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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 27.11.2003
Aktenzeichen: 1 ObOWi 429/03
Rechtsgebiete: StVG


Vorschriften:

StVG § 25 Abs. 1
Der Tatrichter kann die Annahme von Beharrlichkeit gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG auf Feststellungen stützen, die den Eintragungen im Verkehrszentralregister zu entnehmen sind. Er ist grundsätzlich nicht verpflichtet, weitere Einzelheiten zu den dort enthaltenen Vortaten festzustellen und mitzuteilen, insbesondere nicht zur Motivationslage des Betroffenen.
Tatbestand:

Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen wegen einer am 9.3.2003 begangenen Ordnungswidrigkeit des fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 30 km/h zu einer Geldbuße von 100 EUR und verhängte ein Fahrverbot von der Dauer eines Monats. Nach den Feststellungen des Gerichts ist der Betroffene wie folgt vorgeahndet:

Bußgeldbescheid vom 10.8.1998, rechtskräftig seit 27.8.1998, wegen Nichttragens des Sicherheitsgurtes und ungesicherter Beförderung von mehreren Kindern. Geldbuße in Höhe von 130 DM.

Bußgeldbescheid vom 7.12.1999, rechtskräftig seit 25.12.1999, wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft um 21 km/h. Geldbuße in Höhe von 100 DM.

Bußgeldbescheid vom 8.5.2001, rechtskräftig seit 26.5.2001, wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft um 27 km/h. Geldbuße in Höhe von 240 DM.

Bußgeldbescheid vom 26.9.2001, rechtskräftig seit 13.10.2001, wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft um 22 km/h. Geldbuße in Höhe von 100 DM.

Auf Grund dieser Vorahndungen ging das Amtsgericht von einer beharrlichen Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG aus, die die Verhängung eines Fahrverbots gebiete.

Gegen diese Entscheidung richtete sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Er wandte sich gegen den Rechtsfolgenausspruch und war insbesondere der Auffassung, die Eintragungen im Verkehrszentralregister rechtfertigten die Verhängung des Fahrverbots nicht. Aus ihnen allein könne nicht ohne weiteres auf eine fehlende rechtstreue Gesinnung geschlossen werden. Das Amtsgericht habe es rechtswidrig unterlassen, Einzelheiten zu den Vortaten festzustellen. Das Rechtsmittel erweist sich als unbegründet.

Gründe:

Beharrlich begangen sind Verkehrsverstöße, die zwar nach ihrer Art oder den Umständen ihrer Begehung für sich allein betrachtet nicht bereits zu den objektiv oder subjektiv groben Zuwiderhandlungen zählen, die aber erkennen lassen, dass es dem Täter an der für die Teilnahme am Straßenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und an der notwendigen Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt, so dass er Verkehrsvorschriften unter Missachtung einer Vorwarnung wiederholt verletzt (BGHSt 38, 231/234). Das erfordert nicht notwendig vorsätzliches Handeln (BGHSt 38, 231/235). Auch eine Häufung nur leicht fahrlässiger Verstöße kann mangelnde Rechtstreue und eine gemeinschädliche Grundhaltung offenbaren. Namentlich wiederholte erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen innerhalb relativ kurzer Zeit sind "Ausdruck dafür, dass der Kraftfahrer ein erhöhtes Maß an Gleichgültigkeit an den Tag gelegt, die Chance zur Besinnung nicht ergriffen hat" (BGH aaO).

Allein die wiederholte Begehung gleichartiger Verkehrsverstöße in zeitlich engem Zusammenhang dokumentiert daher die verkehrsfeindliche Gesinnung. Dem trägt auch § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV Rechnung, der allein an die Begehung von zwei Geschwindigkeitsüberschreitungen von mindestens 26 km/h innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten die Regelfolge des Fahrverbots knüpft. Der Bundesgerichtshof (aaO) hat hierzu ausgeführt, dass gerade mit dieser Bestimmung die "überspannten Anforderungen", die die frühere Rechtsprechung an die Verhängung eines Fahrverbots gestellt habe, vermindert werden sollten.

