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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 18.05.1999
Aktenzeichen: 1St RR 109/99
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 69
StGB § 69 a
StGB § 20
StPO § 353
StPO § 354 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerisches Oberstes Landesgericht

1St RR 109/99

BESCHLUSS

Der 1. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Bayerischen Obersten Landesgericht Schmidt sowie der Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Sihler und Wannemacher

am 18. Mai 1999

in dem Strafverfahren

gegen

D P F

wegen

fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr u. a.

nach Anhörung der Staatsanwaltschaft

beschlossen:

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 16. November 1998 mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Am 6.7.1998 hat das Amtsgericht München den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zur Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt und daneben eine Maßregel nach §§ 69, 69 a StGB angeordnet. Das Amtsgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

"Der Angeklagte fuhr am 16.10.1997 gegen 2.00 Uhr mit dem PKW, amtliches Kennzeichen, auf der Fürstenrieder Straße in München in nördlicher Richtung, obwohl er infolge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig war.

Der Angeklagte wies zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von mindestens in Anflutung auf 2,86 Promille und von höchstens 3,33 Promille auf.

Wegen des genossenen Alkohols und infolge einer aus psychopathologischen Voraussetzungen (Psychasthenie) entstandenen Alkoholkrankheit war der Angeklagte zur Tatzeit in seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit (Einsichts- und Steuerungsfähigkeit) erheblich eingeschränkt."

Die hiergegen gerichtete, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht München I, das von der Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung ausgegangen ist, am 16.11.1998 als unbegründet verworfen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und unter anderem beanstandet, das Landgericht sei zu Unrecht von einer Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung ausgegangen, es habe seiner Aufklärungspflicht hinsichtlich der Voraussetzungen des § 20 StGB nicht genügt und es habe die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht geprüft, obwohl diese ausdrücklich beantragt worden sei.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat mit der Sachrüge bereits deshalb Erfolg, weil die Annahme des Landgerichts, Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit sei auszuschließen, durch die bisherigen Feststellungen nicht getragen wird. Die übrigen Rügen können daher unerörtert bleiben.

1. Das Landgericht ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, daß die vom Angeklagten erklärte Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam war; die gegenteilige Ansicht des Angeklagten wie auch der Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht teilt der Senat nicht.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (BayObLG NZV 1997, 244 = NStZ 1997, 359 = MDR 1997, 486; Beschluß vom 3.2.1999 - 1St RR 11/99) ist bei Trunkenheitsfahrten eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch in der Regel dann unwirksam, wenn das amtsrichterliche Urteil keine (ausreichenden) Feststellungen zu den Umständen der Alkoholaufnahme und zu den Gegebenheiten der Fahrt enthält. An dieser Rechtsprechung hält der Senat trotz hiergegen erhobener Einwände (OLG Hamm ZfS 1999, 172/173 ohne Begründung; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 318 Rn. 16 a. E.) fest.

Vorliegend fehlten die Voraussetzungen für eine wirksame Beschränkung in nahezu beispielhafter Weise. Das Amtsgericht hatte lediglich die äußeren Gegebenheiten der Trunkenheitsfahrt im Zeitpunkt der polizeilichen Beanstandung neben der Höhe der Blutalkoholkonzentration sowie der Verantwortlichkeit des Angeklagten festgestellt; zum Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis fehlten überhaupt jegliche Feststellungen zur äußeren und inneren Tatseite. Dazu, wie es zu der Fahrt gekommen war, welche Fahrtstrecke mit welchem Ziel der Angeklagte zurückgelegt hatte oder zurücklegen wollte, wie überhaupt zum inneren Tatbestand der Trunkenheitsfahrt enthielt das Urteil nichts. Angesichts dieser groben Lücken reichte der vom Amtsgericht im Rahmen der Strafbemessung nur noch erwähnte Umstand, der Angeklagte habe den Tatentschluß erst nach dem Alkoholgenuß gefaßt, nicht aus, um dem Landgericht eine ausreichende Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung zu geben.

b) Im übrigen ist dem Berufungsrichter bei der Prüfung der Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung aber auch ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen. Das folgt notwendigerweise daraus, daß - auch wenn es um keine Ermessensentscheidung geht und für den Zweifelssatz kein Raum ist - es sich doch um einen Wertungsakt handelt, dessen Ergebnis von den Gegebenheiten des Einzelfalls wie dem Deliktsvorwurf, den tatsächlichen Umständen und von den zur Verfügung stehenden Aufklärungsmöglichkeiten abhängt. Im Einzelfall ist daher vorstellbar, daß unterschiedliche Ergebnisse vertreten werden können, ohne daß nur eine Auffassung allein als rechtsfehlerfrei gelten kann. Hinzu kommt, daß dem Tatrichter die Verantwortung für die zu findenden Rechtsfolgen obliegt und es daher in erster Linie seiner Beurteilung und Verantwortung überlassen bleiben muß, welche Grundlagen er hierfür als erforderlich erachtet.

Vom Revisionsgericht ist daher die Entscheidung des Berufungsrichters grundsätzlich hinzunehmen und zu respektieren, soweit sie sich nicht als rechtsfehlerhaft erweist, etwa weil er von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den Umfang der Schuldfeststellungen oder sonst einen Rechtsbegriff verkannt hat oder er sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen.

