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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 22.10.2004
Aktenzeichen: 1 St RR 150/04
Rechtsgebiete: JGG


Vorschriften:

JGG § 55 Abs. 2 Satz 1
Ändert das Berufungsgericht im Jugendstrafverfahren auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin sowohl den Schuld- als auch den Rechtsfolgenausspruch zuungunsten des Angeklagten ab, so kann dieser das Berufungsurteil nicht mehr mit der Revision anfechten, wenn er seinerseits ebenfalls Berufung eingelegt hatte.
Tatbestand:

Das Jugendschöffengericht verurteilte den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Hiergegen legten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft änderte die Große Jugendkammer des Landgerichts Schuldspruch und verurteilte den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Die Berufung des Angeklagten wurde verworfen. Mit der Revision rügte der Verteidiger des Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Revision erwies sich als nicht statthaft und war damit gemäß § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen.

Gründe:

1. Die Jugendkammer hat auf den Angeklagten, der zum Tatzeitpunkt Heranwachsender war, gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG Jugendstrafrecht angewandt. In diesem Fall gilt im Verfahren gegen den Heranwachsenden auch die Vorschrift des § 55 JGG über die Beschränkung der Rechtsmittel gegen jugendgerichtliche Entscheidungen entsprechend (§ 109 Abs. 2 Satz 1 JGG). Nach § 55 Abs. 2 Satz 1 JGG kann derjenige, der eine zulässige Berufung eingelegt hat, gegen das Berufungsurteil nicht mehr Revision einlegen. Da der Angeklagte eine zulässige Berufung gegen das Urteil des Jugendschöffengerichts erhoben hatte, kann er sich somit nach dem klaren Gesetzeswortlaut nicht mehr mit der Revision gegen das Berufungsurteil der Jugendkammer wenden.

2. Der Umstand, dass die Berufung des Angeklagten verworfen worden ist und die Berufung der Staatsanwaltschaft zu einem für den Angeklagten ungünstigeren Ergebnis geführt hat, ändert nichts an der Unzulässigkeit der Revision.

§ 55 Abs. 2 Satz 1 JGG verfolgt den Zweck, das Jugendgerichtsverfahren der besseren erzieherischen Wirkung wegen angemessen zu beschleunigen. Das im Jugendstrafrecht im Vordergrund stehende Erziehungsbedürfnis erfordert eine rasche endgültige Erledigung des Strafverfahrens, damit die jugendgerichtlich angeordnete Rechtsfolge der Straftat und ihre Vollstreckung noch in einem angemessenen zeitlichen Verhältnis zu der Tatbegehung steht und somit den Erziehungszweck erreichen kann (BayObLGSt 1972, 274/275; OLG Düsseldorf VRS 78, 292/293). Die Regelung des § 55 Abs. 2 JGG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG NStZ 1988, 34).

a) Allerdings ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass es in Ausnahmefällen doch zur Durchführung sowohl eines Berufungs- als auch eines Revisionsverfahrens kommen kann. Hierbei handelt es sich jedoch um - mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbare - besondere Verfahrensgestaltungen, die nach der Rechtsprechung der Fachgerichte eine entsprechende Erweiterung des Rechtszuges fordern, damit die Möglichkeit der einmaligen Anfechtung - in der vom Angeklagten gewünschten Art - auch tatsächlich gewährleistet ist. Solche Ausnahmen sind z.B. für folgende Fälle anerkannt:

aa) Im Jugendstrafverfahren kann ein Angeklagter gegen das auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin ergangene Urteil auch dann Revision einlegen, wenn er das (zunächst) von ihm gegen die erstinstanzliche Entscheidung eingelegte - als "Berufung" bezeichnete - Rechtsmittel vor Ablauf der Frist zurückgenommen hatte, in der eine gegen dieses Urteil eingelegte Revision hätte begründet werden können (BGHSt 25, 321).

bb) Ist der Angeklagte im ersten Rechtszug wegen einer von mehreren Straftaten freigesprochen, auf die Berufung der Staatsanwaltschaft oder des Nebenklägers aber vom Berufungsgericht unter Anwendung von Jugendstrafrecht verurteilt worden, dann steht ihm insoweit das Rechtsmittel der Revision zu. Dass er das Urteil des ersten Rechtszugs, soweit er verurteilt worden war, ebenfalls mit der Berufung angefochten hatte, steht der Zulässigkeit der Revision nicht entgegen (BayObLGSt 1972, 274).

cc) Ist die vom Angeklagten gegen die amtsgerichtliche Entscheidung zunächst eingelegte Revision gemäß § 335 Abs. 3 StPO als Berufung behandelt worden, darf ihm nicht der Weg in die Revisionsinstanz abgeschnitten werden, nur weil die Staatsanwaltschaft ihrerseits Berufung eingelegt hatte (BayObLGSt 2000, 108/109).

dd) Das Urteil einer Jugendkammer, das nach Verbindung zweier Berufungssachen ergangen ist, wobei in einer der Angeklagte und in der anderen die Staatsanwaltschaft zulässige Berufung eingelegt hatten, ist insgesamt mit der Revision anfechtbar (OLG Hamm NStZ 1990, 140).

b) Diesen Fällen ist gemeinsam, dass das vom Angeklagten eingelegte Rechtsmittel nicht zu einer (umfassenden) Überprüfung der ihm zur Last liegenden Vorwürfe geführt hat oder jedenfalls nicht die gewünschte Art der Überprüfung (Revision) vorgenommen wurde. Eine vergleichbare Situation ist hier nicht gegeben. Zwar wurde sowohl der Schuldspruch (Verurteilung wegen eines Verbrechens des Raubes in Tateinheit mit einem Vergehen der gefährlichen Körperverletzung statt der erstinstanzlichen Verurteilung wegen eines Vergehens des Diebstahls) als auch der Rechtsfolgenausspruch (Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten statt sechs Monate mit Bewährung) zuungunsten des Angeklagten abgeändert. Es handelt sich jedoch um eine Tat im Rechtssinn, die Gegenstand der Verhandlungen sowohl vor dem Amtsgericht als auch vor dem Landgericht war. Die Revision des Angeklagten bezieht sich somit auf dieselbe Tat im prozessualen (und materiellen) Sinn, auf die sich bereits seine Berufung erstreckte. Der Angeklagte konnte seine Sichtweise bereits in das Berufungsverfahren einbringen. Die Verschärfung des Schuld- und Strafausspruchs rechtfertigt es somit nicht, einen weiteren, im Gesetz nicht vorgesehenen dritten Rechtszug zu eröffnen (BayObLG NJW 1964, 1084; OLG Hamm NJW 1955, 1609; OLG Düsseldorf VRS 78, 292; OLG Schleswig SchlHA 1984, 89; OLG Stuttgart MDR 1976, 1043; Eisenberg JGG 10. Aufl. § 55 Rn. 63; Ostendorf JGG 6. Aufl. § 55 Rn. 32; Schoreit in Diemer/ Schoreit/Sonnen JGG 4. Aufl. § 55 Rn. 41).

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