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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 26.03.2001
Aktenzeichen: 1 ObOWi 95/01
Rechtsgebiete: StVO


Vorschriften:

StVO § 19 Abs. 2 Nr. 2
StVO § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7
Schütz das Rotlicht sowohl den Schienenverkehr als auch den nach der Ampel noch vor dem Bahnübergang einbiegenden Straßenverkehr, so liegt bei einem Rotlichtverstoß Tateinheit vor.
BayObLG Beschluss

1 ObOWi 95/01

26.03.01

Tatbestand

Die Betroffene überholte am 23.2.2000 um 19.08 Uhr in der L.-Straße in V. stadteinwärts fahrend unter Benutzung der Gegenfahrbahn trotz zweimal durch Zeichen 276 angeordneten Überholverbots drei Pkw's, die an der Rotlicht zeigenden Wechsellichtzeichenanlage vor der Einmündung der I.straße warteten, überfuhr dann die Haltlinie an der seit mindestens zehn Sekunden Rotlicht anzeigenden Wechsellichtzeichenanlage und bog nach rechts in die I.straße ein.

Am Mast der Wechsellichtzeichenanlage befindet sich ein Andreaskreuz (Zeichen 201), weil unmittelbar hinter der Einmündung der I.straße in die L.-Straße in stadteinwärtiger Richtung ein beschrankter Bahnübergang folgt.

An der Einmündung der I.straße in die L.-Straße befindet sich ein Rotlicht mit schwarzem Rechtspfeil, so dass ein Linksabbiegen in die L.-Straße möglich ist.

Das Amtsgericht verurteilte die Betroffene mit Beschluss vom 16.11.2000 wegen fahrlässiger Nichtbeachtung des Rotlichts einer Wechsellichtzeichenanlage bei schon länger als eine Sekunde andauernder Rotphase in Tateinheit mit fahrlässigem Überholen trotz Überholverbots aufgrund Zeichen 276 zu einer Geldbuße von 330 DM und ordnete daneben ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats an.

Gegen den Beschluss des Amtsgerichts richtete sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügte. Insbesondere machte sie geltend, dass die Missachtung des Rotlichts an einem Bahnübergang neben dem Verstoß gegen § 19 Abs. 2 Nr. 2 StVO nicht zugleich einen qualifizierten Rotlichtverstoß nach § 37 Abs. 2 StVO begründe.

Mit Beschluss vom 19.1.2001 verwarf das Amtsgericht die Rechtsbeschwerde als unzulässig, weil diese von einem nicht bevollmächtigten Verteidiger unterzeichnet worden sei. Gegen diesen der Betroffenen durch Niederlegung am 25.1.2001 zugestellten Verwerfungsbeschluss beantragte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 26.1.2001, beim Amtsgericht eingegangen am 29.1.2001, unter Vorlage einer Verteidigervollmacht vom 22.12.2000 die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

Aus den Gründen:

1. Der fristgerecht gestellte Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nach § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG ist begründet, weil der Verteidiger innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist bevollmächtigt wurde; die Vollmacht kann - wie geschehen - später nachgewiesen werden (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 345 Rn. 12). Der Verwerfungsbeschluss vom 19.1.2001 kann deshalb keinen Bestand haben.

2. Aufgrund der somit zulässigen Rechtsbeschwerde (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG) hat die Nachprüfung des sorgfältig, begründeten Beschlusses keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

Zu Recht hat das Amtsgericht das Fahrverhalten der Betroffenen als qualifizierten Rotlichtverstoß nach § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7, § 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO gewertet, der - entgegen der Auffassung des Verteidigers und der Staatsanwaltschaft - nicht wegen gesetzeseinheitlicher Verwirklichung auch des § 19 Abs. 2 Nr. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 19 a StVO (Missachtung des Rotlichts an einem Bahnübergang) hinter dieser Bestimmung zurücktritt. Bei der gegebenen Verkehrssituation käme allenfalls eine tateinheitliche Verwirklichung in Betracht, jedoch wäre die Betroffene durch die unterbliebene tateinheitliche Verurteilung nicht beschwert.

a) Das Rotlicht einer Wechsellichtzeichenanlage bedeutet an einer Kreuzung: "Halt vor der Kreuzung!" (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO). Hiergegen hat die Betroffene verstoßen, indem sie trotz Rotlicht von der L.-Straße in die I.straße abgebogen ist.

