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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 15.09.2000
Aktenzeichen: 1 St RR 125/2000
Rechtsgebiete: StVG, StPO


Vorschriften:

StVG § 21
StPO § 260
StPO § 264
Beim "Fahren ohne Fahrerlaubnis" wird die prozessuale Tat trotz falscher Straßenangabe noch hinreichend dadurch individualisiert, daß neben Tattag und Tatzeit noch der Gemeindebereich zutreffend wiedergegeben ist.
BayObLG

1.Strafsenat

Urteil vom 15.9.2000

1 St RR 125/2000

Sachverhalt:

Aufgrund der zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft vom 3.12.1998, welche dem Angeklagten folgenden Sachverhalt zur Last legte:

"Der Angeschuldigte fuhr am 4.8.1998 gegen 23.00 Uhr mit dem Pkw, Kennzeichen, auf der H.-straße in M., obwohl gegen ihn ein Fahrverbot bestand. Dies wußte der Angeschuldigte.",

verurteilte das Amtsgericht den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten und verhängte ein dreimonatiges Fahrverbot. Dabei ging das Amtsgericht von folgendem Sachverhalt aus:

"Der Angeklagte fuhr am 4.8.1998 gegen 23.00 Uhr mit dem Pkw, Kennzeichen, am A.E. und am F. in M., obwohl gegen ihn ein Fahrverbot bestand. Dies wußte der Angeklagte",

Auf die Berufung des Angeklagten und auf die auf das Strafmaß beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hob das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts auf und sprach unter Verwerfung der Berufung der Staatsanwaltschaft den Angeklagten frei. Dabei sah es die Strafkammer zwar für erwiesen an, daß der Angeklagte am 4.8.1998 gegen 23.00 Uhr den Pkw, Marke BMW, mit dem amtlichen Kennzeichen in M. am A.E. und am F. geführt hat, obwohl gegen ihn seit 5.4.1998 ein rechtskräftiges Fahrverbot gemäß § 25 StVG bestand. Weil aber der Angeklagte einen anderen Pkw an einem anderen Ort geführt habe als im Anklagesatz genannt, sieht das Landgericht die prozessuale Tatidentität nicht mehr für gewahrt an.

Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg.

Aus den Gründen:

Die zulässige Revision ist mit der Sachrüge begründet, so daß auf die Verletzung formellen Rechts nicht mehr einzugehen ist.

1. Das Landgericht hat entgegen der aus § 264 Abs.1 StPO folgenden Verpflichtung die angeklagte Tat nicht abgeurteilt. Entgegen der Auffassung des Landgerichts handelt es sich bei der dem Angeklagten in der Anklageschrift zur Last gelegten Tat und der Tat, so wie sie sich nach dem Ergebnis der Berufungshauptverhandlung darstellt, um denselben geschichtlichen Vorgang, der demnach der Kognitionspflicht des Gerichts unterliegt. Die prozessuale Tat wird als einheitlich zu bewertender geschichtlicher Vorgang verstanden, der durch einzelne Merkmale hinreichend individualisiert erscheint und sich dadurch von gleichartigen Vorgängen unterscheidet (zur allgemeinen Bestimmung des prozessualen Tatbegriffs BGHSt 32, 215/216; vgl. im übrigen auch Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO, 44.Aufl., § 264 Rn.2 m.w.N.).

2. Trotz der vom Landgericht zwischen dem Anklagesatz und dem in der Hauptverhandlung festgestellten Sachverhalt zutreffend dargelegten Abweichungen im Hinblick auf den gefahrenen Pkw sowie die Straßenbezeichnung reichen die übereinstimmenden Merkmale aus, um die Identität zwischen Anklagevorwurf und festgestelltem Sachverhalt zu begründen.

Die Umgrenzungsfunktion des Anklagesatzes erfordert - neben der ausreichenden Bezeichnung des Angeschuldigten -, daß die dem Angeschuldigten zur Last gelegte prozessuale Tat als historisches Ereignis in der Weise geschildert wird, daß die Identität des gemeinten Vorgangs unverwechselbar ist (vgl. BGHSt 29, 124/126; OLG Jena NStZ-RR 1998, 144; Kleinknecht/ Meyer-Goßner § 200 Rn.7; Krause/Thon StV 1985, 252/253 m.w.N.). Welche Anforderungen an die ausreichende Tatkonkretisierung im Anklagesatz zu stellen sind, läßt sich allgemein nicht sagen, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (BGHSt 10, 137/140; BGH NStZ 1995, 245; KK-Tolksdorf, 4.Aufl., § 200 Rn.4).

Der prozessuale Tatvorwurf wird regelmäßig nicht nur durch den Tattag und die Tatzeit sondern auch durch den Tatort konkretisiert. Die falsche Straßenangabe innerhalb von M. in der Anklageschrift steht der Tatidentität zwischen angeklagtem und festgestelltem Sachverhalt jedoch nicht entgegen. Denn in der Anklage zur Last gelegt und in der Berufungshauptverhandlung festgestellt ist der unverwechselbare historische Vorgang, daß der Angeklagte am 4.8.1998 gegen 23.00 Uhr mit einem Pkw auf öffentlichen Straßen im Stadtgebiet von M. fuhr. Zwar fuhr der Angeklagte nicht, wie in der Anklageschrift angegeben, auf der H.-straße - das Amtsgericht hat im Urteil vom 14.9.1999 ausgeführt, daß die fehlerhafte Straßenangabe in der Anklageschrift auf einem Mißverständnis des ermittelnden Polizeibeamten beruht - aber doch in unmittelbarer Nähe davon am A.E. und F. An dieser Stelle geht vom F. in südwestlicher Richtung die H.-straße ab.

Die Unverwechselbarkeit des zur Last gelegten Verstoßes gegen den Ungehorsamstatbestand des § 21 StVG wird durch den Tattag, die Tatzeit und die Örtlichkeit M. hergestellt. Die exakte Straßenangabe charakterisiert den Vorgang nicht derart, daß diese trotz der genannten unveränderlichen Merkmale für die Identifizierung ausschlaggebende Bedeutung hat. Die genannten Merkmale prägen in ausreichendem Maß die Identifizierung des historischen Vorgangs. Es ist ausgeschlossen, daß der Angeklagte am selben Tag zur selben Zeit an einem anderen Ort als M. gefahren ist. Aus diesem Grund ist es auch für die Frage der prozessualen Tatidentität irrelevant, daß in der Anklageschrift das amtliche Kennzeichen nicht zutreffend wiedergegeben ist.

3. Aufgrund der vorliegenden prozessualen Tatidentität hätte das Landgericht nach entsprechendem Hinweis an den Angeklagten gemäß § 265 StPO den Vorgang weiter aufklären und aburteilen müssen. Im Revisionsverfahren war die den Angeklagten freisprechende Entscheidung aufzuheben.

Ende der Entscheidung

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