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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 20.07.2005
Aktenzeichen: 1Z AR 118/05
Rechtsgebiete: EuGVVO, ZPO


Vorschriften:

EuGVVO Art. 6
EuGVVO Art. 15
EuGVVO Art. 16
EuGVVO Art. 17
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3
ZPO § 29
ZPO § 32
ZPO § 60
Zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte für eine Klage von Verbrauchern und Nicht-Verbrauchern gegen mehrere Beklagte, von denen eine in einem Nicht-Mitgliedstaat, eine weitere in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und von denen zwei weitere Beklagte in Deutschland bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben.
Gründe:

I.

Die Antragsteller haben gegen die Antragsgegner als Gesamtschuldner bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth Klage auf Ersatz des ihnen aufgrund einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage als stille Gesellschafter an auf St. Vincent und den Grenadinen bzw. in Luxemburg ansässigen Anlagegesellschaften entstandenen Schadens erhoben. Der Antragsgegner zu 1, der seinen allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Landgerichts Saarbrücken hat, hafte als verantwortlicher Vertreter dieser Anlagegesellschaft, der Antragsgegner zu 2 , der seinen allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Landgerichts Trier hat, als Vorstandsvorsitzender der Antragsgegnerinnen zu 3 und 4 wegen Verletzung von Informations- und Beratungspflichten aufgrund eines zwischen den jeweiligen Antragstellern und den Antragsgegnerinnen zu 3 und 4 geschlossenen Treuhandvertrages zur Abwicklung der Beteiligung an den Anlagegesellschaften. Die Antragsgegnerin zu 3, die ihren Sitz auf St. Vincent und den Grenadinen hat und zum Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsschlusses eine Niederlassung in Frankfurt/Main unterhielt, vereinbarte mit den jeweiligen Antragstellern in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Treuhandvertrag als Gerichtsstand "den Wohnsitz", die Antragsgegnerin zu 4, die ihren Sitz in Luxemburg hat, vereinbarte mit den jeweiligen Antragstellern in gleicher Weise als Gerichtsstand Vaduz/Liechtenstein.

Die Antragsteller haben die Bestimmung des Landgerichts Nürnberg als gemeinsam zuständiges Gericht beantragt.

II.

Als zuständiges gemeinsames Gericht war das Landgericht Saarbrücken zu bestimmen.

1. Nach § 36 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO ist das Bayerische Oberste Landesgericht zur Entscheidung über den Bestimmungsantrag berufen, da die Antragsgegner ihre allgemeinen Gerichtsstände in unterschiedlichen Gerichtsbezirken haben und ein bayerisches Gericht zuerst mit der Sache befasst war.

2. Die Voraussetzungen einer Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.

a) Die deutschen Gerichte sind zur Entscheidung des Rechtsstreits international zuständig. Dies ergibt sich für die Antragsgegner zu 1 und 2 aus §§ 12, 13 ZPO, für die Antragsgegnerin zu 4 aus Art. 16 Abs. 1 bzw. Art. 6 Nr. 1 EuGVVO und für die Antragsgegnerin zu 3 aus Art. 4 Abs. 1 EuGVVO iVm § 29 ZPO.

aa) Die Antragsgegnerin zu 4 hat ihren Sitz in einem Mitgliedstaat (Luxemburg). Für sie gilt daher das EuGVVO.

Gemäß Art. 16 Abs. 1 EuGVVO, der in seiner 1. Alternative die internationale und in seiner 2. Alternative die internationale und die örtliche Zuständigkeit regelt, besteht für die Antragsteller, soweit sie hinsichtlich der streitgegenständlichen Klagen als Verbraucher i.S. von Art. 15 Abs. 1 EuGVVO anzusehen sind, ein Wahlrecht zwischen der Erhebung der Klage im Mitgliedstaat des Sitzes des Unternehmens oder am Wohn-sitzort des Verbrauchers. Die Antragsteller zu 4 bis 11 und 13 sind Verbraucher. Die Treuhandverträge, die mit der Antragsgegnerin zu 4 jeweils abgeschlossen wurden, sind Verbraucherverträge (Art. 15 Abs. 1 Buchst. c EuGVVO). Sie sind von ihrem Inhalt her bei der Antragsgegnerin zu 4 ihrer in Deutschland ausgeübten gewerblichen Tätigkeit, bei den Antragstellern weder deren beruflicher noch deren gewerblicher Tätigkeit zuzuordnen. Das damit den Antragstellern zu 4 bis 11 und 13 nach Art. 16 Abs. 1 EuGVVO zustehende Wahlrecht haben diese mit Erhebung der Klage bei einem deutschen Gericht, nämlich beim Landgericht Nürnberg-Fürth, ausgeübt mit der Folge, dass deutsche Gerichte international zur Entscheidung über die gegen die Antragsgegnerin zu 4 erhobene Klage zuständig sind (Art. 16 Abs. 1 1. Alt. EuGVVO).

