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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 24.09.2004
Aktenzeichen: 1 St RR 143/04
Rechtsgebiete: GVG, StPO
Vorschriften:
GVG § 185 Abs. 1 Satz 1 | |
StPO § 338 Nr. 5 |
Tatbestand:
Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten. Die Berufung des Angeklagten wurde vom Landgericht verworfen. Dabei stützt sich das landgerichtliche Urteil u.a. auf die Aussage des Zeugen H. Hierzu enthält es folgende Ausführungen:
Die Feststellungen über die Tat beruhen zum geringen Teil auf der Einlassung des Angeklagten, im Übrigen auf den in vollem Umfang glaubhaften Angaben der Zeugen A und H sowie der Zeugin M und aufgrund der teilweise glaubhaften Einlassung des Zeugen E...
Der Zeuge H gab an, er hätte an der Theke gestanden. A hätte für beide Kaffee bestellt. Daraufhin sei der Angeklagte hinzugekommen und habe ihn gefragt, woher er käme und was er mache. Die Bedienung habe daraufhin ihn, den Zeugen H gefragt, ob er den Angeklagten kenne. Er habe erklärt, er kenne ihn nicht und wolle auch nicht mit ihm reden. Die Bedienung habe dann gesagt, der Angeklagte solle ihn in Ruhe lassen. Der Angeklagte habe dann irgendwas von Klappe oder Schnauze gesagt. Daraufhin habe sich Ö eingemischt und für Ruhe sorgen wollen.
Der Angeklagte habe daraufhin mit der Faust in Richtung des Zeugen A geschlagen, aber wohl nicht getroffen. Danach sei alles rausgerannt. Er selbst sei zunächst innen verblieben. Als er später auch draußen nachgesehen habe, habe sich dort ein Haufen befunden, bei dem der Zeuge A unten gelegen habe. Oben habe jemand gezogen. Der Angeklagte habe mit dem Fuß zugeschlagen.
Er selbst habe bei Ö eine Verletzung an Nase und Stirn gesehen. Ob der Angeklagte Verletzungen gehabt habe, habe er nicht gesehen.
Auch die Aussage des Zeugen H erschien glaubhaft. Zwar war er, aus einem anderen Kulturkreis stammend, nicht zu einer zusammenhängenden Schilderung in logischer Reihenfolge in der Lage. Er sprang zeitlich vielmehr hin und her und musste immer wieder um einen Anknüpfungspunkt zurückgeführt werden. Ferner erfolgte die Darstellung teilweise nur durch Gesten. Der Faustschlag beispielsweise wurde nicht verbal geschildert. Der Zeuge machte vielmehr nur eine Bewegung mit der eigenen Faust vor seinem Gesicht und war auch auf mehrfache Aufforderung durch das Gericht nicht in der Lage, dies mit Worten auszudrücken. Ferner gab der Zeuge beispielsweise durch Gesten zu erkennen, dass unmittelbar vor der eigentlichen Auseinandersetzung sich der Angeklagte rechts von ihm an der Theke und der Zeuge A links von ihm befand und die Attacke des Angeklagten auf den Zeugen A sich hinter dem Zeugen H abspielte. Ferner war seine Aussage häufig unpräzise, indem er beispielsweise sowohl den Angeklagten als auch den Geschädigten immer mit "er" bezeichnete und erst durch Rückfragen erkennbar wurde, wer jeweils mit "er" gemeint war. Insgesamt entstand jedoch der Eindruck, dass der Zeuge bemüht war, das Geschehen nach bestem Wissen und Gewissen zu schildern. ...
Auch hinsichtlich der Aussage des Zeugen H ist festzustellen, dass sich das wesentliche Geschehen wohl hinter ihm abspielte und deshalb wohl von ihm nicht im vollen Umfang beobachtet werden konnte. ...
