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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 06.03.2003
Aktenzeichen: 1 St RR 13/03
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 20
StPO § 410 Abs. 2
Die Beschränkung des Einspruchs gegen einen Strafbefehl auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn das Amtsgericht nicht die naheliegende Möglichkeit geprüft hat, daß der Angeklagte wegen der Höhe der Blutalkoholkonzentration schuldunfähig im Sinne von § 20 StGB war.
Tatbestand:

Am 07.05.2002 gegen 00.15 Uhr traf der Angeklagte auf den nach einer Schlägerei herbei gerufenen Rettungssanitäter M.K., als dieser gerade einen durch die Schlägerei Verletzten medizinisch versorgte. Sodann schlug der Angeklagte ihm ohne rechtfertigenden Grund mit der Faust ins Gesicht. Hierdurch erlitt M.K. eine Schädelprellung sowie eine HWS-Distorsion.

Der Angeklagte fuhr am 21.5.2002 (Anmerkung des Senats richtig: am 1.5.2002) gegen 21.15 Uhr mit dem Pkw Typ Fiat, amtl. KZ:, auf der Kreisstraße 10 im Gemeindebereich P., von R. nach K., obwohl er infolge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig war. Der Angeklagte fuhr in Schlangenlinien und kam schließlich nach links von der Fahrbahn ab. Eine bei dem Angeklagten am 01.05.2002 um 22.17 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,24 Promille im Mittelwert. Der Angeklagte hätte seine Fahruntüchtigkeit bei kritischer Selbstprüfung erkennen können und müssen.

Das Amtsgericht erließ am 5.7.2002 gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen zwei tatmehrheitlich begangener Vergehen der Beleidigung und der vorsätzlichen Körperverletzung. Am 16.7.2002 erließ das Amtsgericht gegen den Angeklagten einen weiteren Strafbefehl wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr. Nachdem der Angeklagte gegen beide Strafbefehle Einspruch eingelegt hatte, wurden die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. In der Hauptverhandlung vom 18.9.2000 beschränkte der Angeklagte seine Einsprüche hinsichtlich der ihm angelasteten Körperverletzung und der Trunkenheitsfahrt mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf das Strafmaß. Hinsichtlich des Vergehens der Beleidigung - der insoweit gestellte Strafantrag war ebenso wie jener wegen der Körperverletzung zurückgenommen worden - wurde das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.

Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Amtsgericht zugunsten des Angeklagten, "dass in beiden Fällen das Vorliegen des § 21 StGB jedenfalls nicht auszuschließen" sei, wobei es auch hinsichtlich des Vorfalls vom 7.5.2002 von einer erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten ausging. Es verhängte für beide Taten Geldstrafen von jeweils 50 Tagessätzen, aus denen eine Gesamtgeldstrafe von 75 Tagessätzen gebildet wurde; die Höhe eines Tagessatzes wurde auf 50 EUR festgesetzt. Darüber hinaus wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von noch zehn Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Die Sprungrevision des Angeklagten gegen dieses Urteil vom 18.9.2002 hatte Erfolg.

Gründe:

1. Aufgrund der zulässigen Revision des Angeklagten hat das Revisionsgericht aufgrund der Sachrüge von Amts wegen und ohne Bindung an die rechtliche Beurteilung durch das Amtsgericht zu prüfen, ob dieses über den seiner Beurteilung unterbreiteten Sachverhalt in zu engem oder zu weitem Umfang befunden hat (vgl. zur ähnlichen Sachlage bei einer Berufungsbeschränkung BayObLGSt 1978, 1; KK/Ruß StPO 4. Aufl. § 327 Rn. 11), hier also, ob das Amtsgericht die vom Angeklagten erklärte Beschränkung seiner Einsprüche auf den Rechtsfolgenausspruch zu Recht für wirksam erachtet hat.

Nach § 410 Abs. 2 StPO kann der Einspruch gegen den Strafbefehl auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden. Die Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung hängt von den gleichen Voraussetzungen ab, die für die Zulässigkeit der Beschränkung von Rechtsmitteln gelten (BayObLG NStE Nr. 2 zu § 410 StPO; LR/Gössel StPO 25. Aufl. § 410 Rn. 12; KK/Fischer § 410 Rn. 9; HK/Kurth StPO 3. Aufl. § 410 Rn. 10; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 410 Rn. 4). Eine solche Beschränkung ist dann unzulässig, wenn die Feststellungen des Strafbefehls zum Schuldspruch so weitgehende Lücken aufweisen, dass sich Art und Umfang des Unrechts und der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen und deshalb die sonst in der Regel gegebene Trennbarkeit zwischen Schuld- und Strafausspruch ausnahmsweise zu verneinen ist, d.h. wenn die Feststellungen zum Schuldspruch unzureichend sind und für eine isolierte Prüfung des Rechtsfolgenausspruchs keine hinreichende Grundlage bilden (vgl. SchlHOLG SchlHA 1996, 108; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 113; LR/Gössel aaO Rn. 13; KK/Fischer aaO Rn. 12; HK/Kurth aaO Rn. 13; Meyer-Goßner aaO Rn. 5). Dies ist entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Senats zur Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung dann der Fall, wenn das Amtsgericht nicht geprüft hat, ob der Angeklagte schuldunfähig im Sinne von § 20 StGB war, obwohl die Höhe der Blutalkoholkonzentration oder andere Umstände dazu Anlass gegeben hätten.