Dass bei der gegebenen Kreuzungssituation das Fahrverhalten der Betroffenen unter den Wortlaut des § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO subsumiert werden kann, stellen auch weder der Verteidiger noch die Staatsanwaltschaft beim Rechtsbeschwerdegericht in Abrede. Unter Berufung auf OLG Köln NZV 1997, 365 (die Verteidigung beruft sich weiterhin auf BayObLG VerkMitt 1977 Nr. 81 = VRS 52, 301 und Hentschel Straßenverkehrsrecht 36. Aufl. § 19 StVO Rn. 39) vertreten Verteidiger und Staatsanwaltschaft allerdings die Auffassung, die Missachtung des Rotlichts an einem Bahnübergang begründe neben dem Verstoß gegen § 19 Abs. 2 Nr. 2 StVO nicht zugleich auch noch einen Rotlichtverstoß im Sinne des § 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO, weil neben der Sondervorschrift des § 19 StVO andere Vorschriften der StVO über Vorfahrt und Vorrang keine Anwendung fänden.

Dieser Auffassung ist für die der zitierten Rechtsprechung zugrundeliegenden Sachverhalte zuzustimmen, weil das Fehlverhalten der jeweils Betroffenen darauf beschränkt war, sich an einem Bahnübergang unter Verstoß gegen § 19 Abs. 2 Nr. 2 StVO, § 49 Abs. 1 Nr. 19 a StVO ordnungswidrig verhalten zu haben. Im Fall des BayObLG hatte der Betroffene eine Herde Kühe über eine mit Andreaskreuz versehenen Bahnübergang getrieben, ohne sich vorher vergewissert zu haben, ob sich ein Zug näherte; erst durch die Pfeifsignale des herannahenden Güterzuges auf diesen aufmerksam gemacht, soll er versucht haben, die Herde beschleunigt über den Bahnübergang zu treiben, was nur teilweise gelang. Im Fall des OLG Köln fuhr der Betroffene mit einem Kfz über einen Bahnübergang, obwohl die für ihn geltende Ampel seit mindestens zwei Sekunden "Rot" zeigte und behinderte dabei einen auf den Schienen fahrenden Güterzug.

Dagegen besteht im vorliegenden Fall die Besonderheit, dass die Wechsellichtzeichenanlage mit Andreaskreuz nicht unmittelbar vor dem Bahnübergang aufgestellt ist (vgl. § 41 Abs. 2 Nr. 1 a StVO: Das Andreaskreuz "befindet sich vor dem Bahnübergang, und zwar in der Regel unmittelbar davor", wobei nach den Verwaltungsvorschriften zu Zeichen 201 Andreaskreuze grundsätzlich möglichst nahe vor der äußeren Schiene, aber auch am gleichen Pfosten wie Lichtzeichen anzubringen sind). Denn nach der Wechsellichtzeichenanlage mündet in stadteinwärtiger Richtung noch vor dem Bahnübergang in die L.-Straße die I.straße ein.

Das von der Betroffenen überfahrene Rotlichtsignal bezweckt damit nicht nur, der an allen Bahnübergängen bestehenden erhöhten Gefahr entgegenzuwirken (vgl. Hentschel Straßenverkehrsrecht 36. Aufl. § 19 Rn. 14), sondern dient auch dem Schutz des von der I.straße nach linke in die L.-Straße einbiegenden Verkehrs (Vgl. BGHSt 43, 285/291). Im Einmündungsbereich der I.straße in die L.-Straße besteht eine dem normalen Kreuzungsverkehr entsprechende Gefährdungssituation für den nach links einfahrenden Verkehr. Bei der konkret gegebenen Verkehrssituation scheidet wegen der beiden - völlig unterschiedlichen - Schutzzwecke (Schienenverkehr einerseits und Straßenverkehr andererseits) Gesetzeseinheit mit Vorrang des speziellen § 19 StVO aus, allenfalls käme eine tateinheitliche Verurteilung von § 37 Abs. 2 StVO und § 19 Abs. 2 Nr. 2 StVO in Betracht.