Für dieses Ergebnis sprechen schließlich auch praktische Bedürfnisse. Der Bestand des Berufungsurteils darf nicht von einer engherzigen und vom Tatrichter im Einzelfall möglicherweise nicht vorhersehbaren Auslegung der Verfahrenvorschriften durch das Revisionsgericht abhängen, ohne daß hierdurch wesentliche Interessen der Strafrechtspflege oder einzelner Verfahrensbeteiligter berührt würden.

2. Dagegen reichen die bisherigen Darlegungen des Landgerichts nicht aus, um den von ihm angenommenen Ausschluß von Schuldunfähigkeit des Angeklagten rechtsfehlerfrei zu begründen. Das Landgericht hat ausgeführt:

"Die am 16.10.1997 beim Angeklagten um 3.17 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine BAK im Mittelwert von 2,86 Promille. Die wahrscheinliche BAK des Angeklagten zur Tatzeit betrug 3,05 Promille. Bei der hohen Toleranzentwicklung des Angeklagten lag zur Tatzeit kein Vollrausch vor. Die Voraussetzungen des § 20 StGB sind auszuschließen. Beim Angeklagten lag eine erhebliche Störung des Hemmungsvermögens vor."

Richtig ist dabei der Ausgangspunkt des Landgerichts, daß ab einer nicht auszuschließenden Blutalkoholkonzentration von 3,0 Promille Anlaß besteht, die Frage der Schuldunfähigkeit zu prüfen (vgl. nur BGH NStZ 1996, 592/593). Hier betrug die rechnerisch höchstmögliche Blutalkoholkonzentration bezogen auf den Zeitpunkt der polizeilichen Kontrolle gegen 2.00 Uhr, 3,31 Promille, und bezogen auf den früheren Zeitpunkt des Fahrtantritts - der Angeklagte soll bis zur Überprüfung etwa 20 km zurückgelegt haben - entsprechend mehr (zur Berechnung BGH NStZ 1986, 114; BGHSt 37, 231/237; BayObLG VRS 76, 423).

Soweit jedoch das Landgericht den Ausschluß der Schuldunfähigkeit auf die "hohe Toleranzentwicklung" des Angeklagten gestützt hat, fehlt eine Auseinandersetzung damit, daß eine allgemeine Aussage darüber, welche Bedeutung einer hohen Alkoholgewöhnung zukommt, nicht möglich ist, daß es vielmehr von den Gegebenheiten des Einzelfalls abhängt, ob diesem Gesichtspunkt Bedeutung zukommt oder nicht (BGHSt 43, 66/76). Zu diesen Gegebenheiten hat das Landgericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen.

Ferner hat das Landgericht nicht in ausreichender Weise beachtet, daß die Frage der Schuldfähigkeit nicht nur aufgrund der Krankengeschichte und der Höhe der Blutalkoholkonzentration beurteilt werden konnte, sondern daß hierzu alle wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände heranzuziehen waren, die sich auf das Erscheinungsbild und das Verhalten des Angeklagten vor, während und nach der Tat bezogen (BGH StV 1998, 258; vgl. BGHSt 43, 66/76; NStZ 1998, 295). Zu diesen Umständen, zu denen insbesondere die Reaktion des Angeklagten auf das polizeiliche Halt-Gebot, sein Verhalten bei der Kontrolle wie auch bei der späteren Blutentnahme zu zählen sind, hat das Landgericht keinerlei Feststellungen getroffen.

Die Darlegungen des Sachverständigen Dr. S , auf die sich die Strafkammer wohl gestützt hat - zu welchem Ergebnis der Sachverständige Prof. Dr. E kam, ist dem Urteil nicht zu entnehmen - sind, soweit sie die Strafkammer wiedergegeben hat, zumindest unklar und daher auch nicht geeignet, die Folgerungen des Landgerichts zu tragen. Hiernach "muß angenommen werden, daß Herr D zum Zeitpunkt der ihm zur Last gelegten Straftat am 16.10.1997 zwar bereits aus psychopathologischen Voraussetzungen der seit langem zur Entwicklung gelangten Alkoholkrankheit in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich gemindert war, aber damals die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit keinesfalls vollständig fehlte".

Sollten diese Ausführungen so zu verstehen sein, daß beim Angeklagten bereits ohne den akuten Alkoholrausch eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit vorgelegen hatte - hierfür könnte sprechen, daß dem Sachverständigen zufolge "die erhobenen Befunde nicht zu der Annahme ausreichen, daß schon bei Trinkbeginn Schuldunfähigkeit vorgelegen hat" -, ist nicht ohne weiteres nachzuvollziehen, warum dann nicht das Hinzutreten einer Blutalkoholkonzentration von über 3 Promille Schuldunfähigkeit zur Folge gehabt haben könnte.

III.

Auf die Revision des Angeklagten ist daher das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO). Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 StPO).

Die Entscheidung ergeht nach § 349 Abs. 4 StPO durch einstimmigen Beschluß.

Ende der Entscheidung

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