Die Antragsteller zu 1, 2, 3 und 12 sind nicht als Verbraucher anzusehen, da bei ihnen die Verbrauchereigenschaft nicht persönlich vorliegt, sondern sie die von ihnen geltend gemachten Ansprüche aufgrund Erbfolge bzw. Abtretung erlangt haben (vgl. BGH NJW 1993, 2684). Bei ihnen ergibt sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die gegen die Antragsgegnerin zu 4 gerichtete Klage aus Art. 6 Nr. 1 EuGVVO. Die Antragsgegnerin zu 4 ist zusammen mit den in Deutschland ansässigen Antragsgegnern zu 1 und 2 verklagt worden. Es besteht zwischen den Klagen eine so enge Beziehung, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint.

bb) Die Antragsgegnerin zu 3 hat ihren Sitz auf St. Vincent und den Grenadinen und damit in einem Nicht-Mitgliedstaat. Da sie zwar zum Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsschlusses (1999) eine Niederlassung in Frankfurt unterhielt, nicht jedoch zum relevanten Zeitpunkt der Klageerhebung, findet auf sie die Vorschrift des Art. 15 Abs. 2 EuGVO keine Anwendung (vgl. Schlosser EuGVVO 2. Aufl. § 15 Rn. 9, § 9 Rn. 1; zur Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Klageerhebung auch Zöller/Vollkommer ZPO 25. Aufl. § 21 Rn. 6 unter Hinweis auf BayObLG WM 1989, 871). Gleichwohl besteht auch für die gegen sie erhobenen Klagen eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Da sie ihren Sitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, bestimmt sich diese Zuständigkeit nach deutschem Recht (Art. 4 Abs. 1 EuGVVO). Die Antragsgegnerin zu 3 wird wegen Verletzung von Aufklärungs - und Informationspflichten aus dem jeweiligen Treuhandvertrag in Anspruch genommen. Diese Pflichten waren am jeweiligen Wohnsitz der Antragsteller und damit in Deutschland zu erfüllen. Daher besteht auch hinsichtlich der insoweit geltend gemachten Ersatzansprüche der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO).

b) Die Antragsteller haben die Antragsgegner als Streitgenossen verklagt.

aa) Das über den Bestimmungsantrag entscheidende Gericht hat zu prüfen, ob die Voraussetzungen eines Tatbestands der Streitgenossenschaft schlüssig vorgetragen sind, auch wenn die Schlüssigkeit der Klage darüber hinaus nicht geprüft wird (BayObLG NJW-RR 1998, 1291 = MDR 1998, 180/181; BayObLG NJOZ 2002, 2135; Zöller/Vollkommer § 36 Rn. 18).

bb) Der Gesetzgeber hat in § 60 ZPO den Begriff der Streitgenossenschaft im Interesse der Prozessökonomie weit gefasst. Neben dem in § 59 ZPO geregelten Fall, dass der tatsächliche und rechtliche Grund der gegen die Antragsgegner erhobenen Ansprüche identisch ist, lässt er in § 60 ZPO auch schon die Gleichartigkeit von Ansprüchen auf Grund eines im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grundes genügen (BGH NJW 1975, 1228). Auch ohne Identität oder Gleichheit des tatsächlichen und rechtlichen Grundes der geltend gemachten Ansprüche ist daher Streitgenossenschaft anzunehmen, wenn diese Ansprüche in einem inneren Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt (BGH NJW-RR 1991, 381; KG MDR 2000, 1394).

