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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 19.09.2002
Aktenzeichen: 1Z AR 120/02
Rechtsgebiete: ZPO, FGG


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 281
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 621a Abs. 1
FGG § 5
FGG § 36
FGG § 43
FGG § 46
FGG § 64
Erklären sich in einer isolierten Familiensache gemäß zunächst ein bayerisches und später ein nicht bayerisches Amtsgericht für örtlich unzuständig, so entscheidet über die Zuständigkeit das Bayerische Oberste Landesgericht.
Gründe:

I.

Die Parteien sind getrennt lebende Eheleute. Die drei gemeinsamen Kinder leben nach dem (ursprünglichen) Vorbringen beider Parteien bei der Mutter. Mit Schriftsatz vom 17.7.2002 hat der nunmehr in Rheinland-Pfalz wohnende Antragsteller beim Amtsgericht Lindau beantragt, ihm das Recht einzuräumen, die Kinder während der Ferien in der Zeit vom 24.8. bis 14.9.2002 zu sich zu nehmen. Die Antragsgegnerin hat die Zuständigkeit des Amtsgerichts Lindau gerügt und die Verweisung an das Amtsgericht Wangen beantragt, weil sie seit 14.6.2002 nicht mehr im Bezirk des Amtsgerichts Lindau (Bodensee) sondern im Bezirk des Amtsgerichts Wangen wohne. Der Antragsteller hat nunmehr vorgebracht, die Kinder würden sich in einer Pflegefamilie im Bereich des Amtsgerichts Lindau aufhalten, so dass nach wie vor dieses Gericht zuständig sei.

Mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 21.8.2002 erklärte sich das Amtsgericht Lindau für örtlich unzuständig; es gab das Verfahren "von Amts wegen an das zuständige Amtsgericht Wangen ab (§§ 281 ZPO, 36 FGG)". In den Gründen des Beschlusses ist ausgeführt, die Kinder teilten nach § 11 BGB den Wohnsitz der Eltern; nach § 36 FGG richte sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Wohnsitz, nicht nach dem Aufenthaltsort. Nachdem der Antragsteller keinen Verweisungsantrag gestellt habe, sei das Verfahren "dem Antrag der Antragsgegnerin entsprechend an das zuständige Amtsgericht Wangen abzugeben".

Das Amtsgericht Wangen lehnte mit - den Parteien ebenfalls mitgeteiltem - Beschluss vom 27.8.2002 die Übernahme ab und gab die Akten an das Amtsgericht Lindau zurück. Dieses legte die Akten dem Oberlandesgericht Stuttgart "zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 46 Abs. 2 FGG" vor. Das Oberlandesgericht Stuttgart übersandte die Akten an das Oberlandesgericht München mit der Bitte um Prüfung, ob das Verfahren übernommen werde, da der Kompetenzstreit nicht eine Abgabe nach § 46 FGG, sondern die originäre Zuständigkeit nach §§ 36, 43 FGG betreffe, und für diesen Kompetenzkonflikt das Oberlandesgericht nach § 5 Abs. 1 FGG zuständig sei. Das Oberlandesgericht München legte die Akten dem Bayerischen Obersten Landesgericht vor.

II.

1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist für die Entscheidung des Zuständigkeitsstreits zuständig.

Das Verfahren hat eine Umgangsregelung gemäß § 1684 BGB zum Gegenstand, für die das Familiengericht zuständig ist. Es handelt sich also um eine - selbständige - Familiensache im Sinne von § 621 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Für ein solches Verfahren gelten grundsätzlich die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit; an die Stelle u.a. des § 5 FGG treten jedoch die für das zivilprozessuale Verfahren maßgeblichen Vorschriften (§ 621a Abs. 1 ZPO). Demnach richtet sich bei einem Zuständigkeitsstreit die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 ZPO (BGH FamRZ 1988, 1256, 1259/1260; 1992, 664; 1997, 173; NJW-RR 1993, 1091; 1994, 646; 1995, 514; Thomas/Putzo/Hüßtege ZPO 24. Aufl. § 621a Rn 20 Keidel/Kuntze FGG 14. Aufl. Vorb. § 64 Rn. 5e). Der Streit betrifft die örtliche Zuständigkeit bei Einleitung des Verfahrens; es handelt sich daher nicht, wie zunächst das Amtsgericht Wangen und ihm folgend dann auch das Amtsgericht Lindau meinten, um eine Abgabe nach § 46 FGG. Da die Amtsgerichte, die ihre örtliche Zuständigkeit verneint haben, zu den Bezirken eines bayerischen und eines nicht bayerischen Oberlandesgerichts gehören und das bayerische Amtsgericht zuerst mit der Sache befasst war, hat nach § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht den Zuständigkeitsstreit zu entscheiden.

2. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung nach 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.

a) Beide Amtsgerichte, von denen eines für das Verfahren nach § 621a Abs. 1 ZPO, § 64 Abs. 2 Satz 2, § 43 Abs. 1, § 36 Abs. 1 FGG zuständig ist, haben sich "rechtskräftig" für unzuständig erklärt. Die in § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorausgesetzte "rechtskräftige" Unzuständigkeitserklärung liegt einerseits in dem, wie nachfolgend (unter 2. b) ausgeführt, nicht anfechtbaren Beschluss nach § 281 ZPO und andererseits in dem weiteren - auch unanfechtbaren - Beschluss, in dem das durch die Verweisung angerufene Gericht seine Zuständigkeit ebenfalls leugnet, wobei es unerheblich ist, ob es außerdem das Verfahren zurück- oder weiterverweist (BGHZ 71, 15/17; vgl. BayObLGZ 1991, 240/243).

b) Zuständig ist das Amtsgericht Wangen, weil der Beschluss des Amtsgerichts Lindau für das Amtsgericht Wangen entsprechend § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend ist.

In den Fällen, die sich nur nach dem FGG richten, hat zwar eine auf örtliche Unzuständigkeit gestützte Abgabeverfügung eines Gerichts an ein anderes Gericht keine bindende Wirkung. Dies wird aus § 5 FGG gefolgert, der aber in den in § 621a Abs. 1 Satz 1 ZPO bezeichneten Familiensachen nicht gilt; an seine Stellen treten vielmehr die §§ 36, 37 und § 281 ZPO (BGHZ 71, 15/16 ff.; NJW-RR 1993, 1091). Die mit einer Unzuständigkeitserklärung verbundene "Abgabe" nach Mitteilung der das Verfahren in Gang setzenden Antragsschrift an die Antragsgegnerin (vgl. BGH NJW-RR 1995, 514) ist daher der Sache nach als Verweisung entsprechend § 281 ZPO zu verstehen, zumal der Beschluss des Amtsgerichts Lindau vom 21.8.2002 sich auf diese Vorschrift ausdrücklich stützt.

Die Verweisung ist bindend (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Der Bindungswirkung stünde nicht entgegen, wenn die Verweisung im Hinblick darauf verfahrenswidrig wäre, dass sie der Antragsteller nicht beantragt hatte (vgl. BGH FamRZ 1984, 774; 1986, 454; 1997, 153; NJW 1979, 551). Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die entsprechende Anwendung des § 281 ZPO in einer - nicht mit einer Ehesache verbundenen - Familiensache der in § 621a Abs. 1 Satz 1 ZPO bezeichneten Art auch bedeutet, dass wegen örtlicher Unzuständigkeit nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag des Antragstellers verwiesen werden darf (BGH FamRZ 1986, 454). Eine Bindung entfällt nur ausnahmsweise, nämlich wenn die Verweisung jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt, willkürlich ist oder unter Verletzung des rechtlichen Gehörs ergangen ist (BGH NJW-RR 1993, 1091). Keiner dieser Fälle liegt hier vor. Dem Antragsteller wurde Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Verweisungsantrag der Antragsgegnerin gegeben. Die Annahme des Amtsgerichts Lindau, der Wohnsitz der Kinder liege im Bezirk des Amtsgerichts Wangen, konnte sich auf den Jugendamtsbericht stützen; sie war jedenfalls nicht willkürlich.

Ende der Entscheidung

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