2. So verhält es sich hier. Hinsichtlich der Trunkenheitsfahrt am 1.5.2002 hat es das Amtsgericht unterlassen, in Bezug auf die um 22.17 Uhr festgestellte mittlere Blutalkoholkonzentration von 2,24 %o eine Rückrechnung auf die maximale Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit gegen 21.15 Uhr vorzunehmen. Diese hätte bei Zugrundelegung eines maximalen stündlichen Abbauwertes von 0,2 %o und eines einmaligen Sicherheitszuschlags von 0,2 %o (zur Berechnung vgl. BGH NStZ 1986, 114; BGHSt 37, 231/237; BayObLG VRS 76, 423) einen Höchstwert von 2,64 % ergeben. Bei einem derartigen Wert ist aber nicht nur die Frage der verminderten Schuldfähigkeit, sondern auch die Frage eines Ausschlusses der Schuldfähigkeit zu prüfen (BGH VRS 50, 358; BayObLGSt 1974, 46/48; OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 1996, 85). Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach auch alle sonstigen Umstände, die Aufschluss über die psychische Verfassung eines Täters zur Tatzeit geben können, in die Beurteilung einzubeziehen (und im Urteil darzulegen) sind, hat hieran nichts geändert (BGH StV 1997, 460/463 [BGHSt 43, 67;1 1998, 256; NStZ 1997, 591; 1998, 295).

Hinsichtlich der dem Angeklagten angelasteten vorsätzlichen Körperverletzung ist dem amtsgerichtlichen Urteil nur zu entnehmen, dass der Angeklagte angegeben habe, vor Tatbegehung etwa sieben Mass Bier und acht bis zehn kleine Schnäpse getrunken zu haben. Sieht der Tatrichter die Trinkmengenangaben eines Angeklagten als nicht widerlegt an, darf er nicht offen lassen, wie hoch dessen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit war; vielmehr muss er aus der angegebenen Menge die Tatzeit-Blutalkoholkonzentration nach den von der Rechtsprechung anerkannten, wissenschaftlichen Berechnungsmethoden bestimmen und seinem Urteil bei der gebotenen Prüfung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten aufgehoben oder (nur) erheblich vermindert war, zugrunde legen (BGH NStZ-RR 1998, 68 m. w. N.). Entziehen sich die Angaben des Angeklagten zum Alkoholkonsum sowohl zeitlich als auch mengenmäßig jedem Versuch einer Eingrenzung, so bedarf es der Berechnung der Blutalkoholkonzentration ausnahmsweise nicht. In einem solchen Fall kann sich die Beurteilung der Schuldfähigkeit nur nach psychodiagnostischen Kriterien richten, wobei die Hinzuziehung eines Sachverständigen regelmäßig geboten sein wird (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 297 m. w. N.). Demgegenüber setzt sich das amtsgerichtliche Urteil nicht damit auseinander, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten im Hinblick auf seine Angaben zum vorangegangenen Alkoholkonsum oder aufgrund seines von Zeugen beobachteten und von einem Sachverständigen zu beurteilenden Verhaltens ausgeschlossen gewesen sein kann.

Da das Amtsgericht auf die Frage des Ausschlusses der Schuldfähigkeit überhaupt nicht eingegangen ist, können die in den beiden Strafbefehlen vom 5. und 16.7.2002 enthaltenen Schuldfeststellungen keine Grundlage für den Rechtsfolgenausspruch bilden, sodass eine Beschränkung des Einspruchs auf diesen in beiden Fällen nicht möglich war.

3. Da schon der Schuldspruch vom Amtsgericht zu überprüfen war und gegebenenfalls bei Anwendung des § 20 StGB keinen Bestand haben kann, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Rechtsfolgenausspruch auf den von der Revision gerügten Mängeln bei der Strafzumessung beruhen würde. Zweifel an einem Beruhen bestehen deshalb, weil sowohl die Einzelstrafe wegen der vorsätzlichen Körperverletzung als auch die gebildete Gesamtstrafe äußerst niedrig ausgefallen sind und selbst bei einer doppelten Strafrahmenverschiebung kaum noch als gerechter Schuldausgleich angesehen werden können.

Ende der Entscheidung

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