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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 10.11.2003
Aktenzeichen: 1Z AR 121/03
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 29 | |
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6 | |
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4 |
2. Zur Bindungswirkung eines nicht begründeten Verweisungsbeschlusses, wenn dieser auf einer vertretbaren Meinung beruht und im Einvernehmen mit den Parteien ergangen ist.
Gründe:
I.
Die Beklagte wohnt im Amtsgerichtsbezirk Forchheim. Die Klägerin ist eine Steuerberatungsgesellschaft mit Sitz in Nürnberg und verlangt von der Beklagten Zahlung von Honorar für Steuerberatungsleistungen. Nach Erlass eines Mahnbescheids, Einlegung des Widerspruchs und Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Nürnberg hat die Klägerin beantragt, den Rechtsstreit "an das örtlich zuständige Amtsgericht Forchheim" zu verweisen. Die Beklagte hat sich damit einverstanden erklärt. Daraufhin hat sich das Amtsgericht Nürnberg mit Beschluss vom 23.7.2003 für örtlich unzuständig erklärt und "den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das zuständige Amtsgericht Forchheim" gemäß § 281 ZPO verwiesen. Dieses Gericht hat sich mit Beschluss vom 22.9.2003 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
II.
1. Die beiden am negativen Kompetenzstreit beteiligten Gerichte liegen in den Bezirken verschiedener bayerischer Oberlandesgerichte. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat in einem solchen Fall den Zuständigkeitsstreit als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht (§ 36 Abs. 1 ZPO) zu entscheiden (vgl. BGH NJW 1979, 2249; BayObLGZ 1988, 305; 1991, 240/241 f., 280/281; Zöller/Vollkommer ZPO 24. Aufl. § 36 Rn. 4).
2. Die beiden im Kompetenzstreit liegenden Amtsgerichte, von denen eines zuständig sein muss, haben sich nach Eintritt der Rechtshängigkeit jeweils durch unanfechtbare Verweisungsbeschlüsse (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO) im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO "rechtskräftig" für unzuständig erklärt.
3. Zuständig zur Entscheidung über die Klage ist das Amtsgericht Forchheim, weil es an den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 23.7.2003 gebunden ist (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO).
a) Nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Diese Bindung ist auch im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten (Zöller/Vollkommer § 36 Rn. 28). Die Bindungswirkung tritt ausnahmsweise dann nicht ein, wenn die Verweisung auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht oder sich so weit von der gesetzlichen Grundlage entfernt, dass sie im Hinblick auf das Gebot des gesetzlichen Richters und das Willkürverbot des Grundgesetzes nicht hingenommen werden kann (vgl. BGHZ 71, 69/72; 102, 338/341; BayObLGZ 1986, 285/287; 2003 Nr. 32; Zöller/Greger § 281 Rn. 17, 17a).
b) Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zwar ist das Amtsgericht Nürnberg in seinem Verweisungsbeschluss vom 23.7.2003 von der herrschenden Rechtsauffassung abgewichen, nach der Erfüllungsort für die Honoraransprüche des Steuerberaters sein Kanzleisitz ist (BayObLG NJW 2003, 1196/1197; OLG Köln NJW-RR 1997, 825; OLG Hamm NJW 2000, 1347; Zöller/Vollkommer ZPO § 29 Rn. 25; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 61. Aufl. § 29 Rn. 31; MünchKomm/Patzina ZPO 2. Aufl. § 29 Rn. 81; Musielak/Schmidt ZPO 3. Aufl. § 29 Rn. 22). Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Nürnberg ist aber nicht schon deshalb willkürlich, weil er von einer ganz überwiegenden oder fast einhelligen Rechtsauffassung abweicht (BGH NJW-RR 2002, 1498/1499). Das Amtsgericht Nürnberg hat sich auf Stimmen in Literatur und Rechtsprechung (Schmid MDR 1993, 410; Prechtel NJW 1999, 3617; MDR 2001, 591; Einsiedler NJW 2001, 1549; AG Spandau NJW 2000, 1654; LG Frankfurt am Main NJW 2001, 2640) stützen können, die in tatsächlicher Würdigung der beruflichen Tätigkeit eines Rechtsanwalts/Steuerberaters deren Erbringung nicht als ortsgebunden angesehen haben und deshalb die Anwendbarkeit des § 29 Abs. 1 ZPO im Falle der gerichtlichen Geltendmachung der Vergütungsforderung am Sitz der Kanzlei des Rechtsanwalts/Steuerberaters verneinen. Die dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Nürnberg zugrunde liegende Ansicht erscheint daher jedenfalls nicht unvertretbar. Darauf, ob sie zutrifft, kommt es nicht an.
c) Demgegenüber ist es hier ohne Belang, dass das Amtsgericht Nürnberg in seinem Beschluss vom 23.7.2003 eine den vorherigen Ausführungen entsprechende Begründung tatsächlich nicht gegeben hat, dem Verweisungsbeschluss als Begründung vielmehr nur entnommen werden kann, dass das Amtsgericht Nürnberg das Wohnsitzgericht der Beklagten für örtlich zuständig hält. Der Verweisungsbeschluss ist im Zusammenhang mit dem Antrag der Klägerin zu sehen, in dem auf die vorgenannte Mindermeinung hingewiesen wurde. Im Übrigen ist ein Verweisungsbeschluss selbst bei gänzlichem Fehlen einer Begründung wegen dieses Mangels noch nicht offensichtlich gesetzeswidrig, wenn die - jedenfalls vertretbare - Entscheidung im Einvernehmen beider Parteien ergangen ist (BGH NJW 2003, 3201/3202; BGH FamRZ 1988, 943 a.E.). Das ist hier der Fall.
Ende der Entscheidung
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