Mit der Revision rügt der Angeklagte, dass für den aus Bangladesch stammenden Zeugen H kein Dolmetscher in der Hauptverhandlung anwesend war. Aus den Urteilsgründen ergebe sich, dass der Zeuge nicht über ausreichende deutsche Sprachkenntnisse verfügt. Außerdem greift die Revision mit der Sachrüge die Beweiswürdigung des Landgerichts an. Die statthafte (§ 333 StPO) und auch sonst zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 StPO) Revision hatte mit der Verfahrensrüge Erfolg.
Gründe:
1. Das Urteil verstößt gegen § 185 GVG i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO, weil an der Hauptverhandlung kein Dolmetscher für den Zeugen H teilgenommen hat.
Nach § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG ist ein Dolmetscher hinzuzuziehen, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Beteiligt in diesem Sinn sind alle Personen, mit denen eine Verständigung mittels der Sprache notwendig ist (KK/Diemer StPO 5. Aufl. § 185 GVG Rn. 1); dazu gehören auch Zeugen (Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. § 185 GVG Rn. 1).
Ausweislich der Sitzungsniederschrift ist in der Hauptverhandlung der Dolmetscher Z (für russisch) zugezogen gewesen, weil der Angeklagte nur mangelhaft deutsch spricht (vgl. S. 16 des Berufungsurteils). Ein Dolmetscher für den Zeugen H, der aus Bangladesch stammt, war in der Hauptverhandlung nicht anwesend, obwohl sich der Zeuge nach den Urteilsfeststellungen teilweise nur mit Gesten verständigen konnte und seine Angaben im Übrigen häufig unpräzise waren. Es ist davon auszugehen, dass dieses die Aufklärung beeinträchtigende Verhalten auf Sprachschwierigkeiten des Zeugen zurückzuführen ist; Anhaltspunkte für eine andere Ursache sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
Das Landgericht stützt seine Entscheidung u.a. auf die Einvernahme des Zeugen H. Auch wenn dieser das eigentliche Tatgeschehen (Kopfstoß) nicht beobachtet hat, so wurden seine Angaben und Gesten doch im Hinblick auf die Entwicklung des Streits zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen A verwertet.
Unter diesen Umständen gebietet § 185 GVG die Zuziehung eines Dolmetschers. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Staatsanwaltschaft zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung (BGHSt 3, 285; vgl. auch BGH NStZ 1984, 328). Danach hat der Tatrichter zwar nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, in welchem Umfang er einen Dolmetscher bei der Verhandlungsführung zuziehen will, wenn der Angeklagte teilweise der deutschen Sprache mächtig ist. In diesem Fall gehört der Dolmetscher nicht zu den Personen, deren Anwesenheit im Sinn des § 338 Nr. 5 StPO für die gesamte Dauer der Hauptverhandlung erforderlich ist. Mit dieser Situation ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar. Hier wurde nicht etwa nur teilweise - soweit der Zeuge sich in Deutsch ausdrücken konnte - von der Hinzuziehung eines Dolmetschers für die Sprache des Zeugen abgesehen, sondern gänzlich auf die Ladung verzichtet. Diese Verfahrensweise ist vom tatrichterlichen Ermessen (vgl. Meyer-Goßner § 185 GVG Rn. 10) nicht mehr gedeckt. Dass weder bei der polizeilichen Befragung noch bei der Vernehmung in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung ein Dolmetscher für den Zeugen zugegen war, lässt angesichts der Urteilsfeststellungen keine andere Bewertung zu. Im Verlauf der Vernehmung des Zeugen hätte es sich dem Tatgericht aufdrängen müssen, dass ein Dolmetscher erforderlich ist.
Da die Hauptverhandlung somit in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz (§ 185 Abs. 1 Satz 1 GVG) vorschreibt, stattgefunden hat, ist der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben.
2. Da die Beweisaufnahme neu stattfinden muss, braucht auf die ebenfalls erhobene Sachrüge nicht eingegangen zu werden.
Ende der Entscheidung
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