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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 28.05.2003
Aktenzeichen: 1 ObOWi 177/03
Rechtsgebiete: StPO, OWiG


Vorschriften:

StPO § 275 Abs. 2 Satz 1
OWiG § 71 Abs. 1
Bei der Beurteilung der Unterschrift eines Richters unter einem Urteil ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, wenn die Urheberschaft außer Frage steht.
Tatbestand:

Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 4.2.2003 wegen fahrlässigen Nichtbeachtens einer länger als eine Sekunde andauernder Rotlichtphase zur Geldbuße von 125 Euro und verhängte außerdem ein Fahrverbot von der Dauer eines Monats.

Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene insbesondere, dass das angefochtene Urteil nicht ordnungsgemäß unterschrieben worden sei. Außerdem seien die Feststellungen nicht geeignet, einen Rotlichtverstoß zu begründen.

Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.

Gründe:

1. Die ordnungsgemäß erhobene Verfahrensrüge der Verletzung des § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG ist nicht begründet. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht genügt die Unterzeichnung des Urteils noch den Anforderungen, die von der Rechtsprechung an eine ordnungsgemäße Unterschrift gestellt werden.

Was unter einer Unterschrift zu verstehen ist, ergibt sich aus dem Sprachgebrauch und dem Zweck der Formvorschrift. Da die Unterschrift sicherstellen soll, dass das Schriftstück auch vom Unterzeichner stammt, reicht es aus, dass ein die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnender, individuell gestalteter Namenszug vorliegt, der die Absicht erkennen lässt, eine volle Unterschrift zu leisten, das Schriftstück also nicht nur mit einem abgekürzten Handzeichen zu versehen (BGH NJW 1992, 243; NJW 1997, 3380; BFH NJW 2000, 607). Die Grundsätze gelten auch für die Unterzeichnung des Urteils durch den Richter (BGHSt 12, 317 und BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 1 Unterschrift 1).

Der Bundesgerichtshof hat ergänzend im Zusammenhang mit der Beurteilung der Unterschrift unter einem bestimmenden anwaltlichen Schriftsatz darauf hingewiesen, dass zumindest in Fällen, in denen die Autorenschaft gesichert sei, ein "großzügiger Maßstab" anzulegen sei (BGH NJW 1997, 3380/3381). Auch der Bundesfinanzhof hat in der oben genannten Entscheidung eine "großzügige Betrachtungsweise" für geboten erachtet, sofern keine Zweifel an der Urheberschaft bestehen. Nach Auffassung des Senats gilt dies ebenfalls für die Unterzeichnung eines Urteils gemäß § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO.

Die hier zu beurteilende Unterschrift ist ein Grenzfall. Die Zweifel, die der Verteidiger und die Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht in ihrer Antragsschrift vorgetragen haben, sind nicht unbegründet. Der Senat hält aber den Schriftzug für noch ausreichend, um von einer wirksamen Unterzeichnung gemäß § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO auszugehen.

Es kann nicht zweifelhaft sein und wird auch vom Beschwerdeführer nicht in Frage gestellt, dass das Urteil in dieser Form von der Richterin stammt, die die Hauptverhandlung geleitet hat und deren Name maschinenschriftlich unter dem handschriftlichen Schriftzug vermerkt ist. Auch das Protokoll sowie Ladungs- und Zustellungsverfügungen sind entgegen dem Vorbringen des Verteidigers in (fast) gleicher Weise unterzeichnet. Dass das Urteil von jemand anderem als der erkennenden Richterin verfasst sein könnte, steht nicht in Frage.

Der Schriftzug, der dem Senat auch aus zahlreichen anderen Verfahren bekannt ist, ist auch individuell gestaltet und verweist deshalb eindeutig auf die Urheberschaft der Richterin. Die Grenze individueller Charakteristik, die etwa bei Verwendung bloßer geometrischer Formen oder einfacher (gerader) Linien, die in keinem erkennbaren Bezug zu den Buchstaben des Namens stehen, erreicht ist, ist keinesfalls überschritten. Vielmehr ist eindeutig der Anfangsbuchstabe "w" des Namens zu erkennen, der zudem nicht lediglich aus geraden Strichen geformt ist, sondern individuelle Züge aufweist, die unzweifelhaft die Feststellung erlauben, dass hier der Namenszug der erkennenden Richterin vorliegt.

Auch das dritte Merkmal, nämlich die erkennbare Absicht einer vollen Unterschrift, liegt vor. Der Bundesgerichtshof hat die Verwendung "dreier steil und gerade verlaufender Ab- und Aufstriche", die als "K" zu deuten seien, verbunden mit einem "kürzeren, flacher ansteigenden und leicht gekrümmten weiteren Aufstrich, mit dem das ,K' ausläuft" für ausreichend gehalten, um eine Unterschrift und nicht nur ein Handzeichen anzunehmen (BGH NJW 1997, 3380).

Gleiches gilt im vorliegenden Fall, in dem an das "W" eine von der Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht zutreffend beschriebene "einfach auslaufende Schriftbiegung" angehängt ist, die ersichtlich für den Rest des Namens stehen soll.

Die Auffassung, die Richterin habe Urteil, Protokoll und sämtliche Verfügungen nur paraphieren wollen, wäre geradezu lebensfremd; vielmehr steht für den Senat außer Zweifel, dass sie, wenn auch in stark verkürzter und stilisierter Form ihren Namenszug unter das Urteil setzen wollte. Da diese Absicht auch bei Anlegen des vom Bundesgerichtshof geforderten großzügigen Maßstabs (noch) erkennbar ist, sind insgesamt die Voraussetzungen einer Unterschrift gegeben.

2. Keinen Erfolg hat auch die Rüge der unzureichenden Feststellungen eines Rotlichtverstoßes. Soweit die Rechtsbeschwerde hierzu urteilsfremdes Vorbringen enthält, kann dieses im Rechtsbeschwerdeverfahren keine Berücksichtigung finden. Der Senat hat von den Feststellungen des Urteils auszugehen.

Danach wurde an der in Frage stehenden Ampelanlage eine gezielte Kontrolle vorgenommen, wobei der Zeuge Kontrollstellenleiter war. Er hat aus ca. 50 m Entfernung festgestellt, dass der Betroffene die Haltlinie bei Rotlicht überfuhr. Die Dauer des Rotlichtverstoßes hat er durch Mitzählen festgestellt. Im Hinblick auf diesen durch Zählen festgestellten Zeitraum von vier Sekunden begegnet die Annahme des Amtsgerichts keinen Bedenken, dass die Haltlinie bei zumindest eine Sekunde andauernder Rotlichtphase überfahren wurde. Es ist deshalb auch nicht zu beanstanden, dass die Tatrichterin den auf Erholung eines Sachverständigengutachtens gerichteten Beweisantrag in der Hauptverhandlung mit einer Kurzbegründung gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 OWiG abgelehnt und erst in den Urteilsgründen wie in einem solchen Fall vorgeschrieben näher dargelegt hat, warum sie die Erholung des Gutachtens nicht für erforderlich gehalten hat.

Ende der Entscheidung

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