Eine Ermittlung des begriffslogischen Verhältnisses zwischen § 19 Abs. 2 Nr. 2 StVO und § 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO ergibt zwar, dass es sich bei der erstgenannten Bestimmung um die speziellere handelt, weil jeder Rotlichtverstoß an einem Bahnübergang nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 StVO zugleich auch als "allgemeiner" Rotlichtverstoß unter § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO subsumiert werden kann, während das Umgekehrte nicht gilt; der Rotlichtverstoß nach § 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO ist demzufolge genereller. Die Analyse der begriffslogischen Struktur zwischen den beiden Vorschriften ermöglicht aber nur eine erste Orientierung und besagt noch nichts über die Folgerungen bei der Gesetzesanwendung. Das rein logische Zuordnungsverhältnis der Tatbestände ist teleologisch neutral und kann deshalb keine endgültige Antwort auf die Frage geben, ob die beiden Tatbestände in Gesetzeskonkurrenz oder in Tateinheit stehen. Vielmehr bedarf es dazu noch einer Betrachtung unter teleölogischen Aspekten (LK/Rissing-van Saan 11. Aufl. vor §§ 52 ff. Rn. 74; Klug ZStW 68 [1956] S. 412/413; Vogler Bockelmann-Festschrift, 1979, S. 715 ff., 717). Im Gegensatz zu der von der Verteidigung zitierten Rechtsprechung, bei der es ausschließlich um den Schutz des Schienenverkehrs ging, was zum Vorrang des § 19 Abs. 2 Nr. 2 StVO vor allgemeinen Vorfahrts- und Vorrangsregelungen führt, hat die Betroffene im vorliegenden Fall jedenfalls gegen den den einmündenden Querverkehr schützenden § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO verstoßen.

Wäre die Betroffene nicht in die I.straße abgebogen, sondern über den Bahnübergang bei - aus welchen Gründen auch immer - geöffneter Schranke weiter stadteinwärts gefahren, so hätte sie die unterschiedlichen Schutzzwecke des § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO wie des § 19 Abs. 2 Nr. 2 StVO tateinheitlich verletzt. Ob die im vorliegenden Fall gegebene Besonderheit, dass die Betroffene - wie von vornherein vorgehabt - vor dem Bahnübergang in die I.straße abgebogen ist, bereits deshalb, weil sie bei Rotlicht nicht "vor dem Andreaskreuz" gewartet hat (§ 19 Abs. 2 Nr. 2 StVO), ein ordnungswidriges Verhalten begründet oder ein solches gleichwohl ausscheidet, wenn "jede Beeinträchtigung des Schienenverkehrs von vornherein ... offensichtlich ausgeschlossen" ist (vgl. BayObLG VRS 43, 222/224), bedarf mangels Beschwer vorliegend keiner Entscheidung.

b) Der Bereich qualifizierter Rotlichtverstöße ist nicht auf die Fälle beschränkt, in denen das missachtete Wechsellichtzeichen dem Schutz des Querverkehre dient, vielmehr umfasst er auch sonstige Vorrangverletzungen wie überhaupt Beeinträchtigungen jeden Verkehrs, der auf die Beachtung des Rotlichte vertraut (BayObLGSt 1996, 153). Derartiger Verkehr kam hier nach den Feststellungen des Amtsgerichts durchaus in Betracht, wie etwa Linksabbieger aus der von rechts einmündenden I.straße in die L.-Straße stadtauswärts, ganz abgesehen davon, dass das unzulässige Verhalten der Betroffenen schon für sich geeignet war, andere Verkehrsteilnehmer nachhaltig zu überraschen und zu verwirren (BGHSt 43, 285/291). Dass es zu keiner konkreten Gefährdung kam, ist ohne Belang, wenn nur eine abstrakte Gefährdung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. hierzu BayObLGSt 2000, 90/93 f. und Senatsbeschluss vom 31.7.2000 1 ObOWi 362/2000; ferner OLG Karlsruhe NZV 1996, 38).

c) Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage begegnet der Rechtsfolgenausspruch (einschließlich dem verhängten Fahrverbot) keinen rechtlichen Bedenken.

Ende der Entscheidung

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