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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 14.08.2002
Aktenzeichen: 1 ObOWi 195/02
Rechtsgebiete: StPO, OWiG


Vorschriften:

StPO § 261
StPO § 267
OWiG § 71 Abs. 1
Der Tatrichter muß auch in Bußgeldsachen bei widersprüchlichen Zeugenaussagen im allgemeinen die für die Bedeutung der Glaubwürdigkeit wesentlichen Umstände im Urteil darlegen und würdigen.
Tatbestand:

Die Betroffene befuhr am 14.7.2001 um 22.40 Uhr mit ihrem Pkw die B 13 in O. An der Kreuzung mit der K-straße missachtete sie das für sie geltende Rotlicht und stieß im Kreuzungsbereich mit dem Fahrzeug des Zeugen R.-W., der seinerseits bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahren war, zusammen. Bei dem Unfall wurde die Betroffene verletzt. An dem Fahrzeug des Zeugen R.-W. entstand ein Sachschaden in Höhe von ca. 50000 DM.

Das Amtsgericht verurteilte die Betroffene am 22.1.2002 wegen fahrlässiger Missachtung eines roten Wechsellichtzeichens in Tateinheit mit "der Schädigung anderer" zu einer Geldbuße von 125 EUR und verhängte außerdem ein Fahrverbot von der Dauer eines Monats.

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen hatte Erfolg.

Gründe:

Da die tatrichterliche Überzeugung vom Rechtsmittelgericht nur in eingeschränktem Maße und nur anhand der Urteilsgründe überprüft werden kann, müssen diese so gefasst sein, dass sie eine auf Rechtsfehler beschränkte Richtigkeitskontrolle möglich machen. Die Ausführungen des Urteils sind daher nicht Selbstzweck. In welchem Umfang sie geboten sind, richtet sich nach der jeweiligen Beweislage, nicht zuletzt auch nach der Bedeutung, die der Beweisfrage unter Berücksichtigung des Tatvorwurfs und des Verteidigungsvorbringens für die Wahrheitsfindung zukommt (vgl. BGHSt 39, 291/296 f.). Im Bußgeldverfahren ist dabei zu berücksichtigen, dass dieses nicht der Ahndung kriminellen Unrechts, sondern der verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung dient. Es ist schon im Hinblick auf seine vorrangige Bedeutung für die Massenverfahren des täglichen Lebens auf eine Vereinfachung des Verfahrensganges ausgerichtet. Daraus ergibt sich, dass auch an die Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind (BGH aaO 299 f.).

Der Senat teilt die in zahlreichen Entscheidungen zum Ausdruck gebrachte Auffassung des Bundesgerichtshofs (vgl. hierzu Cierniak NZV 1998, 293/295), dass die Anforderungen an die Gründe des Urteils in Bußgeldsachen nicht überspannt werden sollten. Auch bei Anlegung eines gegenüber dem Strafverfahren weniger strengen Maßstabs genügen die Urteilsgründe im vorliegenden Fall den an sie zu stellenden inhaltlichen Anforderungen indes nicht.

Zur Einlassung der Betroffenen teilen die Urteilsgründe lediglich mit, dass sie die Fahrereigenschaft eingeräumt habe. Die Wiedergabe der Einlassung eines Betroffenen ist in § 267 StPO i.V.m. § 71 OWiG nicht vorgeschrieben. Gleichwohl hält es die Rechtsprechung für erforderlich, die Einlassung eines Betroffenen zum Schuldspruch in die Urteilsgründe aufzunehmen und zu würdigen, weil andernfalls das Rechtsbeschwerdegericht in der Regel nicht erkennen kann, ob der Beurteilung des Sachverhalts rechtlich fehlerfreie Erwägungen zugrunde liegen. In dem Fehlen bzw. der nicht hinreichenden Mitteilung dieser Angaben liegt daher grundsätzlich ein sachlich-rechtlicher Mangel, sofern die Beweislage nicht einfach ist (BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984, 213; BGH bei Kusch NStZ 1997, 72; OLG Düsseldorf NStZ 1985, 323).

Zwar lässt sich den Urteilsgründen im vorliegenden Fall noch entnehmen, dass die Betroffene den Rotlichtverstoß offenbar bestritten hat; wie sie sich aber tatsächlich eingelassen hat, ergeben die Urteilsgründe nicht. Es ist indes für die Beweiswürdigung z.B. nicht unerheblich, ob die Betroffene angibt, bei Umschalten auf Grün, bei schon länger andauernder Grünphase oder etwa schon bei Gelb bzw. "Tiefgelb" in die Kreuzung eingefahren zu sein.

Vor allem aber fehlt jede Auseinandersetzung mit der Frage, warum nicht der Aussage der Betroffenen, sondern derjenigen des bei dem Zusammenstoß beteiligten Fahrers und dessen Beifahrerin, die den gleichen Namen wie der Fahrer trägt, deren verwandtschaftliche Beziehung zu diesem aber nicht näher mitgeteilt wird, zu folgen sei.

Steht Aussage gegen Aussage, so muss der Tatrichter im allgemeinen die für die Bedeutung der Glaubwürdigkeit wesentlichen Umstände im Urteil darlegen und würdigen (BGH StV 1992, 97; 1995, 115; OLG Oldenburg DAR 2000, 86). Zwar weisen die angeführten Entscheidungen die Besonderheit auf, dass die Einlassung der Betroffenen/Angeklagten der Aussage nur eines einzigen Zeugen widersprach, während hier zwei Gegenzeugen ausgesagt haben. Dies allein kann im vorliegenden Fall aber eine Würdigung der Glaubwürdigkeit nicht völlig entbehrlich machen, nachdem es sich bei der weiteren Zeugin um die Beifahrerin und offensichtlich eine verwandtschaftlich nahestehende Person handelt, die Zeugin also gewissermaßen im "Lager" des die Betroffene belastenden Fahrers steht. Selbst wenn man zutreffender Weise davon ausgeht, dass eine Zeugin wegen dieses persönlichen Involviertseins nicht schon unglaubwürdig ist, bedarf es einer kritischen Würdigung der Aussage unter Berücksichtigung dieser besonderen Umstände.

Bei alledem ist auch zu berücksichtigen, dass es sich um keine unbedeutende Sache handelt, nachdem es zu einem Zusammenstoß mit erheblichem Sachschaden und auch Verletzungsfolgen gekommen ist und unter anderem ein Fahrverbot als Ahndung verhängt wurde.

Ende der Entscheidung

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