeutung zu (OLG Hamm VRS 49, 443; OLG Koblenz VRS 48, 291). Auf einen etwas späteren Zeitpunkt wird abgestellt, wenn das Zuleiten des Beschlusses an die Geschäftsstelle zur Bekanntgabe an die Beteiligten (- Geben in den Geschäftsgang) entscheidend sein soll (OLG Köln JR 1976, 514; KMR/Paulus Vor § 33 Rn. 28; auch Göhler § 71 Rn. 6 b, 7, allerdings soll das Gericht vor Zustellung den Beschluss noch zurücknehmen können, damit eine Rücknahmeerklärung wirksam werden kann). Hiergegen spricht jedoch, dass sich aus der Akte nicht entnehmen lässt, an welchem Tag die Entscheidung in den Geschäftsgang gegeben wurde, wie der vorliegende Fall belegt. Erforderlich ist aber, dass der genaue Zeitpunkt des Beschlusserlasses feststeht. Nach überwiegender Auffassung ist ein außerhalb mündlicher Verhandlung ergehender Beschluss erst (an dem durch die Geschäftsstelle dokumentierten Tag) "erlassen", wenn er den Innenbereich des Gerichte verlässt, insbesondere von der Geschäftsstelle zur Zustellung oder Mitteilung an einen Verfahrensbeteiligten durch Aushändigung an den Gerichtswachtmeister oder an die Post in Auslauf gegeben wird (BayObLGSt 1972, 23/25 und 214/217; 1981, 84/85 - NJW 1981, 2589; BayObLG MDR 1977, 778; OLG Celle MDR 1976, 508; OLG Düsseldorf Anwaltsblatt 1981, 288; OLG Frankfurt NJW 1973, 2218; HansOLG Hamburg MDR 1969, 950; KG NZV 1992, 123; OLG Köln NJW 1993, 608; KK-Maul aaO § 33 Rn. 4; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO aaO Vor § 33 Rn. 9; Roxin Strafverfahrensrecht 25.Aufl. § 23 A II). Diese Auffassung entspricht auch der Rechtslage im Zivilrecht (BGHZ 12, 248, 252/253 - NJW 1954, 638; BayObLGZ 1989, 116, 122/123; BayObLG NJW 1.969, 195; Bassenge/ Herbst FGG/RPflG 8.Aufl. § 16 Rn. 3; Schmidt in Keidel/Kuntze/Winkler FGG 14.Aufl. § 18 Rn. 3). Schließlich wird auch auf den letztmöglichen Zeitpunkt - den Zeitpunkt der Bekanntgabe - abgestellt (OLG Koblenz VRS 48, 291; LR-Wendisch StPO, 24. Aufl. § 33 Rn. 12; vgl. auch OLG Bremen NJW 1956, 435). Hiergegen spricht jedoch, dass mit dem Herausgeben der Entscheidung aus dem internen Geschäftsbereich des Gerichts die Entscheidung Außenwirkung erlangt hat, welche einer Abänderbarkeit entgegensteht (vgl. KK/Maul aaO; Meyer JR 1976, 515/516). Käme es gleichwohl auf diesen Zeitpunkt an, hätte dies zur Konsequenz, dass ein Beschluss, der mehreren Beteiligten bekannt zu geben ist, unter Umständen an unterschiedlichen Tagen "erlassen" wäre (vgl. OLG Köln NJW 1993, 608). Soweit die Bekanntgabe nicht durch Zustellung, sondern durch bloße Mitteilung erfolgt, könnten Schwierigkeiten bei der Feststellung des Tages auftreten, an welchem der Beschluss mit unabänderlicher Wirkung erlassen wurde.

Der Senat sieht aus den genannten Gründen keinen Anlass für den Fall eines Beschlusses nach § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Zwingende Gründe stehen nicht entgegen, dass der Richter entsprechend einer vielfach geübten Praxis einen bereits in den Geschäftsgang gegebenen Beschluss, der nicht unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbeiführt, noch ändert, wenn hierfür - wie bei einer Einspruchsrücknahme - Anlass besteht (vgl. Göhler; KK/Maul; Rebmann/Roth/Herrmann jeweils aaO).

3. Für die Wirksamkeit der Einspruchsrücknahme am 6.12.2000 ist es deshalb ohne Bedeutung, dass diese erst nach Absetzen des am 6.12.2000 bereits unterschriebenen Beschlusses vom 14.11.2000 bei Gericht eingegangen ist, da zu diesem Zeitpunkt die Bekanntgabeverfügung von der Geschäftsstelle noch nicht ausgeführt, der Beschluss also noch nicht erlassen war. Das Gericht hätte daher die Einspruchsrücknahme berücksichtigen können und müssen.

4. Der (objektiv) zu Unrecht ergangene Beschluss des Amtsgerichte ist sonach ersatzlos aufzuheben.

Dass der Einspruch durch Rücknahme erledigt und damit der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden ist, hat der Senat lediglich zur Klarstellung nochmals festgestellt (vgl. BGHSt 27, 271/273; OLG Hamm VRS 85, 122/123).

Die Kosten und Auslagen der Staatskasse nach Einspruchsrücknahme werden niedergeschlagen (§ 465 Abs. 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 8 GKG; vgl. KK-OWiG/Schmehl 2.Aufl. § 109 Rn. 12). Seine außergerichtlichen Auslagen trägt der Betroffene selbst.

Einer besonderen Entscheidung über die Kosten des gerichtlichen Einspruchsverfahrens bedarf es aufgrund § 55 GKG nicht (OLG Ham VRS 85, 122/124; LG Zweibrücken VRS 90, 143/144; Göhler § 67 Rn. 40 a, § 109 Rn. 10; KK-OWiG/Schmehl § 69 Rn. 130, § 109 Rn. 11). Danach ist der den Einspruch zurücknehmende Betroffene kraft Gesetzes Schuldner entstandener Auslagen. Diese können ohne Kostenentscheidung des Gerichte von ihm eingezogen werden und werden mit Rücknahme des Einspruchs fällig, § 63 Abs. 1 GKG (KK-0WiG/Schmehl § 109 Rn. 11).

Ende der Entscheidung

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