Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 24.07.2001
Aktenzeichen: 1 St RR 97/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 412 Satz 1
Daß Gericht muß dem in einem Strafverfahren begründeten und rechtzeitig gestellten Antrag auf Terminsverlegung, der zu einer erstmaligen und kurzfristigen Verlegung der Hauptverhandlung führt, stattgeben.
Tatbestand:

Mit Strafbefehl vom 22.12.2000 verhängte das Amtsgericht gegen die Angeklagte wegen Betrugs eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 30 DM. Den hiergegen rechtzeitig eingelegten Einspruch der Angeklagten verwarf das Amtsgericht mit Urteil vom 17.1.2001 nach "§§ 412, 329 StPO" mit formblattmäßiger Begründung, weil die ordnungsgemäß geladene und über die Folgen eines nicht bzw. nicht genügend entschuldigten Ausbleibens belehrte Angeklagte ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten worden sei.

Gegen das dem Verteidiger am 12.3.2001 zugestellte Urteil legte dieser am 19.3.2001 Revision ein, die er am 19.4.2001 mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründete; gleichzeitig suchte der Verteidiger um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der "Versäumung der Revisionsbegründungsfrist" nach.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

Gründe:

1. Das statthafte Rechtsmittel (§§ 312, 335 Abs. 1 StPO) ist zulässig. Da das in Abwesenheit der Angeklagten verkündete Urteil am 12.3.2001 zugestellt wurde, lief die Frist zur Begründung des Rechtsmittels, wie bereits die Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht in ihrer Stellungnahme vom 2.7.2001 dargelegt hat, erst am 20.4.2001 ab (§§ 341, 345 Abs. 1 Satz 1 StPO), so dass der insoweit gestellte Wiedereinsetzungsantrag gegenstandslos ist.

2. Die Sprungrevision hat mit der ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge, der Einspruch der Angeklagten hätte nicht wegen ungenügend entschuldigten Ausbleibens der Angeklagten bzw. ihrer Verteidigerin nach § 412 (Satz 1 i.V.m. § 329 Abs. 1 Satz 1) StPO verworfen werden dürfen, Erfolg. Es bedarf daher keines Eingehens auf die weiter erhobenen Verfahrensrügen sowie auf die Sachrüge; mit letzterer könnte vorliegend ohnehin nur geltend gemacht werden, dass Prozessvoraussetzungen fehlen oder Verfahrenshindernisse vorliegen (vgl. BGH StV 2001, 326; BGHSt 21, 242).

a) Ist bei Beginn der Hauptverhandlung der Angeklagte weder erschienen noch durch einen Verteidiger vertreten und ist das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt, so ist § 329 Abs. 1. (sowie - was vorliegend außer acht bleiben kann - Abs. 3 und 4) StPO entsprechend anzuwenden, das heißt, der Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl wird - wie es das Amtsgericht getan hat - ohne Verhandlung zur Sache verworfen (§ 412 Satz 1 StPO).

aa) Die Angeklagte selbst ist nicht "ohne genügende Entschuldigung" ausgeblieben.

Denn nach § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO kann sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen. Insoweit ist dem Amtsgericht unter Bezugnahme auf die bereits vorgelegte schriftliche Vollmacht mit Telefax vom 16.1.2001 mitgeteilt worden, dass die Angeklagte von diesem ihr zustehenden Recht Gebrauch machen und sich in der mündlichen Verhandlung durch ihre Verteidigerin Frau Rechtsanwältin J. vertreten lassen werde. Der Umstand, dass dieses rechtzeitig eingegangene Telefax dem Richter ersichtlich erst nach der Verwerfung des Einspruchs am 17.1.2001 vorgelegt worden ist, ändert nichts daran, dass die Angeklagte danach grundsätzlich nicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet war.

Die Angeklagte war auch nicht etwa deshalb unentschuldigt, weil ihr (möglicherweise) bekannt war, dass die von ihr beauftragte Verteidigerin wegen Erkrankung nicht in der Lage war, sie in der Hauptverhandlung gemäß § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO zu vertreten. Der Angeklagten war nämlich nicht zuzumuten, den Termin in Abwesenheit ihrer Verteidigerin wahrzunehmen (BayObLGSt 1994, 95/96; GÖhler OWiG 12. Aufl. § 74 Rn. 30 a).

bb) Nach § 137 Abs. 1,Satz 1 StPO kann sich ein Angeklagter in jeder Lage des Verfahrens des Beistands eines Verteidigers bedienen. Diese Vorschrift ist Ausdruck des Rechts auf ein faires Verfahren, das auch das Recht umfasst, sich im Strafverfahren von einem gewählten Anwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Dieser Anspruch ist trotz § 228 Abs. 2 StPO keineswegs auf die Fälle notwendiger Verteidigung beschränkt. Vielmehr sind stets das Interesse des Angeklagten an einer Verteidigung und das Interesse an einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens gegeneinander abzuwägen, wobei das Verteidigungsinteresse im Zweifel Vorrang hat (vgl. BayObLGSt aao; BayObLG MDR 1996, 955 und DAR 2001, 83).

Bereits mit Telefax vom 15.1.2001 war dem Amtsgericht unter Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mitgeteilt worden, dass die alleinige Sachbearbeiterin in dieser Angelegenheit, Frau Rechtsanwältin J., kurzfristig (vom 15. bis 18.1.2001) erkrankt sei, und deshalb um Verlegung des Hauptverhandlungstermins vom 17.1.2001 gebeten worden.

Diesem begründeten und rechtzeitig gestellten Terminsverlegungsantrag, der zu einer erstmaligen und kurzfristigen Verlegung der Hauptverhandlung geführt hätte, hätte das Amtsgericht nach den vorstehenden Grundsätzen im Hinblick auf die ihm obliegende prozessuale Fürsorgepflicht stattgeben müssen.

Es kann bei dieser Sachlage offen bleiben, ob das Amtsgericht den Einspruch auch deshalb nicht hätte verwerfen dürfen, weil die Vertreterin wegen Krankheit entschuldigt war, obwohl dem Amtsgericht die Tatsache, dass die Verteidigerin als Vertreterin gemäß § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO auftreten sollte, gar nicht bekannt war.

b) Darauf, dass auch ein Verfahrensfehler darin liegt, dass sich das Amtsgericht in dem angegriffenen, nur formblattmäßig begründeten Urteil mit den vorgetragenen und ihm bekannten Entschuldigungsgründen nicht auseinandersetzt (vgl. hierzu KK/Ruß StPO 4. Aufl. § 329 Rn. 14 m.w.N.), kommt es hier nicht mehr an.

Ende der Entscheidung

Zurück