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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 20.12.2000
Aktenzeichen: 1 ObOWi 586/00
Rechtsgebiete: StPO, OWiG, GKG


Vorschriften:

StPO § 302
StPO § 410 Abs. 1 Satz 2
StPO § 473 Abs. 3
OWiG § 46 Abs. 1
OWiG § 71 Abs. 1
OWiG § 74 Abs. 2
OWiG § 109a Abs. 2
GKG § 55
Keine analoge Anwendung des § 109 a Abs. 2 OWiG für die Kostenentscheidung, wenn das Rechtsbeschwerdegericht das amtsgerichtliche Verwerfungsurteil aufhebt, weil der Amtsrichter den Einspruch des Betroffenen in Unkenntnis von dessen Rücknahme verworfen hat.
BayObLG Beschluss

1 ObOWi 586/00

20.12.00

Tatbestand

Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt setzte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 29.3.2000 wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit eine Geldbuße von 200 DM fest und verhängte ein Fahrverbot von einem Monat. Gegen den Bescheid legte der Betroffene Einspruch ein, worauf das Amtsgericht Termin zur Hauptverhandlung auf den 24.8.2000, 13.30 Uhr bestimmte und dazu das persönliche Erscheinen des Betroffenen anordnete. Mit Telefax seiner Verteidiger, die zur Rücknahme von Rechtsmitteln bevollmächtigt waren, vom 24.8.2000, das beim Amtsgericht an diesem Tag um 10.46 Uhr einging, nahm der Betroffene seinen Einspruch zurück. Der Richter, dem die Einspruchsrücknahme unbekannt geblieben war, verwarf um 13.45 Uhr den Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG und legte ihm die Kosten des Verfahrens auf.

Gegen das Urteil richtete sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit welcher er geltend machte, nach Rücknahme des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid habe das Urteil nicht ergehen dürfen. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

Aus den Gründen:

1. Aufgrund einer zulässig erhobenen Rechtsbeschwerde hat das Rechtsbeschwerdegericht zu prüfen, ob ein Verfahrenshindernis besteht (BayObLGSt 1969, 129). Das ist hier der Fall, da der von der Verwaltungsbehörde erlassene Bußgeldbescheid Rechtskraft erlangt hat. Zwar wurde durch die form- und fristgerechte Einlegung des Einspruchs zunächst der Eintritt der Rechtskraft gehemmt, und es war Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen (§ 411 Abs. 1 Satz 2 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG). Der Durchführung der Hauptverhandlung und einer Sachentscheidung stand jedoch entgegen, dass inzwischen der Einspruch von den ausdrücklich hierzu ermächtigten Verteidigern zurückgenommen worden (§ 411 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG) und der Bußgeldbescheid damit rechtskräftig geworden war. Die Rücknahme ist bereits mit dem Eingang des Schriftsatzes bei Gericht wirksam geworden (BayObLG NJW 1969, 201; OLG Koblenz NZV 1993, 282; Göhler OWiG 12. Aufl. § 71 Rn. 9). Da dieser Zeitpunkt vor Beginn der Hauptverhandlung liegt und der Bußgeldbescheid durch die Einspruchsrücknahme in Rechtskraft erwachsen ist, durfte der Einspruch nicht mehr durch Urteil verworfen werden (BGHSt 27, 271/273). Die Rechtskraft des Bußgeldbescheids bildete ein Verfahrenshindernis, durch das sich das gerichtliche Verfahren von selbst erledigt hat. Es ist dabei ohne Belang, dass dem die Hauptverhandlung durchführenden Richter die Rücknahme des Einspruchs unbekannt geblieben ist (BayObLG vom 23.11.1995 - 1 ObOWi 662/95; OLG Koblenz NJW 1973, 2118; Göhler § 71 Rn. 11). Das (objektiv) zu Unrecht ergangene Urteil des Amtsgerichts ist sonach ersatzlos aufzuheben.

Dass der Einspruch durch Rücknahme erledigt ist und damit der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden ist, hat der Senat lediglich zur Klarstellung nochmals festgestellt (vgl. BGHSt 27, 271/273; OLG Hamm VRS 85, 122/123).

2. Da der Betroffene mit seinem - nicht auf Freispruch, sondern nur auf Beseitigung der unzulässigen Einspruchsverwerfung gerichteten - Rechtsmittel voll durchgedrungen ist, fallen die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens sowie die dem Betroffenen ab Einspruchsrücknahme erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last (§ 473 Abs. 3 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG).

Mangels gesetzlicher Grundlage und weil - entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft beim Rechtsbeschwerdegericht auch eine Analogie zu § 109a Abs. 2 OWiG ausscheidet, können dem Betroffenen nicht auch die notwendigen Auslagen ab Einspruchsrücknahme auferlegt werden. Die Ausnahmevorschrift des § 109a Abs. 2 OWiG bildet eine Modifikation der Grundregel des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO, weil es als unzureichend und unbefriedigend empfunden wurde, wenn der Betroffene bei sog. Kennzeichenanzeigen zunächst von seinem Schweigerecht Gebrauch machte, um - nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid - in der Hauptverhandlung den wahren Täter zu benennen, zu dessen Gunsten zu diesem Zeitpunkt sehr häufig Verfolgungsverjährung eingetreten war (KK-OWiG/Schmehl 2. Aufl. § 109a Rn. 6). Unabhängig von der grundsätzlichen Problematik der analogen Anwendung von Ausnahmevorschriften geht es vorliegend um eine ganz andere und damit einer Analogie nicht zugänglichen Sachverhaltskonstellation, als sie der Regelung in § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StPO bzw. § 109a Abs. 2 OWiG zugrunde liegt. Die Einspruchsrücknahme war im vorliegenden Fall ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft bis zum Beginn der Vernehmung zulässig, ohne dass das Gesetz in § 473 Abs. 3 StPO an eine Einspruchsrücknahme gleichsam in letzter Sekunde kostenrechtliche Nachteile knüpft; eine Regelungslücke liegt nicht vor.

Einer besonderen Entscheidung über die entstandenen Auslagen des gerichtlichen Einspruchsverfahrens bedarf es aufgrund § 55 GKG nicht (OLG Hamm VRS 85, 122/124; LG Zweibrücken VRS 90, 143/144; Göhler OWiG 12.Aufl. § 67 Rn.40 a, § 109 Rn. 10; KK-OWiG/Schmehl 2.Aufl. § 69, Rn. 130, § 109 Rn. 11). Danach ist der den Einspruch zurücknehmende Betroffene kraft Gesetzes Schuldner entstandener Auslagen. Diese können ohne Kostenentscheidung des Gerichts von ihm eingezogen werden und werden mit Rücknahme des Einspruchs fällig, § 63 Abs. 1 GKG (KK-OWiG/ Schmehl § 109 Rn. 11).

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