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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 30.10.2003
Aktenzeichen: 1Z AR 113/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 38 Abs. 1
ZPO § 281
Fehlende Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses auf Grund einer Gerichtsstandsvereinbarung, zu deren Wirksamkeit (Kaufmannseigenschaft der Beklagten) keine Feststellungen getroffen sind.
Gründe:

I.

Die Klägerin ist ein auf Karten- und Dokumentensicherheit spezialisiertes Unternehmen und bietet in Deutschland über ihre Tochtergesellschaft, eine AG in Regensburg, Sperr- und Ersatzservice beim Verlust von Kreditkarten sowie von Personalpapieren an. Die in Regensburg wohnhaften Beklagten sind die vormaligen Anteilseigner der AG, welche mit Aktienkaufvertrag vom 8./9.4.2002 sämtliche Aktien mit einem Nominalwert von 50.000 Euro an die Klägerin veräußert haben. Die Klägerin verlangt mit der vor dem Landgericht Regensburg erhobenen Klage von den Beklagten als Gesamtschuldnern die Bezahlung eines Kaufpreisteilbetrages wegen Verletzung vertragswesentlicher Pflichten im Rahmen eines für die Fortführung des Geschäftes der AG maßgeblichen Vertrages.

Die Klägerin einerseits und die Beklagten sowie weitere Personen andererseits haben neben dem Aktienkaufvertrag am 8. April 2002 eine Treuhandvereinbarung abgeschlossen, nach der ein Kaufpreisteil auf Treuhandkonto eines Regensburger Notars gezahlt wird und in deren Ziffer 7.3 festgelegt wurde, dass das Landgericht München I für Streitigkeiten aus dieser Vereinbarung zuständig sein soll.

Unter Berufung auf Ziffer 7.3 der Treuhandvereinbarung haben die Beklagten die örtliche Unzuständigkeit des Landegerichts Regensburg gerügt. Die Klägerin hat darauf hingewiesen, dass sie Ansprüche aus dem Aktienkaufvertrag geltend mache, für den Ziffer 7.3 des Treuhandvertrages nicht gelte. Eine Gerichtsstandsvereinbarung für den Aktienkaufvertrag sei nicht getroffen worden. Nur für den Fall, dass das Landgericht Regensburg entgegen dieser Auffassung die Zuständigkeit des Landgerichts München für gegeben erachte, beantrage sie hilfsweise, den Rechtsstreit dorthin zu verweisen. Mit Beschluss vom 21.8.2003 hat das Landgericht Regensburg sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht München I verwiesen mit der Begründung, die Parteien hätten gemäß § 38 Abs. 1 ZPO eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung getroffen, die zur örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts München I führe. Diese ergebe sich aus Ziffer 7.3 des Treuhandvertrages, der mit dem Aktienkaufvertrag in engem Zusammenhang stehe. Das Landgericht München I hat mit Beschluss vom 8.9.2003 die Übernahme abgelehnt und die Akten an das Landgericht Regensburg zurückgegeben mit der Begründung, eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung liege nicht vor, weil nicht ersichtlich sei, dass die Beklagten Kaufleute seien. Das Landgericht Regensburg hat die Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung zuständig, weil die beteiligten Landgerichte Regensburg und München I zu den Bezirken unterschiedlicher bayerischer Oberlandesgerichte gehören (§ 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO).

2. Die beiden am Kompetenzstreit beteiligten Landgerichte, von denen nach Sachlage eines zuständig sein muss, haben sich nach Eintritt der Rechtshängigkeit jeweils durch unanfechtbare Verweisungsbeschlüsse (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO) im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO "rechtskräftig" für unzuständig erklärt. Der Beschluss des Landgerichts München I vom 8.9.2003 ist sinngemäß als Rückverweisung an das Landgericht Regensburg zu verstehen, da in den Gründen der Standpunkt vertreten wird, dieses sei ungeachtet des Verweisungsbeschlusses zuständig geblieben.

3. Zuständig ist das Landgericht Regensburg.

a) Das Landgericht Regensburg ist für die Klage als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands zuständig, da die Beklagten in dessen Bezirk wohnhaft sind und daher dort ihren allgemeinen Gerichtsstand gemäß §§ 12, 13 ZPO haben.

b) Die Zuständigkeit des Landgerichts München I folgt auch nicht aus einer Bindung an den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Regensburg vom 21.8.2003 gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Diese Bindungswirkung gilt nicht, wenn die Verweisung sich so weit von der gesetzlichen Grundlage entfernt, dass sie im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot des Grundgesetzes nicht hingenommen werden kann (vgl. BGHZ 102, 338/341; BayObLGZ 1991, 280/281 f.; Zöller/Greger ZPO 23. Aufl. § 281 Rn. 17).

Ein solcher Fall liegt insbesondere vor, wenn sich das verweisende Gericht darüber hinwegsetzt, dass die Verweisung die eigene Unzuständigkeit voraussetzt, bei offensichtlich gegebener eigener Zuständigkeit also nicht möglich ist (BGH NJW 2002, 3634/3635; BayObLGZ 1993, 317/318). Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Regensburg vom 21.8.2003 enthält schon keinerlei auf Tatsachen gestützte Begründung, aus der sich die Wirksamkeit der von ihm angenommenen Gerichtsstandsvereinbarung ableiten ließe. Gemäß § 38 Abs. 1 ZPO kann ein an sich unzuständiges Gericht des ersten Rechtszugs durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Parteien als zuständig vereinbart werden, wenn die Vertragsparteien Kaufleute, juristische Personen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtliche Sondervermögen sind. Weder aus dem Parteivorbringen noch aus sonstigen Umständen ergibt sich ein Hinweis, dass es sich bei den Beklagten um prorogationsfähige Kaufleute im Sinne des § 38 Abs. 1 ZPO handelt. Darüber hinaus hat das Landgericht Regensburg nicht einmal geprüft, ob es sich bei der von ihm angenommenen Gerichtsstandsvereinbarung um die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstandes handelt, die allein geeignet wäre, eine den allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten übergehende Verweisung zu rechtfertigen.



Ende der Entscheidung

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