An dieser Vorbewertung des Verordnungsgebers ist die Annahme der Beharrlichkeit zu messen und zu prüfen, ob ein Fall der Beharrlichkeit von gleichem Gewicht angenommen werden kann und muss, der dann die Folge des Fahrverbots nach sich zieht (BayObLGSt 2003, 5 = DAR 2003, 231). Für eine Einzelfallprüfung ist daher nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nur noch eingeschränkt Raum. Dem folgend hat das Bayerische Oberste Landesgericht die Beharrlichkeit immer dann verneint, wenn früheren Verurteilungen lediglich geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitungen zu Grunde lagen und nur Bußen im untersten Bereich verhängt wurden (vgl. BayObLGSt 1995, 16).

Auch in den übrigen Fällen der Bußgeldkatalogverordnung wird das Fahrverbot an die Erfüllung eines der dort genannten Tatbestände geknüpft, ohne dass zusätzliche wesentliche Besonderheiten die Anordnung eines Fahrverbots rechtfertigen müssen. Vielmehr fordert umgekehrt das Absehen von der Regelahndung eine besonders eingehende Begründung (BGHSt 38, 125/133).

Die Bußgeldkatalogverordnung befreit daher Verwaltungsbehörden und Gerichte zwar nicht von einer Einzelfallprüfung, schränkt aber in den katalogmäßig bestimmten Regelfällen aus dem Bereich des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG den Ermittlungs- und Begründungsaufwand ein. Der Gesetzgeber hat damit der Erkenntnis Rechnung getragen, dass individuelle Prognoseentscheidungen für die Massenverfahren der Verkehrsordnungswidrigkeiten unverhältnismäßige Schwierigkeiten bereiten und im Einzelfall zu ganz unterschiedlichen Wertungen führen, die dem Interesse einer möglichst gleichmäßigen Behandlung gleich liegender Sachverhalte zuwiderlaufen, die gesetzliche Androhung des Fahrverbots in der Praxis daher zum stumpfen Schwert machen und ihre erzieherische Wirkung, die mit Blick auf die Verkehrssicherheit bezweckt war, weitgehend aufheben (BGHSt 38, 106/110). Das Bußgeldverfahren dient - anders als das Strafverfahren - lediglich der verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung und ist wegen seiner Bedeutung für die Massenverfahren des täglichen Lebens auf eine einfache, schnelle und summarische Erledigung ausgerichtet.

Daraus ergibt sich, dass der Ermittlungsaufwand eingeschränkt ist (§ 77 Abs. 2 OWiG) und auch an die Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind (BGHSt 39, 291/299 f.; BayObLG VRS 104, 56; OLG Hamm VRS 105, 217/219).

Der Amtsrichter hat deshalb im vorliegenden Fall zu Recht nicht nur für die von ihm abzuurteilende Tat, sondern auch für die Vorahndungen keine Feststellungen zum Anlass der Fahrten und zur Motivationslage des Betroffenen getroffen. In der vom Betroffenen in Anspruch genommenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm (Beschluss vom 10.10.2002 - 3 Ss OWi 727/02), die ihrerseits auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (NZV 1993, 319/320) Bezug nimmt, werden Anforderungen gestellt, die mit der oben dargestellten Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs aus der Sicht des Senats nicht vereinbar sind.

Sie sind im Übrigen praktisch auch kaum realisierbar. Bei den Vorahndungen handelt es sich - wie im vorliegenden Fall - zumeist um Bußgeldbescheide ohne gerichtliches Verfahren. Aus ihnen ergeben sich zumeist keine weiteren Angaben zum Tathergang. Gleiches gilt in aller Regel für die Akten der Bußgeldstelle, die zudem zumeist bereits nach kurzer Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen, weil sie ausgesondert worden sind.

Da der Amtsrichter die Annahme der Beharrlichkeit mithin in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf die im Verkehrszentralregister enthaltenen Vorahndungen gestützt hat, war die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Der Senat hält eine Vorlage an den Bundesgerichtshof nicht für erforderlich, da er sich im Einklang mit dessen Rechtsprechung sieht.

Ende der Entscheidung

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