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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 22.01.2004
Aktenzeichen: 1Z AR 1/04
Rechtsgebiete: VVG, ZPO


Vorschriften:

VVG § 48 Abs. 1
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4
Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses, dem eine Verweisung an den Gerichtsstand der Agentur gemäß § 48 Abs. 1 VVG zugrunde liegt.
Gründe:

I.

Bei dem Amtsgericht Aschaffenburg machte der Kläger gegen die im Amtsgerichtsbezirk Düsseldorf ansässige Beklagte eine Versicherungsleistung aus einem Krankenversicherungsvertrag mit Krankentagegeldversicherung geltend, den er bei dem im Amtsgerichtsbezirk Dieburg ansässigen Versicherungsagenten H. abgeschlossen hatte. Nach Hinweis auf den Wohnsitz des Versicherungsagenten beantragte der Kläger die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Dieburg. Die Beklagte erhob hiergegen keine Einwendungen. Mit Beschluss vom 22.9.2003 erklärte sich das Amtsgericht Aschaffenburg für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit auf Antrag des Klägers an das Amtsgericht Dieburg. Dieses lehnte mit Beschluss vom 29.9.2003 die Übernahme des Rechtsstreits ab. Zur Begründung führte es aus, es sei als Gerichtsstand der Agentur gemäß § 48 Abs. 1 VVG nicht zuständig, weil es sich bei H. nicht um einen Versicherungsagenten, sondern um einen Makler handle, auf den diese Vorschrift nicht anwendbar sei. Auch bestehe kein Anhaltspunkt dafür, dass H. eine Niederlassung der Beklagten im Sinne des § 21 Abs. 1 ZPO leite. Der Kläger legte gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dieburg Beschwerde ein. Das Amtsgericht Aschaffenburg legte die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist nach § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO für die Entscheidung des Zuständigkeitsstreits zwischen dem - zuerst mit der Sache befassten - Amtsgericht Aschaffenburg/Bayern und dem Amtsgericht Dieburg/Hessen zuständig.

2. Beide Amtsgerichte, von denen nach Sachlage eines zuständig sein muss, haben sich nach Eintritt der Rechtshängigkeit durch den Parteien mitgeteilte, gemäß § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbare Verweisungsbeschlüsse im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO "rechtskräftig" für unzuständig erklärt.

3. Örtlich zuständig ist aufgrund des bindenden Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Aschaffenburg das Amtsgericht Dieburg.

a) Nach § 281 Abs. 2 Satz 2 und 4 ZPO ist ein Verweisungsbeschluss grundsätzlich unanfechtbar und für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Die Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO tritt auch dann ein, wenn der Verweisungsbeschluss auf Rechtsirrtum beruht oder sonst fehlerhaft ist (Thomas/Putzo/Reichold ZPO 25. Aufl. § 281 Rn. 11). Die Bindungswirkung entfällt ausnahmsweise, wenn die Verweisung auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht oder wenn sich die Verweisung so weit von der gesetzlichen Grundlage entfernt, dass sie im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot des Grundgesetzes nicht mehr hingenommen werden kann (vgl. BGHZ 102, 338/441; BayObLGZ 2003, 187/190; Zöller/ Greger ZPO 24. Aufl. § 281 Rn. 17 und 17a). Die Bindungswirkung ist auch im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Als zuständig ist daher dasjenige Gericht zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten Verweisungsbeschluss gelangt ist, wenn diesem die Bindungswirkung nicht ausnahmsweise fehlt (BayObLG NJW-RR 2001, 646/647; Zöller/ Vollkommer § 36 Rn. 28).

b) Entgegen der Meinung des Amtsgerichts Dieburg liegt kein Grund vor, dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 22.9.2003 die Bindungswirkung ausnahmsweise abzusprechen.

Das Amtsgericht Aschaffenburg hat ausweislich seines Hinweises an den Kläger seiner Verweisung an das Amtsgericht Dieburg mit Beschluss vom 22.9.2003 den beim Amtsgericht Dieburg gelegenen Gerichtsstand der Agentur gemäß § 48 Abs. 1 VVG zugrunde gelegt. Es ist dabei vom Vortrag des Klägers ausgegangen, dem die Beklagte nicht widersprochen hat. Aufgrund des Eintrags im Versicherungsschein "vermittelt durch ... - Bezirksdirektion - ... Es betreut Sie H. ..." musste das Amtsgericht Aschaffenburg nicht den Schluss ziehen, dass es sich bei H. um einen Makler handelt, der allein im Interesse des Versicherungsnehmers handelt. Aus dem Eintrag im Versicherungsschein wird vielmehr deutlich, dass H. vom Versicherer dauernd mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen betraut ist und in Wirklichkeit dem Kläger als Versicherungsagent gegenübergetreten ist. Das Amtsgericht Aschaffenburg konnte daher der Auffassung sein, dass in einem solchen Fall zugunsten des Versicherungsnehmers § 48 Abs. 1 VVG gilt (vgl. Prölss/Martin VVG 26. Aufl. § 48 Rn. 3 a.E.).

Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg könnte allenfalls dann den Charakter einer willkürlichen Maßnahme haben, wenn es selbst sich über eine eigene Zuständigkeit hinweggesetzt hätte (vgl. BGH NJW 2002, 3634/3635; BayObLGZ 1993, 317/319). Ein derartiger Fall liegt jedoch nicht vor. Eine Zuständigkeit ist beim Amtsgericht Aschaffenburg nicht begründet.

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dieburg vom 29.9.2003 ist gegenstandslos, weil bei einem Zuständigkeitsstreit im Verfahren gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu entscheiden ist.



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