cc) In diesem Sinne sind die gegen die vier Antragsgegner geltend gemachten Ansprüche im Wesentlichen gleichartig, obwohl die Ansprüche gegen die Antragsgegnerinnen zu 3 und 4 auf der Verletzung der durch den Treuhandvertrag begründeten Verpflichtungen beruhen, die Ansprüche gegen den Antragsgegner zu 1 und den Antragsgegner zu 2 dagegen auf Delikt. Der innere Zusammenhang der Ansprüche wird dadurch begründet, dass ihnen hinsichtlich aller Antragsgegner ein einheitlicher Sachverhalt zugrunde liegt, die behaupteten Verletzungshandlungen zum selben Ergebnis - dem Wertverlust der Einlage - geführt haben und die Ansprüche auf dasselbe Ziel - Schadensersatz hinsichtlich der fehlgeschlagenen Kapitalanlage - gerichtet sind.

c) Die als Streitgenossen verklagten Antragsgegner zu 1 und 2 haben ihre allgemeinen Gerichtsstände in verschiedenen Landgerichtsbezirken, §§ 12,13 ZPO. Daher ist eine Bestimmung eines gemeinsam zuständigen Gerichts vorzunehmen, § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Sie ist, obwohl im Hinblick auf die Antragsgegnerinnen zu 3 und 4 auch die EuGVVO zu beachten ist, durch diese nicht ausgeschlossen (BGH NJW 1988, 646), auch nicht im Hinblick auf die Regelungen der Art. 15 ff EuGVVO.

d) Ein die Gerichtsstandsbestimmung ausschließender gemeinschaftlicher Gerichtsstand besteht nicht, insbesondere nicht nach § 29 ZPO. Ein besonderer gemeinsamer Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) ist ebenfalls nicht sicher feststellbar.

Auch wurde zwischen den Parteien keine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung getroffen (Art. 17 EuGVVO). Die jeweilige Vereinbarung, soweit sie überhaupt einen Gerichtsstand konkret bezeichnet - die völlig unbestimmte Bezeichnung "Wohnsitz" dürfte insoweit nicht genügen -, wurde vor Entstehen der Streitigkeit geschlossen (Art. 17 Nr. 1 EuGVVO), enthält keine Befugnis i. S. von Art. 17 Nr. 2 EuGVVO und wurde darüber hinaus teilweise noch zugunsten eines Gerichts eines Nichtmitgliedstaates (Liechtenstein) begründet, in dem keiner der Parteien ihren Wohnsitz hatte (Art. 17 Nr. 3 EuGVVO).

e) Die Bestimmung des von den Antragstellern gewünschten Landgerichts Nürnberg-Fürth als gemeinsames Gericht kommt nicht in Betracht. Eine Zuständigkeitsbestimmung bei Gerichtsstandsmehrheit auf Klägerseite erkennt die Rechtsprechung im Grundsatz nicht an. Die Bestimmung des Landgerichts Nürnberg-Fürth würde deshalb voraussetzen, dass für alle Antragsteller wenigstens bei einem Antragsgegner dieses Gericht als einheitlicher (allgemeiner oder ausschließlich besonderer) Gerichtsstand gegeben wäre. Dann könnte es auch hinsichtlich der anderen Antragsgegner als zuständig bestimmt werden. An diese Voraussetzung fehlt es hier: Die nicht als Verbraucher i.S. von Art. 15 EuGVVO anzusehenden Antragsteller zu 1, 2, 3 und 12 haben unterschiedliche Wohnsitze, und auch die als Verbraucher anzusehenden Antragsteller 4 bis 11 und 13 haben nicht alle ihren Wohnsitz im Bezirk des Landgerichts Nürnberg-Fürth.

Die Rechtsprechung macht zwar von dem oben erwähnten Grundsatz im Rahmen der Vorschrift des § 797 Abs. 5 ZPO eine Ausnahme (vgl. BGH NJW 1991, 2910). Sie betrifft einen ausschließlichen Gerichtsstand (vgl. § 802 ZPO), der den Schutz der Kläger (Schuldner) bezweckt. Sie kann auf den hier gegebenen, vollständig anders gelagerten Sachverhalt nicht übertragen werden.

3. Es erscheint zweckmäßig, das Landgericht Saarbrücken als zuständiges gemeinsames Gericht zu bestimmen. Im Bezirk dieses Gerichts hat der Antragsgegner zu 1 als Hauptverantwortlicher der - nicht mitverklagten - Anlagegesellschaft seinen allgemeinen Gerichtsstand. Dort wird auch ein umfangreiches Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen der strafrechtlich relevanten Sachverhalte, die dem Fehlschlagen der Kapitalanlagen zu Grunde liegen, geführt. Hier sieht der Senat den Schwerpunkt des Rechtsstreits.

Ende der Entscheidung

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